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Vertikalfarmen und Tomatenfische
Wachstum ist keine Frage. Es passiert. Weltweit und stürmisch. Die Frage ist, ob wir es schaffen, es so zu gestalten, dass es nicht in den Kollaps mündet. Ein grüner Vordenker sagt: Kriegen wir hin! Indem wir Wertschöpfung und Naturverbrauch entkoppeln. Wie, dazu ist ein Kosmos von Innovationen am Wachsen - Hochhäuser als vertikale Treibhäuser zum Beispiel, neue Treibstoffe oder neue, synergetische Formen landwirtschaftlicher Produktion. So sieht Zukunftsoptimismus aus.
Wir befinden uns in einer stürmischen Phase des Wirtschaftswachstums. Einen Notausstieg gibt es da nicht. Sagt Ralf Fücks. Und zeigt einen Weg auf, wie sich Wachstum planetenverträglich gestalten lässt.
Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, Mitglied der Grünen seit 1982, ehemaliger Bundesvorsitzender der Partei und Senator für Umwelt und Stadtentwicklung in Bremen. Er veröffentlichte zahlreiche Aufsätze und Artikel zu politisch-programmatischen Fragen und lebt in Berlin.
Herr Fücks, das Konsumkarussell dreht sich immer schneller, der Kohlendioxidausstoß steigt, der Klimawandel nimmt Fahrt auf. Kritische Beobachter sagen: "In einer endlichen Welt gibt es kein endloses Wachstum", und rufen das "Age of Less" aus, das Zeitalter der Postwachstumsökonomie. Sie stellen sich dem entgegen: Ohne Wachstum gehe es nicht, wir müssen nur anders wachsen. Wie kann das gehen?
Zunächst: Ich propagiere Wachstum nicht als normative Größe. Allerdings bin ich überzeugt, dass das Zeitalter des industriellen Fortschritts und der Entdeckungen noch lange nicht zu Ende ist. Im Gegenteil, es beschleunigt sich. Mit stören bei der derzeit verbreiteten Wachstumskritik auch die kulturellen Konnotationen: dieser Oberton von Puritanismus, Selbstgenügsamkeit und Beschaulichkeit. Sicher, zum guten Leben gehören Muße und Kontemplation, aber eben auch Lebenslust, Extravaganz und die Lust auf Neues.
Das ist aber nicht der Ausgangspunkt Ihrer Wachstumstheorie ...
Mein Ausgangspunkt ist empirisch: Wir befinden uns in einer stürmischen Phase des Wirtschaftswachstums, aus der es keinen Notausstieg gibt. In den nächsten 20, 25 Jahren wird es weltweit eine reale Verdoppelung der Wirtschaftsleistung geben. Diese Entwicklung wird durch Faktoren bestimmt, die nicht zu unserer Disposition stehen. Insofern ist der Ruf nach einem "Age of Less" meiner Einschätzung nach eine Form der Realitätsflucht. Sie verkennt, dass die Weltbevölkerung bis Mitte des Jahrhunderts auf neun Milliarden wächst, während zugleich Milliarden Menschen in die Mittelklasse aufsteigen.
Was ja eigentlich ein Gewinn ist ...
Absolut. Viele Menschen steigen aus der Armut auf, ihre Entfaltungsmöglichkeiten nehmen zu, Kindersterblichkeit sinkt, die Lebenserwartung wächst, das Bildungsniveau steigt, all das sind fundamentale Fortschritte. Die Schattenseite dieser Entwicklung lautet: Wenn dieses stürmische Wachstum auf Basis des alten, ressourcenfressenden Systems stattfindet, endet es in einem globalen Ökokollaps. Die Stichworte sind bekannt: Klimawandel, Artensterben, ausgelaugte Böden, Wasserkrise.
Insofern kann es doch nur gut sein, wenn wir auf die Bremse treten.
Ich will nicht sagen, dass Verhaltensänderungen nicht sinnvoll sind. Wer braucht wirklich 80 Kilo Fleisch im Jahr? Aber wenn Konsumverzicht die Folgen des globalen Wachstums abfedern soll, müssten die reichen Länder ihren Konsum um 80 oder 90 Prozent herunterfahren. Das wäre eine Dekarbonisierung, die in einem radikalen Verarmungsprogramm mündet. Wollen wir die Menschen zwingen, bei maximal zehn Grad auf 15 Quadratmeter Wohnfläche pro Kopf zu leben und ihre Mobilität radikal einzuschränken? Eine Deindustrialisierung à la Morgenthau ist keine Perspektive, kein politisches Programm, weder für Deutschland noch für Europa.
Reduzieren müssen wir Emissionen und Umweltverbrauch, nicht den Lebensstandard der Gesellschaft. Deshalb müssen wir die Art des Wachstums ändern. Statt wachsen auf Kosten der Natur geht es um Wachsen mit der Natur.
Klingt gut, wie können wir das anstellen?
