Hhhhhhh Phhhhhhhhhhhhhhhhh Chrchchhhhhh
Zwei Impulsen folgt der neue Buchstreifzug. Der eine gilt dem Thema Glück, von dem schon im vergangenen Herbst die Rede war. Nun rückt ein neuer internationaler Reader die Multiperspektivität von Glück ins Blickfeld. Den zweiten Impuls setzt, ein wenig kurios vielleicht, ein Managementbuch mit einem Management-unüblichen Gegenstand: atmen. Es will zeigen, wie richtiges Atmen der Schlüssel zu erfolgreicher und gesunder Führung sein kann. Das ist Anlass, sich grundlegender mit dem Thema Atem zu beschäftigen. Unser Buchstreifzug arbeitet Bezüge und Querverbindungen in aktuellen Publikationen heraus - zunächst sind es drei. In einem zweiten Teil des Buchstreifzugs geht’s dann weiter.
"Glück gibt es ebenso wenig unmittelbar wie Gemüse", schreibt der Philosoph Franz Josef Wetz in seinem Reclam-Bändchen Das Glück, vorgestellt in der Buchumschau im Herbst. Er greift damit einen Gedanken seines Lehrers Odo Marquard auf. Gemüse könne man niemals als solches direkt kaufen - sondern immer nur konkrete Stücke bestimmter Gemüsesorten. Dass es Glück also nicht als das Glück, sondern nur über den Umweg konkreter Glückserlebnisse gibt, ist eine grundlegende Einsicht, die freilich noch keinen Eingang in die unzähligen Glücksratgeber gefunden hat, die Glück als Lebensziel verkaufen möchten und damit eben diesem Fehlschluss unterliegen.
Und so wie es das Glück nicht am Stück gibt, so wenig ist es dauerhaft zu haben. Jedes direkte Streben nach Glück ist zum Scheitern verurteilt, schreibt Wetz. Glück sei eine paradoxe Angelegenheit und bleibe letztlich unvollkommen. "Glück ist immer eine Gunst auf Abruf", so seine zentrale These: "ein Provisorium".
So zeitigt das unablässige Streben nach Glück mitunter paradoxe Folgen. Und fördert auch ungeahnte Entdeckungen zutage. Zum Beispiel, indem eigentlich Selbstverständliches und Vertrautes plötzlich in den Blick rückt. Der eigene Atem etwa. Oder der Wald in der näheren Umgebung.
Die vielen Facetten von Glück
Glück. Neue Zeiten - Neue Antworten - herausgegeben von Leo Bormans
Glück als Provisorium - ein schöner Gedanke! Mehr solcher inspirierenden Gedanken zum Glück würde man sich wünschen. Und das gibt es bereits: ein Buch, das geradezu darauf angelegt ist, unterschiedliche Perspektiven aus unterschiedlichen Ländern zum Thema Glück zusammenzutragen. Ein Buch, das die Multiperspektivität von Glück zum Thema macht. Ein Glück, dass es das gibt.
Vor 13 Jahren ist Glück - The World Book of Happiness erschienen. Nun liegt der Nachfolgetitel vor: Glück. Neue Zeiten - neue Antworten heißt das Buch, das mit neuen Perspektiven und Forschungsergebnissen aufwartet. Damals sei es primär um den Sprung vom Ich zum Wir gegangen, während heute viele Beiträge eine Brücke zur Menschheit schlagen, schreibt Leo Bormans, der Herausgeber, der an der Erasmus-Universität Rotterdam Glücksökonomie lehrt. Hundert Fachleute aus 50 Ländern hat er eingeladen, ihr Wissen über Glück beizutragen - in kurzer Form, in verständlicher Sprache und versehen mit jeweils sechs Ratschlägen und einer kurzen Essenz. Entstanden ist so ein umfassendes Kompendium, das eine gewaltige Vielzahl an Perspektiven zum Thema Glück zusammenträgt. Und zugleich eine Vielzahl von Ratschlägen für ein glücklicheres Leben anbietet, mehr als 500 sind es in der Summe. Die Bandbreite der Perspektiven reicht dabei vom großen gesellschaftlich-politischen Rahmen bis hin zu den kleinen Momenten des Alltags, vor allem in der Beziehung zu anderen Menschen und in der Natur. Diese Vielzahl an unterschiedlichen Sichtweisen ist nicht unbedingt ein Vorteil. Denn sie schafft zunächst einmal Unübersichtlichkeit - zumal der Begriff Glück selbst nicht klar ist.
