Schön und gut, nur was taugt es für die Praxis? Mag sich ein pragmatisch denkender Manager oder Unternehmer fragen. Und sich auf den Standpunkt stellen, das alles habe für den Business-Alltag keinerlei Bedeutung. Weit gefehlt! Der Paradigmenwandel betrifft längst nicht mehr nur die ökonomische Theorie, sondern ganz entscheidend die Wahrnehmung und Interpretation der Business-Realität. Dies deutlich zu machen ist die entscheidende Leistung eines Buches, das man jedem Manager, Unternehmer und jedem wirtschaftlich Interessierten uneingeschränkt zur Lektüre empfehlen kann. Denn es ist ein Buch von bemerkenswerter Klarheit, zudem fesselnd geschrieben und exzellent ins Deutsche übertragen. Zu Recht wurde es zum Wirtschaftsbuch des Jahres 2007 gekürt. Der Halo-Effekt von Phil Rosenzweig ist ein Buch mit Wow-Effekt. Und unmittelbar praktischer Bedeutung. Die zentrale These des Lausanner Professors lautet nämlich, "dass unser Wirtschaftsdenken von zahlreichen Täuschungen beeinflusst wird". Das zielt ins Herz von Management und Unternehmensführung, denn es geht um Erfolg. Um Performance. Warum die einen Unternehmen erfolgreich sind, die anderen aber nicht, das sei keineswegs klar, sagt Rosenzweig. "Trotz emsiger Forschung ist unsere Wissenslandkarte von weißen Flecken übersät. Und die meisten Studien zur Unternehmensperformance bewegen sich auf dem Niveau pseudowissenschaftlicher Anekdoten." Und schon sind wir mittendrin im Vexierspiel menschlicher Erkenntnis.
Der Erfolg macht's.
Zum Beispiel Cisco. Noch 1990 ein
Start-up unter vielen im Silicon Valley, schoss der Wert des
Unternehmens im Boom der New Economy raketengleich nach oben.
Schneller als irgendein anderes Unternehmen durchbrach Cisco die
Schallmauer von 100 Milliarden Marktwert, um im März 2000 für
einen kurzen, berauschenden Moment zum wertvollsten Unternehmen
der Welt aufzusteigen, noch vor Microsoft, zwei Wochen lang. Doch
mit dem Crash der Technologiewerte fiel auch die Cisco-Aktie in
den Keller. Es verwundert kaum, dass mit dem Aktienkurs auch das
Image des Unternehmens in der Öffentlichkeit auf Talfahrt ging.
Interessant dabei ist aber, dass damit auch die inhaltliche
Bewertung kippt: Was die Magazine eben noch bewundernd als die
zentralen Erfolgsfaktoren des Unternehmens beschrieben hatten -
seine Kundenorientierung, seine Unternehmenskultur, sein
Akquisitionsgeschick bei Zukäufen, die Führungsqualität -,
erschien urplötzlich in negativem Licht. Stärken mutierten im
Handumdrehen zu Schwächen. "Niemand behauptet, dass sich Cisco
zwischen 2000 und 2001 verändert hätte", resümiert Phil
Rosenzweig. "Vielmehr wird das Unternehmen nun, im Rückblick,
durch eine andere Brille wahrgenommen - die Brille der gesunkenen
Performance."
Das ist der Halo-Effekt: Wie eine Aura überstrahlt der
Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens dessen Wahrnehmung und
färbt die Bewertung seines unternehmerischen Handelns ein. Der
Unterschied liegt im Auge des Betrachters. Er ist es, der die
Fakten so ordnet und gewichtet, dass eine einleuchtende und in
sich konsistente Story entsteht. Mittels solcher Geschichten
erklären und interpretieren wir Menschen die Welt um uns herum.
Und an solchen Geschichten orientiert sich unsere Wahrnehmung -
weit mehr als an den viel beschworenen Fakten. Dabei können
freilich schnell Ursache und Wirkung durcheinandergeraten:
"Vieles, was wir - Manager, Journalisten, Professoren und Berater
- gemeinhin für ursächliche Faktoren der Unternehmensperformance
halten, gehört bei genauerer Betrachtung zu deren Folgen",
schreibt Rosenzweig.
Was über Unternehmen gesagt wurde.
Denn wovon der Erfolg eines
Unternehmens abhängt, kann keiner genau sagen. Eine schlüssige
Theorie hierzu existiert nicht, zu komplex sind die Unternehmen
und das Umfeld, in dem sie agieren. Wahrscheinlich werden wir die
inneren Wirkungszusammenhänge eines Unternehmens nie vollständig
begreifen können, meint Rosenzweig. Und zielt damit auf die
zahlreichen Managementbücher, die eben dies unterstellen, indem
sie schlüssige Erfolgsrezepte für den todsicheren
Unternehmenserfolg verkaufen. Sein Angriff gilt dem "fiktiven
Kern vieler Wirtschaftsbücher, wonach es in der Macht eines jeden
Unternehmens stehe, unabhängig vom Verhalten des Marktumfelds und
allein durch Befolgen bestimmter Regeln in die Riege der
Spitzenunternehmen aufzusteigen". Rosenzweig knöpft sich die
einschlägigen Bestseller vor:
Auf der Suche nach Spitzenleistungen, Immer erfolgreich, Der
Weg zu den Besten, die gesamte Riege der Business-Blockbuster
sei durchdrungen von nicht erkannten Halo-Effekten, kritisiert
er. Sie mixen ihre Erfolgsrezepte aus Effekten, die nicht Ursache
des Erfolgs sind, sondern ebenso gut deren Folge oder bloße
Begleiterscheinung sein können. Garantieren zufriedene
Mitarbeiter den Unternehmenserfolg? Oder schlägt sich der Erfolg
eines Unternehmens positiv in der Zufriedenheit seiner
Mitarbeiter nieder? Kausalität oder Korrelation? Wer vermag es zu
sagen!
