Ungewissheit, Hoffnung, Experimente

Die changeX-Buchumschau im Winter 2024
Auswahl und Rezensionen: Winfried Kretschmer

In unserer Buchauslese geht es ein weiteres Mal um Hoffnung, was sie ausmacht und wie sie möglich wird; um die Frage, ob grenzenloser Reichtum ethisch vertretbar ist oder beschränkt werden sollte; um den Diskurs als Instrument organisationaler Veränderung; um Effizienz auf Abwegen und die beschränkte Rationalität der ökonomischen Lehre; schließlich um ein Seminar mit sich selbst als innovative Idee für die (eigene) Weiterbildung.

Unsere sechste Buchumschau, dieses Mal mit folgenden Themen, Autorinnen und Autoren: Der Philologe Jonas Grethlein beschreibt Hoffnung als ein Weltverhältnis und leuchtet aus, was sie möglich macht. Er sagt: Wer die Zukunft als offen betrachtet, kann Hoffnung haben. Die Ethikprofessorin Ingrid Robeyns steht für einen Perspektivenwechsel in der Frage der Ungleichheitsforschung: nicht nach unten zu schauen, sondern nach oben, auf die Reichen und Superreichen. Sie vertritt die Überzeugung, dass es eine Obergrenze des Reichtums geben muss, den eine Einzelperson haben darf. Ihr Ansatz: Limitarismus. Die Komplexitätsforscherin, Beraterin und Autorin Stephanie Borgert stellt ein multidisziplinäres Instrument zur Organisationsentwicklung vor: Der organisationale Diskurs als ein reflexiver, fortlaufender Prozess des gemeinsamen Denkens soll strukturelle Vereinbarungen sichtbar machen und für Veränderungen öffnen. Die Wirtschaftswissenschaftler Stefan Kaduk und Dirk Osmetz stellen grundlegende Muster der herrschenden ökonomischen Lehre infrage: das Effizienzprinzip und die Verengung des Rationalitätsbegriffs auf eine einzige, die instrumentelle Dimension. Und plädieren dafür, diese Muster zu brechen. Die Texterin, Autorin und Lektorin Veronika Weiss stellt eine Idee vor, wie sich Weiterbildung anders organisieren lässt, nämlich für sich selbst und selbstorganisiert: das Selbstseminar.


Erst Ungewissheit macht Hoffnung möglich


Hoffnung - eine Geschichte der Zuversicht von Jonas Grethlein 

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Die Krisen unserer Zeit haben der Hoffnung eine neue Konjunktur beschert. Für Jonas Grethlein ist dies Anlass, die zurückliegenden drei Jahrtausende der westlichen Geistes- und Philosophiegeschichte nach den Wurzeln und Ausprägungen von Zuversicht und Hoffnung auszuleuchten. Von Homer bis zum Klimawandel, so der Untertitel seines Buches, reicht das Panorama, das der Philologe aufspannt. Er beschreibt Hoffnung als ein Weltverhältnis, als etwas, das unser Verhältnis zur Welt grundlegend bestimmt. Wie, das ist freilich sehr facettenreich, wie der faktenreiche, ansprechend geschriebene und exzellent belegte Streifzug durch die Geschichte zeigt. Bis zur Klimakrise heute hat sich dabei an der grundlegend ambivalenten Bewertung der Hoffnung nichts geändert. "Seit der Antike wird Hoffnung auf der einen Seite als nährend, als die Quelle von Kraft, auf der anderen Seite als narkotisierend, als ein Mittel der Verblendung, beschrieben." Für die einen wirkt Hoffnung als Antrieb, für die anderen lullt sie ein. Nicht anders heute, wie Grethleins analytischer Blick auf unterschiedliche Akteursgruppen in der Klimaschutzbewegung zeigt. 

