Unter dem Pflaster liegt der Strand
Menschen im Aufbruch - Eine changeX-Serie. | Folge 9 |
Josef Glöckl war ein erfolgreicher Freiberufler, bevor er mit 53 beschloss, noch einmal etwas ganz Anderes anzupacken. Ein völlig neues Büromöbel wollte er konstruieren und auf den Markt bringen. Gute Idee! Leider fand er bei Banken und Investoren wenig Gehör. Doch Glöckl gab nicht auf. Schließlich liefen ihm zwei saudi-arabische Geschäftsmänner mit chronischen Rückenschmerzen über den Weg. Sie sorgten für die nötige Anschubfinanzierung. Seitdem läuft das Business wie am Schnürchen.
Zurücklehnen ist eine verbreitete
Geste. Sie strahlt Gelassenheit, Ruhe und Sicherheit aus. Sich
zurücklehnen unterstreicht die Bedeutung des Gesagten, des
Erreichten - oder auch nur die Person, die sich da zurücklehnt.
Josef Glöckl ist diese Geste fremd. Josef Glöckl hüpft. Zum
Beispiel, wenn er sagt, was ihm wichtig ist. Manchmal auch einfach
so, zwischendrin, während er erzählt. Er wippt dann auf und ab wie
ein Kind auf einem der Hüpfbälle, die vor 20 Jahren angesagt waren:
bunte Plastikbälle mit zwei Griffen, die ein wenig aussahen wie die
Fühler eines Insekts.
Der Vater des Swoppers.
Wenn Glöckl hüpft, hat das mit
jenem Kindergehopse freilich kaum etwas zu tun. Das nicht nur,
weil Glöckl soeben 60 Jahre alt geworden ist, sondern vor allem
deshalb, weil dieses Hüpfen nur versteht, wer sich auf diesen
Mann und seine Geschichte einlässt. Die handelt von einem, der
sich mit 53 eben nicht zurücklehnen wollte, sondern mit einer
fixen Idee im Kopf ein Unternehmen gründete und sich damit um ein
Haar in den Ruin gestürzt hätte. Und von zwei saudischen
Geschäftsleuten, die in diese Idee Geld investierten, das
hierzulande niemand locker machen wollte. Und sie handelt - vor
allem - von dem Ding, auf dem Glöckl auf und ab wippt, und das er
erfunden hat: der Swopper.
Er ist eines jener Produkte, die sich einprägen, wenn man
ihnen einmal begegnet ist: Ein Stuhl ohne Lehne, ein Hocker eher,
dessen rundes Sitzkissen auf einer gefederten Säule ruht, die
nach allen Seiten frei ausschwingen kann. Einfach sitzen, wie man
es gewohnt ist, kann man auf diesem Ding nicht, weil die Muskeln,
nicht der Stuhl, den Körper in Position halten müssen. Und das
genau ist der Sinn: der Swopper soll die Rumpfmuskulatur in
Bewegung halten und damit den verbreiteten Rückenleiden entgegen
wirken. Wer das nicht gewohnt ist, geht freilich zunächst sehr
vorsichtig mit dem ungewöhnlichen Sitzmöbel um, zieht sich bei
den ersten längeren Sitzversuchen unter Umständen sogar einen
Muskelkalter zu, der Geübte hingegen nutzt die
Bewegungsmöglichkeiten, schwingt nach den Seiten und hüpft,
hüpft, hüpft. So wie Josef Glöckl das tut.
Ein Mensch in Bewegung.
Glöckl ist schlank, drahtig,
durchtrainiert, ein wenig asketisch vielleicht. Man sieht ihm an,
dass er sein Leben nicht nur hinter dem Schreibtisch verbringt,
sondern sportliche Aktivitäten im Freien einen wichtigen Platz
einnehmen. Seine 60 Jahre merkt man ihm nicht an. Im Gegenteil:
Wenn er in seiner lebhaften und agilen Art spricht, dann wirkt er
wesentlich jünger. Glöckl ist ein Bewegungsmensch, einer, der
seine Worte gerne durch Gesten unterstreicht. Dazu benutzt er
nicht nur die Hände, sondern setzt den ganzen Körper ein. Wenn er
den Aktionsradius des Swoppers vorführt, verwandelt er sich in
einen Büroarbeiter, der vom entfernten Ende eines imaginären
Schreibtisches eine Akte greift, um sie auf einem imaginären
Rollcontainer auf der anderen Seite abzulegen, und durchmisst,
während er das vorführt, mit ausladender Geste den Raum. Der Sitz
unter seinem Hintern folgt willig der Bewegung und fängt dann
schwingend das Gewicht des Büromenschen auf, der sich, wieder
sitzend, in den Erfinderunternehmer Glöckl zurückverwandelt, der
sein Produkt erklärt.