Wir müssen Wege finden, Wertschöpfung und Naturverbrauch zu entkoppeln. Am Beispiel Mobilität hieße das, nicht nur auf Carsharing, öffentliche Verkehrsmittel und fußgängerfreundliche Städte zu setzen, sondern konsequent in Richtung Elektromobilität, Wasserstoffantrieb und Biokraftstoffe der zweiten Generation zu gehen, die auf Basis von Algen und organischen Abfällen gewonnen werden.
Ihrem Buch zufolge stehen wir an der Schwelle zu einer gewaltigen Transformation. Was gilt es umzubauen?
Vor allem zwei große Operationen stehen an: erstens die kontinuierliche Steigerung der Ressourceneffizienz. Wir müssen lernen, aus weniger Material mehr Wohlstand zu erzeugen. Dazu gehören Wertstoffkreisläufe, bei denen jeder Reststoff wieder zum Ausgangspunkt neuer Produktionsprozesse wird. Die Natur kennt keinen Abfall, sondern operiert mit Synergien. Das müssen wir auf die Ökonomie übertragen.
Zweitens geht es um den Übergang von fossilen zu erneuerbaren Energien: Sonne, Wind, Geothermie, Meereswellenenergie oder künstliche Fotosynthese, also die Umwandlung von Sonnenlicht, Wasser und Kohlendioxid in biochemische Stoffe. Spannend ist auch die Nutzung von Kohlendioxid in der Chemieindustrie oder zur Algenproduktion, um daraus Futtermittel oder Biokraftstoff zu gewinnen. In 20, 30 Jahren sind solche Technologien keine Utopie mehr.
Doch das ist noch weit hin ...
Vieles ist schon in der praktischen Erprobung. Ich sehe uns längst mitten in einer neuen Gründerzeit. Die Energiewende hat ja bereits in Deutschland, Österreich und Skandinavien eingesetzt und pflanzt sich weltweit fort. Wir stehen am Übergang von der alten petrochemischen Industrie zur Naturstoff-Chemie. Gerade baut zum Beispiel der größte italienische Petrochemiekonzern, Eni, mit Partnern aus der Ökobranche eine Raffinerie um. Sie soll künftig auf der Basis von Disteln betrieben werden. Aus diesem Rohstoff entstehen sechs unterschiedliche Produkte, vom Diesel über Schmierstoffe bis zu Futtermitteln. Der Kaskadennutzung von Rohstoffen gehört die Zukunft.
Andere Forscher experimentieren mit der Erzeugung von Biokunststoffen aus Kaffeesatz oder Pflanzenabfällen. Kürzlich traf ich den Unternehmer Gunter Pauli, den Initiator der "Blue Economy"-Initiative. Er zog ein Notizbuch aus der Tasche und fragte mich: "Woraus ist das wohl hergestellt?" "Holzabfälle? Zuckerrohr vielleicht?", riet ich. Pauli schüttelte den Kopf: "Aus Stein." Ein neues chinesisches Patent.
Wie verbreitet sind solche Konzepte auf dem Massenmarkt?
Mehr, als Sie vielleicht denken. Urban Farming zum Beispiel steht an der Schwelle zur Anwendung im großen Stil. In Skandinavien und in Asien werden die ersten Hochhäuser gebaut, die vertikalen Gewächshäusern gleichen und die Produktion von Fisch, Obst und Gemüse optimal verbinden. Sie sind energieautark, basieren auf geschlossenen Wasserkreisläufen, verbrauchen nur einen Bruchteil der Flächen der traditionellen Landwirtschaft und reduzieren das Transportaufkommen drastisch - denn sie stehen dort, wo der größte Bedarf ist, mitten in den urbanen Zentren.
In Deutschland sind Vertikalfarmen allerdings noch nicht Usus ...
Aber es tut sich etwas. In Berlin startete vergangenes Jahr das Tomatenfischprojekt. Da Tomaten und Süßwasserfische sich bei der gleichen Temperatur wohlfühlen, 27 Grad, sind sie wie gemacht für einen Kreislauf. Die Fischexkremente werden als Dünger für die Tomaten genutzt, das Kohlendioxid, das die Fische ausatmen, verwandeln die Tomaten in Nährstoffe.
All diese Beispiele sind nur ein kleiner Auszug aus einem ganzen Kosmos von Innovationen. Und das betrifft nicht nur Start-ups oder Hochschultüftler, sondern auch gewichtige Branchen. So hat die deutsche Chemieindustrie seit 1990 ihren Umsatz um 40 Prozent gesteigert und gleichzeitig den Energieverbrauch um 30 Prozent gesenkt.
Was muss geschehen, damit solche Ansätze global mehr Verbreitung finden?
Das geht nicht ohne die Politik. Bei der Energiewende war das nicht anders. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz hat Investoren in Wind- und Solarenergie Investitionssicherheit gegeben.