"Glück ist ein schwammiges Konzept mit zahlreichen Definitionen", schreibt Barbara Fredrickson, vielzitierte Professorin für Psychologie und Neurowissenschaft in den USA. "Das Glück bleibt ein flüchtiger Zustand, bis man erkennt, dass es aus der ständigen Zufuhr bestimmter Momente erwächst, die einen angenehm beleben oder eine tiefe Verbundenheit fühlen lassen - oder beides auf einmal." Solche "flüchtigen Zustände positiver Verbundenheit", "positive Mikromomente" wie sie Leo Bormans nennt, seien "entscheidend für Gesundheit und Wohlergehen der Menschen".
Diese Flüchtigkeit des Moments spiegelt sich auch im isländischen Wort "happ" für Glücksfall, das die Wurzel des englischen Wortes "happiness" bildet. Island ist damit nicht nur ein Ursprungsort des Glücksbegriffs, sondern auch einer der glücklichsten Staaten weltweit. Das Land rangiert im World Happiness Report an dritter Stelle der glücklichsten Nationen, gleich nach Finnland und Dänemark. Anlass, zu schauen, woran das liegen könnte. Kurz ein paar Schlaglichter dazu.
Þetta reddast - das klappt schon irgendwie
Die Isländer hätten eine Gesellschaft erschaffen, in der Glück an erster Stelle steht, schreibt Dóra Guðrún Guðmundsdóttir, Expertin für Positive Psychologie und Direktorin an der isländischen Gesundheitsbehörde, die mit Daten über das Wohlbefinden der Menschen dazu beiträgt, dem Thema in der Politik Geltung zu verschaffen. Sie führt die besondere isländische Sicht auf das Glück nicht zuletzt auf die konstruktive Einstellung und Resilienz der Menschen gegenüber Herausforderungen im Leben zurück, die sich in der berühmtesten isländischen Redensart "Þetta reddast" spiegele - "das klappt schon irgendwie". Eine wichtige Rolle spielen auch engagierte soziale Beziehungen, ein ausbalanciertes Verhältnis zwischen Leben und Arbeit, ein gutes Bildungs- und Gesundheitssystem, progressive Werte und die Beziehung zur Natur. Die Naturverbundenheit der Isländer ist nach Ansicht von Ingrid Kuhlmann, der zweiten isländischen Autorin und ebenfalls Expertin für Positive Psychologie, ein ganz entscheidender Faktor: "Die Nähe zur Natur gibt uns Freude, Ehrfurcht, Gesundheit und ein Gefühl von Zugehörigkeit und Sinn, und all das mehrt unser Glück." Vor allem die tiefe Verbundenheit der Menschen zum Wasser erwähnt die Autorin, vom Bad in von heißen Quellen gespeisten Thermalbädern unter freiem Himmel bis zum Schwimmen im kalten Meer, das stets in geselliger Runde zusammen mit anderen.
Am anderen Ende der Skala steht der gesellschaftlich-politische Rahmen, also die Gestaltung der Gesellschaft selbst. So betont Frank Martela, Dozent an der Aalto-Universität in Finnland, die Notwendigkeit politischen Handelns: "Das Versprechen, alle Menschen glücklich zu machen, lässt sich nicht auf individueller Ebene einlösen. Es wird nur durch die richtigen politischen Strukturen möglich." Martela fordert, Wohlbefindensmessungen ins Zentrum nationaler Politik zu stellen. Schließlich überrascht der Däne Hans Henrik Knoop, Dozent an der Universität Aarhus, mit einer kühnen Wendung in der Interpretation der Entwicklung der Psychologie in den vergangenen gut 30 Jahren: "Schmerz, Leid und das ganze Spektrum negativer Gefühle" - also all das, was bis zum Aufkommen der Positiven Psychologie im Zentrum der Disziplin stand - "existieren im Grunde nur, um uns Bedrohungen für unser Wohlbefinden anzuzeigen - und Wege, um diese zu umgehen." Knoop begreift das Streben nach Wohlbefinden "als universelle menschliche Eigenschaft".
