Abgas ade
Die Autohersteller haben die Zeichen der Zeit erkannt - und arbeiten mit Hochdruck am Wasserstoff-Auto.
Noch tanken wir an den Zapfsäulen Benzin. Doch diese Zeiten könnten bald vorbei sein. Fast alle Hersteller haben inzwischen eines der umweltschonenden Wasserstoff-Autos in der Entwicklung, schon bald sollen die ersten Serienmodelle auf unseren Straßen rollen. Denn DaimlerChrysler, Ford und Co. befürchten, dass das Beispiel Norditalien Schule machen wird: Dort dürfen ab 2005 keine Benzin- und Diesel-Fahrzeuge mehr verkauft werden.
Der Automobilindustrie geht der Saft aus. Benzin und Diesel wird es nach Ansicht von Experten noch rund 40 Jahre geben, Erdgas rund 20 Jahre länger. Dann ist Schluss. Ein neuer Energieträger muss her. Und der ist bereits gefunden: Wasserstoff lautet die chemische Zukunftsformel der Autoindustrie. "Es ist nur eine Frage der Zeit, wann wir die Autos statt mit Benzin mit Wasserstoff betanken", sagt Thomas Löschmann, Referent für erneuerbare Energien beim Bund für Umwelt und Naturschutz, Berlin. "Der Wechsel zu den alternativen Energien ist weniger eine Frage der Moral als vielmehr eine der Notwendigkeit. Das gilt auch fürs Auto."
Keiner will zurückstehen.
Die Automobilindustrie, eine der
wichtigsten Industriezweige in Deutschland, hat das längst
begriffen. Auf dem Weg in die Wasserstoff-Gesellschaft sind sie
die treibende Kraft - noch vor der Politik. Schließlich geht es
um die eigene Existenz. Allein DaimlerChrysler wird nach eigenen
Angaben von 1993 bis 2004 rund eine Milliarde Euro in die
Entwicklung des Wasserstoff-Autos gesteckt haben. Als erster geht
Ford mit einer limitierten Anzahl des neu entwickelten Ford Focus
FCV 2004 in Kleinserie; 2010 will der Konzern in Großserie gehen.
Genau wie Opel mit dem Hydrogen III. DaimlerChrysler kündigt an,
mit dem Necar in drei Jahren mit einer begrenzten Stückzahl über
die Straßen zu rollen und BMW probt mit der 7er Reihe 2006 die
Marktakzeptanz des Wasserstoff-Autos. Nur VW hält sich beim Thema
Wasserstoff-Auto zurück. Die Wolfsburger wollen lieber die
Emissionen beim herkömmlichen Otto-Motor weiter reduzieren. Mit
dieser Entscheidung steht VW ziemlich allein. Denn in den
Verkehrswirtschaftlichen-Strategie-Gesprächen (VES), einem
internen Gesprächskreis zwischen Autohersteller,
Mineralölindustrie und Regierung, ist die Entscheidung längst
gefallen: Wasserstoff ist der Treibstoff der Zukunft.
Nicht ohne Grund ist er der Hoffnungsträger Nummer Eins.
Schließlich ist Wasserstoff unerschöpflich. Er kann aus Erdgas,
Erdöl und Biogas genauso gewonnen werden wie aus reinem Wasser.
Beliebig herstellbar - ein schlagkräftiges Argument für die
Automobilindustrie. Und imagefördernd ist das Ganze auch noch.
Denn was aus dem Auspuff eines Wasserstoff-Autos kommt, ist in
erster Linie Wasserdampf. Das schont die Umwelt. Einen Haken hat
die Sache noch: Wasserstoff kann bisher nur sehr energieaufwändig
hergestellt werden, meist immer noch mit Hilfe fossiler Energien.
"Die Abgase werden trotzdem reduziert. Es ist ein sinnvoller
Zwischenschritt, bis der Wasserstoff vermehrt aus alternativen
Energien gewonnen wird", sagt Reinhold Wurster, Projektleiter
Wasserstoff bei der LB Systemtechnik, einem Unternehmen in
München, das sich im Auftrag von Industrie und Regierung seit
über 17 Jahren mit der Einführung regenerativer Energien befasst.
Genau genommen ist das Auto jedoch erst wirklich umweltschonend,
wenn Sonne, Wind, Wasser oder Biomasse für die
Wasserstoffgewinnung eingesetzt werden. "Technisch machbar ist
das", betont Wurster. An dem Wie aber wird noch heftig gebastelt.