Doch was ist Hoffnung genau? Ihre Grundlage ist ein allgemeines Vertrauen, "dass es irgendwie gut weitergeht", schreibt der Autor. Nicht alles Zukünftige könne jedoch zum Gegenstand von Hoffnung werden. Die Hoffnung bewegt sich auf einem schmalen Grat zwischen Gewissheit und Unwahrscheinlichkeit. Bloßes Wünschen reicht nicht hin, Hoffnung zu begründen. "Das Erhoffte muss möglich sein, dadurch unterscheidet es sich vom Gewünschten." Denn wünschen könne man sich alles Mögliche. Zu gewiss darf etwas aber auch nicht sein, um zum Gegenstand von Hoffnung werden zu können. Was gewiss ist und was man aus eigener Kraft realisieren kann, darauf braucht man nicht zu hoffen. "Die Ziele der Hoffnung zeichnen sich … durch ihre Unverfügbarkeit aus. Gerade weil wir etwas nicht aus eigener Kraft erreichen können, hoffen wir." Die Unsicherheit, die mit dieser Unverfügbarkeit verknüpft ist, unterscheidet wiederum den Hoffenden vom Optimisten. Wer optimistisch ist, blickt voller Zuversicht in die Zukunft und ist überzeugt davon, dass alles sich zum Guten wenden wird. Anders der Hoffende. "Hoffnung gründet auf dem Urteil, dass uns etwas unverfügbar, aber möglich ist." 

Auf der Grundlage dieser begrifflichen Präzisierung gelingt es nun, in einem großen Zugriff das Kennzeichnende unserer Zeit genauer herauszuarbeiten: "Der Fortschrittsglaube des 19. Jahrhunderts hat das 20. Jahrhundert noch maßgeblich geprägt, doch mittlerweile ist die Zuversicht, die Zukunft gestalten zu können, einer bangen Ungewissheit gewichen, wie, ja, ob es mit der Menschheit weitergehen wird. Damit ist wieder Raum für Hoffnung entstanden, die sich anders als die Ideologie des Fortschritts auf Unverfügbares richtet." Eine interessante Wendung: Erst die Ungewissheit macht Hoffnung möglich. "Wer die Zukunft als offen betrachtet, kann Hoffnung haben", schreibt Grethlein. 

Sehen wir nun Licht am Ende des Tunnels oder nicht? Das ist die große Frage. Der Autor präsentiert drei ganz unterschiedliche Antworten: Bruno Latour meinte Nein. Wohl steckten wir in einem Tunnel, aber am Ende winke uns kein Licht. Slavoj Žižek wiederum hat das Bild geprägt, das Licht am Ende des Tunnels seien wahrscheinlich die Scheinwerfer eines entgegenkommenden Zuges. Die amerikanische Dichterin, Kritikerin und Essayistin Maggie Nelson hingegen verweist auf die Offenheit der Zukunft, indem sie die Formulierung "to ride the blinds" aufgreift. Sie bezeichnet die Praxis amerikanischer Tramps, zwischen den Waggons von Güterzügen stehend, als blinde Passagiere das Land zu durchqueren. So konnten sie vom Zugführer nicht gesehen werden, aber sie konnten aber auch selbst nicht sehen, wohin sie fuhren. Für Nelson ein Bild für die Ungewissheit der Zukunft, in die wir unterwegs sind.


Eine Welt ohne extremen Reichtum


Limitarismus - Ingrid Robeyns plädiert dafür, Reichtum zu begrenzen 

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Es begann mit einem Perspektivwechsel, einer Veränderung der Blickrichtung, die bislang Unsichtbares ins Blickfeld rückte. Wenn über Ungleichheit gesprochen wurde, war es üblich, nach unten zu schauen: auf die unteren Schichten der Gesellschaft, auf diejenigen, die weniger besitzen als die meisten anderen in der Gesellschaft. Das ist die sichtbare Dimension von Ungleichheit. "Die schlimmste Armut ist gewöhnlich für alle gut sichtbar: sei es nun Obdachlosigkeit oder eine andere Form materieller Entbehrungen", schreibt Ingrid Robeyns. "Dagegen ist großer Reichtum häufig unsichtbar." Diese unsichtbare Dimension von Ungleichheit in den Blickpunkt zu heben, beschreibt für Ingrid Robeyns einen grundlegenden Perspektivenwechsel. Ungleichheit hat ihr zufolge zwei Seiten: Wenn die Armen ärmer werden oder die Mittelschicht in Bedrängnis gerät, sei die wachsende Ungleichheit offensichtlicher und werde von vielen Menschen aus erster Hand erlebt. "Wenn dagegen die sehr Reichen reicher werden, ist in der Öffentlichkeit nicht viel davon zu sehen, und die Alltagserfahrung der meisten von uns verändert sich nicht. Zumindest nicht unmittelbar." 