Es sind also ganz unterschiedliche Wege zum Glück, die die Autorinnen und Autoren vorstellen. Und es sind unterschiedliche Schwerpunkte, die sie setzen. Einige betonen die Notwendigkeit eines sicheren institutionellen staatlich-politischen Rahmens, der Freiheit, Demokratie und Rechtstaatlichkeit garantiert und für sozialen Ausgleich sorgt. Andere hingegen rücken mehr die individuellen Glückspfade in den Blick: Naturverbundenheit, Achtsamkeit und vor allem gelingende soziale Beziehungen. Der Blick auf die glücklichen skandinavischen Länder Finnland, Dänemark und Island legt nahe, dass es auf die Kombination dieser Elemente ankommen könnte. In diesen drei Ländern sind nämlich der institutionelle und der individuelle Pol gleichermaßen ausgeprägt. Wobei auch die individuellen Glücksbedürfnisse nicht stark individualisiert sind, sondern wie in Island gerne in Gemeinschaft erfüllt werden, zusammen mit anderen.
Verbindung von Körper und Geist
Zwei Perspektiven seien noch zitiert. Nicht zuletzt, weil sie eine Brücke schlagen zu den folgenden Themen dieses Buchstreifzugs, Atem und Achtsamkeit. So findet sich unter den zahlreichen Glücksperspektiven auch ein tiefer gehendes Moment, das mit Präsenz im Augenblick, mit Gewahrsein oder mit Achtsamkeit und Meditation zu tun hat. Denn natürlich liegt auch in diesen Praktiken eine Quelle des Glücks. Wobei die Idee, dass Glück sich nicht unmittelbar zielorientiert erreichen lässt, sich genau in diesen Praktiken spiegelt, die eben nicht funktional und intentional auf einen bestimmten Zweck gerichtet sind. Jedenfalls nicht in ihrer ursprünglichen Ausrichtung.
So schreibt Peter Malinowski, Dozent für kognitive Neurowissenschaften an der Liverpool John Moores University in Großbritannien: "Glück findet in unserem eigenen Geist statt. Wenn wir ihn durch Meditation trainieren, legen wir den Grundstein für ein sinnvolles, gelingendes Leben." Meditation wirke dezentrierend und sie öffne eine Panoramaperspektive, die es erlaubt, die eigene Situation offen zu betrachten. Meditation bedeute, zu "üben, unsere Aufmerksamkeit zu festigen". Schon eine auf den Atem ausgerichtete Achtsamkeitsmeditation zehn Minuten täglich zeige Wirkung, so Malinowski.
Auf den Atem fokussiert auch Pedro Tabensky, Ethiker aus Südafrika: "Der einfache Akt, sich den eigenen Atem bewusst zu machen, verbindet Körper und Geist - das Bewusstsein, zu atmen, und das Atmen. Indem er sich sanft dem Körper zuwendet, kann der Geist Spannungspunkte aufspüren und auflösen, gleichzeitig unterbricht er den Gedankenkreislauf." Das ist klar ausgedrückt. Eine einfache und nachvollziehbare Erklärung, die auch Achtsamkeit und Gewahrsein in anderem, klarem Licht erscheinen lässt. Es zeigt aber auch, dass Achtsamkeit oft nicht ganz gesehen und nur teilweise begriffen ist. Sofern man sich auf ein Verstehenwollen überhaupt einlassen möchte.
Atmen Sie!
Atmen - Der Schlüssel zur erfolgreichen und gesunden Führung von Christoph Glaser
Atem und Atmen. Bücher dazu gibt es reichlich. Sie rücken in den Blickpunkt, was ohne willentliches Zutun abläuft. "Der Atem begleitet uns vom Anfang bis zum Ende unseres Lebens", schreibt die Psychotherapeutin und Achtsamkeitsexpertin Main Hương Nguyễn in ihrem Buch Eins mit allem, von dem später noch die Rede sein wird. Wir atmen automatisch und selbstverständlich. Und doch hat der Atem diese Selbstverständlichkeit eingebüßt. Viele Menschen atmen falsch, heißt es, nutzen ihr Atemvolumen nicht aus und lassen somit Potenzial brachliegen. Fast hat es den Anschein, als sei der Atem die vielleicht letzte Ressource, die noch nicht dem Streben nach Selbstoptimierung unterworfen worden ist. Da passt es ins Bild, dass der Atem nun auch in dem Metier zum Thema wird, das wie kein anderes für die ständige Optimierung von allem steht: im Management.
