Das Gehirn als Muskel.
Komisch ist nur, dass solche
Techniken in erster Linie von Trainern in der Erwachsenenbildung
vermittelt werden, kaum aber an Schulen und Universitäten. Dabei
waren solche Merktechniken, wie Vera F. Birkenbihl in einem ihrer
Beiträge schreibt, "bis in die 1920-er Jahre noch allgemein
bekannt", gingen aber dann zunehmend verloren. Leider schreibt
sie nicht, warum sie in Vergessenheit gerieten. Und so kann man
nur vermuten, dass dies mit der Durchsetzung einer
technisch-instrumentellen Rationalität und
naturwissenschaftlich-objektiv geprägten Weltsicht zusammenhing,
die unsere Art zu denken ganz entscheidend geprägt hat. So wie
man die Welt aus ihren kleinsten Bausteinen heraus zu verstehen
suchte, begriff man Wissen als Menge von Merkposten, die man nur
abspeichern musste, um klug zu werden.
Heute indes sind wir wieder ein Stück schlauer und haben
gelernt, dass die Methode des Fließband-Lernens keinesfalls zu
besserem Denken führt. So wie uns die Hirnforschung vor Augen
führt, wie unser Gehirn funktioniert, beginnen wir die Methoden
zu hinterfragen, mit denen wir es gewohnheitsmäßig traktiert
haben, wenngleich wir mit den Ergebnissen meist auch ziemlich
unzufrieden waren, weil sich mühsam Gelerntes meist schneller aus
unserem Arbeitsspeicher entfernte, als uns lieb sein konnte. Erst
nach und nach erschließt die Forschung die Zusammenhänge. "Wir
wissen inzwischen, dass das Gehirn wie ein Muskel trainiert
werden muss. Aber wir begreifen erst nach und nach, welche Formen
des Trainings am meisten bringen", schreibt Vera F. Birkenbihl.
Wer sich über den Stand der Dinge in Sachen Gehirntraining
informieren will, ist mit diesem Buch gut beraten.
Erlerntes Falschdenken.
Drei zentrale Erkenntnisse über das
Denken, Merken und Erinnern gilt es festzuhalten: Erstens,
erinnert Vera F. Birkenbihl, "beschreiben Kognitionsforscher
Wahrnehmen heute als Konstruktion und Erinnern als
Re-Konstruktion". Wer sich an etwas erinnert, greift nicht auf
fertige abgelegte Bilder und Zusammenhänge zu, sondern baut seine
Erinnerung aus vielen kleinen Bruchstücken zusammen. Bildlich
ausgedrückt, spult er nicht eine Videoaufzeichnung ab, sondern
gleicht einem Paläontologen, der aus einem Knochenfund das Bild
eines Dinosauriers konstruiert. Hierin liegt wohl auch das
Geheimnis der antiken Mnemotechniken: Indem sie Zusammenhänge
konstruieren, zum Beispiel indem Merkinhalte in den Räumen eines
gedachten Gebäudes abgelegt werden, funktionieren sie genauso wie
unsere Wahrnehmung. Und sie verankern zugleich einen starken
Abruf-Reiz. Wer sich seine Einkaufsliste einprägen will und sich
den Posten "Eier" in Form am Schlafzimmerspiegel klebender
Spiegeleier vorstellt, der wird dieses Bild vermutlich besser
erinnern als den abstrakten Begriff.
Das ist der zweite Punkt: Metaphern. Auch sie waren bis vor
kurzem verpönt und wurden als "Eselsbrücken" abklassifiziert: als
Merkhilfen für Minderbemittelte, für Esel eben. "Bis Mitte der
1980-er Jahre", so nochmals die Birkenbihl, aus deren Feder gut
ein Viertel der Beiträge stammen, "hielt sich hartnäckig die
Meinung, Metaphern seien eigentlich überflüssig und nur für
Poeten und Redner von Bedeutung.
� In den letzten 15 Jahren
tauchen immer mehr Publikationen auf, die darauf hindeuten, dass
wir ohne Metaphern gar nicht denken können." Und wie verschiedene
Beiträge zeigen, können die gar nicht fantasievoll, bunt und
schrill genug sein, um gut erinnert zu werden. Denn wenn unser
Gehirn etwas hasst, dann ist es Monotonie und Langeweile.
Drittens spielen Emotionen auch beim Denken, Merken und
Erinnern eine entscheidende Rolle. "Gefühlvoll lernen" ist also
die Devise. Oder wie es Manfred J. Lorenz formuliert: "Am
leichtesten und dauerhaftesten lernt das Gehirn neue Fakten, wenn
es dabei durch positive Gefühle empfänglich gestimmt ist." Und
weiter: "Versucht man, dem Gehirn eine rationale Information ohne
emotionalen Kontext einzuprägen, entstehen beim Merkvorgang meist
negative Gefühle." So entsteht leicht ein Teufelkreis aus
negativen Stimmungen und Misserfolgen beim Lernen. "Erlerntes
Falschdenken" nennt das der Autor.
Wir fangen erst an zu verstehen.
Wer sich hierbei an seine
Schulzeiten erinnert fühlt, der liegt nicht ganz falsch. Zwei
Hauptfehler machen das Schul-Lernen so kontraproduktiv, so
Birkenbihl: "Prozesse, die man durch Handeln erwerben muss
�,
werden über Regeln vermittelt." Und "Lerninhalte, die begriffen
werden müssen, werden stur mechanisch gepaukt". Mit abstrakten
Regeln und seriell vermittelten Informationen aber kommen
Computer gut zurecht, nicht aber das menschliche Gehirn. Damit
dieses seine beste Leistungsfähigkeit erreicht, braucht es neben
adäquaten Inhalten und Methoden auch Zeit, Entspannung und Muße.
Dieser antiquiert anmutende Begriff steht ja nicht für Nichtstun
und Faulenzen, sondern für einen Zustand innerer Ruhe, in dem
eben die Aufnahmefähigkeit des Gehirns am größten ist. Wie es
scheint, müssen wir einige Dinge über das Lernen neu lernen.
Fazit: Das Buch bietet in prägnanten Beiträgen namhafter
und kompetenter Autoren eine kompakte Zusammenfassung des Wissens
über das Denken, Lernen und Merken. Und es zeigt: Wir fangen
gerade erst mal an zu verstehen.
Winfried Kretschmer ist leitender Redakteur und Geschäftsführer bei changeX.
Hartwig Hanser (Hg.):
Besser denken.
mvg Verlag, Heidelberg 2007,
250 Seiten, 15.90 Euro.
ISBN 978-3-636-06312-0
www.mvg-verlag.de/shop/article/1292-besser-denken/
www.mvg-verlag.de
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Zum Buch
Hartwig Hanser (Hg.): Besser denken. . mvg Verlag, Heidelberg 1900, 250 Seiten, ISBN 978-3-636-06312-0
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Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.