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In Zukünften denken

Folge 16 der Serie Zukunft der Zukunft
Essay: Alexander Fink und Andreas Siebe

Zukunft ist Nichtwissen. Zunächst. Obwohl wir grundsätzlich nicht wissen können, was kommen wird, gestalten wir mit unserem Handeln heute Zukunft mit. Und machen uns Bilder und Vorstellungen von der Welt von morgen. Welche Zugänge wir zur Zukunft entwickeln können, davon handelt diese Serie. In Folge 16 beschreiben Alexander Fink und Andreas Siebe, wie wir lernen, in Zukünften zu denken. Und fragen: Sind Alternativen wirklich alternativlos?

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Abstract: Prognosen beschreiben auf der Grundlage der Vergangenheit, wie die Zukunft voraussichtlich aussehen wird, Trends identifizieren bereits heute erkennbare Veränderungsimpulse. Beide Methoden scheiterten nicht nur darin, die Zukunft exakt vorherzusagen, ihnen gelang es auch nicht, zentrale Strukturbrüche zu erkennen. Dies ließ Szenarien zunehmend an Bedeutung gewinnen. Ein Szenario beschreibt eine von mehreren Zukünften, die auf einer schlüssigen Kombination denkbarer Entwicklungsannahmen beruht. In Situationen mit hoher Komplexität und Ungewissheit vermitteln Szenarien ein Verständnis davon, wie sich die Zukunft entwickeln könnte. Szenarien sind als Denk- und Planungswerkzeuge zu verstehen. Ihre Wirkung in Organisationen geht aber über die Unterstützung von Strategie- und Früherkennungsprozessen hinaus: Sie geben Orientierung, verändern Denkmuster, strukturieren Dialoge, lenken Kommunikation und ermöglichen allen Beteiligten eine gemeinsame Zukunftssicht. Um dies zu erreichen, müssen Szenarien neben der faktischen auch eine emotionale Perspektive haben.


In Zukünften denken ...


"Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel" - dieses Zitat des österreichischen Philosophen Paul Watzlawick bringt ein Unternehmen zum Nachdenken, das sich die Entwicklung und Nutzung von Szenarien auf die Fahnen geschrieben und in den vergangenen 15 Jahren rund 400 Szenarioprozesse begleitet hat. Wann ist es sinnvoll, Szenarien zu entwickeln - und wie ordnen sich Szenarien in den Kontext des Zukunftsmanagements ein? Diesen Fragen wollen wir nachgehen. 

Beim Umgang mit der Zukunft versuchen wir traditionell, auf Basis sicherer Prognosen zu planen. Prognosen beschreiben dabei, wie die Zukunft (voraussichtlich) aussehen wird - getrieben durch unser Sicherheitsbedürfnis vielfach auf Basis umfangreicher Vergangenheitsdaten. Planungen setzen auf solchen Prognosen auf, enthalten aber auch eigene Entscheidungen über das, was man selbst tun oder lassen und wie man es umsetzen will. In der Praxis kommt es allerdings häufig zu Fehlprognosen (1), die schließlich in Fehlplanungen münden - oder wie Albert Einstein sagte: "Planung ersetzt Zufall durch Irrtum." 

Solche Fehlprognosen sowie zunehmende Veränderungen in unseren Umfeldern führen dazu, dass neben vergangenheitsbezogenen Informationen auch Trends - also in der Regel bereits heute erkennbare Veränderungsimpulse - identifiziert und in das eigene Handeln einbezogen werden. Das dafür genutzte Instrumentarium ist vielfältig, was allein an den geläufigen Begriffen wie Trendforschung, Trendmanagement, Trendanalyse, Trendradar oder Trendportfolio deutlich wird. Doch auch hier gibt es eine Vielzahl von Beispielen, die zeigen, wie selbst renommierte Experten (und Trendforscher!) die Zukunft nicht nur nicht exakt vorhersagen konnten, sondern zentrale Strukturbrüche überhaupt nicht erkannt hatten. (2)  

Daher gewinnt ein drittes Werkzeug zunehmend an Bedeutung - sogenannte Szenarien. (3) Sie unterscheiden sich von Prognosen und Trends anhand von zwei Denkweisen:  

Zukunftsoffenes Denken: Aufgrund der Ungewissheit in politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und technischen Umfeldern sowie in konkreten Branchen und Handlungsfeldern wird nicht mehr versucht, die Zukunft exakt vorherzusagen. Stattdessen werden gezielt mehrere, vorstellbare Zukunftsbilder entwickelt und beschrieben.  