Auf das Management zielt Christoph Glasers Buch Atmen, das für Aufsehen im Bereich der Managementliteratur gesorgt hat. Ein Novum in einer Branche, wo sonst vor allem der xte Weg zur Effektivität im Blickpunk steht. "Achten Sie auf Ihren Atem, denn Ihr Atem ist Ihr Kapital", schreibt Glaser. Und das ist eine Sprache, die Manager verstehen. An sie, Menschen, die Verantwortung tragen, Führungskräfte, Managerinnen und Entscheider richtet sich dieses Buch in erster Linie. Atmen als Schlüssel zur erfolgreichen und gesunden Führung zu vermitteln, ist das Ziel. Christoph Glaser ist kein Managementtrainer, der das Thema Atem für sich entdeckt hätte. Er ist über den Atem zum Managementtrainer geworden, nach einem schweren Unfall, der sein Karriereziel Profifußballer jäh durchkreuzt hatte. Um gegen Schmerzen und Depressionen anzukämpfen, beschäftigte er sich mit Yoga, Meditation und der Rolle des Atems. Er reiste nach Indien, wo er sich bei Sri Sri Ravi Shankar "in die alte Welt des Atmens einweisen" ließ, in die yogische Lehre von Atem und Bewegung. Er überwand nicht nur seine Krankheit, sondern hatte seine Berufung gefunden. Heute ist er als Trainer für atembasierte Achtsamkeit und für gesunde und erfolgreiche Führung weltweit unterwegs. In seinem Buch gibt er Einblicke in sein Wissen und seine Praxis.
Die Atemreise im Buch geht über zwölf Kapitel, die in die Grundlagen von Atmen und Achtsamkeit einführen und den Zusammenhang zu Management und Führung herstellen. Jedes Kapitel bietet eine ausführlich erläuterte praktische Übung. "Die Atemübungen sind nicht neu, sie sind jahrtausendealt", schreibt der Autor. Sie stammen aus dem Pranayama, der Atemlehre aus dem Yoga, die sich mit dem Fluss und der Beeinflussung der Lebensenergie im Körper beschäftigt. Die dort beschriebenen Atemübungen wirken unmittelbar auf das autonome Nervensystem, wo sie das Zusammenspiel von Sympathikus und Parasympathikus beeinflussen sowie auf die neuronale Aktivität des Gehirns. Das zeigen neuere Forschungen, auf die der Autor sich beruft. Pranayama bildet die Grundlage der meisten Atemübungen, die heute unter unterschiedlichen Bezeichnungen gelehrt und praktiziert werden. Glaser nennt diese Quelle mit Respekt vor dem jahrtausendealten Wissen, das hier versammelt ist. Seine Atemübungen bauen aufeinander auf und dienen der Vorbereitung und Vertiefung seiner "12-Minuten-Methode", einem Programm mit aufeinander abgestimmten Übungen zur täglichen Anwendung. Das Versprechen: 12 Minuten, 21 Tage lang, das Rezept für weniger Stress und mehr Lust aufs Leben. Der Appell: "Atmen Sie".
Neu atmen lernen
Schauen wir uns das ein wenig genauer an. Glases Methode kombiniert vier Atemübungen zu einem festgelegten Übungsablauf, der in den genannten zwölf Minuten zu absolvieren ist. Es beginnt mit einer umfangreichen Übung, die auf einer Kombination von Entspannungsatmung und dem Siegreichem Atem oder Ujjayi beruht, einer Form der Atmung, die wie Meeresrauschen klingt. Wie "chrchhhhhhhhh" vielleicht. Unterstützend sollen dabei drei verschiedene Stufen der Armhaltung alle Lungenbereiche öffnen und aktivieren. Insgesamt wirkt die Übung beruhigend, indem sie Vagusnerv und Parasympathikus anspricht. Die anschließende Blasebalgatmung hingegen regt das sympathische Nervensystem an und wirkt aktivierend. Ein abschließender Body Scan sorgt für Klarheit und Präsenz im gegenwärtigen Augenblick. Die Übungen sind ausführlich und gut nachvollziehbar erklärt.