Wie Rosenzweig in einer brillanten Analyse zeigt, schrumpft
der Halo-Effekt die auflagenträchtigen Erfolgsrezepte zu reinen
Plausibilitätsvermutungen. "Was über Unternehmen gesagt wurde,
die Erfolg hatten", sei der angemessene Titel für diese Sorte von
Managementliteratur, schreibt der Autor süffisant: "Von
performancestarken Unternehmen wird
gesagt, sie hätten eine klare und fokussierte Strategie.
Ihre Kultur wird als leistungsorientiert
wahrgenommen. Man
attestiert ihnen eine gute Ausführung. Und ihre
Organisation
erscheint den Menschen als flach und effizient."
Wahrnehmung ist immer Konstruktion.
Dabei sind der Halo-Effekt und die Verwechslung von Ursache
und Wirkung sowie von Korrelation und Kausalität nicht einmal die
einzigen Täuschungen, die unser wirtschaftliches Denken
beeinflussen und die Managementliteratur durchziehen. Hinzu
kommt, dass viele Studien auf einen einzelnen Erfolgsfaktor
setzen und so der "Illusion der einzig wahren Erklärung"
erliegen. Weil aber in einem komplexen Umfeld vieles miteinander
zusammenhängt, ist der Beitrag einzelner Faktoren geringer als
angenommen. Und: Wer nur Sieger miteinander vergleicht, bekommt
niemals in den Blick, wodurch sie sich von Verlierern
unterscheiden. Zudem ist dauerhafter Erfolg eine Illusion - von
den Superperformern der Erfolgsbücher schwächelte wenige Jahre
später ein beträchtlicher Teil, wie der Autor vorrechnet. Nicht
zuletzt ist Erfolg nichts Absolutes: Ein Unternehmen kann sich
sehr wohl nach absoluten Maßstäben verbessern, aber doch
gegenüber seinem Wettbewerber den Kürzeren ziehen. Weil der eben
noch besser ist. Kurzum: Die Wirtschaftswelt ist nicht so
eindeutig, wie einfache Erfolgsformeln glauben machen.
Ständiger Wandel, schöpferische Zerstörung, Komplexität, Risiko.
Diese Täuschungen sind wiederum
nicht zufällig. Sondern Ausdruck jenes mechanistischen
Weltverständnisses, das die Wirtschaftswissenschaft in ihrer
Entstehungszeit geprägt hat. Sie wollte Physik sein und forschte
nach den Quasi-Naturgesetzen der Wirtschaftswelt. Und das wirkt
immer noch nach. So schrieb Jim Collins in
Der Weg zu den Besten, er suche nach den "zeitlosen
Prinzipien - den physikalischen Gesetzen der unternehmerischen
Spitzenleistung". Gesetzen, "die ihre Gültigkeit auch dann
behalten, wenn sich die Welt um uns herum verändert". Gesetze wie
Naturgesetze, das ist physikalisches Wirtschaftsverständnis in
Reinform. Das aber wird der Komplexität des Wirtschaftsgeschehens
nicht gerecht. Die Wirtschaft ist das komplexeste System, das der
Mensch hervorgebracht hat. In ihr herrscht permanenter Wandel,
angetrieben vom Motor der Innovation, von Schumpeters
"schöpferischer Zerstörung". Nicht Stabilität und Beständigkeit
prägen die Wirtschaftswelt, sondern das beständige Ringen um
Vorteile im Wettbewerb mit anderen Unternehmen. Die einen haben
Erfolg, die anderen bleiben auf der Strecke - eben darin besteht
der Prozess der Verbesserung. Dieses dynamische, ruhelose
Wettbewerbsumfeld aber kommt in der Erfolgsformelwelt der
Business-Ratgeber nicht vor. Sie lullen ein, gaukeln eine
beherrschbare Welt vor. Es geht um eine "Reise nach
Wohlfühlistan", wo alles möglich, alles erreichbar, aber nichts
mit Risiko behaftet ist.
Nur: Strategische Entscheidungen ohne Risiko gibt es nicht.
Immer wenn ein Unternehmen eine Entscheidung trifft, wie es sich
in einer komplexen und dynamischen Umwelt verhält, ist Risiko im
Spiel. Welche Entscheidung erfolgreich ist und welche nicht,
lässt sich erst im Nachhinein sagen. Erfolg ist trügerisch, sagt
Rosenzweig, die Unternehmensperformance bleibt in einem nicht
unerheblichen Ausmaß unberechenbar. Was tun? "Umsichtige und
vorausschauende Manager erhöhen ihre Erfolgswahrscheinlichkeit,
indem sie den Unsicherheitsfaktor akzeptieren und bewusst in
ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigen."
Winfried Kretschmer ist leitender Redakteur und Geschäftsführer bei changeX.
Phil Rosenzweig:
Der Halo-Effekt.
Wie Manager sich täuschen lassen.
Aus dem Amerikanischen von Nikolas Bertheau.
GABAL Verlag, Offenbach 2008,
280 Seiten, 24.90 Euro.
ISBN 978-3-89749-789-4
www.gabal-verlag.de
www.the-halo-effect.com
© changeX [19.02.2008] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Phil Rosenzweig: Der Halo-Effekt. . Wie Manager sich täuschen lassen. Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Bertheau. . GABAL Verlag, Offenbach 1900, 280 Seiten, ISBN 978-3-89749-789-4
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Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.
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