Der Swopper steht für einen grundlegenden Perspektivwechsel
im Umgang mit Rückenbeschwerden. Als nach dem 2. Weltkrieg mit
dem wachsenden Anteil von Bürotätigkeiten auch die Rückenleiden
zunahmen, war die herrschende Lehre, dass man dem Rücken Halt
geben müsse. "Alles war auf unterstützende Maßnahmen
ausgerichtet", erläutert Glöckl. "Aber das ist der falsche Weg",
setzt er hinzu, "denn je besser man seinen Rücken unterstützt,
desto schneller wird er krank, denn desto schneller werden die
Muskeln abgebaut." Wie bei einem eingegipsten Arm sei das;
Muskulatur, die nicht in Bewegung gehalten werde, verkümmere.
"Wir haben begonnen, die Einstellung der Menschen zu ändern,
indem wir sagen: Wenn du gesund bleiben willst, dann beweg'
dich!", betont Glöckl selbstbewusst.
Genauer müsste man vielleicht sagen: Der Swopper ist das
adäquate Produkt zu einer Einsicht, die zuvor ein Kümmerdasein in
der Nische der Krankengymnasten und Physiotherapeuten gefristet,
aber nicht den Sprung in die Büros und in den Arbeitsalltag
geschafft hat. Weil das passende Produkt gefehlt hat. Dieses
Produkt ist der Swopper. Er sieht nicht nach Gesundheitsstuhl
aus, sondern wirkt innovativ und trendy; ganz anders als der
Sitzball aus der Krankengymnastikstunde signalisiert er
Aktivität, nicht Krankheit, obwohl er dieselbe Funktion erfüllt
wie der bunte Gymnastikball - der in der Tat auch das Vorbild für
den Swopper war.
Ein bunter Sitzball stand Pate.
Damals, vor gut zehn Jahren, hätte
sich Josef Glöckl beruhigt zurücklehnen können. Der studierte
Bau- und Wirtschaftsingenieur führte ein Ingenieurbüro mit acht
Mitarbeitern, das sich auf Machbarkeitsstudien für
Entwicklungshilfeprojekte spezialisiert hatte und im Auftrag von
UN und Weltbank in Asien und Lateinamerika aktiv war. Glöckl
wusste, wie man ein Vorhaben auf seine Realisierbarkeit und
Wirtschaftlichkeit hin durchcheckt, er hatte genügend Aufträge,
verdiente gutes Geld, kam in der Welt herum, aber ganz zufrieden
war er dennoch nicht. Er entwickelte Projekte, produzierte aber
letztlich nur Papier, "Feasibility-Studies", wie die
Machbarkeitsuntersuchungen im Fachjargon heißen. Ihm fehlte die
Genugtuung, etwas zu Ende zu bringen. Und ihn reizte die
Herausforderung, "einmal etwas selbst umzusetzen".
Dieses "Etwas" konkretisierte sich erst auf Umwegen. Glöckl
litt damals unter Rückenschmerzen, und seine Frau, die eine gut
gehende Krankengymnastikpraxis unterhält, empfahl ihm den
Sitzball, eine Lösung, mit der beide nicht recht zufrieden waren.
Denn abgesehen von der wenig ansprechenden Optik war der
Plastikball "als Sitzgerät nicht geeignet", wie Glöckl befand.
Der Tüftler, der in seiner Garage in der Nähe von München schon
an diversen Erfindungen gebastelt hatte, setzte sich in den Kopf,
einen Stuhl zu entwickeln, der so flexibel und beweglich sein
sollte wie der Sitzball.
"So etwas gab es ja noch nicht, es gab ja nur starre
Sitzmöbel", erinnert sich Glöckl, der, ermutigt von seiner Frau
und motiviert durch sein eigenes Rückenleiden, mit Begeisterung
zu Werke ging. Das Vorhaben wurde zum Selbstläufer. Nach
fünfjähriger Tüftelei war der Prototyp des neuartigen Sitzgeräts
fertig, eine "Sitzmaschine", in der jede Menge technisches
Know-how steckte. Und Geld. Rund 1.6 Millionen Mark hatte der
Erfinder nach und nach in das Vorhaben investiert - und musste
nun feststellen, dass keiner das Ding bauen wollte. Bei sechs
oder sieben der etablierten Stuhlproduzenten klopfte er an,
stellte seinen Prototypen vor, erntete auch Lob und Anerkennung
für seine Erfindung, nur produzieren wollte den Stuhl keine der
Firmen. Klar, denn in einer Produktpalette mit starren
Bürostühlen ließ sich das innovative Möbel kaum vermarkten; das
wäre ja dem Eingeständnis gleich gekommen, bis dahin das falsche
Produkt verkauft zu haben.
