Hierarchie. Macht. Dumm.

Ein Essay von Peter Grimm über die Grundlagen menschlichen Verhaltens - und ihre Auswirkungen in den Unternehmen.

Unternehmen und Menschen benutzen Hierarchien gerne als Machtfestlegung. Und Macht wird überall gern genommen - aber entschieden wird mit ängstlichem Blick darauf, was man falsch machen könnte. Das Resultat: "feige Entscheider", die alles wissen (wollen), aber nichts bewegen können. So, wie Macht ohne Klugheit korrumpiert, machen solche Hierarchien dumm. Weil Macht ohne Entscheidungsfreude im Management einfach nur erbärmlich ist.

Hierarchie. Im Altägyptischen bedeutete dies "Priesterherrschaft". Im Griechischen wird damit die "heilige Ordnung" umschrieben. Nun sollte klar sein, dass stört, wer jene offensichtlich gottgewollte Ordnung in Frage stellt.
Das haben die Hierarchen aller Zeiten sehr wohl verstanden. Und sie handelten danach. So kam es, dass nur in nicht nachvollziehbaren Einzelfällen nicht an die jeweilige heilige Ordnung Angepasste ohne Revolution nach oben kamen. Nein, im Regelfall kamen und kommen genau diejenigen hierarchisch am weitesten, die am angepasstesten sind. Diejenigen nämlich, die am meisten dazu neigen, immer das fortzuführen, was sich auch hierarchisch bewährt hat. Also die Immer-mehr-vom-Gleichen-Leute. Und das Peter-Prinzip (jeder steigt in der Hierarchie so lange auf, bis er die Stufe seiner absoluten Inkompetenz erreicht hat und dann ein Leben als Erfolgsrentner führen darf) feiert dabei fröhlich Urständ. Ist das nicht schön?
Blöd nur, dass wir heute insbesondere gerade in Deutschland so eine selbstbewusstseinstrübende Wirtschaftsentwicklung haben. Das ist aber auch zu ärgerlich. Also bitte mehr vom Bewährten - die Gewerkschaften und die Politiker weisen ja geradezu perfekt den Weg in diese Richtung.
Hierarchie macht dumm? Nun ja - wir tun ja auch einiges dafür. Dummheit hat durchaus seinen Preis. Beispiel Personalentwicklung. Hier wird nun das Angepasstsein geradezu perfekt trainiert. Wer alles hier durchlaufen hat, taugt nicht mehr zur (R)Evolution. Der ist brav. Und kann bei Restrukturierungsmaßnahmen als einer der Ersten gefeuert werden. Oder hierarchisch aufsteigen. Er ist in jedem Fall ungefährlich. Er entscheidet nicht. Er funktioniert.
Das "Oben" und "Unten" in menschlichen Hierarchien hat seine eigene Magie. Die Leute unten schaffen. Die oben freuen sich, wenn die unten schaffen. Gearbeitet wird nur oben. Unten wird geschafft. Anschaffen geht wieder nur von oben. (In Bayern versteht man dies noch am ursprünglichsten).
Unten zu sein ist durchaus bequem. Man wird geführt und kann jedem klar machen, was die oben für einen Schwachsinn machen. Das ist schön. Von oben kann man erkennen, dass die Leute unten nichts verstehen wollen. Vor allem nicht deren Entlassung. Welch eine phantastische Bühne für alle Spiele der angewandten Schuldzuweisung.

Das hierarchische Prinzip.