Ein gewisses Fragezeichen bleibt dennoch: Kann es tatsächlich gelingen, allein auf Basis einer schriftlichen Anleitung - das heißt ohne Unterstützung durch eine geschulte Lehrperson - die nicht ganz einfachen Atemtechniken zu erlernen? Mit "einfach atmen", wie eine auf der Verlags-Website zitierte Rezension meint, ist es jedenfalls nicht getan. Denn die meisten Menschen sind in ihrer Atmung eingeschränkt. Christoph Glaser weiß das, er kennt die Zahlen: "Studien zeigen, dass 60 bis 80 Prozent der Menschen in Deutschland zu kurz und zu flach atmen." Mit negativen Folgen für Herz, Kreislauf, Gehirn und die Sauerstoffaufnahme in den Zellen. Vor diesem Hintergrund ist "einfach atmen" ein Missverständnis. Das nicht unbedingt deutlich wird - denn natürlich lassen sich die Atemübungen auch flach atmend ausführen, nur wird sich die Wirkung nicht einstellen. Für viele Menschen bedeutet Pranayama zunächst einmal: neu atmen lernen.
Geschickt kombiniert Glaser altes Yoga-Wissen mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Und vermeidet dabei geflissentlich jeglichen Anschein des Esoterischen. Denn er hat gelernt: "Sobald das Atmen im Management einen verklärt esoterischen Anstrich erhält, lehnen meine Klienten die Übungen ab." So meidet der Autor auch den Begriff Meditation. Er spricht neutral und unverfänglich von "Atemübungen". Entsprechend modern und anschlussfähig klingen seine Botschaften. "Die Energie folgt Ihrem Atem", etwa. Oder: "Achtsamkeit ist die wertfreie Wahrnehmung des eigenen Erlebens im gegenwärtigen Augenblick."
Für ein derart modernisiertes, verwestlichtes Verständnis steht auch Emma Seppälä, Dozentin an der Yale School of Management, mit der Glaser ein ausführliches Interview geführt hat, aus dem er zitiert. Seppälä macht die Zusammenhänge deutlich: "Der Atem ist eines der wichtigsten Werkzeuge, um mit Stress und negativen Emotionen umzugehen. Wenn du gestresst bist, kannst du dir nicht einfach sagen, dass du jetzt nicht mehr angespannt sein willst. Das wird nicht funktionieren. Mithilfe des Atems kannst du dagegen direkt auf der physiologischen Ebene von Stress und Anspannung ansetzen, und zwar beim autonomen Nervensystem." In diesem Sinne will das Buch seinen Lesern ermöglichen, ihre Lebenszeit bewusster zu gestalten: durch Gewahrsein, durch Akzeptanz dessen, was ist, und durch die richtige Atemtechnik.
Gratwanderung zwischen Pranayama und Management
Glaser hat dabei dreierlei im Auge: erstens ein achtsamer und bewusster Lebensstil für einen selbst; zweitens emotionale Intelligenz im Umgang mit anderen; sowie drittens eine gesundheitsorientierte Unternehmensführung, bei der die gesunde Selbstführung der Führungskräfte das Gesundheitsverhalten der Mitarbeitenden positiv beeinflusst: "Health oriented Leadership". Der Autor schlägt so eine Brücke zu den Herausforderungen, mit denen sich die Unternehmensführung in Zeiten wachsender Komplexität und Geschwindigkeit konfrontiert sieht. Atembasierte Achtsamkeit ist für Glaser die Antwort auf die immer schnellere Taktung und zunehmende Hektik im modernen Management. Das erfordere, flexibel und vorausschauend auf sich ändernde Umstände eingehen zu können. Oder anders gesagt: "Ein agiles Mindset bedeutet, Schnelligkeit mit innerer Ruhe zu verbinden". Es bedeutet, den "Kontakt zu unserer inneren Welt" wiederzufinden.
Leider kommt das Buch dabei ohne Zugeständnisse an die Managementsprache nicht aus. Den Atem "optimieren", "perfektionieren", "managen" will das Buch, und damit bekommen die Übungen einen funktionalen, zweckgerichteten Charakter. Sie sind nicht mehr Teil einer umfassenderen Praxis, sondern sie werden praktiziert. Verstärkt wird das noch, wenn der Autor von "Präsenzmuskel", "Führungsmuskel" oder "Achtsamkeitsmuskel" spricht. Wohl, um zu unterstreichen, dass sich Präsenz, Führung und Achtsamkeit trainieren lassen wie ein Muskel. Komplexe Fähigkeiten werden so simplifiziert. Und das unterstreicht wiederum die zweckgerichtete, funktionale Grundhaltung.