Eingeleitet wurde dieser Perspektivwechsel von Thomas Piketty mit seinem Buch Das Kapital im 21. Jahrhundert (2014). Pikettys Forschungsergebnisse bestätigten zunächst die Annahme, dass die Ungleichheit in vielen reichen Ländern nach dem Zweiten Weltkrieg abgenommen hatte. Sie zeigten aber auch, dass es gegen Ende der 1970er-Jahre "einen klaren Wendepunkt gab und von da an die Ungleichheiten - beim Einkommen, aber mehr noch bei den Vermögen - stetig zugenommen hatten", fasst die Autorin zusammen. 

Ingrid Robeyns, heute Professorin für Ethik an der Universität Utrecht, hat diese Perspektivverschiebung zu ihrer Forschungsaufgabe gemacht. Sie gilt als Begründerin des Limitarismus. Dieser Ansatz beschreibt die "Überzeugung, dass wir eine Welt schaffen müssen, in der niemand superreich ist - dass es eine Obergrenze des Reichtums geben muss, den eine Einzelperson haben darf". Denn gerade der wachsende Reichtum weniger Superreicher lässt die Ungleichheit massiv steigen. Robeyns zitiert den Oxfam-Bericht von 2023: "Von 2020 bis 2022 waren Einkommen und Vermögen des obersten 1 Prozents doppelt so hoch wie das der übrigen 99 Prozent der Weltbevölkerung." Das sei ethisch nicht tragbar, sagt Robeyns, die sich aber zugleich von einem absoluten Gleichheitsanspruch abgrenzt. "Der Limitarismus tritt nicht für strikte Gleichheit ein. Es gibt prinzipielle wie auch pragmatische Gründe, dass ein gewisses Maß an Ungleichheit gerechtfertigt ist", schreibt sie. "Aber grenzenlose Ungleichheit lässt sich durch nichts rechtfertigen." Das Buch liefert eine ausführliche Begründung dieser Aussage, benennt Instrumente zur Umsetzung einer limitaristischen Politik und befasst sich mit potenziellen Gegenargumenten. Das Buch ist eine sehr verständlich geschriebene, im Ansatz aber dennoch wissenschaftliche Abhandlung, kein politisches Manifest. Robeyns entwickelt das Konzept des Limitarismus nicht als politisches Programm, sondern als regulative Idee. Entsprechend führt sie Obergrenzen ein, ohne diese zahlenmäßig zu fixieren. So entsteht ein regulatives Konzept, das der Debatte und der konkreten Ausgestaltung durch Politik und Gesellschaft bedarf. Es ist klug, dieser gesellschaftlichen Debatte nicht vorzugreifen. 

Drei Obergrenzen sind es, die Robeyns einführt. Die erste, die Wohlstandsobergrenze, entspricht dem Schwellenwert, der bereits vom Zusammenhang zwischen Einkommen und Zufriedenheit bekannt ist: "Die Wohlstandsobergrenze ist das Niveau, ab dem zusätzliches Geld den Lebensstandard nicht mehr verbessern kann, zumindest nicht signifikant." Die beiden anderen Grenzen sind dann schon konkreter gezogen: Die politische Grenze ist die Vermögensobergrenze, die ein Staat als Ziel für seine Sozial- und Fiskalsysteme ansetzen würde. Die ethische Grenze bezeichnet dann "das maximale Niveau an Geld, das man aus moralischen Gründen besitzen sollte". Sie ist der Kern des Limitarismus, denn ethisches Handelns ist für Robeyns entscheidend. Das zielt in Richtung Zivilgesellschaft und einer Wertedebatte dort - ohne die es nicht gehen werde: "Wir alle müssen uns ein limitaristisches Ethos zu eigen machen." 

Jedoch erhebt die Autorin keine Forderungen, sondern benennt Spielräume für Entscheidungen über Vermögensgrenzen. Sie betont zugleich, "dass es beim Limitarismus nicht um eine Zahl geht; vielmehr geht es um all die Gründe, warum eine Welt ohne Konzentration extremen Reichtums für uns alle besser wäre." Und sie macht deutlich: So wie bisher geht es nicht weiter. Gerade auch mit Blick auf die im Vergleich extrem hohen CO2-Emissionen, die Superreiche mit ihrem aufwendigen Lebensstil mit Yacht, Privatjet und einem hohen Kontingent an Flugkilometern verursachen. Hier schließt das Konzept des Limitarismus unmittelbar an die Frage einer - auch individuell verstandenen - Klimagerechtigkeit an.


