Plädoyer für den Wettbewerb

Neue Impulse für das Bildungs- und Sozialsystem werden dringend gebraucht.

Von Susanne Eyrich

In Deutschland fehlt es an Wettbewerb. Warum sollten nicht Schulen stärker miteinander konkurrieren, eigene Schwerpunkte setzen dürfen? Warum dürfen Universitäten ihre Studenten immer noch nicht selbst auswählen? Und wie könnte man das Sozialsystem wettbewerbsfähig machen?

Wenn wir die Wirtschaftsnachrichten der Tageszeitungen aufschlagen, springen uns mehr Negativ- als Positiv-Schlagzeilen in die Augen: Insolvenzen, Streiks, Arbeitslose, Fachkräftemangel, zusammenbrechendes Sozial- und Gesundheitssystem, funktionsunfähiges Rentensystem und Überschuldung. Doch es ist nicht alles Pech, was schwarz ist! Deutschland ist besser als sein momentaner Ruf.
Wenn wir nämlich genauer hinsehen, sehen wir auch Schlieren von Hoffnungsschimmer. Nehmen wir drei Befunde, die selten in den Medien dargestellt werden.

  • Deutschland ist Weltmarktführer beim Export hochwertiger Technik - also von Produkten, die einen F&E-Anteil von 3,5 bis 8,5 Prozent haben.
  • Deutschland hat nach Schweden, den Niederlanden und Finnland die qualifiziertesten akademischen Arbeitskräfte.
  • Neun Prozent des deutschen Umsatzes werden mit Marktneuheiten erwirtschaftet. Deutschland gehört damit zur europäischen Spitzengruppe.

Deutschland hat also Spitzenprodukte, Spitzenkräfte und Spitzeninnovationen. Optimale Ausgangslage? Keineswegs, denn trotzdem ist es nicht gerade attraktiv, in Deutschland ein Unternehmen zu gründen und aufzubauen, also Arbeitsplätze zu schaffen.
Die einzige Vision für Deutschland, die das ermöglicht, heißt Informations- oder Wissensgesellschaft. Ohne Wenn und Aber. Deutschland kann zum Wirtschaftsstandort Nummer eins für Zukunftstechnologien werden. Der Zusatz "Researched and Developed in Germany" - erforscht und erfunden in Deutschland - muss ein Qualitätssiegel werden und an Stelle des Zusatzes "Made in Germany" treten. Nicht die beste weltweite Werbekampagne, sondern dieser kleine Zusatz muss kaufentscheidend für deutsche Hightech-Produkte werden.

Es mangelt an Zukunft.


Von einem Hightech-Produkt kann man sprechen, wenn in ihm ganz konkret ein Forschungs- und Entwicklungsanteil von mehr als 30 Prozent vorhanden ist - vom Auto, das ein fahrender Computer ist, von der Waschmaschine, die über Chips die Art der Wäsche in der Trommel identifiziert. Und erkennt, dass sich wieder ein blauer Wollsocken in die weißen Hemden verirrt hat. In die klassischen deutschen Industrieprodukte, die alte deutsche Wertarbeit, ist heutige Hightech eingezogen. Deshalb muss Deutschland ein Kopfstaat bleiben, nicht ein Standort für die Produktion von in anderen Ländern entwickelten Gütern. Was ist dafür nötig?

  • Eine zukunftsgerichtete Standortpolitik,
  • ein wettbewerbsfähiges Bildungs- und Ausbildungssystem,
  • ein wettbewerbsfähiges Sozialsystem,
  • ein weltoffenes, zukunftsgerichtetes Denken.

Zweimal Zukunft, zweimal Wettbewerb. Daran mangelt es nämlich in diesem Land. Wir müssen den Wettbewerb in unser Land wieder als Denkfigur mit Handlungsanleitung einführen. Warum? Weil er in den letzten Jahren in die Länder abgewandert ist, die uns gerade überflügeln. Oft hört man, Wettbewerb sei unmenschlich. Er führe zur Ellenbogengesellschaft, in der am Schluss jeder mit jedem im Kampfe verstrickt sei. Warum eigentlich? Werden Fußballspieler, die um einen Pokal spielen, unmenschlich behandelt? Muss ein schlechter Tennisspieler mehr gefördert werden und darf ein Boris Becker dafür nicht so gut spielen, weil das zu einer Benachteiligung des minderbegabten Tennisspielers führt?
Nein. Aber genau diese Form von Wettbewerb verneinen und vermeiden wir im Berufsleben und erst recht in den Bereichen, die von der Arbeit mit dem Kopf bestimmt werden. Wir übersehen dabei nur eines gerne: Der weltweite Wettbewerb fragt nicht danach, ob wir Deutschen ihn vielleicht unmenschlich finden.