Vernetztes Denken: Die Vielfalt der unternehmerischen Umfelder hat sich durch Globalisierung, Digitalisierung und sich verändernde Ansprüche und Anspruchsgruppen stetig erhöht. Hinzu kommt, dass die Dynamik der Änderungsprozesse im Umfeld ständig zunimmt. Daher haben wir es in der Regel mit komplexen Systemen zu tun, die adäquat nur durch vernetztes oder systemisches Denken gehandhabt werden können.  

Die Kombination von zukunftsoffenem und vernetztem Denken führt zur Definition eines Szenarios. Darunter wird eine von mehreren Zukünften verstanden, die auf einer schlüssigen Kombination denkbarer Entwicklungsannahmen beruht. Insofern sind Trends und Szenarien die Werkzeuge, die Veränderungsimpulse aufnehmen - wobei Szenarien aufgrund der Zukunftsoffenheit und Vernetzung als weitreichender angesehen werden können. Unter Szenario-Management (4) verstehen wir dann ein übergreifendes Rahmenkonzept, bei dem Szenarioentwicklung und strategische Nutzung der Szenarien unmittelbar miteinander verknüpft sind. Insofern kombiniert es das zukunftsoffene und vernetzte Denken mit dem strategischen Denken, bei dem es zusätzlich um die Identifikation und Nutzung von Erfolgspotenzialen geht. (5)  

Unsere Erfahrung ist, dass es eine Vielzahl von Situationen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft gibt, in denen zukunftsoffenes und vernetztes Denken dringend geboten sind - und in denen Szenarien insofern ein sinnvolles Instrument sind (oder wären). Unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Nutzung von Szenarien ist aber Ergebnisoffenheit - also die Bereitschaft, aus den Szenarien auch Konsequenzen zu ziehen, wenn dies notwendig sein sollte.


Wie Szenarien entwickelt werden


Szenarien sind keine Strategien. Sie beschreiben klassischerweise, wie sich Rahmenbedingungen in der Zukunft verändern könnten, sind also so etwas wie der Wetterbericht für unser Handeln in der Zukunft. Bei ihrer Erstellung ist zunächst zu überlegen, ob und in welcher Form Wahrscheinlichkeiten im Szenarioprozess berücksichtigt werden sollen. Hier trifft man auf zwei Denkschulen. Viele Szenariodenker lehnen die Nutzung von Wahrscheinlichkeiten kategorisch ab - vor allem, da sie ihre Zukunftsbilder primär als Denkwerkzeuge verstehen. Dem stehen Planungsverantwortliche gegenüber, die Szenarien möglichst früh und genau quantifizieren und in ihren Planungsprozess integrieren möchten.  

Nach unserer Erfahrung müssen Szenarien sowohl als Denk- als auch als Planungswerkzeuge verstanden werden. Dabei ist es notwendig, zwischen Szenarioentwicklung und Szenariobewertung zu unterscheiden. Im Rahmen der Szenarioentwicklung werden alternative Zukunftsbilder entworfen - und zwar als Denkwerkzeuge ohne die Betrachtung von Wahrscheinlichkeiten. Durch die anschließende Bewertung dieser Szenarien wird aus den Zukunftsbildern zusätzlich ein Planungswerkzeug. Dazu ist es allerdings notwendig, dass die zuvor entwickelten Szenarien den Zukunftsraum möglichst weitreichend abbilden.  