Irritation ist notwendig


Gemeinsam denken, wirksam verändern - Stephanie Borgert über organisationalen Diskurs 

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Vielleicht kommen wir erst dann zu einem angemessenen Verständnis der Wirklichkeit, wenn wir die großen Theorien nicht als Gegensätze begreifen, sondern als Modelle, die sich perspektivisch ergänzen, gerade auch in ihren Schwächen. So wird der Systemtheorie oft vorgeworfen, dass sie die Rolle von Menschen in Organisationen nicht berücksichtige und menschliche Handlungen nur in ihrer Funktion für das System in den Blick nehme. Da ist schon was dran, und hierin liegt auch der Grund dafür, dass die Systemtheorie manchmal als "kalt" beschrieben wird. Die soziologische Handlungstheorie wiederum rückt die Handlungen und Intentionen von Menschen in den Blick, nicht deren Funktion für das jeweilige System. Die Unterschiede gehen so weit, dass sogar derselbe Gegenstand in gänzlich unterschiedlichem Licht erscheint: Kommunikation als zentrale Systemfunktion bei Luhmann, als kommunikatives Handeln bei Habermas. Spannend sind aber beide Perspektiven. Unterschiedliche Perspektiven reiben sich und bringen Widersprüche und Paradoxien hervor. So ist es durchaus denkanregend, handlungstheoretische Erklärungsmodelle auch im Systemkontext ergänzend heranzuziehen. Wie zum Beispiel die Theorie kommunikativen Handelns von Jürgen Habermas im Kontext organisationalen Lernens. Auf changeX ist uns das zunächst bei Saskia Eschenbachers Arbeit zur Theorie transformationalen Lernens begegnet. Und nun wieder im aktuellen Buch von Stephanie Borgert, einem Buch, das grundlegend vom systemtheoretischen Ansatz geprägt ist, aber schon mit den Portraitskizzen ganz unterschiedlicher Theoretiker auf dem Cover auf einen multitheoretischen Hintergrund verweist. 

Das Buch hat zwei Teile. Der eine bietet eine "kurze Geschichte des komplexen Denkens" - man könnte auch sagen: eine kurze Einführung in die Systemtheorie, deren Grundlagen als Prinzipien für den organisationalen Diskurs vorgestellt werden. Der zweite Teil ist dann dem organisationalen Diskurs selbst gewidmet, wiederum mit einer Einführung in dessen theoretische Grundlagen beginnend, die ganz wesentlich von den Philosophen David Bohm, Michel Foucault und Jürgen Habermas geprägt sind. Der organisationale Diskurs ist kein Tool, kein Rezept und keine Methode, sondern versteht sich als ein Instrument, gemeinsam miteinander zu denken. Sein Ziel lasse sich als "gemeinsame Sinnsetzung" benennen, so Stephanie Borgert. Ein multidisziplinäres Instrument zur Organisationsentwicklung also, "ein reflexiver, fortlaufender Prozess des gemeinsamen Denkens". 

Im organisationalen Diskurs denken die Teilnehmenden in Kleingruppen über ihr Denken nach sowie über Strukturen und geltende Normen der eigenen Organisation, über die Routinen ihres Handelns und die kollektiven Bewertungsmuster. "Sie reflektieren gemeinsam und betrachten sich dabei als Individuum, als Team" und nehmen dabei auch die Organisationsebene in den Blick. Besprochen wird, wer über was und wie spricht. Auf dieser Grundlage könnten dann, so die Autorin, "wesentliche strukturelle Verabredungen neu getroffen oder verändert werden." Der Prozess folgt dabei vier Schritten: Reflect - Irritate - Declare - Agree. Wichtig ist Borgert dabei vor allem die Irritation. Denn: "Irritation ist notwendig, um Lernen zu initiieren." 

