Perfekte Büropolitiker

Ein Gespräch mit Jürgen Lürssen über die heimlichen Spielregeln einer erfolgreichen Karriere.

Von Anja Dilk

Die Arbeitsleistung als Produkt. Der Chef als Kunde. Wer Karriere machen will, muss diese Gleichung begriffen haben und sein Ich knallhart vermarkten. Nächster Schritt: die heimlichen Spielregeln des Büroalltags lernen. Wer hat die Macht, wen verbinden Interessen, wer mag wen? Denn nur wer die Büropolitik versteht, hat eine Chance, im Unternehmen aufzusteigen, meint Jürgen Lürssen.

Jürgen Lürssen war 17 Jahre als Marketingmanager und Geschäftsführer bei mehreren großen Konzernen tätig. Seit 1999 ist er Professor für Marketing an der Fachhochschule Lüneburg. Sein Buch Knacken Sie die Karrierenuss! Alle Tools, die Sie brauchen ist soeben im Campus Verlag erschienen. Sein bekanntestes Buch ist bisher Die heimlichen Spielregeln der Karriere (Campus Verlag, 2001).

Herr Lürssen, auf dem Arbeitsmarkt wird es enger. Wie kann ich da als Berufseinsteiger Karriere machen?
Ich muss mir über eine Reihe von Dingen klar werden. Zum einen: Bin ich bereit, den Preis für eine Karriere zu zahlen? Das heißt, will ich mobil sein? Denn für die Karriere muss man oft einen Ortswechsel in Kauf nehmen. Will ich Überstunden machen und Beeinträchtigungen des Privatlebens in Kauf nehmen? Das ist für viele der Knackpunkt. Zum Zweiten: Ich muss meinen beruflichen Werdegang genau planen. Das bedeutet, sich über Stärken und Schwächen klar zu werden. Dabei kann mir der Partner oder ein Freund helfen, indem er mir etwa sagt, wie ich auf andere wirke. Die Stärken baue ich aus. Damit lassen sich im Job am meisten Punkte machen. Und es kostet mich weniger Energie, sie auszubauen, als mühsam an meinen Schwächen zu doktern. Karriere macht man oft durch einen Unternehmenswechsel. Dafür muss man die ungeschriebenen Regeln des Arbeitsmarktes beherrschen: Lebenslauf optimieren, Vorstellungsgespräche gut vorbereiten - das ist selbstverständlich. Darüber hinaus gilt es, die richtige Verweildauer auszuwählen. Grundregel innerhalb eines Unternehmens: Je höher man in der Hierarchie steht, desto länger kann man auf einer Ebene arbeiten. Grundregel beim Firmenwechsel: In einem Unternehmen zehn Jahre hängen zu bleiben ist heikel. Jedes Jahr darüber wird es zu einem empfindlichen Karriereproblem. "Sie sind zu sehr geprägt von der Firmenkultur des Unternehmens", heißt es dann. Minimum in einem Unternehmen sind zwei Jahre. So lange braucht man, um sich einarbeiten und bewähren zu können.

All diese Karriereregeln haben nichts mit fachlicher Qualifikation zu tun. Und doch glauben die meisten Berufsanfänger, das fachliche Know-how sei entscheidend.
Natürlich muss man sich in seinem Fachgebiet auskennen. Aber je höher ich aufsteige, desto wichtiger sind meine nichtfachlichen Kompetenzen. Wer sie nicht von Anfang an mitbringt, wird es schwer haben. Zu den nichtfachlichen Kompetenzen gehören Persönlichkeitsmerkmale wie Leistungsbereitschaft, Belastbarkeit oder Eigeninitiative, aber auch soziale Fähigkeiten wie Führungskompetenz. Das spielt schon für Anfänger eine Rolle. Auch der Einsteiger muss etwa bei Projekten Gleichgestellte führen. Und er muss seinen Chef von seinen Vorstellungen oder eigenen Vorschlägen überzeugen. Insofern muss er auch den Chef führen können. Neben Führungskompetenz unerlässlich ist Kommunikationsfähigkeit. Wer nach oben durchstarten will, muss im Gespräch überzeugen und präsentieren können, verhandeln und schriftlich kommunizieren. Berufseinsteiger unterschätzen diese Fähigkeiten oft.