Ziel: ein wettbewerbsfähiges Sozialsystem.


Nicht nur Unternehmen sind lernende, flexible, intelligente Organisationen, die miteinander in Wettbewerb treten. Das Prinzip des Wettbewerbs gilt für das ganze Land. Dafür brauchen wir ein wettbewerbsfähiges Sozialsystem. Flexibel und intelligent. Keine Frage: Die soziale Marktwirtschaft ist eine der großen Errungenschaften im Nachkriegsdeutschland. Das dahinter stehende Gleichgewicht zwischen Sozial- und Marktwirtschaft bedarf indes einer neuen Beziehungsqualität. Die Stärkung der Selbstverantwortung des Einzelnen. Sozial ist, wer Verantwortung für sich und sein Unternehmen übernimmt. Damit übernimmt er Verantwortung für das ganze Land.
Wir rufen überall nach mehr Selbstverantwortung und Transparenz. Jeder Mitarbeiter soll sich als Selbst-Unternehmer verstehen. In unserem Sozialsystem suchen wir hingegen die höchstmögliche Absicherung mit geringstmöglicher Eigenverantwortung des Einzelnen - es sei denn, man ist selbstständiger Unternehmer. Dann fällt man sowieso aus dem sozialen Sicherungssystem.
Deutschland hat zehn Prozent höhere Lohnnebenkosten als andere hoch entwickelte Volkswirtschaften. Ein Drittel des Bruttoinlandsproduktes (BIP) wird heute für soziale Zwecke verwendet. Dies ist gegenüber den 60er Jahren eine Verdoppelung. Diese Kostenexplosion blockiert die Unternehmen deshalb, weil andererseits die Kosten für Forschung und Entwicklung nicht mehr Schritt halten können. Sie müssten aber stetig steigen, um als Unternehmen - und damit auch als Land - wettbewerbsfähig zu bleiben.

Schlüsselfaktor Bildung.


Ebenso wichtig ist die Bildung. In fünf bis sechs Jahren müssen wir, wenn sich nichts ändert, möglicherweise das mittlere Management mit Mitarbeitern aus dem Ausland besetzen, weil uns hierzulande der Nachwuchs fehlt. Diese Positionen sind in der Regel hoch dotiert und attraktiv. Ihre Stelleninhaber sind so genannte Besserverdiener, die einen erheblichen finanziellen Beitrag zu unserem Sozialwesen leisten.
Humankapital, also die Menschen, ist aus gesamtwirtschaftlicher Sicht der Standortfaktor Nummer eins. Darauf muss man ein waches Auge haben. Defizite bei Investitionen in das Humankapital, Defizite bei Bildung und Ausbildung, bei Schulen, Fachhochschulen und Universitäten und in der Forschung haben wesentlich weiter gehende Auswirkungen auf die Wettbewerbsposition Deutschlands als etwa kleine prozentuale Änderungen in den Sozialabgaben oder Grenzsteuersätzen. Das ist ein Geplänkel.
Zum Vergleich: Der Etat für Forschung und Entwicklung von Infineon entspricht etwa dem Vergleichsetat zweier deutscher Universitäten. Alle Berliner Universitäten und Fachhochschulen haben zusammen den gleichen Etat wie die Stanford University. Und was passiert? Dennoch werden die Etats der Universitäten weiter zusammengestrichen. Die internen Aufwendungen der Unternehmen für Forschung und Entwicklung steigen demgegenüber durchschnittlich um acht Prozent pro Jahr. Die Zahl der in Forschung und Entwicklung tätigen Mitarbeiter in den Unternehmen steigt durchschnittlich um zwei Prozent pro Jahr. Wo aber sollen wir in Zukunft diese Mitarbeiter finden? In den deutschen Universitäten, die schrittweise zurückfallen? Die öffentlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung haben jetzt gerade einmal den Stand von 1993 überschritten. Und damals war die Wissensgesellschaft noch ein Fremdwort. Wir ahnten aber, welche Bedeutung Wissen und wissensintensive Arbeit für die Wirtschaft haben könnte.

Wettbewerb auch in Schulen.