Leider wird im Buch nicht recht deutlich, wie ein organisationaler Diskurs nun konkret in der Praxis aussieht. Vor allem die Unterscheidung zwischen organisationalem Diskurs und praktischem Diskurs verwirrt eher. Zwei unterschiedliche Prozesse sind es wohl nicht - eher eine perspektivische Trennung? Deutlich wird das nicht. Dennoch ist der Brückenschlag zwischen System und kommunikativem Handeln als Teil der Lebenswelt zukunftsweisend. Wichtig ist auch die Betonung: Diskurs als gemeinsames Denken - das ist etwas anderes, als Kommunikation als bloße Systemfunktion zu beschreiben. Es verschiebt die Gewichte hin zu den Menschen in der Organisation.


Jenseits der Zweckrationalität


Richtig widerstehen - Stefan Kaduk und Dirk Osmetz über die strapazierfähige Organisation 

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Das ist der eine Weg: sich Organisationen und ihrer Transformation von der Theorie her zu nähern. Denn die Theorie entscheidet, was wir sehen. Es ist aber ein voraussetzungsvoller und beschwerlicher Weg - gerade in einem Umfeld, in dem Hands-on-Hemdsärmeligkeit gefragt ist und schnelle Umsetzung zählt. Wo Lernen sich weniger mit Theorie abgeben möchte, sondern zur Praxis drängt. Stefan Kaduk und Dirk Osmetz, als Vertreter des Musterbrecheransatzes wohlbekannt, wählen daher eine andere Vorgehensweise für ihren "Weg zur strapazierfähigen Organisation", so der Untertitel ihres Buchs. Richtig widerstehen heißt es und versteht sich als leidenschaftliches Plädoyer für das Experimentieren. Dem widmet sich der Hauptteil des Buchs mit sechs Kapiteln. Diesem Experimentierteil sind drei einleitende Kapitel vorgeschaltet, die grundlegende Erkenntnisse aus nunmehr 20-jähriger Forschungstätigkeit der beiden Autoren präsentieren, Theorie inbegriffen. Darin geht es um Muster, um Strapazierfähigkeit und um das Experiment natürlich. 

Ganz kurz zusammengefasst: Muster machen Komplexität erst handhabbar. Sie helfen uns, die Dinge zu kategorisieren, zu ordnen und zu bewerten - und zu verändern. Verändern bedeutet, Muster zu erkennen und Muster zu brechen. Als das "Übermuster aller Managementmuster", das sich in allen gesellschaftlichen Bereichen breitmacht, identifizieren die Autoren die Effizienz. Die gnadenlose Zuspitzung auf Effizienz habe jedoch zu einer gefährlichen Schieflage geführt: "Effizienz ist unerlässlich, aber Effizienzexzesse bedrohen die Strapazierfähigkeit von Organisationen, ja sogar deren Existenz." Strapazierfähigkeit ist das Schlüsselwort im Buch. Die Autoren wählen diesen Begriff in Abgrenzung zu Resilienz und Antifragilität, den beiden im Kontext von Widerständigkeit eingeführten Begriffen. Doch Resilienz sei verbraucht und werde gemeinhin zu passiv verstanden, Antifragilität wiederum, das von Nassim Nicholas Taleb geprägte Kunstwort, sei nicht nötig (und hat sich auch nie durchgesetzt). Strapazierfähigkeit meint nun, "Anstrengungen, Beanspruchungen und Mühsal zu ertragen, der Erschöpfung zu widerstehen". Wie lässt sich Strapazierfähigkeit nun stärken? Nicht durch zielgerichtetes Handeln allein. Dieses folgt der Effizienz. Vielmehr gilt es, das Gegengewicht zur Effizienz zu stärken: die Redundanz. Und auf Ergebnisoffenheit zu setzen, auf Experimente. Sie sind das Mittel der Wahl: "Projekte sind zielgerichtet, Experimente sind ergebnisoffen." Effizienz basiert auf Gewissheit, "Experimentieren hilft, mit Ungewissheit klug umzugehen." Umzugehen also mit der steigenden Dynamik, die unsere Welt auszeichnet. 

