Im Jahr 1 nach Johannesburg

Das Wuppertal Institut strukturiert sich neu - ein Interview mit Peter Hennicke.

Von Nina Hesse

Die Nachhaltigkeitsforschung am Wuppertal Institut soll mit erheblich weniger Geld vom Land NRW auskommen und gleichzeitig neuen Anforderungen genügen. Noch anwendungsorientierter, vernetzter, integrierter wollen die Wuppertaler in Zukunft arbeiten. Mit neuen, übergreifenden Forschungsgruppen stellen sie sich der Herausforderung, Themen stärker zu bündeln und ihre Rolle als renommierter Think Tank zu behaupten.

Das parteipolitisch unabhängige Wuppertal Institut widmet sich seit Jahren der praxis- und problemlösungsorientierten Umsetzungsforschung. Nach einem Jahr Vorbereitung startet das Wuppertal Institut im November 2003 mit seiner neuen Forschungskonzeption. Nach dem neuen Selbstverständnis erforscht und entwickelt das WI Leitbilder, Strategien und Instrumente für eine nachhaltige Entwicklung auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene. Im Zentrum stehen die Ökologie und deren Wechselbeziehung mit Wirtschaft und Gesellschaft. Die Innovationen zur Entkopplung von Naturverbrauch und Wohlstandsentwicklung bilden einen Schwerpunkt seiner Forschung. Alle bisherigen Abteilungen und Arbeitsgruppen werden aufgelöst und in vier neuen Forschungsgruppen zusammengefasst, die befristet auf fünf Jahre eingesetzt werden. Darüber hinaus gibt es drei institutsübergreifende Querprojekte. Professor Peter Hennicke wurde am 1. April 2003 zum Präsidenten des Wuppertal Instituts berufen.

Warum ist es für das Wuppertal Institut notwendig geworden, sich so stark zu wandeln?
Zwölf Jahre nach seiner Gründung galt es, das Institut teilweise "neu zu erfinden". Sowohl die Rahmenbedingungen als auch die Themen haben sich gravierend gewandelt. Nicht zuletzt der Weltgipfel in Johannesburg 2002 (WSSD) hat die fundamentale Bedeutung der Umsetzungsforschung deutlich gemacht. Wir haben aber auch die Kritik des Wissenschaftsrats und Empfehlungen unseres internationalen Beirates zum Ausgangspunkt für eine Neukonzipierung und Fokussierung genommen. In den letzten Jahren hat sich unser Institut mit überdurchschnittlichen Akquisitionserfolgen mit seinen Kernthemen bei internationalen Ausschreibungen und beim wissenschaftlichen "Agenda Setting" behauptet. In Zukunft liegt unser Fokus noch stärker als bisher auf einer integrierten, anwendungsorientierten Nachhaltigkeitsforschung.

Was für neue Themen sprechen Sie an?
Isolierte Analysen des Energie- oder Verkehrssektors oder auch der Klimapolitik reichen heute für eine wissenschaftliche Politikberatung nicht mehr aus. Nachhaltigkeitspolitik bedarf eines integrierten Politik- und Wissenschaftsansatzes. Die Implementierung der Klimaschutzpolitik erfordert unter anderem die Erforschung von Strategien und Instrumenten einer integrierten Energie- und Verkehrspolitik und des Zusammenspiels von Akteuren in einem Mehrebenensystem - von der EU bis zur Kommune. Es gilt aber, auch durch integrierte Szenarien- und Systemanalysen die Wechselwirkung des Energie- und Verkehrssystems hinsichtlich der Primärenergien, Emissionen, Techniken (zum Beispiel der Brennstoffzelle) und Infrastrukturen besser zu verstehen. Nicht zuletzt ist durch den "Plan of Implementation" von Johannesburg vor allem den OECD-Ländern aufgegeben, Zehnjahrespläne für die Umsetzung von nachhaltigeren Produktions- und Konsummustern zu entwickeln. Hier möchten wir eine Vordenkerrolle übernehmen. Dies bedeutet auch eine konsequente Weiterentwicklung und Konkretisierung unserer bisherigen Analysen zur Ressourceneffizienz und zur Entkopplung ("Faktor Vier") von Wohlstand und Naturverbrauch.

War die alte Struktur nicht mehr zeitgemäß? Die neue Struktur ist flexibler und interdisziplinärer.
Wir haben es schon immer als unseren Auftrag gesehen, lösungsorientierte Ansätze zu entwickeln und interdisziplinär zu arbeiten. Aber die Anforderungen an die wissenschaftliche Unterstützung einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie sind gewachsen. Um zum Beispiel ein bundesweites Impulsprogramm zur Steigerung der Ressourceneffizienz zu entwickeln, waren die bisherigen Abteilungsstrukturen zu starr. Ein solcher Programmvorschlag an die Bundes- und Landesregierungen muss für die Politik "anschlussfähig" formuliert werden und auf die großen wirtschaftspolitischen Fragen (Entlastung für die öffentlichen Haushalte, mehr Beschäftigung, mehr Innovationen und neue Geschäftsfelder) eine überzeugende wissenschaftliche Antwort geben. Es macht wenig Sinn, solche komplexen Themen in getrennten Abteilungen Stoffströme, Energie und Verkehr zu behandeln. Die gesamte Nachhaltigkeitsforschung des Wuppertal Instituts entwickelt sich daher zukünftig stärker durch die Kooperation und die Synergien übergreifender Forschungsgruppen.