Dabei haben sich Opel, DaimlerChrysler und Ford für die
Brennstoffzelle entschieden. Zusammen mit dem kanadischen
Brennstoffzellenhersteller Ballard Power System forschen sie an
dieser Technik. Dabei ist ein Auto mit Brennstoffzelle in puncto
Umweltschutz prinzipiell dem Verbrennungsmotor überlegen. Denn
bei der Brennstoffzelle gibt es weniger Energieverluste. "Die
Energie wird effizienter genutzt, weil die chemische Energie
unmittelbar in Strom umgeformt wird und nicht erst den
verlustreichen Weg über Wärme und mechanische Energie gehen
muss", sagt Wasserstoff-Experte Wurster.
Schon bald Wasserstoff-Autos in Serie.
DaimlerChrysler fährt beim
Wasserstoff-Auto zweigleisig. Ob das Brennstoffzellen-Auto Necar
zukünftig mit Methanol oder reinem Wasserstoff betrieben wird,
ist in Stuttgart noch nicht entschieden. So wird der Prototyp
Necar IV mit Wasserstoff betrieben, der Prototyp Necar V aber mit
Methanol. Das Methanol wird an Bord des Autos mit Hilfe eines
Reformers in Wasserstoff umgesetzt. Vorteil: Methanol hat eine
höhere Energiedichte und ist flüssig. Daher braucht Methanol
keine speziellen Gastanks wie der Wasserstoff und kann ohne große
Probleme an das bestehende Tankstellensystem angepasst werden.
Nachteil: Wenn die schwäbischen Autobauer auf die Methanol-Karte
setzen, wird die Umwelt weiter mit Kohlendioxiden belastet - wenn
auch in reduzierter Form. Für den internationalen Konzern geht es
nun darum, das Elektroauto serientauglich zu machen. Das
Forschungs- und Versuchsstadium sei beendet, ist aus der
Stuttgarter Zentrale zu hören. Eine kleine Flotte des
Brennstoffzellen-Kleinwagens Necar soll "mit weniger als 100
Fahrzeugen" bereits 2004 auf deutschen Strassen rollen. "An eine
Großserie denken wir aber noch nicht", betont Walter Heuer,
Konzernstratege bei DaimlerChrysler.
Bei Ford gibt es kein Zögern. Für den Konzern steht fest:
2004 gehen sie mit dem Mittelklassewagen Ford Focus FCV in
Kleinserie. Ausgewählte Kunden können das Wasserstoff-Auto dann
leasen. "An diesem Praxistest sind wir natürlich sehr
interessiert", teilt Ford-Pressesprecher Isfried Hennen mit. 2010
wollen die Kölner mit dem 5-Sitzer, der zurzeit in Kalifornien
auf seine Praxistauglichkeit getestet wird, in eine "bezahlbare
Großserie" gehen. Das Auto soll dabei nicht mehr kosten als ein
gehobener Diesel-PKW. Auch Opel will mit dem Hydrogen III, einem
Compact-Van mit sieben Sitzen auf der Basis des Opel Zafira, in
Serie gehen. Anders als die Kölner Konkurrenz planen sie nicht,
mit dem mit Wasserstoff-Brennzelle ausgerüsteten Van in
Kleinserie zu gehen. "Wir wollen 2010 direkt in die Großserie
starten", sagt Andreas Kroemer, Leiter der Mobilitäts- und
Umweltkommunikation bei Opel.
Kein Abschied vom Verbrennungsmotor?
BMW verfolgt eine ganz andere
Marktstrategie: Sie halten am Verbrennungsmotor fest und wollen
den Wasserstoff direkt in den Motor einspritzen. Die
Brennstoffzelle wollen sie nur einsetzen, damit der Fahrer
Klimaanlage und Telekommunikation auch im Stand bedienen kann,
nicht aber für die Fahrtechnik. Eine Image-Frage für den
Münchener Autohersteller. Schließlich steht die Marke BMW für
schnelle Autos. Und mit der Brennstoffzelle liegen die
Spitzenleistungen bisher nur bei rund 140 km/h. Für echte
BMW-Freaks noch keine Alternative. Mit Verbrennungsmotor,
betrieben mit Wasserstoff, brauchen jedoch keine Abstriche bei
der Fahrleistung gemacht zu werden. BMW will das Thema
Wasserstoff-Auto in ganz spezieller Weise an den Kunden heran
führen. "Von Top to Down", betont Christoph Hus, Leiter der
Abteilung Wissenschaft- und Verkehr bei BMW Group. Will heißen:
Sie starten mit der Luxusklasse und gehen dann runter zu den
anderen BMW-Reihen. Sicher ist, dass die Kunden im Luxussegment
das nötige Kleingeld haben, um ein Wasserstoff-Auto, das teurer
sein wird als ein Benziner, zu bezahlen.