Die Ansätze der Szenarioentwicklung werden vor allem anhand von zwei Formen der Szenariokonstruktion unterschieden: Bei einer modellgestützten Logik werden "bottom-up" einzelne Szenarioelemente systematisch und vollständig verknüpft, während bei einer intuitiven Logik die Themen der einzelnen Szenarien "top-down" definiert und später zu kompletten Szenarien ergänzt werden. Da der Bottom-up-Ansatz (Szenariotechnik) vor allem in Kontinentaleuropa und der Top-down-Ansatz (scenario planning) im angloamerikanischen Raum Verwendung finden, wird umgangssprachlich auch vom "German way of scenario construction" und dem "Californian way of scenario construction" gesprochen.  

In der Praxis versteht man unter Szenario-Management (auch) eine spezifische Form der Szenarioentwicklung. (6) Dies wird deutlich, wenn man neben der Konstruktion der Szenariothemen auch den Ansatz der Vorausschau betrachtet. Während hier die klassischen Ansätze eher eindimensional vorgehen (beispielsweise ein Faktor steigt, fällt oder bleibt konstant), werden im Szenario-Management gezielt mehrere Dimensionen identifiziert, abgewogen und im Szenarioprozess berücksichtigt. Insofern lassen sich vier Ansätze der Szenarioentwicklung unterscheiden:  

Traditionelle Szenarioplanung: Bei diesem angloamerikanischen Ansatz sind die Szenarien in der Regel prägnant und zielgruppengerecht beschrieben - aber ihre Konstruktion ist nur partiell nachvollziehbar. Außerdem führt die starke Ausrichtung der Szenarien an ihrer Kommunikationsfähigkeit zu einer Begrenzung ihrer Anzahl - in der Regel auf vier Szenarien. So bleiben signifikante Bereiche des Möglichkeitsraums unbeschrieben, und die Nutzbarkeit der Szenarien im Rahmen der Strategie- und Planungsprozesse ist eingeschränkt. (7)  

Traditionelle Szenariotechnik: Systematische Ansätze auf Basis eindimensionaler Projektionen werden in der Mehrzahl der Szenarioentwicklungen in Kontinentaleuropa genutzt. Diese Szenarien sind nachvollziehbar, weisen aber aufgrund ihrer eindimensionalen "Bausteine" eine Tendenz zu "Schwarz-Weiß-Szenarien" auf, was wiederum die Akzeptanz der Ergebnisse negativ beeinflusst. (8)  

Szenario-Management mit Konsistenzanalyse: Hier führt die Kombination der mehrdimensionalen Zukunftsprojektionen entsprechend der Szenariotechnik tendenziell zu einer höheren Anzahl von Szenarien, die den Möglichkeitsraum weitgehender beschreiben und insofern die Nutzbarkeit der Szenarien für Strategie- und Planungsprozesse deutlich erhöhen.  

Szenario-Management mit Morphologie: Zudem werden mehrdimensionale Projektionen auch als Basis für einen Top-down-Ansatz verwendet. Dabei werden die Vorteile eines intuitiven Vorgehens (beispielsweise die direkte Einbindung des Szenarioteams oder der Verzicht auf den Einsatz einer Szenariosoftware) genutzt, ohne dabei den Anspruch einer möglichst weitgehenden Beschreibung des Möglichkeitsraums aufzugeben.  

Unsere Erfahrung ist, dass ein guter Szenarioprozess eine Mischung aus systematischen und kreativen Phasen beinhaltet. Er ist also weder eine Simulation im Sinne eines "Weltmodells" noch ein Produkt eines "Genius Forecasting". Die verwendete Methodik sollte allerdings auf die Nutzungssituation angepasst sein.


Wann Szenarien entwickelt werden


In den vergangenen Jahren hat sich der Kreis von Unternehmen und Organisationen, die Szenarien einsetzen, deutlich erweitert. Inzwischen nutzen auch viele mittelständische Unternehmen, Geschäfts- und Funktionsbereiche großer Konzerne sowie der öffentliche Sektor alternative Zukunftsbilder, um sich auf die Zukunft vorzubereiten. Dennoch gibt es ein Dilemma, welches den weiteren Einsatz von Szenarien einschränkt: In Boomzeiten lassen sich Szenarien besonders gut nutzen, da es einen hohen Spielraum für strategische Entscheidungen gibt. Gleichzeitig werden Unternehmen aber durch ihre Erfolge dazu verleitet, Risiken auszublenden - die empfundene Unsicherheit ist gering, und damit auch der Druck, alternative Zukunftsbilder zu entwerfen. Dieses Verhältnis kehrt sich in Krisenzeiten um. Nun wird die Zukunft zwar als unsicher wahrgenommen - und der Wunsch, Szenarien zu entwickeln, ist sehr ausgeprägt -, aber der Spielraum für strategische Entscheidungen ist aufgrund des operativen Krisenmanagements eher gering. Gleichzeitig mangelt es im Boom an personellen und in der Krise an finanziellen Ressourcen, sodass Szenarien verstärkt in Auf- und Abschwungphasen genutzt werden, wenn kein Ressourcenengpass vorliegt und die beiden oben beschriebenen Effekte einander ausgleichen.  