Geplant ist auch, mehr Kooperationen mit anderen Instituten und Forschungsallianzen zu schaffen. Sie vernetzen sich also noch stärker als bisher schon.
Wir werden unsere gute Zusammenarbeit mit anderen Forschungseinrichtungen und mit den Fachdisziplinen verstärken und auch formeller gestalten. Mit wissenschaftlichen Partnern, die im Bereich Nachhaltigkeit forschen - ob Universitäten oder anderen Forschungseinrichtungen, auf nationaler und internationaler Ebene - wird es, wenn sich die Arbeitsprofile ergänzen, zu engeren Kooperationen kommen. Gemeinsame Forschungsschwerpunkte gibt es zum Beispiel mit dem Hamburger Max-Planck-Institut unter Hartmut Graßl, der auch unseren wissenschaftlichen Beirat leitet, wie auch mit dem Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Wir werden darüber hinaus unsere internationalen Forschungskontakte zum Beispiel nach Japan und zu internationalen Organisationen wie UNEP und der GEF (Global Environment Facility) vertiefen.

Die Kooperation spart vermutlich auch Kosten.
Ein Hintergrund der Umstrukturierung sind auch die von der Landesregierung entschiedenen drastischen Kürzungen der Grundfinanzierung - deshalb muss das neue Konzept gleichzeitig kostensparend, innovativ, motivierend und weiterentwicklungsfähig sein. Unsere Projektarbeit basierte schon länger auf einem wachsenden Drittmittelvolumen auch im internationalen und privatwirtschaftlichen Bereich, wir bekommen beispielsweise Forschungsaufträge von der japanischen Regierung, der EU und der Weltbank sowie von Wirtschaftsunternehmen. Wir werden aber zukünftig den Drittmittelanteil weiter steigern. Aber wir achten durch Diversifizierung unserer Drittmittelgeber darauf, unsere Unabhängigkeit zu wahren, denn daraus speist sich die anerkannte Rolle des Instituts als manchmal auch unbequemer "Think Tank" sowie als kritischer Vor- und Querdenker.

Wird das auch Ihre zukünftige Rolle sein können? Hört man Ihnen in der derzeitigen Wirtschaftssituation überhaupt noch zu?
Wir streben eine Mittlerrolle zwischen Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Politik und Wirtschaft an. Vielleicht ist es vermessen, aber ich habe den Eindruck, dass man uns in Zeiten wirtschafts- und umweltpolitischer Ratlosigkeit manchmal sogar besser zuhört als früher; vorausgesetzt, wir können überzeugende Antworten auf Strategiedefizite geben und umsetzungsreife Konzepte vorlegen.
Wir nehmen auch die Kritik ernst, wenn uns jemand sagt: Was ihr vorschlagt, ist zwar theoretisch einleuchtend, nur zu abstrakt und zu weit weg von den realen Umsetzungsbedingungen von Politik. Ein Beispiel ist die Fortschreibung der ökologischen Steuerreform, die ich weiter für richtig halte, die aber in der Praxis auf viele Umsetzungsprobleme stößt. Hier muss die Verwendungsseite des Steueraufkommens, die direkte Förderung von Innovationen und neuen Arbeitsplätzen mehr ins wissenschaftliche Visier genommen werden, wie auch die Fragen der gesellschaftlichen Akzeptanz.

Was sind für Sie zentrale Nachhaltigkeitsthemen, die in den nächsten Jahren angepackt werden müssen?
Das geht zum Beispiel aus unseren drei institutsübergreifenden Querprojekten hervor: Das Projekt "Globalisierung und Nachhaltigkeit" (inklusive Nord-Süd-Zusammenarbeit) untersucht zum Beispiel die neuen geostrategischen Grenzen und Risiken des Ressourcenverbrauchs. Im Projekt "Integrierte Nachhaltigkeitsszenarien" werden nicht nur die Energie- und Stoffflüsse, sondern auch der Flächenverbrauch einbezogen. Oder auch das Thema "Öko-Suffizienz und Lebensqualität", wo es um die Grundsatzfragen geht, wie ein gutes Leben mit sinnvollem Arbeiten, ökoeffizientem Produzieren und maßvollem Konsumieren zusammengebracht werden kann. Es bleibt eine offene Forschungsfrage, wie im Kapitalismus Lebensqualität, Gerechtigkeit, die Entwicklungsbedürfnisse des Südens und kommender Generationen sowie die Erhaltung der Naturgrundlagen verbunden werden können.

Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.

www.wupperinst.org

Zum changeX-Partnerportrait: Wuppertal Institut.

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