Bildung ist also der Schlüssel für den Arbeitsmarkt und die Grundlage für die wirtschaftliche Entwicklung einer Volkswirtschaft. Doch Deutschland hinkt auch bei den Bildungsausgaben hinterher. Die Lage in Deutschland ist aus meiner Sicht verheerend. Die deutschen Schüler sind entweder Spitze oder bilden das Schlusslicht. Spitze sind Schüler übrigens aus leistungsorientierten, zumeist aus Akademikerhaushalten. Da stellt sich die Frage: Warum können wir Schüler aus Familien mit geringeren Schulabschlüssen nicht besser fordern und damit fördern? Der Schlüssel liegt auch hier in der Zulassung des Wettbewerbs. Der Wettbewerbsgedanke muss in den Schulen Einzug halten.
Ein zweiter Schlüsselfaktor für den wirtschaftlichen Erfolg sind, wie schon erwähnt, Forschung und Entwicklung an den Universitäten. Die Bestandsaufnahme klingt auch hier zunächst wenig vielversprechend:

  • Die Ausgaben in der industriellen Forschung sind gegenwärtig höher als die staatlichen Ausgaben für die Forschung.
  • Deutschland hat in einzelnen Bereichen in der Grundlagenforschung eine Spitzenfunktion inne. In den Zukunftstechnologien jedoch, vor allem in unserer Sparte und in der Biotechnologie, sind bereits massive Chancen vergeben worden.
  • Gegenwärtig verhindern Mittelmaß und Bürokratisierung die Zuwanderung ausländischer Spitzenkräfte und halten ausländische Wissenschaftler von der Übernahme einer Stellung an einer deutschen Universität ab.
  • 50 Prozent der deutschen Universitätsabsolventen streben eine Laufbahn im öffentlichen Dienst an. Eine Wirtschaftsordnung, die wie Deutschland ihre Anstöße aus dem innovativen Unternehmertum bezieht und beziehen muss, trifft das ins Mark.

Warum öffnen wir die deutschen Universitäten nicht dem Wettbewerb? Warum erlauben wir den Universitäten nicht, ihre Studenten selbst auszuwählen? Und warum schaffen wir es nicht, in den Universitäten selbst ein Umdenken einzuleiten, das die Wirtschaft nicht mehr als Feindbild ansieht, sondern als Partner? Wie in der Wirtschaft gilt auch in der Wissenschaft die Regel: Mehr Wettbewerb bringt mehr Effektivität und Effizienz - und damit mehr Erfolg. Und mehr Erfolg bringt mehr Zufriedenheit und höhere Motivation.

Das Bildungssystem von morgen.


Was wir als Unternehmen, das selbst ein lernendes, intelligentes und flexibles Unternehmen ist, von einem Bildungssystem erwarten? Ganz einfach. Wir brauchen hervorragend ausgebildete Schüler und Studenten. Hervorragend ausgebildet heißt, sowohl über Allgemeinwissen als auch Fachwissen zu verfügen. Man muss beide Bereiche beherrschen, denn die heutige Zeit verlangt vernetztes Denken. Man muss in der Lage sein, Verbindungen zwischen Themen oder Systemen zu erkennen, die auf den ersten Blick eben nicht sichtbar sind. Schulen müssen die Grundlagen für eine Lern- und Leistungsbereitschaft, für Fähigkeit zu vernetztem Denken und Teamarbeit, Informationserwerb und Weiterentwicklung zu Wissen legen. Diese Fähigkeiten müssen - verbunden mit wissenschaftlichem Denken - an den Universitäten weitergeführt werden. Auch den Umgang mit den neuen Technologien sollte man schon an der Universität trainieren.
Wenn wir auf all das achten, brauchen wir beim Blick in die Zukunft keine Angst zu haben. Auch wenn es zur Zeit düster auszusehen scheint.

Susanne Eyrich ist Senior Manager Public Affairs bei der Infineon Technologies AG.

www.campeon.de
www.infineon.com

© changeX Partnerforum [19.03.2003] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

changeX 19.03.2003. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

Artikeltools

PDF öffnen

Infineon Technologies AG

Weitere Artikel dieses Partners

Gesünder leben mit Chips

Innovative Entwicklungen von Infineon könnten die Medizin revolutionieren. zum Report

Professionelles Lesen im Kaffeesatz

Mit Hilfe von Trend- und Zukunftsforschung bereitet sich Infineon auf zukünftige Herausforderungen vor. zum Report

Neuronen in Aktion

Neurochips sind eine spannende neue Technologie. zum Report

Autorin

Susanne Eyrich

nach oben