Haben Unternehmen Szenarien entwickelt, so liegt quasi eine "Landkarte der Zukunft" auf dem Tisch, die ihnen bei der strategischen Entscheidungsfindung - also im übertragenen Sinne bei der Reiseplanung - hilft. Dies bedeutet aber nicht, dass die Szenarien anschließend für mehrere Jahre (oder für immer) im Schrank verschwinden sollten. Vielmehr ist es so, dass Szenarien aufgrund ihrer langen Laufzeit einen Rahmen für strategische Früherkennungs- beziehungsweise Corporate-Foresight-Prozesse bilden können. Dabei ist es sinnvoll, die Landkarte in regelmäßigen Abständen zur Hand zu nehmen und zu überprüfen, ob sich Märkte, Branche und Umfelder in der erwarteten Weise entwickelt haben. (9)  

An dieser Stelle sollte das Zusammenspiel von Trends und Szenarien beachtet werden. Ist ein Unternehmen sehr stark und einseitig auf die Betrachtung von Trends ausgerichtet - beispielsweise in der Konsumgüterindustrie -, dann fällt ihm das Denken in Szenarien schwerer, weil damit gleichzeitig ein Loslassen dieser eindimensionalen Zukunftsannahmen verbunden ist. Wir empfehlen daher bei der Konzeption von Zukunftsprozessen einen Top-down-Ansatz, bei dem zunächst Szenarien die Orientierung geben und anschließend ihre Bewertung mit einem Trendmanagement verknüpft wird.  

Unsere Erfahrung ist, dass ein guter Zeitpunkt für den Einsatz von Szenarien häufig nicht von äußeren Umständen abhängt (denn Unsicherheit und Komplexität liegen heute in den meisten Branchen vor), sondern eher von der Bereitschaft der Organisation, sich vom alten Planungsparadigma zu lösen und "in Szenarien zu denken". Ist dieser Schritt gemacht, sind Szenarien ein geeigneter Ankerpunkt für kontinuierliche Zukunftsprozesse.


Sind Alternativen wirklich alternativlos?


Es gibt einige sprachliche Feinheiten, die uns in der ScMI AG erfreuen - beispielsweise das Vorkommen des Wortes "Zukünfte" im Duden. Eine besondere Freude war auch die Entscheidung der Gesellschaft für deutsche Sprache, das Wort "alternativlos" zum Unwort des Jahres 2010 zu küren. Hintergrund ist, dass wir seit vielen Jahren nicht nur die klassischen Umfeldszenarien entwickeln, sondern auch sogenannte "Strategieszenarien".  

Dabei war der Begriff lange Zeit umstritten. Noch vor einigen Jahren lehnte es einer der bekannten Szenarioplaner ab, den Begriff "strategy scenario" zu verwenden, da für ihn Szenarien ausschließlich das Umfeld betreffen. Heute haben auch die Vertreter des traditionellen Scenario-planning-Ansatzes erkannt, dass es häufig nicht mehr ausreicht, nur das zukünftige Umfeld vorauszudenken und anschließend daraus Konsequenzen abzuleiten. Es gibt einfach zu viele und zu stark voneinander abhängende Optionen. So wird deutlich, dass zukunftsoffenes Denken nicht auf das Umfeld begrenzt werden darf, sondern dass es auch für das eigene Handlungsfeld - das Unternehmen, den Geschäftsbereich oder die Organisation - mehrere denkbare Zukünfte gibt.  