Die eine Sache ist es, einen guten Job zu finden. Eine ganz andere, in einer Firma zu bestehen. Wie finde ich einen Weg durch das Unternehmensgeflecht?
Das A und O ist ein gutes Verhältnis zum Chef. Auch das wird häufig unterschätzt. Wer schon im Vorstellungsgespräch merkt, dass er seinen Chef nicht riechen kann, sollte lieber die Finger von dem Job lassen. Grundsätzlich ist die vorrangige Aufgabe eines Mitarbeiters, seinen Chef zu unterstützen. Viele denken: Meine Aufgabe ist eine im Unternehmensinteresse. Falsch. Der Chef sagt, welche Aufgabe für den Mitarbeiter wichtig ist. Hier seine eigene Ansicht durchsetzen zu wollen bringt nichts - auch wenn man Recht hat. Ob das tatsächlich im Interesse des Unternehmens liegt, ist eine ganz andere Frage. Aber für den Mitarbeiter wird das Unternehmen erst mal vertreten durch den Chef. Wichtig für den Karrierepfad ist zudem ein gutes persönliches Verhältnis zum Chef. Man muss sich an seinen Arbeitsstil und seine Arbeitszeiten anpassen können. Denn ein Mitarbeiter ist nur dann ein guter Mitarbeiter, wenn ihn der Chef dafür hält. Es gibt kein objektives Kriterium für gute Arbeit. Neben dem guten Verhältnis zum Chef gehört Networking zu den Basics für eine erfolgreiche Karriere im Unternehmen. Ein innerbetriebliches Netzwerk ist entscheidend für eine gute Zusammenarbeit mit Kollegen. So kann man Aufgaben besser erfüllen. Gute Beziehungen sind außerdem Voraussetzung, um an vertrauliche Informationen heranzukommen. Und die sind unverzichtbar. Jeder, der erfolgreich ist, ist gut informiert. Ein gutes Händchen für Büropolitik ist ein wichtiger Karrierebaustein, gerade in größeren Firmen.

Sie meinen, weil Arbeiten letztlich nichts anderes als Agieren in einem Geflecht menschlicher Beziehungen ist, muss ich mich entsprechend in diesem Geflecht auskennen und darin jonglieren können?
Ja, denn wer sich mit Büropolitik, mit den heimlichen Spielregeln in der Firma nicht auskennt, hat viel weniger Möglichkeiten, etwas zu bewegen. Es geht dabei zum einen um politisches Denken. Das heißt: Ich muss erkennen, dass es Büropolitik gibt, mir klar machen, dass hinter allem, was jemand in der Firma sagt oder tut, eine politische Position steht. Also, wer hat wie viel Macht, wer kämpft gegeneinander, wer möchte welche Interessen durchsetzen? Dazu gehört auch zu sehen: Wer versteht sich mit wem, wo gibt es Seilschaften, Freundschaften, Abhängigkeiten? Für viele Mitarbeiter ist dieses Geflecht undurchschaubar. Deshalb schimpfen sie: "Das ist doch ein Haufen Idioten an der Spitze." Das ist Unsinn. Die Mitarbeiter verstehen nur nicht, was da vor sich geht. Nur wer das durchschaut, kann erfolgreich werden. Zum anderen geht es um politisches Handeln. Ohne selbst systematisch Macht aufzubauen und einzusetzen, wird es schwer mit einer Karriere. Um seine Macht zu erhalten und eigene Ziele durchzusetzen, darf man auch keine Konflikte scheuen. Außerdem darf ein Mitarbeiter, der innerhalb einer Firma aufsteigen will, nicht vergessen: Er muss es schaffen, bei dem Chef seines Chefs positiv aufzufallen. Zum Beispiel in Besprechungen, bei Sonderprojekten oder auch in der Kaffeepause. Denn nur der Chef des Chefs kann ihn befördern.

