Selbstorganisation lernen

Selbstorganisation will geübt werden - Thesen aus dem Interview
Redaktion: Winfried Kretschmer

Menschen können sich selbst organisieren. Im Privaten tun sie es. In Organisationen können sie es, sofern die Strukturen dort Selbstorganisation ermöglichen und nicht blockieren. Aber es gilt auch: Selbstorganisiertes Arbeiten muss gelernt und geübt werden. Das Wichtigste aus dem Interview mit Kim Nena Duggen thesenartig zusammengefasst.

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Im Interview beschreibt Kim Nena Duggen die Form der Organisation, wie sie sich bei oose in Hamburg über mehrere Jahre hinweg entwickelt hat, und berichtet über die Erfahrungen, die die Firma gemacht hat. Hier die wichtigsten Punkte thesenartig zusammengefasst. Die allerwichtigste Erkenntnis vorneweg: Es gibt kein bestes Modell, keine Blaupause, kein Methodenset mit Allgemeingültigkeitsanspruch. Jede Organisation ist anders, die Menschen sind es sowieso. Jede Organisation muss ihren Weg finden.
 

Die Organisationsform bei oose basiert auf vier Säulen: (1) soziokratisches Kreismodell statt Abteilungshierarchie, (2) autarke Teams mit Entscheidungskompetenz statt Entscheidungen von oben, (3) gewählte Vorstände und Aufsichtsräte sowie (4) keine Trennung von Denken und Handeln. Diese Form folgt keinem vorgefertigten Modell. "Es ist einfach das, was sich über sechs, sieben Jahre Arbeit an der Organisation, in der Organisation, für die Organisation entwickelt hat."
 

Das Kreismodell hat explizit gemacht, wie die Organisation implizit bereits funktioniert hat. Im Grunde wurden Formen, die implizit und informell schon existiert hatten, erkannt und in eine explizite Struktur überführt. Dabei hat sich bewährt, einen Kreis einzurichten, der sich um Selbstorganisation an sich kümmert.
 

Entscheidend dabei war, dass es informelle Strukturen gab, die sich beinahe so verhalten haben wie eine Selbstorganisation. Umgekehrt bedeutet das: "Wenn es keine Erfahrungen mit selbstorganisiertem Arbeiten gibt, ist es schwierig, eine selbstorganisierte Organisation aufzubauen."
 

Es gibt keine Blaupause für die Transformation einer Organisation. Es ist sehr, sehr spezifisch, welches Organisationsmodell und welche Formen der Selbstorganisation bei einer Organisation passen. So arbeitet oose nicht streng nach dem einen oder anderen Modell, auch nicht streng nach Scrum oder nach Kanban. Die Firma hat sich eher aus unterschiedlichen Methoden und Organisationsvorlagen herausgepickt, was gut zusammenpasst - und vor allem, was gut zur Firma passt.
 

Grundsätzlich gilt: Menschen können sich selbst organisieren. "Ich vertrete das Menschenbild, dass Menschen sich selbst organisieren wollen und das auch können."
 

So wie im Privaten, können sich Menschen auch im Organisationskontext selbst organisieren - aber Barrieren im System können sie daran hindern: Strukturen, die dazu zwingen, Verantwortung abzugeben, oder Entlohnungsmodelle, die Egoverhalten fördern und Teamorientierung blockieren. Einzelprämien zum Beispiel verhindern, dass Mitarbeitende fürs Team denken, im Team denken oder über Abteilungsgrenzen hinweg denken. Solche strukturellen Barrieren muss eine Organisation früher oder später angehen, will sie Selbstorganisation ermöglichen.
 

Zudem gilt: Selbstorganisiertes Arbeiten muss gelernt und geübt werden. Dabei braucht es Unterstützung und häufig auch einen Impuls auf der menschlichen Seite.
 

Insbesondere gemeinsames Entscheiden im Team muss gelernt und geübt werden. Im Team gut zu entscheiden, verlangt auch Werkzeugwissen: Entscheidungs- und Moderationswerkzeuge. Auch hier ist sehr unterschiedlich, welche Werkzeuge für eine Organisation und die Mitarbeitenden passen. Und: "Sehr oft braucht es auch eine Hilfestellung: Wie entscheiden wir in der Gruppe? Wie lernen wir, bessere Entscheidungen zu treffen? Dafür braucht es Unterstützung und geeignete Werkzeuge", betont Duggen.
 

Auch die Größe der Gruppen in der Organisation beeinflusst die Fähigkeit zur Selbstorganisation. Schwierig in kleineren Organisationen ist, wenn Mitarbeiter allein arbeiten, weil es ihre Rolle in der Organisation nur einmal gibt. Sie sind dann auf sich gestellt, wenn es gilt, Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu tragen. Hier ist Unterstützung erforderlich. Nach den Erfahrungen bei oose empfiehlt sich, fachliche Gruppen von Mitarbeitenden thematisch nicht zu eng zu fokussieren, sondern Pools zu bilden, aus denen sich dann Menschen für ein konkretes Vorhaben zusammentun und danach wieder auseinandergehen.
 

Auf den ersten Blick unterscheidet sich die Struktur einer selbstorganisierten gar nicht so stark von der einer hierarchisch ausgerichteten Organisation. Man muss schon genauer in die Teams hineingucken, um zu sehen, dass diese anders arbeiten und wie gemeinsam und sehr autark Entscheidungen herbeigeführt werden.
 

Selbstorganisation bedeutet, dass Mitarbeitende unabhängig von Position oder Titel Dinge verändern können, wenn sie dies für sinnvoll halten. Sinnvoll wiederum bedeutet, dass es einen externen oder einen internen Impuls für diese Veränderung gibt.
 

Die Entwicklung der Organisation folgte zwei Prinzipien, die in einem gewissen Spannungsverhältnis zueinander stehen. Dabei war nur das erste explizit formuliert, das zweite wirkte eher implizit: "Die Gruppe geht vor den Einzelnen. Wir wollen alle mitnehmen."
 


changeX 11.11.2020. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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