Im Rahmen eines klassischen Planungsprozesses blenden Unternehmen diese "Selbstunsicherheit" häufig aus. Gefordert wird meistens die zügige Entwicklung einer eindeutigen Vision und einer klaren Strategie. Auf dem Weg zu dieser Strategie mehrere Umfeldszenarien zu entwickeln wird gerade noch toleriert, wenn daraus nur möglichst schnell eine Strategie entsteht. Die Folgen dieses Verzichts auf die Betrachtung des eigenen Möglichkeitsraums können gravierend sein: Unter dem Deckmantel der beschlossenen Vision und Strategie entfalten die alternativen Zukunftsvorstellungen der beteiligten Führungskräfte ein gefährliches Eigenleben. Beispielsweise divergieren die konkreten Maßnahmen, sodass zwar alle meinen, die Strategie umzusetzen, sie in der Praxis aber in unterschiedliche Richtung agieren. Auch nicht geklärte Begriffsdefinitionen, nicht ausgetragene Konflikte, unbefriedigte Wünsche und nicht berücksichtigte Ängste tragen oftmals zum Scheitern der Strategieumsetzung bei.  

Bei der Entwicklung alternativer Strategieszenarien werden diese Konflikte offen angesprochen und in einem systematischen Prozess ausgetragen. Hier bringen die Führungskräfte ihre persönlichen Ideen und Vorstellungen von der eigenen Zukunft ein und verknüpfen diese systematisch zu mehreren Strategiealternativen. Dies ermöglicht eine wirklich strategische Diskussion über Ziele und einzuschlagende Wege in die Zukunft. Zudem erweitern Strategieszenarien den eigenen Handlungsraum. So leitet sich aus Umfeldszenarien die Frage ab: "Was könnte passieren?" Ein Unternehmen, das sich an solchen Umfeldern ausrichtet, geht aber nicht automatisch offensiv mit der Zukunft um, sondern reagiert - wenn auch erfreulich früh - auf seine Umgebung. Strategieszenarien sind hingegen "proaktive Szenarien". Sie beschreiben, wie ein Unternehmen mit der Zukunft umgehen könnte. Hier müssen Planer und Entscheider nicht abwarten, wie sich das Umfeld entwickelt, sondern sind aufgefordert, jetzt und unmittelbar selbst aktiv zu werden.  

Unsere Erfahrung ist, dass Strategieszenarien ein geeignetes Werkzeug sind, um die Brücke zwischen Umfeldszenarien auf der einen und konkreten Strategien auf der anderen Seite zu schlagen. Insofern nimmt der Anteil der von uns betreuten Strategieprojekte, in denen Strategieszenarien genutzt werden, noch immer zu. Als "alternativlos" würden wir ihren Einsatz nicht bezeichnen - aber man braucht schon gute Argumente, um auf das Durchdenken von Strategiealternativen zu verzichten.


Unser Modell des Zukunftsmanagements


Was ist eigentlich Zukunftsmanagement? Wir antworten mit zwei Gegenfragen: Was ist ein Management, das nicht in die Zukunft schaut? Zum Scheitern verurteilt. Und was ist eine Zukunft, die nicht gemanagt wird? Brotlose Kunst. Damit ist Zukunftsmanagement mehr als Zukunftsforschung - und es ist mehr als Planung, sogar mehr als strategische Planung. Auf sich gestellte Zukunftsforschung ist für Unternehmen und Organisationen ebenso wenig nutzbringend wie kurzlebige Pläne oder "Strategien", die sich nur an der gegenwärtigen Realität orientieren. Zukunftsmanagement erfolgt im Unternehmen auf drei Ebenen:  

  • Auf der strategischen Ebene entscheidet ein Unternehmen oder eine Organisation über die Vision. Darunter verstehen wir die grundsätzlichen und häufig normativen Ziele, wie sie beispielsweise in Leitbildern formuliert werden, sowie die wesentlichen strategischen Zielpositionen wie die strategische Positionierung und die Kernkompetenzen.