Das Buch versucht eine Gratwanderung zwischen dem alten Pranayama-Wissen und seiner Anwendung im Management. Ein Fragezeichen bleibt jedoch auch hier. So respektvoll der Autor mit dem Pranayama-Wissen umgeht - dennoch bleibt die Frage, ob aus Adaption dieses Wissens nicht Assimilation wird: eine Angleichung an Funktions- und Zielorientierung der modernen Managementlehre. Die alte Lehre des Pranayama würde dann zum Werkzeugkasten, aus dem sich einzelne Atemtechniken herausgreifen lassen, um sie funktional zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit von Menschen einzusetzen. Nichts anderes ist ja die Managementlehre insgesamt: eine Adaption unterschiedlicher Methoden zur Anwendung für definierte Zwecke.
Dabei beschreibt Glaser an seiner eigenen Geschichte sehr klar, worauf die Wirkung von Atemübungen beruht: akzeptieren, was ist, gewahr sein, und "von Zwang und Ziel loslassen".
Die Grußnote des früheren Fußballtrainers Christoph Daum am Anfang des Buchs illustriert freilich, wie Pranayama im modernen, verwestlichten Gewand aufgenommen wird: "Optimiere deine Atemtechnik!"
Atmen betrifft den ganzen Körper
11 Atem-Übungen, die dein Leben verändern von Manuel Eckardt
Sein Leben bewusst gestalten, darauf liegt auch der Fokus von Manuel Eckardt, der ebenfalls ein Buch mit Atemübungen vorgelegt hat. Das Missverständnis des Einfach-atmens nimmt der Coach und Gesundheitstrainer zum Ausgangspunkt seines Ratgebers. Dass jeder Mensch atmen könne, stimme natürlich, schreibt er gleich am Anfang - aber nur zum Teil: "Zum Glück atmen wir automatisch. Blöd ist nur, dass wir es in den seltensten Fällen richtig machen. Im Laufe unseres Lebens ‚verlernen‘ wir die Atmung, die wir als Babys von Natur aus mitbekommen haben. Gerade in stressigen Situationen atmen wir nicht richtig". Und das habe größere Konsequenzen als wir uns vorstellen können. Mangelnde Versorgung mit Sauerstoff mache uns über kurz oder lang krank, so Eckardt. Das ist sein Thema.
In einem theoretischen Teil erklärt der Autor sehr verständlich die Zusammenhänge zwischen Atmung, Blutbildung, Sauerstoff, Bewegung und Gesundheit. Der Schlüssel ist die Atmung, und das bedeutet "richtig atmen": "Wir müssen trainieren, von dieser kurzen, flachen Mundatmung wegzukommen, hin zu einer ruhigen und sanften Nasenatmung in den Bauch." Deutlicher als Glaser rückt Eckart die eingeschränkte Atemkapazität vieler Menschen in den Blick. Diese wurzle in der modernen Lebensweise. Wenig Bewegung, viel Sitzen, vor allem in der gekrümmten Fragezeichen-Haltung am Schreibtisch, führten zu einer Verkürzung und Verklebung der Atemmuskulatur. Deren mangelndes Training durch geringe Beanspruchung, weil zu flache Atmung, tut ein Übriges. Eckardts Buch bietet Übungen und Tipps für eine gute Atmung sowie einen ganzheitlichen Ansatz für mehr Sauerstoff, der reichliches Trinken, eine ganzheitliche Ernährung sowie Entspannung mit einschließt.
Der 80-seitige Praxisteil stellt zunächst die elf Atemübungen vor, das vierwöchige Body-Mind-Trainingsprogramm bietet dann für jeden Tag je eine Übung für Körper, Atem und für den Geist. Mit täglich wechselnden Übungen liegt der Schwerpunkt auf der Atmung. Spezielle Übungen zeigen, wie sich der Atem verbessern lässt: Das Zwerchfell dehnen, lockern und kräftigen sowie den Brustkorb weiten und so für mehr Lungenvolumen sorgen.
Verbindung von Körper und Geist
Bei dem ganzen Training darf man jedoch eines nicht vergessen - Eckart betont zu Recht: "Beim Atmen wird immer der ganze Körper trainiert, also auch der Geist, den er beherbergt." Und um das Zusammenwirken von Körper und Geist zu verstehen, muss man etwas tiefer gehen. Noch etwas ist wichtig: die Art der Quelle. Christoph Glaser bezieht sich klar auf Pranayama als Quelle seiner Atemübungen. Manuel Eckart hingegen kombiniert unterschiedliche Methoden aus Yoga, Tai-Chi, Qigong sowie aus autogenem Training und Meditation. Die Übergänge zwischen den unterschiedlichen Ansätzen sind fließend, der Ursprung liegt aber auch hier meistens im Pranayama. Das zu betonen heißt nicht, Pranayama zum Nonplusultra zu erklären. Vielmehr gilt es zu verstehen, dass es Teil eines größeren Wissenssystems ist. Teil des Yoga. Teil also eines Wissens, das nicht nur den Atem umfasst, sondern die Verbindung von Körper, Geist und Welt umgreifend thematisiert.