Nun muss die Politik auch anderswo die Weichen stellen: Sie muss dafür sorgen, dass Preise die ökologische Wahrheit sagen, indem der Naturverbrauch verteuert wird; für einen funktionsfähigen Emissionshandel sorgen, um Anreize zu kohlendioxidsparender Produktion zu geben; ordnungspolitische Vorgaben machen zum Beispiel durch die Festlegung höherer Standards für die Energieeffizienz von Elektrogeräten und Gebäuden. Japan hat hier das "Frontrunner-Prinzip" durchgesetzt. Das fortschrittlichste Produkt eines Segments setzt den Standard, zu dem die Wettbewerber innerhalb von drei Jahren aufschließen müssen. Und warum werden die Hersteller nicht zur Rücknahme ihrer Produkte verpflichtet? Wie Mobiltelefone oder Autos entsorgt werden, muss die Unternehmen ja bislang überhaupt nicht interessieren. Eine Rücknahmeverpflichtung würde zu einer radikalen Veränderung des Produktdesigns führen.
Sehen Sie politische Mehrheiten für solche Einschnitte?
Wer hätte vor zehn Jahren an eine stabile Mehrheit für die Energiewende gedacht? Natürlich ist die ökologische Wende ein höchst konfliktreiches Unterfangen. Die Auseinandersetzung mit Besitzstandswahrern, die alte Positionen fortschreiben wollen, ist unvermeidlich. Dennoch wird sich die Einsicht durchsetzen, dass die Zukunft grünen Technologien gehört - schon um Kosten zu sparen. Denn je mehr sich der Raubbau an der Natur beschleunigt, desto knapper und teurer werden die Ressourcen, die Unternehmen brauchen, um ihre Produkte herzustellen. Ressourceneffizienz ist zugleich Kosteneffizienz.
Schaut man sich die jüngste Debatte um Tempo 120 an, scheint der Weg zur Einsicht noch lang.
Ich bin sehr zurückhaltend, den Menschen immer engmaschigere Verhaltensregeln vorzuschreiben. Am Ende regeln wir noch, wie viele Schuhe die Bürger im Schrank haben und wie viel Fleisch sie essen dürfen. Ich setze lieber auf Aufklärung und Anreize. Verbote sollten wir sparsam einsetzen, sie haben immer etwas Illiberales. Der Staat sollte verbindliche Ziele zur Reduzierung von Emissionen und Ressourcenverbrauch vorgeben, damit ein Wettbewerb um die besten Wege entsteht. Und er muss das Verursacherprinzip durchsetzen, damit die ökologischen Kosten nicht mehr auf andere abgewälzt werden können.
Kritiker dämpfen die Hoffnung auf Wandel durch Technologie. Vor allem der Rebound-Effekt ist Autoren wie dem asiatischen Ökonomen Chandran Nair eine Warnung: Demnach wird jede Effizienzverbesserung durch Technik in der Bilanz durch mehr Konsum wieder zunichtegemacht. Technik, so die Beobachtung, hat bisher immer zu mehr Ressourcenverbrauch geführt, nicht zu weniger.
Die Frage ist, ob sich die Ressourceneffizienz künftig schneller entwickelt als das Wirtschaftswachstum und ob parallel Substitution stattfindet. Also eben nicht nur bessere Energieeffizienz durch neue Technik, sondern völlig neue Energiequellen, die im Einklang mit der Natur stehen. Nicht die Größe des Sozialprodukts, sondern die Art und Weise der Produktion ist das Entscheidende. Welche ökologische Qualität hat eine Ökonomie? Das ist die Frage der Zukunft. Vielleicht gibt es irgendwann auch eine quantitative Grenze des Wachstums, aber die Stärke der menschlichen Geschichte bestand stets darin, Knappheitskrisen durch Kreativität zu bewältigen und die Grenzen des Wachstums durch Innovationen zu erweitern.
Bildnachweis: (c) Heinrich-Böll-Stiftung, Foto: Ludwig Rauch
Zitate
"Die Stärke der menschlichen Geschichte bestand stets darin, Knappheitskrisen durch Kreativität zu bewältigen und die Grenzen des Wachstums durch Innovationen zu erweitern." Ralf Fücks: Vertikalfarmen und Tomatenfische
"Ressourceneffizienz ist zugleich Kosteneffizienz." Ralf Fücks: Vertikalfarmen und Tomatenfische
"Reduzieren müssen wir Emissionen und Umweltverbrauch, nicht den Lebensstandard der Gesellschaft." Ralf Fücks: Vertikalfarmen und Tomatenfische
"Wir müssen die Art des Wachstums ändern. Statt wachsen auf Kosten der Natur geht es um Wachsen mit der Natur." Ralf Fücks: Vertikalfarmen und Tomatenfische
changeX 07.06.2013. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Anja DilkAnja Dilk ist Berliner Korrespondentin, Autorin und Redakteurin bei changeX.