  • Auf der taktischen Ebene erfolgt die Umsetzung der Vision in ein Geschäftsmodell und konkrete Roadmaps. Dabei werden Ziele konkretisiert, Strategie-, Produkt- oder Technologie-Roadmaps entworfen, und es wird das Verhalten im Wettbewerb simuliert.

  • Auf der operativen Ebene wird diese Leitlinie in Form von konkreten Planungen umgesetzt. Hier werden Geschäftspläne erstellt, Investitionsentscheidungen getroffen, Risiken identifiziert und bewertet sowie Krisen verhindert oder bewältigt.

Der in der Praxis unterschiedlich verwendete Strategiebegriff lässt sich dabei auf mehrere Arten interpretieren: Zum einen kann die Vision auch als "Strategie" verstanden werden. Dann sind Roadmaps und Planungen als Elemente der Strategieumsetzung anzusehen. Zum Zweiten kann eine Strategie auch als Verknüpfung von Vision und Roadmap interpretiert werden, die in konkreten Planungen umgesetzt wird. In der am weitesten gehenden Interpretation - wenn eine Strategie als "der Weg zu einem Ziel" verstanden wird - lassen sich auch alle drei Elemente als Bestandteile einer Strategie begreifen. Auf allen drei Ebenen müssen zukünftige externe Entwicklungen berücksichtigt werden. Allerdings unterscheiden sich die dazu notwendigen Instrumente:  

  • Auf der operativen Ebene ist es notwendig, kurzfristig ein möglichst klares Bild von der Zukunft zu erhalten. Daher kommen hier schwerpunktmäßig quantitative und auf Extrapolationen beruhende Prognosen zum Einsatz.

  • Auf der taktischen Ebene reicht diese Beschreibung der Zukunft nicht mehr aus oder sie ist schlichtweg nicht mehr leistbar. Hier werden mittelfristig anstehende oder bereits erkennbare Veränderungen in Form von Trends identifiziert und bei der Entscheidung berücksichtigt.

  • Auf der strategischen Ebene, das heißt bei der langfristigen Vorausschau und der strategischen Ausrichtung des Unternehmens, reicht auch eine einfache Trendbetrachtung nicht mehr aus. Hier werden - wie zuvor beschrieben - Szenarien zu einem zentralen Denk- und Planungswerkzeug.

Das Modell verdeutlicht auch einen Konflikt, auf den wir in den vergangenen Jahren immer wieder gestoßen sind: Viele Anwender wünschen sich, ihre Szenarien direkt in einen quantitativen Planungsprozess zu überführen. Dies ist in der Regel ein Anspruch, den Szenarien so nicht erfüllen können und sollen. Bei der Nutzung von Szenarien geht es vielmehr um die enge Verzahnung von "strategisch relevanten Zukünften" und "zukunftsfähigen Strategien" - oder einfacher: um die Verzahnung von Zukunft und Strategie.  

Unsere Erfahrung ist, dass sich - auch wenn die Abgrenzung der Kategorien nicht immer trennscharf ist - das Drei-Ebenen-Modell des Zukunftsmanagements gut eignet, um die verschiedenen Werkzeuge einzuordnen und die Rolle von Szenarien im Werkzeugkasten der Zukunftsforscher zu erklären: Überall dort, wo strategische Entscheidungen zu treffen sind oder wo Komplexität und Ungewissheit die Nutzung einfacher Trendprognosen schwierig machen, können Szenarien als geeignetes Instrument angesehen werden.


Fazit


Im Jahr 2013 blicken wir auf 20 Jahre Szenarioentwicklung und 15 Jahre ScMI AG zurück. Unser Fazit bezüglich der Nutzung von Szenarien lässt sich dabei in sechs Punkten zusammenfassen:  

Erstens: In Situationen mit hoher Komplexität und Ungewissheit vermitteln Szenarien ein Verständnis davon, wie sich die Zukunft entwickeln könnte. Grundlage dafür ist die Bereitschaft, sich vom Anspruch der eindeutigen Prognostizierbarkeit zu lösen.  

Zweitens: Damit Szenarien diese Funktion als Denkwerkzeug erfüllen können, sollte mehrdimensional vorausgedacht, der Zukunftsraum möglichst weitgehend abgebildet und auf die Betrachtung von Wahrscheinlichkeiten verzichtet werden.  