Naturgemäß ist Hierarchie ein Prinzip des Lebens. Das Mineralreich lebt risikoärmer als das Pflanzenreich. Das Tierreich lebt risikoreicher als das Pflanzenreich und der Mensch lebt von allen am risikoreichsten, denn er ist sich seiner Lebensrisiken bewusst. Daraus aber kann noch kein Machtanspruch legitimiert werden. Noch ist alles im Fluss des natürlichen Ausgleichsprinzips. Erst der Mensch bringt das Thema Macht ins Spiel - er verlangt die Über- und Unterordnung und wundert sich dann auch noch, wenn er genau darin lebt. Macht bedeutet, Einfluss auf die Lebens- und Entwicklungschancen anderer zu haben. Der Mensch kann Organisationen nicht frei von Macht aufbauen und/oder leben. Er will und muss wissen, wer ihm und wem er etwas zu sagen, zu befehlen hat. Das ist eines der Dilemmata der Teamentwicklung, die dies gruppendynamisch zwar weiß, aber das Thema methodisch nur so schwer in den Griff bekommt. Ganz einfach deshalb, weil Hierarchie immer wirkt, in jedem Spiel als Regel eingebaut vorhanden ist, was aber in der Praxis der betrieblichen Teamentwicklung nur allzu oft einfach negiert wird.
Ohnmacht (ohne Macht) ist immer der Gegenpol von Macht. Ohne Macht zu sein ist unerträglich. So entsteht die Geborgenheit der Gruppe als Ausgleich zu "den wirklich Mächtigen". Das ist die echte und wirkliche Heimat jeder sozialen Solidarität. Sehen wir uns dies genauer an und ergänzen das Statement: Hierarchie plus Macht plus Dominanz minus Entscheidungsfreude macht dumm.
Und zwar immer alle im gemeinsamen Spiel zusammen. Die Mächtigen und die Ohn-Mächtigen. Also nie einseitig. Tragisch ist, dass ganze Systeme, woraus immer sie auch bestehen mögen, dazu neigen, die jeweils andere Einsicht zu negieren. Natürlich auch dann, wenn Schein-Verständnis für andere eine gut klingende Verhaltensform zu sein scheint. Toleranz nennt man das dann ja wohl. Toleranz ist übrigens Vater und Mutter vieler Meinungs-, Entscheidungs- und Handlungsschwächen. Toleranz kann durchaus Schwäche sein. Auch dann, wenn sie sich mit Sozialromantizismus zu verklären versucht.
Wirklich Mächtige sind entschieden. Ganz einfach deshalb, weil sie die Fähigkeit besitzen, die jeweils anderen Pole und damit andere Meinungen konsequent zu negieren. Auch dann übrigens, wenn sie sie kennen und formal tolerant anzuerkennen scheinen. Mächtige neigen zur Jovialität. Das kostet schließlich nichts.

Macht.


Macht bedeutet das Leben und die Entwicklung anderer (mit-)bestimmen zu können. Einfluss zu haben heißt, die Inhaber von Macht führen zu können oder zu dürfen. Darin wurzelt jede Beratung.
Beratung ist akzeptierte Machtlosigkeit auf kluger Einflussbasis. Macht ist die Energie der Hierarchie. Hierarchie ohne Macht ist ein zahnloser Tiger, glauben wir. So weit, so gut. Oder auch nicht. Denn es ist der unkultivierte Umgang mit Macht, der dumm macht. Macht allein braucht keine Überzeugung. Sie kommt mit Befehl und Ausführung (Umsetzung heißt das im Management) zurecht. Ihr ärgster Feind ist die Aufmüpfigkeit in jeder Form. So wird Kreativität gefordert, aber mit Verwaltungsmacht verhindert. Und unter keinen Umständen Neues entschieden.
Kreativität ist unbequem. Kreative Menschen sind den Mächtigen nur als Künstler willkommen. In diesem Zusammenhang sind Kreative ziemlich ungefährlich. Neues ist nur in bekannten Bahnen zu begrüßen. Restrukturierung ist akzeptiert und für die Hierarchen meist ungefährlich. Vorausgesetzt, man ist "oben".
Denn dann braucht man ja heute nicht unbedingt entscheiden. Man restrukturiert ja gerade. Danach wird man sehen. Unsicherheit im Unternehmen? Menschen, die mit ihrer Zukunftsangst allein gelassen sind? Ist halt so. Ende.
Macht ohne Klugheit korrumpiert. Das ist einfach so. Machthaber sind robust. Kreative empfindlich. So einfach ist das. Gegen Macht ist nichts einzuwenden. Sie ist Teil unseres Seins.
Was aber bewirkt Macht und in welchem Zusammenhang? Es gibt einen enormen Unterschied zwischen übertragener Macht und natürlicher Machtkompetenz. Hier zu Hause ist der elementare Unterschied zwischen erbärmlicher hierarchisch übertragener oder einfach vorhandener persönlicher Macht. Ein ungeschriebenes Gesetz der Hierarchie sagt, dass die Hierarchie seine Machtträger zu schützen habe. Und spätestens ab dann wird es schizophren. Unfähigkeit und Entscheidungsangst hierarchisch geschützt. Das ist der Gipfel. Das ist hierarchische Dummheit. Hierarchie macht dumm? Wir kommen der Sache schon näher.

