Besser Bäume pflanzen
Das grüne Paradoxon. Plädoyer für eine illusionsfreie Klimapolitik - das neue Buch von Hans-Werner Sinn.
Von Florian Michl
Windräder zur Stromerzeugung, Solaranlagen, Wärmedämmung und Biosprit - so will Deutschland den Klimawandel stoppen. Dumm nur, dass man dabei den Markt vergessen hat. Deutschlands bekanntester Ökonom kritisiert: Deutschlands Klimazauber macht den Verbrauch fossiler Energie nur für andere billiger. Und bringt dem Klima nichts. Besser wäre: wiederaufforsten. / 27.01.09
Hans-Werner Sinn CoverTortillas sind die Nationalspeise der Mexikaner: Fladenbrote, die aus Mais hergestellt werden. Anfang 2007 waren sie für die Bevölkerung nicht mehr bezahlbar - denn Mais wurde nun für die Produktion von Biosprit gebraucht. Das soll gut für das Klima sein, hieß es. Und den Bauern Geld in die Taschen spülen, weil die Ölindustrie ein Vielfaches von dem bezahlt, was für die Nahrungsmittelindustrie erschwinglich ist. Dass allerdings Hungersnöte provoziert werden könnten, wenn von nun an die für den Getreideanbau benötigten Ackerflächen mit jenen für die Biospritproduktion konkurrieren mussten, daran dachte bislang keiner. Eben das nennt der Münchner Ökonom Hans-Werner Sinn das grüne Paradoxon: "Ethisch gemeinte Entscheidungen können unethische Folgen haben." In diesem Fall: leere Mägen - für Sinn "das Fanal eines fehlgeschlagenen Politikversuchs", der unter dem Namen Tortilla-Krise in die Geschichtsbücher eingehen werde. Sein neues, 450 Seiten starkes Buch Das grüne Paradoxon. Plädoyer für eine illusionsfreie Klimapolitik, ist voll von solchen Beispielen.

Ein Hauch von DDR.


Hoch zu Ross galoppiert der Volkswirt Sinn darin wie ein moderner Don Quichotte gegen die wachsende Zahl der Windräder an, die "im Namen der Umweltpolitik" in die schönsten Naturlandschaften Deutschlands gestellt werden. Im Visier hat er die grüne Ideologie, und die deutsche Umweltpolitik im Besonderen: die Förderprogramme für Wind- und Solarenergie, die Ökosteuer, Biokraftstoffanlagen und den Atomausstieg - für Sinn allesamt "Schildbürgerstreiche" und "blinder Aktionismus". Dass allerdings etwas gegen den Klimawandel getan werden muss, davon ist auch der Direktor des ifo Instituts überzeugt. Nur eben nicht in Manier der "Zentralplaner der ehemaligen DDR". Sondern im Vertrauen auf die freie Marktwirtschaft.
Sinns zentraler Kritikpunkt ist überzeugend: Die vielen Umweltmaßnahmen missachteten das Gesetz des einen Preises - ein Fundamentalgesetz der Ökonomie, das besagt, dass ein Produkt nur einen Preis haben kann, wenn es im Wettbewerb möglichst kostengünstig angeboten werden soll. Die deutsche Politik trete dieses Gesetz aber mit Füßen, indem sie jede Tonne ausgestoßenen Kohlendioxids aus verschiedenen Quellen unterschiedlich stark besteuert: "von 3,45 Euro bei der Steinkohle zum Heizen bis hin zu 273 Euro beim Benzin zum Autofahren".
Die Folge sind ineffiziente Vermeidungsstrategien: Autohersteller kitzeln aus den Motoren unter "hohem technischen Aufwand mit extrem hohen Kosten das letzte Bisschen an Effizienzverbesserung heraus". Was unrentabel wäre, wenn die Steuern auf den Kohlendioxid-Ausstoß beim Benzin so niedrig sind wie bei der Braunkohle. "Dann wäre niemand bereit, diese Mehrkosten zu tragen." Umgekehrt hätten sich bei der Braunkohle schon lange Verfahren zur Abscheidung von Kohlendioxid durchgesetzt, wenn der Kohlendioxid-Ausstoß so teuer wäre wie beim Benzin, ist Sinn überzeugt. Darum fordert er einen einheitlichen Steuersatz auf jede emittierte Tonne Kohlendioxid. Denn dann, und nur dann, würde sich die effizienteste Weise der Kohlendioxid-Vermeidung durchsetzen. Das Gleiche gelte für die willkürliche Subvention regenerativer Energien.