Drittens: Szenarien können zusätzlich auch als Strategie- und Planungswerkzeug genutzt werden. In diesem Fall schließt sich an die Szenarioentwicklung eine Szenariobewertung an, die als kontinuierlicher Prozess gestaltet werden kann.  

Viertens: Szenarien sind nicht mehr auf die Betrachtung von Umfeldern begrenzt. Strategieszenarien stellen ein zentrales Bindeglied zwischen klassischen Umfeldszenarien und konkreten Strategien dar.  

Fünftens: In diesem Sinne sind Szenarien zunächst ein Werkzeug zur Unterstützung strategischer Entscheidungen. Daneben können sie als wichtiger Ankerpunkt für strategische Früherkennungs- und Corporate-Foresight-Prozesse verstanden werden.  

Sechstens: Die Wirkung von Szenarien in Organisationen geht über die Unterstützung von Strategie- und Früherkennungsprozessen hinaus - indem sie Orientierung geben, Denkmuster verändern, Dialoge strukturieren, Kommunikation lenken und letztlich allen Beteiligten eine gemeinsame Zukunftssicht ermöglichen. Um dies zu erreichen, müssen Szenarien neben der faktischen auch eine emotionale Perspektive haben.  

Bleibt die Frage nach dem Hammer und dem Nagel. Szenarien sind natürlich kein Universalwerkzeug, denn es gibt weiterhin viele Situationen, in denen Prognosen und Trends sinnvoll genutzt werden. Aber gleichzeitig sind die Einsatzmöglichkeiten für Szenarien noch längst nicht erschöpft: Konzerne, Geschäftsbereiche, mittelständische Innovatoren, Organisationen und Verbände sowie öffentliche Institutionen werden zukünftig verstärkt in Zukünften denken. Oder anders ausgedrückt: Zukunftsmanagement bleibt wohl ein Bohren dicker Bretter, aber um diese zusammenzuführen, brauchen wir mehr Nägel - und einen sehr guten Hammer.  


Literaturnachweise

(1) Brater 2011; Fink/Siebe 2011, S. 18 ff.; Gardner 2011  

(2) Bazerman/Watkins, 2004; Courtney 2001; Taleb 2008  

(3) Fink/Siebe 2011  

(4) Szenario-ManagementTM ist eine eingetragene Marke der Scenario Management International AG in Paderborn  

(5) Gälweiler 1991; Gausemeier/Fink 1999  

(6) Fink/Schlake/Siebe 2000; Fink/Schlake/Siebe 2001; Gausemeier/Fink/Schlake 1996  

(7) Chermack 2011; Heijden 1996; Kahane 2012; Lindgren/Bandhold 2003; Ralston/Wilson 2006; Schoemaker 1995; Schoemaker 2002; Schwartz 1991  

(8) Götze 1991; Reibnitz 1991  

(9) Burmeister/Neef/Beyers 2004; Day/Shoemaker 2006; Fink/Siebe 2011; Fink/Siebe/Marr 2002; Rohrbeck 2011  


Literatur

Bazerman, Max H. / Watkins, Michael D.: Predictable Surprises. The Disasters you Should have seen coming and how to prevent them. Harvard Business School Press, Boston 2004  

Brater, Jürgen: Keine Ahnung, aber davon viel. Die peinlichsten Prognosen der Welt. Ullstein, Berlin 2011  

Burmeister, Klaus / Neef, Andreas / Beyers, Bert: Corporate Foresight. Unternehmen gestalten Zukunft. Murmann, Hamburg 2004  

Chermack, Thomas J.: Scenario Planning in Organizations. How to Create, Use and Assess Scenarios. Berrett-Koehler, San Francisco 2011  

Courtney, Hugh: 20|20 Foresight. Crafting Strategy in an Uncertain World. Harvard Business School Press, Boston 2001  

Day, George S. / Schoemaker, Paul J. H.: Peripheral Vision. Detecting the Weak Signals That Will Make or Break your Company. Harvard Business School Press, Boston 2006  