Dies als Versuch, die Grundgedanken in knappest möglicher Form zu skizzieren. Im Buch hingegen geht es schrittweise voran. Schaubilder und hervorgehobene Textpassagen fordern zum Nachdenken auf, es gibt Felder zum Ausfüllen und Aufgaben, um Erkenntnisse zu verdichten. Diesem Muster folgen auch die sechs als "Experimentierfelder" bezeichneten Praxiskapitel. Sie widmen sich den Themen Risiko und Ungewissheit, Organisationszweck versus Zweckverfehlung, Wachstumszwang und strapazierfähiges Wachstum, Teams, Fremdorganisation versus Selbstorganisation sowie Führung und Rationalität. Bemerkenswert ist vor allem das zuletzt genannte sechste Experimentierfeld respektive Kapitel. Denn hier greifen die Autoren die Verengung auf einen rein instrumentellen Rationalitätsbegriff an und plädieren für ein erweitertes Verständnis, das unterschiedliche Formen von Rationalität einschließt. Dies tun sie wiederum unter Rückgriff auf Jürgen Habermas, der in seinem Werk Theorie des kommunikativen Handelns (1981) vorgeschlagen hatte, nicht nur kognitiv-instrumentelle, sondern auch moralisch-praktische und ästhetisch-expressive Formen der Rationalität einzubeziehen. Hinzu stellen Kaduk und Osmetz die Idee einer "okkasionellen Rationalität" oder "Gelegenheitsvernunft", die sich mehr an der aktuellen Situation als an starren Rationalitätsvorstellungen orientiert. Das bedeutet Verzicht auf detaillierte Vorgaben und starre Regeln. Und erfordert stattdessen Vertrauen auf Selbstorganisation und Selbstorganisationsfähigkeit sowie ein schrittweises, experimentelles Vorgehen in Situationen von Ungewissheit. Das zielt auf den Kern des Paradigmas. Es bedeutet, das dominante Muster der kognitiv-instrumentellen Rationalität zu brechen. 


Seminar mit sich selbst


30 Minuten Selbstseminar - Veronika Weiss über selbstorganisierte Weiterbildung 

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Schaut man sich an, wie Weiterbildung üblicherweise angelegt ist, dann scheint es zwei Arten von Menschen zu geben: Solche, die in der Lage sind, sich Wissen zu erarbeiten und weiterzugeben. Und solche, die Wissen empfangen, konsumieren. Die erste Kategorie: Trainer, Berater, Coaches, so genannte Speaker und Lehrende unterschiedlichster Provenienz. Die zweite Kategorie: alle anderen. Ganz so, als wären diese Menschen durchweg nicht in der Lage, sich selbst Wissen anzueignen. Das ist die grundlegende Dimension. Ganz praktisch stellt sich das Problem aber oft anders: Weiterbildung ist teuer. Viele Angebote halten nicht, was sie versprechen. Oder es findet sich kein im Hinblick auf Thema, Zeit oder Ort passendes Angebot. In beiden Fällen gilt: Geht es nicht anders? 

Die Texterin, Autorin und Lektorin Veronika Weiss hat da eine pfiffige Idee: Warum nicht selber lernen? Weiterbildung in eigener Regie. In ihrem 30-Minuten-Ratgeber Selbstseminar beschreibt sie, wie man eine selbstorganisierte Weiterbildung aufzieht und liefert ein wenig lerntheoretischen Hintergrund dazu. Sie will zeigen, wie es gelingt, sich selbst zum Lernen aufzuraffen und sich erfolgreich neues Wissen anzueignen. Das versuchen freilich schon viele, aber Lernen am Rande des normalen Jobs hat seine Tücken. Man verzettelt sich leicht, verliert den Faden und bringt die notwendige Zeit, Motivation und Energie dann doch nicht auf. Das Selbstseminar bietet hier einen methodischen Ausweg. Es ist angelegt wie eine herkömmliche Weiterbildung auch, die man verbindlich bucht - nur eben selbstorganisiert und für einen selbst. Das schafft eine höhere Verbindlichkeit, als Fortbildung nebenher, und es gibt Struktur. 

Freilich eignet sich die Methode nicht für alle Themen gleichermaßen. Um sich Grundlagenwissen anzueignen, sich einen Überblick über neues Thema zu verschaffen oder vorhandenes Wissen zu vertiefen, dafür eigne sich das Selbstseminar hervorragend. "Je weniger komplex eine Thematik ist, desto eher können Sie ohne Hilfe durchsteigen", lautet die allgemeine Regel. Bei schwierigeren Lerninhalten sollte man hingegen auf professionelle Anleitung vertrauen. Aber oftmals ist es ja gerade konkretes, praktisches Wissen, an dem es mangelt. 