Tiefer zu gehen, das gilt auch für die Praxis selbst. Bei der Beschreibung der oft nicht einfachen Atemübungen sind schnell die Grenzen sprachlicher Ausdrucksmöglichkeiten erreicht. Eine genaue Vorstellung des Übungsablaufs ist aber notwendig, um zu verstehen, was die Ausführung der Übung bewirkt. Ein Beispiel, das die Frage der Quelle und des Übungsablaufs thematisiert: So ist die Navy Seals Atmung, benannt nach den Spezialeinheiten der US Marine, die die Atemtechniken in Training und Einsatz praktizieren, nichts anderes als eine Variante der Gleichmäßigen Atmung im Yoga. Gleichmäßige Atmung bedeutet, dass Ein- und Ausatmung sowie Atempausen in jeder Wiederholung bewusst gleich lang gehalten werden. Weil sich die vier Phasen "Einatmen - Atempause - Ausatmen - Atempause" als Kanten eines Rechtecks oder Quadrats vorstellen lassen, wird die Atemweise auch rechteckige, quadratische oder Box-Atmung genannt. Dabei wird die Kantenlänge respektive Dauer durch Zähler oder Sekunden angegeben. Bei der quadratischen Atmung zum Beispiel "4 - 4 - 4 - 4"; bei der Navy Seals Atmung entsprechend "4 - 6 - 4 - 6". Alles sehr gleichmäßig und ruhig.
Ganz ähnlich ist es bei der Wechselatmung Nadi Shodana, bei der Einatmen und Ausatmen wechselweise einmal durch das linke und einmal durch das rechte Nasenloch erfolgen. Bei beiden Übungen entsteht ein ruhiger, meditativer Rhythmus. Sehr gleichmäßig und bewusst, Betonung auf bewusst. Das unterstreicht das Prinzip: Pranayama bedeutet, bewusst auf den Atem einzuwirken. Nicht im Sinne von "steuern". Sondern das Bewusstsein verschränkt sich gewissermaßen mit der sonst unbewusst stattfindenden Atmung. Diese Praxis verbindet Körper und Geist, wie Pedro Tabensky weiter oben zitiert wurde. Sie verbindet "das Bewusstsein, zu atmen, und das Atmen". Um es nun ganz kompliziert zu machen: Ganz so einfach ist es wiederum nicht, wie die Praxisübungen vermitteln wollen. Denn oft ist es schwer, loszulassen, abzuschalten und sich nicht in einer Spirale aus negativen Gedanken und Emotionen zu verstricken, dem "Gedankenkreislauf", von dem Tabensky spricht.
Hier kommt nun noch einmal Christoph Glaser ins Spiel. Ihm geht es auch ums Loslassen. Und für ihn führt der Weg über den Körper. Denn "Atem, Gedanken und Gefühle beeinflussen sich gegenseitig." Mit dieser Erkenntnis, schreibt er, eröffne uns die Wissenschaft heute "einen faszinierenden Einblick in das, was die alten Yogis seit Jahrtausenden intuitiv wussten: Jede Emotion entspricht einer wahrgenommenen Empfindung in einer spezifischen Region im Körper." Das heißt: Emotionen sind nicht nur abstrakte Konzepte. Sie sind nicht nur im Gehirn lokalisiert, sondern rufen konkrete körperliche Empfindungen hervor.
Genau damit beschäftigt sich der nächste Titel in diesem Buchstreifzug. Bald geht es weiter mit dem zweiten Teil.