Feasibility-Studie in der Schublade.
Entweder oder - was für das
Marketing galt, das galt auch für die Lage, in der Glöckl sich
wiederfand: "Vergesse ich das Ganze und schreibe das Geld ab oder
mache ich es selbst?" war die Frage. Er entschied sich, nun sein
eigenes Projekt durchzuziehen, von dessen Machbarkeit er zutiefst
überzeugt war; eine ausgefeilte Feasibility-Studie hatte er
natürlich längst in der Schublade. Im Februar 1996 löste er sein
Ingenieurbüro auf, um sich ganz dem neuen Unternehmen zu widmen,
für das es zunächst das notwendige Kapital aufzutreiben galt.
Fünf Monate reiste der nicht mehr ganz junge Jungunternehmer
landauf, landab und nutzte jede Möglichkeit, sein Projekt
potentiellen Investoren vorzustellen. Rund 50 Präsentationen hat
er gehalten und wohl 20 Förderanträge gestellt, hatte jedoch nach
fünf Monaten intensiver Suche nur einen Bruchteil der benötigten
1.8 Millionen Mark beisammen. Wieder erntete er Sympathie und
Zuspruch, Geld locker machen wollte aber keiner.
Und dann, plötzlich, fanden sich zwei saudi-arabische
Geschäftsleute bereit, Kapital in das Vorhaben zu stecken - eine
Geschichte, die ein wenig anmutet wie ein Märchen aus dem
Morgenland. Letztlich ist sie aber das glückliche Resultat der
Hartnäckigkeit und Beharrlichkeit Glöckls, der jeden Kontakt und
jede Empfehlung nutzte, um sein Projekt vorzustellen. Unter
diesen vielen Kontakten war auch ein schwäbischer Rechtsanwalt,
der über einen guten Draht nach Saudi-Arabien verfügte - und
selbst an Rückenschmerzen litt. Dem gefiel die Idee und er
versprach, bei der Suche nach Kapital behilflich zu sein.
"Geben Sie mir zwei Tage Zeit", habe er gesagt, erinnert
sich Glöckl. Doch schon am Tag darauf kam der Anruf: Tatsächlich
wollten zwei saudische Geschäftsleute 500.000 Mark in das
Vorhaben investieren. Und das war der Durchbruch: "Von dem
Augenblick an, als bekannt wurde, dass saudisches Geld in das
Projekt fließt, wurde ich überhäuft mit Angeboten", erzählt
Glöckl, der nun plötzlich doppelt so viele Kommanditanteile hätte
vergeben könne, wie er benötigte. Erklären kann er sich das auch
heute nicht. Gab das saudische Geld den Ausschlag oder die
Tatsache, dass überhaupt jemand Geld in die Idee investierte?
"Ich weiß es nicht."
Mehrfach am Rande des Ruins.
Die Finanzierung war gesichert.
Doch war dies nicht die einzige Hürde, die es zu überwinden galt.
Mehrere Male schlitterte der Unternehmer knapp am Ruin vorbei.
Zunächst gab es technische Schwierigkeiten. Die Fertigung
verzögerte sich, das Unternehmen produzierte Kosten über Kosten,
als laut Businessplan schon die ersten Einnahmen fließen sollten.
Eine Kapitalerhöhung brachte frisches Geld in das Unternehmen.
Dann kam die Hausbank, die einen Kredit über 250.000 Mark just
kündigte, als der Stuhl auf den Markt kommen sollte. Aus einem
ganz banalen Grund: Der Sachbearbeiter hatte gewechselt, der neue
konnte der Idee nichts abgewinnen und forderte das Geld zurück -
binnen zehn Tagen. Glöckl kämpfte und erreichte bei den Bankern
zumindest eine Verlängerung der Frist. "Die Bank hätte mir fast
das Genick gebrochen", sagt er heute.
Schließlich erwies sich das ursprüngliche Marketingkonzept
als Flop. Glöckl hatte darauf gesetzt, seinen Stuhl, der nun
Swopper hieß und ein pfiffiges Design bekommen hatte, in der
Nische zu verkaufen, in der das Wissen über den Nutzen des neuen
Produkts verbreitet war, nämlich bei Krankengymnasten,
Physiotherapeuten und Orthopäden. Mehr als 600 Stühle stellte der
Unternehmer kostenlos in Praxen in ganz Deutschland auf. Die
Swopper wurden zwar zur viel beäugten Attraktion in den
Wartezimmern, der gewünschte Verkaufserfolg wollte sich aber
nicht einstellen.