Dumm.


Vielleicht eine etwas überraschende Behauptung vorweg: Es gibt keine dummen Menschen! Kein Mensch wird dumm geboren. Höchstens gestört, also behindert. Aber ganz gewiss nicht dumm. Dennoch gibt es die Dummheit. Worin aber besteht sie - und wie kann man sie erkennen?
Wenn wir also dem "Geheimnis" der Dummheit auf die Spur kommen wollen, dann müssen wir einfach einmal bereit sein, einen ganz anderen Blickwinkel dazu einzunehmen - und Dummheit auf einer neuen Denkebene zu suchen, beziehungsweise sie einer anderen Ebene zuzuordnen.
Versuchen wir es mal. Wie wäre es denn, wenn wir Dummheit wirklich mal ganz anders betrachten würden, zum Beispiel aus dem Sichtwinkel von Fähigkeiten? Dummheit als Fähigkeit? Das wäre dann ja wohl wirklich neu.
Es gibt nichts, was wir nicht als Fähigkeit definieren könnten. So wäre zum Beispiel Unpünktlichkeit die Fähigkeit, dass es einem egal sein kann, wie die anderen über einen denken. Oder Kleptomanie. Kleptomanie ist die Fähigkeit, Dinge zu finden, bevor andere sie verloren haben. Oder Nörgeln. Nörgeln ist die Fähigkeit zu klagen, ohne zu leiden. Oder schlampig sein. Das wiederum ist die Fähigkeit, sich unbeschwert von Ordnung im Leben zurechtzufinden. Oder rechthaberisch sein. Das geht nicht, ohne die Fähigkeit zu besitzen, Recht haben zu wollen, obwohl man bereits widerlegt oder überführt ist. Standfestigkeit nennt man dies ja wohl allgemein. Klaustrophobisch sein geht dann ja wohl nicht ohne die Fähigkeit, weite Räume lieben zu können.
Im Ernst: Dummheit als Fähigkeit definiert könnte dann ja wohl mit Fug und Recht so umschrieben werden: Dummheit ist die Fähigkeit, Einsicht konsequent zu verweigern.
Genau das ist es!
Wir lehnen Dinge ab, die wir nicht kennen. Was der Bauer nicht kennt, isst er nicht. Wir verweigern Einsicht, wenn wir anders programmiert sind. Wir sind vielleicht in Bezug auf die Funktion des Motors in unserem Auto absolut dumm, und jeder Kfz-Mechaniker-Azubi ist uns in Bezug darauf weit überlegen. Aber wenn wir Dinge wissen oder kennen sollten, die mit unserer beruflichen oder sonstigen "Kern"-Kompetenz zu tun haben - oder von denen unser Leben (Gesundheit, Wohlergehen, Beziehungen) abhängen -, und wir negieren sie, dann erst sind wir wirklich dumm. Menschen, die nicht (mehr) miteinander reden, obwohl sie sich brauchen oder ergänzen, verhalten sich in diesem Sinne dumm. Verwaltungshierarchien, die die Menschen nicht einbeziehen und verstehend entscheiden, sind saudumm. Macht ohne Verständnis ist dumm. Ego-Diskussionen sind dumm. Hierarchie ohne Kreativität macht dumm. Hierarchie ohne Entscheidungsfreude ist dumm. Dumme Hierarchien machen dumm. Befehle machen dumm. Zusammen: Hierarchie. Macht. Dumm.

Peter Grimm ist seit 25 Jahren selbstständiger Unternehmer und geschäftsführender Gesellschafter der Peter Grimm Customing GmbH.

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