VW hat zwar den Bora HY.POWER, der mit
Wasserstoff-Brennstoffzelle fährt, in den Schweizer Alpen auf
Fahrtüchtigkeit getestet, doch es ist kein Geheimnis: VW-Chef
Ferdinand Piëch ist kein Freund des Wasserstoff-Autos. Er will
lieber beim konventionellen Otto-Motor die Abgase weiter
reduzieren. Das VW-Management ist überzeugt, dass es sich erst in
15 bis 20 Jahren lohnt, mit dem Wasserstoff-Auto in Großserie zu
gehen. Schließlich ist die Serienreife der Autos die eine Seite
der Medaille, der Aufbau eines Wasserstoff-Tankstellennetzes die
andere, so die Philosophie des Volkswagen-Konzerns.
Die Mineralölindustrie blockt.
In der Tat: Im Alleingang ist das
Wasserstoff-Auto nicht zu machen. So sucht die Autoindustrie in
den VES-Gesprächen den Schulterschluss mit Regierung und
Mineralölindustrie. Doch der Shell-Konzern zeigt sich wenig
begeistert. Der Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur bedeutet
eine Revolution für die Mineralölindustrie. Und eine Menge
Kosten. Die Tankstellen müssen flächendeckend umgerüstet, neue
Vertriebsstrukturen aufgebaut werden. Wasserstoff als Six-Pack im
Supermarkt-Regal - Szenarien, die von Marketing-Experten bereits
durchgespielt werden. Herbert Krumm, Kraftstoff-Experte bei Shell
Global Solutions, geht jedoch davon aus, dass es noch mindestens
"20 Jahre dauert", ehe Wasserstoff-Autos in großer Zahl über die
Straßen rollen. Näheres werden die VES-Teilnehmer wohl erst
wissen, wenn sie die erste öffentliche Wasserstoff-Tankstelle
nächstes Jahr in Berlin in Betrieb nehmen. Eine Flotte von 50
Fahrzeugen soll die Tankstelle und Autos im Dauerbetrieb testen.
Zwar hat sich Berlin klar zum Wasserstoff als zukünftigen
Energieträger bekannt, doch die Bundesregierung will der
Industrie nicht vorschreiben, wann in welchen Mengen Wasserstoff
als Energieträger eingesetzt werden soll. "Wir müssen da auf die
Impulse aus der Wirtschaft warten, um die Entwicklungsprozesse
nicht unnötig zu bürokratisieren", sagt Wolfgang Hahn,
Referatsleiter Verkehrspolitik im Bundesministerium für Verkehr,
Bau und Wohnungswesen. Zudem reiche es nicht aus, die
Wasserstoff-Frage im nationalen Alleingang zu entscheiden. "Das
muss mit Brüssel abgesprochen werden." Im Hause Bodewigs gibt es
daher auch noch keine konkreten Pläne, ob der Energieträger
Wasserstoff steuerlich begünstigt werden soll. Schließlich sind
die haushaltspolitischen Konsequenzen enorm. Wohin in Brüssel der
Zug geht, ist indes klar: In einem Aktionsplan im November
vergangenen Jahres hat die EU-Kommission Stellung bezogen. Bis
zum Jahr 2020 sollen rund 20 Prozent der herkömmlichen Energien
durch erneuerbare Energien ersetzt werden, davon rund sechs
Prozent durch Wasserstoff. Dass es in einigen europäischen
Ländern möglicherweise schneller geht, zeigt das Beispiel
Nord-Italien. Roberto Formigoni, Präsident der Lombardei, plant
ein Verkaufsverbot für Benzin- und Diesel-Fahrzeuge ab Januar
2005. Dabei ist die Lombardei eine der führenden
Industrieregionen Europas. Doch nach anhaltendem Smog und immer
wieder erteilten Fahrverboten, forderte der italienische
Politiker die Autohersteller auf, innerhalb von drei Jahren nur
noch "grüne" Autos anzubieten.
Simone Matthaei arbeitet als freie Journalistin in Köln.
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