Fink, Alexander / Schlake, Oliver / Siebe, Andreas: "Wie Sie mit Szenarien die Zukunft vorausdenken. Was Szenarien für die Früherkennung leisten und wie sie konkrete Entscheidungen unterstützen". In: Harvard Businessmanager 2/2000, S. 34-47  

Fink, Alexander / Schlake, Oliver / Siebe, Andreas: Erfolg durch Szenario-Management. Prinzip und Werkzeuge der strategischen Vorausschau. Campus, Frankfurt am Main / New York 2001  

Fink, Alexander / Siebe, Andreas: Handbuch Zukunftsmanagement. Werkzeuge der strategischen Planung und Früherkennung. 2. aktualisiert und erweiterte Auflage, Campus, Frankfurt am Main / New York 2011  

Fink, Alexander / Siebe, Andreas / Marr, Bernard: "The future scorecard. The benefits of a Combination of Future Scenarios with Performance Measurement". In: Nealy, A. / Walters, A. / Austin, R. (Hrsg.): Performance Measurement and Management 2002 - Research and Action. Centre for Business Performance, Cranfield School of Management, Cranfield 2002  

Gälweiler, Aloys: Strategische Unternehmensführung, zusammengestellt, bearbeitet und ergänzt von Markus Schwaninger. 2. Auflage, Campus, Frankfurt am Main / New York 1991  

Gardner, Dan: Future Babble. Why Expert predictions are next to worthless. And You can do better. Penguin, New York 2011  

Gausemeier, Jürgen / Fink, Alexander: Führung im Wandel. Ein ganzheitliches Modell der zukunftsorientierten Unternehmensgestaltung. Hanser, München 1999  

Gausemeier, Jürgen / Fink, Alexander / Schlake, Oliver: Szenario-Management. Planen und Führen mit Szenarien. 2. Auflage, Hanser, München 1996  

Götze, Uwe: Szenario-Technik in der strategischen Unternehmensplanung. Deutscher Universitäts-Verlag, Wiesbaden 1991  

Heijden, Kees van der: Scenarios. The Art of Strategic Conversation. Wiley, Chichester 1996  

Kahane, Adam: Transformative Scenario Planning. Working together to Change the Future. Berrett-Koehler, San Francisco 2012  

Lindgren, Mats / Bandhold, Hans: Scenario Planning. The Link between Future and Strategy. Palgrave Macmillan, Hampshire 2003  

Ralston, Bill / Wilson, Ian: The Scenario Planning Handbook. Developing Strategien in Uncertain Times. Thomson Higher Education, Mason 2006  

Reibnitz, Ute von: Szenariotechnik. Instrumente für die unternehmerische und persönliche Erfolgsplanung. Gabler, Wiesbaden 1991  

Ringland, Gill: Scenario Planning. Managing for the Future. Wiley, Chichester 1998  

Rohrbeck, Rene: Corporate Foresight - Towards a Maturity Model for the Future Orientation of a Firm. Springer, Berlin/Heidelberg 2011  

Schoemaker, Paul J. H.: Profiting from Uncertainty. Strategies for Succeeding No Matter What the Future Brings. Free Press, New York 2002  

Schoemaker, Paul J. H.: "Scenario Planning - A Tool for Strategic Thinking". In: Sloan Management Review, Winter 1995, pp. 25-40  

Schwartz, Peter: The Art of the Long View. Planning for a Future in an Uncertain World. Currency Doubleday, New York 1991  

Taleb, Nassim Nicholas: Der Schwarze Schwan. Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse. Hanser, München 2008  


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: Erfolg durch Szenario-Management. Prinzip und Werkzeuge der strategischen Vorausschau. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2001, 310 Seiten, 39.90 Euro, ISBN 978-3-593367149

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: Handbuch Zukunftsmanagement. Werkzeuge der strategischen Planung und Früherkennung. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2011, 384 Seiten, 52 Euro, ISBN 978-3-593395500

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Autor

Alexander Fink und Andreas Siebe
Alexander Fink und Andreas Siebe

Dr. Alexander Fink und Dr. Andreas Siebe sind Gründungsinitiatoren und Vorstandsmitglieder der ScMI Scenario Management International AG, Paderborn.

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