Von der Bastelbude zum Unternehmen.
Die Wende kam im Sommer 1998, mehr
als zwei Jahre nach dem Start der Firma, als die Vorstellung des
Produkts auf einer Fachmesse erste nennenswerte Einträge in den
Verkaufsbüchern brachte. "Da habe ich gewusst, dass es ein Erfolg
wird", sagt Glöckl erleichtert. Heute setzt er ausschließlich auf
die Fachhandelsschiene und hat die Erfahrung gemacht, dass der
Verkaufserfolg sehr stark von der Begeisterung des Verkäufers für
das Produkt abhängt, nicht anders als in der Entwicklungsphase,
als nicht selten Menschen, die selbst unter Rückenproblemen
litten, das Vorhaben einen wichtigen Schritt voranbrachten.
Glöckl könnte sich nun abermals zufrieden zurücklehnen.
Denn er hat seine Erfindung, an deren Erfolg anfangs kaum jemand
so recht glauben wollte, zu einem Erfolg gemacht. An die 100.000
Stück hat er verkauft, diverse Preise für seinen Swopper
einkassiert und seine Firma von einer Garagen-Bastelbude zu einem
Unternehmen mit derzeit rund 25 Mitarbeitern ausgebaut. Und die
aeris Impulsmöbel GmbH & Co KG wächst weiter - was
sich am besten daran ablesen lässt, dass der Firmenchef nicht
genau beziffern kann, wie viele Leute eigentlich in der
Produktion arbeiten. "Sechs - oder sind es schon sieben",
überlegt er und entschuldigt sich damit, gerade eben aus dem
Urlaub zurückgekommen zu sein.
"Leben in Bewegung."
Doch Glöckl lehnt sich nicht
zurück, obwohl er dies auf seinem Swopper tun könnte. Denn für
die bislang lehnenlose Sitzmaschine gibt es zwischenzeitlich als
Zubehör eine trendig hohe Lehne, gewissermaßen ein Zugeständnis
an den Geschmack der Zeit und die Erwartungen der Kunden. Aber er
lehnt sich nicht zurück, weil Zurücklehnen für ihn die falsche
Haltung ist. Er ist ein Mensch der Bewegung. Und Bewegung ist für
ihn mehr als eine rein motorische Aktion der Muskeln. Sie ist
Lebensmotto und Lebenspraxis zugleich. Eine Philosophie der Tat,
aus der sich eine Vision speist, die längst über den Swopper
hinaus geht. Der ist "unser erstes Produkt". Weitere sollen
folgen, im nächsten Jahr schon. Was genau es sein wird, will der
findige Unternehmer nicht sagen - die Patentanmeldung läuft noch
und die Konkurrenz schläft nicht.
Nur so viel gibt er preis: Nach dem Sitzen will er nun
Bewegung in die Büroarbeit bringen. "Der Mensch soll selbst
entscheiden können, wie er arbeiten will: im Stehen, im Gehen
oder im Sitzen." Das will er möglich machen. "Denn der Mensch ist
dafür gebaut, sich zu beugen, zu strecken, sich zu bücken, aber
nicht starr zu sitzen", betont Glöckl und geht wie zur
Illustration kräftig in die Knie, um sich gleich darauf wieder
aufzurichten. "Wir brauchen Bewegung, um gesund und
leistungsfähig zu bleiben." Und körperliche Bewegung ist für ihn
die Voraussetzung für geistige Beweglichkeit. "Was mich immer
schon gestört hat, das ist Starrheit. Starrheit von
Organisationen, von Menschen, Starrheit des Denkens", betont er.
"Leben in Bewegung" - das ist seine Vision, das oberste Ziel
seines Unternehmens. "Vor uns liegt eine Riesenaufgabe. Wir
stehen ganz am Anfang, noch immer" sagt Glöckl und wippt auf
seinem Stuhl auf und ab wie ein glückliches Kind auf seinem
Hüpfball.
Josef Glöckl
aeris - Impulsmöbel GmbH & Co. KG
Ahrntaler Platz 2-6
D-85540 Haar bei München
+49 (0) 89 9005060
+49 (0) 89 9039391
josef.gloeckl@aeris.de
www.swopper.de
Winfried Kretschmer, Journalist und Autor, arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.
Mit einer Illustration von Limo Lechner.
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Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.
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