Einfach mal loslegen, empfiehlt die Autorin somit. Ihrer Ansicht nach ist "das unumstößliche Reservieren von festen Zeiten" die größte und "die einzige echte Hürde". *16 Drei Stunden für die inhaltliche Vorbereitung, drei Stunden für die Nachbereitung und fünf bis acht Stunden für den Seminartag gelte es zu reservieren. Den Seminartag selbst sollte man klar durchstrukturieren - von der Begrüßung bis hin zu einer kurzen Verabschiedung. Ja, richtig gelesen, die Autorin empfiehlt, tatsächlich beide Rollen zu spielen: das Seminar zu leiten und zugleich daran teilzunehmen. Diese Übernahme der Doppelrolle ist spielerisch gedacht, schafft aber zugleich einen klaren Rahmen für das Seminar, einschließlich einem definierten Zeitplan. Dieses Selbstgespräch - als Dialog zwischen den beiden Rollen - soll den Lernenden über den Tag hinweg begleiten: "Sie üben sich in Selbstinstruktion, Sie beraten sich, motivieren und belohnen sich." Der wichtigste Punkt aber ist Selbstermächtigung. Das schließt ein, Zufälle und sich spontan ergebende Chancen als willkommene Lernanregungen zu nutzen. Flexibilität ist wichtig, und es gilt die Maxime, mit dem zu arbeiten, was schon da ist. 

Mehrfach betont Weiss die Bedeutung emotionalen Lernens. "Wer Lernen mit positiven Emotionen verbindet, lernt lieber und besser", schreibt sie und verweist auf die Bedeutung motivierender Stützstrategien, auf die auch Adam Grant in seinem jüngsten Buch nachdrücklich hingewiesen hat. Abschließend ordnet die Autorin das Selbstseminar in groben Zügen theoretisch ein. Lerntheoretisch "ist Lernen dann am effektivsten, wenn die Lernenden ihren Lernprozess umfassend selbst steuern können". Für sie ist "das Selbstseminar ein Prozess der Selbstwirksamkeitserfahrung". Und zudem ein Ansatz, der die Wirkung der Selbstverpflichtung psychologisch geschickt nutzt. Da kann man nur sagen: Kurzentschlossen ausprobieren. 


Zitate


"Das Erhoffte muss möglich sein, dadurch unterscheidet es sich vom Gewünschten." Jonas Grethlein: Hoffnung

"Die Ziele der Hoffnung zeichnen sich durch ihre Unverfügbarkeit aus. Gerade weil wir etwas nicht aus eigener Kraft erreichen können, hoffen wir." Jonas Grethlein: Hoffnung

"Hoffnung gründet auf dem Urteil, dass uns etwas unverfügbar, aber möglich ist." Jonas Grethlein: Hoffnung

"Der Fortschrittsglaube des 19. Jahrhunderts hat das 20. Jahrhundert noch maßgeblich geprägt, doch mittlerweile ist die Zuversicht, die Zukunft gestalten zu können, einer bangen Ungewissheit gewichen, wie, ja, ob es mit der Menschheit weitergehen wird. Damit ist wieder Raum für Hoffnung entstanden, die sich anders als die Ideologie des Fortschritts auf Unverfügbares richtet." Jonas Grethlein: Hoffnung

"Die schlimmste Armut ist gewöhnlich für alle gut sichtbar: sei es nun Obdachlosigkeit oder eine andere Form materieller Entbehrungen (…). Dagegen ist großer Reichtum häufig unsichtbar." Ingrid Robeyns: Limitarismus

"Der Limitarismus tritt nicht für strikte Gleichheit ein. Es gibt prinzipielle wie auch pragmatische Gründe, dass ein gewisses Maß an Ungleichheit gerechtfertigt ist. (…) Aber grenzenlose Ungleichheit lässt sich durch nichts rechtfertigen." Ingrid Robeyns: Limitarismus

"Wir alle müssen uns ein limitaristisches Ethos zu eigen machen." Ingrid Robeyns: Limitarismus

"Der organisationale Diskurs ist ein multi-disziplinäres Instrument zur Organisationsentwicklung. Die Einflüsse aus den diversen Denkschulen sorgen für Widersprüche und Paradoxien. Das genau sorgt für gute Momente, um intensiv nachzudenken und die eigene Sichtweise zu überprüfen." Stephanie Borgert: Gemeinsam denken, wirksam verändern