Für ein Super-Kioto.


Die grüne Politik kommt den Deutschen aber nicht nur teuer zu stehen. Sie beeinflusst nicht einmal das Weltklima, behauptet der Ökonom. Weder die Maßnahmen zur Förderung erneuerbarer Energien noch die zur Steigerung der Energieeffizienz. Den Grund sieht er im Emissionshandelssystem der EU, das den Ausstoß von Kohlendioxid je Land limitiert. Die Folge: Schießt ein Land über diese Vorgaben hinaus, dann verringert es zwar seine eigenen Emissionen, gleichzeitig aber landen die Zertifikate, die inländische Betreiber nicht mehr benötigen, auf dem europäischen Markt. "Sie senken dort den Preis für Zertifikate und veranlassen die anderen europäischen Unternehmen, bei ihren Anstrengungen zur Vermeidung der Kohlendioxid-Emission innezuhalten." Denn für diese sei es günstiger, billige Zertifikate zu kaufen, statt Geld in teure Umweltschutzmaßnahmen zu investieren.
Für Sinn ist diese doppelte Klimapolitik auf nationaler und internationaler Ebene jedenfalls ein Nullsummenspiel ohne Einfluss auf das Weltklima - zumindest so lange, wie sich nicht alle Verbraucherländer auf der ganzen Welt einer Mengenbeschränkung unterwerfen. Denn bis dahin senken die Kioto-Länder nur die Nachfrage - und damit die Preise für fossile Energie, was den anderen Staaten nur einen Anreiz gibt, mehr zu verbrauchen. Die Lösung sieht Sinn damit in einer Art Super-Kioto. Doch bisher haben sich nur die 27 EU-Länder einer Mengenbeschränkung beim Kohlendioxid-Ausstoß unterworfen, ebenso wie Kanada, Australien, Island, Japan, Neuseeland, Norwegen, Russland und die Ukraine. Der Rest der Welt fehlt - der emittiert aber 70 Prozent des Kohlendioxids.

Pflanzt Bäume!


Dass das Super-Kioto in absehbarer Zeit zustande kommt, wie es für den Klimawandel so wichtig wäre, daran glaubt auch Sinn nicht so richtig. Darum macht er noch einen einfachen, aber umso bestechenderen Vorschlag: mehr Wald aufforsten. Denn Holz speichert Kohlenstoff, der in der Folge in der Atmosphäre kein Unheil anrichten kann. Alleine die deutsche Waldfläche bindet insgesamt etwa 1,1 Gigatonnen Kohlenstoff. "Das ist fünfmal so viel, wie Deutschland derzeit pro Jahr emittiert", rechnet Sinn vor. Und kritisiert auch hier wieder den Unsinn der offiziellen Klimapolitik: Faktisch wird Jahr für Jahr eine Fläche von der Größe Irlands abgeholzt - auch um landwirtschaftliche Flächen für die Produktion von Biosprit zu gewinnen. Hier ist es wieder: das grüne Paradoxon.
Vor allem die Klarheit, mit der Hans-Werner Sinn seine Thesen beleuchtet und diskutiert, macht dieses Buch sehr empfehlenswert. Mit unglaublicher Leichtigkeit führt er seine Leser durch eine verworrene Vielfalt von Argumenten und Gegenargumenten. Am Ende weiß Sinn allerdings selbst nicht mehr so genau, woran er glauben soll: an die Kräfte der freien Marktwirtschaft? Oder doch an eine übergeordnete Instanz (UNO), die in Zukunft die Geschicke der Menschheit zentral steuert? Das aber macht die Qualität seines Buches aus: Sinn gibt jedem Leser die Möglichkeit, selbst ein Urteil zu fällen - auch dem bisher unkundigen Leser. Ob sein Szenario zutrifft, ist umstritten. Aber die Diskussion um die Klimapolitik ist um einen wichtigen Anstoß reicher. Und das kann nur gut sein.

Florian Michl ist freier Mitarbeiter bei changeX.

Hans-Werner Sinn:
Das grüne Paradoxon.
Plädoyer für eine illusionsfreie Klimapolitik.

Econ Verlag, Berlin 2008,
480 Seiten, 24.90 Euro.
ISBN 978-3-430-20062-2
www.econ-verlag.de

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: Das grüne Paradoxon. . Plädoyer für eine illusionsfreie Klimapolitik. . Econ Verlag, Berlin 2008, 480 Seiten, ISBN 978-3-430-20062-2

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Florian Michl
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Florian Michl schreibt als freier Autor für changeX.

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