Zitate
"Glück ist ein schwammiges Konzept mit zahlreichen Definitionen." Barbara Fredrickson, in: Leo Bormans: Glück
"Das Glück bleibt ein flüchtiger Zustand, bis man erkennt, dass es aus der ständigen Zufuhr bestimmter Momente erwächst, die einen angenehm beleben oder eine tiefe Verbundenheit fühlen lassen - oder beides auf einmal." Barbara Fredrickson, in: Leo Bormans: Glück
"Das Versprechen, alle Menschen glücklich zu machen, lässt sich nicht auf individueller Ebene einlösen. Es wird nur durch die richtigen politischen Strukturen möglich." Frank Martela, in: Leo Bormans: Glück
"Schmerz, Leid und das ganze Spektrum negativer Gefühle existieren im Grunde nur, um uns Bedrohungen für unser Wohlbefinden anzuzeigen - und Wege, um diese zu umgehen." Hans Henrik Knoop, in: Leo Bormans: Glück
"Glück findet in unserem eigenen Geist statt. Wenn wir ihn durch Meditation trainieren, legen wir den Grundstein für ein sinnvolles, gelingendes Leben." Peter Malinowski, in: Leo Bormans: Glück
"Der einfache Akt, sich den eigenen Atem bewusst zu machen, verbindet Körper und Geist - das Bewusstsein, zu atmen, und das Atmen." Pedro Tabensky, in: Leo Bormans: Glück
"Achten Sie auf Ihren Atem, denn Ihr Atem ist Ihr Kapital." Christoph Glaser: Atmen
"Die Atemübungen sind nicht neu, sie sind jahrtausendealt." Christoph Glaser: Atmen
"Atmen Sie." Christoph Glaser: Atmen
Studien zeigen, dass 60 bis 80 Prozent der Menschen in Deutschland zu kurz und zu flach atmen." Christoph Glaser: Atmen
"Sobald das Atmen im Management einen verklärt esoterischen Anstrich erhält, lehnen meine Klienten die Übungen ab." Christoph Glaser: Atmen
"Die Energie folgt Ihrem Atem." Christoph Glaser: Atmen
"Der Atem ist eines der wichtigsten Werkzeuge, um mit Stress und negativen Emotionen umzugehen. (…) Mithilfe des Atems kannst du … direkt auf der physiologischen Ebene von Stress und Anspannung ansetzen, und zwar beim autonomen Nervensystem." Emma Seppälä, in: Christoph Glaser: Atmen
"Ein agiles Mindset bedeutet, Schnelligkeit mit innerer Ruhe zu verbinden." Christoph Glaser: Atmen
"Gerade in stressigen Situationen atmen wir nicht richtig." Manuel Eckardt: 11 Atem-Übungen, die dein Leben verändern
"Wir müssen trainieren, von dieser kurzen, flachen Mundatmung wegzukommen, hin zu einer ruhigen und sanften Nasenatmung in den Bauch." Manuel Eckardt: 11 Atem-Übungen, die dein Leben verändern
"Beim Atmen wird immer der ganze Körper trainiert, also auch der Geist, den er beherbergt." Manuel Eckardt: 11 Atem-Übungen, die dein Leben verändern
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Quellenangaben
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Fundstellen der Zitate: Glück. Neue Zeiten - neue Antworten: 50, 51, 78, 95, 103, 116f., 223, 224; Atmen. Der Schlüssel zur erfolgreichen und gesunden Führung : 9, 16, 19, 25, 29, 34, 53, 56, 82, 132, 146, 186; 11 Atem-Übungen, die dein Leben verändern : 4, 58, 112, 133
Weitere Informationen
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Der World Happiness Report wird jährlich vom Sustainable Development Solutions Network der Vereinten Nationen veröffentlicht. Der Bericht enthält jeweils die Rangliste zur Lebenszufriedenheit in den Ländern der Welt und zugehörige Datenanalysen aus verschiedenen Perspektiven. Er basiert auf Daten des World Poll der Gallup Organization, eines der führenden Markt- und Meinungsforschungsinstitute weltweit.Mehr in Wikipedia:
Zu den Büchern
Leo Bormans: Glück. Neue Zeiten - neue Antworten. Die jüngsten Erkenntnisse aus der weltweiten Glücksforschung. Übersetzt von Sofia Blind. Verlag DuMont, Köln 2024, 296 Seiten, 36 Euro (D), ISBN 978-3-7558-2002-4
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Christoph Glaser: Atmen. Der Schlüssel zur erfolgreichen und gesunden Führung. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2024, 274 Seiten, 28 Euro (D), ISBN 978-3-593519654
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Manuel Eckardt: 11 Atem-Übungen, die dein Leben verändern. Gesünder, schlanker, entspannter durch mehr Sauerstoff im Körper. Humboldt Verlag,, Hannover 2024, 208 Seiten, 22 Euro (D), ISBN 978-3-8426-3187-8
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