"Der organisationale Diskurs ist ein reflexiver, fortlaufender Prozess des gemeinsamen Denkens. Er zeigt, wer über was und wie spricht und beeinflusst den praktischen Diskurs gleichermaßen. Im praktischen Diskurs findet die tatsächliche Auseinandersetzung zu wesentlichen Themen statt. Der Prozess folgt dabei den Schritten Reflect - Irritate - Declare - Agree." Stephanie Borgert: Gemeinsam denken, wirksam verändern

"Irritation ist notwendig, um Lernen zu initiieren." Stephanie Borgert: Gemeinsam denken, wirksam verändern

"Effizienz ist unerlässlich, aber Effizienzexzesse bedrohen die Strapazierfähigkeit von Organisationen, ja sogar deren Existenz." Stefan Kaduk, Dirk Osmetz: Richtig widerstehen

"Strapazierfähigkeit bedeutet, Anstrengungen, Beanspruchungen und Mühsal zu ertragen, der Erschöpfung zu widerstehen." Stefan Kaduk, Dirk Osmetz: Richtig widerstehen

"Eine Errungenschaft der Industrialisierung und das Versprechen der Organisation ist die Effizienz. Doch sie benötigt ein Gegengewicht. Dieses Gegengewicht könnte sich (...) in der Redundanz finden lassen. So entsteht Strapazierfähigkeit im Zusammenspiel dieser sich gegenüberstehenden Seiten. Strapazierfähige Organisationen sind in der Lage, die Ambivalenz zwischen beiden sinnvoll auszubalancieren." Stefan Kaduk, Dirk Osmetz: Richtig widerstehen

"Projekte sind zielgerichtet, Experimente sind ergebnisoffen." Stefan Kaduk, Dirk Osmetz: Richtig widerstehen

"Experimentieren hilft, mit Unwissenheit klug umzugehen." Stefan Kaduk, Dirk Osmetz: Richtig widerstehen

"Vermutlich liegt der Kern des Unternehmerischen viel mehr im Bereich einer ästhetischen als in einer Zweckrationalität." Stefan Kaduk, Dirk Osmetz: Richtig widerstehen

"Strapazierfähigkeit gelingt, wenn Führung einen breiten Rationalitätsbegriff akzeptiert und insbesondere die gängige Verengung auf Zweckrationalität vermeidet." Stefan Kaduk, Dirk Osmetz: Richtig widerstehen

"Wer Lernen mit positiven Emotionen verbindet, lernt lieber und besser." Veronika Weiss: 30 Minuten Selbstseminar

"Wer emotional lernt, merkt sich mehr." Veronika Weiss: 30 Minuten Selbstseminar

"Lernen ist dann am effektivsten, wenn die Lernenden ihren Lernprozess umfassend selbst steuern können." Veronika Weiss: 30 Minuten Selbstseminar

 

changeX 12.12.2024. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Quellenangaben

Zu den Büchern

: Hoffnung. Eine Geschichte der Zuversicht von Homer bis zum Klimawandel. Verlag C.H.Beck, München 2024, 352 Seiten, 28 Euro (D), ISBN 978-3-406-82136-3

Hoffnung

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: Limitarismus. Warum Reichtum begrenzt werden muss, übersetzt von Ulrike Bischoff. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2024, 384 Seiten, 26 Euro (D), ISBN 978-3-10-397162-0

Limitarismus

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: Gemeinsam denken, wirksam verändern. Organisationaler Diskurs als Schlüssel zum Change. Vahlen Verlag, München 2024, 200 Seiten, 24.90 Euro (D), ISBN 978-3-8006-7295-0

Gemeinsam denken, wirksam verändern

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: Richtig widerstehen. Der Weg zur strapazierfähigen Organisation. Das Experimentierbuch für Musterbrecher:innen. Murmann Verlag, Hamburg 2024, 312 Seiten, 33 Euro (D), ISBN 978-3-86774-771-4

Richtig widerstehen

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: 30 Minuten Selbstseminar. Wissen selbst aneignen. GABAL Verlag, Offenbach 2024, 96 Seiten, 10.90 Euro (D), ISBN 978-3-96739-214-2

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Autor

Winfried Kretschmer
Kretschmer

Winfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.

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