Wie von Sinnen kaufen
Der programmierte Kunde - das neue Buch von Werner Warmbier.
Von Sascha Hellmann
Werbung war gestern. Nun kommt Neuromarketing. Uns erwartet ein Frontalangriff auf die Sinne, sagt ein Konsumforscher. Denn Neuromarketing nutzt die Erkenntnisse der Hirnforschung, um direkt auf unsere Gefühle einzuwirken - und uns zum Kauf zu beflügeln. Ziel ist der Kunde als loyaler Fan. Zur Marionette freilich wird er nicht, denn es wächst auch das Wissen um die Strategien modernen Marketings. / 06.06.08
Warmbier CoverHomo oeconomicus geht an einem heißen Sommernachmittag spazieren und kommt an einer Eisdiele vorbei. Bewusst und wohlüberlegt ruft er routinemäßig sein Entscheidungsprogramm ab: "Könnte ich als rationaler Verbraucher und fundierter Kenner der Eis-Szene, nach Abwägen aller Vor- und Nachteile eines sofortigen Konsums und reiflicher Bewertung des preislichen Angebots der in erreichbarer Nähe sich befindenden Konkurrenz zu dem Entschluss kommen, dass ich einen Eisbecher stark begehre?" Homo oeconomicus wird wissen, welche Entscheidung er in dieser Situation zu treffen hat. Denn lupenreine Rationalität bestimmt seinen Entschluss. Keine Chance für Spontankäufe bei diesem Verbraucher, da er sinnliche Eindrücke samt Wirkungen stets genau analysiert und sich daher keine gefühlsgeleiteten Kurzschlusshandlungen ergeben. Das Problem ist nur: "Homo oeconomicus, der Inbegriff glasklaren Bewusstseins und Prediger eiskalten Kalküls, ist tot. Es lebe Homo neurooeconomicus", schreibt der Konsumforscher Werner Warmbier in seinem neuen Buch Der programmierte Kunde. Neuromarketing - Frontalangriff auf die Sinne, in dem er zentrale Erkenntnisse aus Hirnforschung und Sinnesphysiologie erklärt und beschreibt, wie die Marketingbranche diese Erkenntnisse zu nutzen versucht. Ihr Ziel ist der programmierte, der manipulierte Kunde, der sieht, hört, fühlt, schmeckt und riecht, womit Marketingexperten ihn in ihren immer intensiver wirkenden Kampagnen berieseln, um ihn wie von Sinnen bei ihren Produkten zuschlagen zu lassen. Denn drei Viertel aller Kaufentscheidungen werden unbewusst getroffen und direkt von Gefühlen ausgelöst. Von den geschätzten zehn Millionen Bits pro Sekunde, die unsere Sinne an Informationen aufnehmen, werden nämlich nur 50 Bits pro Sekunde bewusst verarbeitet. Die unbewusste Wahrnehmung ist somit das Einfallstor für die geschickten Strategien modernen Marketings.

Emotionale Beziehungen aufbauen.


Neuromarketing macht sich die Erkenntnisse der Hirnforschung zunutze und hat ein weites unbestelltes Feld vor sich. Es geht um "die Optimierung der Sinnesreize", also "um die größtmögliche Wirkung im Gehirn des Verbrauchers". Und dabei steht immer die Frage im Mittelpunkt, wie dessen Sinne angesprochen werden sollten, damit er auf gewünschte Weise reagiert. Bisher sind drei der fünf Sinne noch unberücksichtigt geblieben. Auch Hören und Sehen gilt es dabei neu zu betrachten: Die Marketingstrategen versuchen Entscheidungsroutinen zu durchbrechen, indem sie die Emotionen und das Unbewusste direkt ins Visier nehmen. Akustiker stimmen dazu Geräuschquellen und Klangkörper von Autos perfekt aufeinander ab, Beleuchter setzen Gemüse und Obst ins rechte Licht. Pizzen aus Tiefkühltruhen werden dem Kunden mit unsichtbar eingesetztem Pizzaspray schmackhaft gemacht und manches Produkt muss man einfach nur in die Hand nehmen: Über den taktilen Sinn ist das Eis gebrochen, die Distanz überwunden. "Der Kunde kann eine emotionale Beziehung aufbauen."

Den ganzen Menschen erfassen.


Die Professionalisierung der Werbestrategien auf allen Sinneskanälen steht an: "Zum visuellen 'Logo' werden das olfaktorische 'Olgo', das haptische 'Hago', das auditive 'Augo' und das gustatorische 'Gugo' kommen, die Sinne bestürmen und die Wahrnehmung okkupieren", schreibt Warmbier, der das Ziel des künftigen "5-Sinne-Marketings" (5SM) im Aufbau absolut loyaler Fangemeinden sieht. Nicht mehr nur Hören und Sehen, sondern alle fünf Sinne sollen künftig so angesprochen werden, damit der Kunde das erwünschte Verhalten zeigt. Den Schlüssel zur Ausrichtung und Optimierung der Sinnesreize kann die Hirnforschung liefern. "Es wird nicht mehr darum gehen, den Verstand anzusprechen oder die eine oder andere Emotion zu wecken, um immer wieder mal ein Produkt an den Verbraucher zu bringen. 5SM will den ganzen Menschen erfassen und ihn zum loyalen Anhänger einer Marke, eines Unternehmens umpolen. Sein Ziel ist der programmierte Kunde." Das Bild des Kunden als Marionette, deren Fäden die Marketingexperten in der Hand haben, wäre aber zu weit gesponnen. Warmbiers Buch schärft jedoch den Blick für die Unabhängigkeit und Freiheit der Entscheidung, die sich jeder Kunde im eigenen Interesse erhalten möchte - und mit dem Wissen um die Strategien des modernen Marketings auch erhalten dürfte.

Sascha Hellmann ist freier Mitarbeiter bei changeX.

Werner Warmbier:
Der programmierte Kunde.
Neuromarketing - Frontalangriff auf die Sinne.

Econ Verlag, Berlin 2008,
208 Seiten, 19.90 Euro.
ISBN 978-3-430-30037-7
www.ullsteinbuchverlage.de

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: Der programmierte Kunde. . Neuromarketing - Frontalangriff auf die Sinne. . Econ Verlag, Berlin 1900, 208 Seiten, ISBN 978-3-430-30037-7

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Sascha Hellmann
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Sascha Hellmann ist freier Journalist in Heidelberg. Er arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.

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