Die Arbeitswelt ist im Wandel. Arbeitsverhältnisse sind unsicherer geworden, der Mitarbeiter als Unternehmer ist das Bild in den Firmenfluren. Ist es für Berufsanfänger schwerer geworden, unter diesen Umständen Karriere zu machen?
Nein, das würde ich nicht sagen. Ich kann nur die Betriebswirtschaftsstudenten beurteilen. Und die haben heute im Durchschnitt beispielsweise viel mehr Praxiserfahrung als früher. Die meisten von ihnen arbeiten regelmäßig neben dem Studium. Die Firmen bieten mehr Jobs und Praktika für Studenten an als noch vor 20 Jahren. Daher ist der Praxisschock nicht mehr so groß. Das ist ein enormer Vorteil. Die Karrierevoraussetzungen haben sich in der Arbeitswelt nicht geändert. Da gelten nach wie vor dieselben Regeln. Allerdings hat der Wert der fachlichen Berufserfahrung abgenommen. Das Senioritätsprinzip gehört der Vergangenheit an. Wo sich Wissen so schnell neu generiert, haben Erfahrene kaum noch Vorteile gegenüber Neueinsteigern. Wieso sie mehr verdienen, wird zunehmend in Frage gestellt werden.

Die fachlichen Voraussetzungen verlieren an Bedeutung, außerfachliche Kompetenzen werden immer wichtiger. Wäre es da nicht sinnvoll, das fachliche Studium zu verkürzen und viel mehr Zeit in das Einmaleins der Büropolitik und die unsichtbaren Regeln der Arbeitswelt zu investieren?
Nein, aber man sollte die nichtfachliche Ausbildung in das Studium integrieren. Und das tun wir an den Fachhochschulen ja bereits. Ich biete beispielsweise Seminare zum Thema Büropolitik und Spielregeln der Karriere an. Kollegen an anderen Fachhochschulen haben etwa Rhetorik oder Präsentationskurse im Programm.

Sie sind Professor für Marketing an der Fachhochschule Lüneburg. Vermarktung ist Ihr Geschäft. Müssen wir künftig selbst zur Marke werden, um im Arbeitsleben erfolgreich bestehen zu können?
So weit würde ich nicht gehen. Aber die Grundidee des Marketings sollten wir unbedingt auf die berufliche Praxis anwenden: Der Kunde entscheidet, was er haben will, entsprechend muss ich mein Produkt anbieten. Genau das sollte ich im Berufsleben tun. Das fängt mit dem Studium an. Welches Fach wird voraussichtlich nach meinem Abschluss gefragt sein? Manchmal ist es sicher schwer zu sagen, wie man an dem Beispiel Ingenieure derzeit sieht. Aber in der Tendenz lassen sich die Marktchancen der meisten Studienrichtungen durchaus vorher analysieren. Nach dem Studium ist mein Lebenslauf mein Produkt. Ich muss es stetig verbessern, um für möglichst viele Firmen attraktiv zu sein. Denn der Kunde entscheidet, ob es ihm gefällt. Später, in der Firma, ist der Chef der Kunde meiner Arbeitsleistung. Man muss ein absolut nüchternes Verhältnis zu seiner Arbeit entwickeln.

Man kann Anfängern im Berufsleben eine ganze Menge mit auf den Weg geben. Aber was nutzt einem so ein "Reiseführer durch die Höhen und Tiefen des Berufsalltags" tatsächlich im rauen Tagesgeschäft?
Die Theorie allein reicht natürlich nicht. Das ist wie beim Autofahrenlernen. Wenn ich den Führerschein habe, muss ich wieder und wieder üben, bis ich es endlich kann. Genauso ist es mit dem nichtfachlichen Know-how: Zuerst muss ich wissen, worauf es ankommt, dann muss ich jede Chance nutzen, das Gelernte anzuwenden. Eine Garantie für Erfolg in jeder beruflichen Situation sind die Regeln freilich nicht. Auch wer das Regelwerk beherrscht, kann einfach Pech haben - kurzfristig. Zum Beispiel, weil ein neuer Chef eingesetzt wird, mit dem man sich nicht versteht. Aber langfristig bleibt der Erfolg kaum aus, wenn man weiß, wie man sich durch den Firmendschungel schlagen kann.

Anja Dilk ist Redakteurin bei changeX.

Jürgen Lürssen:
Knacken Sie die Karrierenuss!
Alle Tools, die Sie brauchen,

Campus Verlag, Frankfurt am Main 2002,
216 Seiten, 17,90 Euro,
ISBN 3-593-37050-6
www.campus.de

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: Knacken Sie die Karrierenuss!. Alle Tools, die Sie brauchen. Campus Verlag, Frankfurt am Main / New York 2002, 216 Seiten, ISBN 3-593-37050-6

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Anja Dilk
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Anja Dilk ist Berliner Korrespondentin, Autorin und Redakteurin bei changeX.

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