Nur wer sich selbst führen kann, kann auch andere führen
"Vom Management zum Selbstmanagement" - ein Seminar für weibliche Führungskräfte.
Vier Tage Zeit, sich mit seinen Stärken, Werten und Zielen zu beschäftigen. Ein Luxus? Mitnichten. Mitarbeiter wollen geführt werden, und sie erwarten gerade in schwierigen Zeiten eine starke Hand. Aber als Führende wollen sie keine auswechselbaren Typen. Sie wünschen sich Persönlichkeiten. Und Frauen und Männer, die eine klare Vorstellung von dem haben, was ihre Organisation ist, wie sie funktioniert und was sie in Zukunft sein wird. Deswegen gilt: Wer sich um sich selbst kümmert, sorgt sich immer auch um das große Ganze.
Susanne Weber* blickt ins Feuer und
friert. 35 Jahre lang hat der eine Satz ihr Leben bestimmt:
"Egal, was ich tue, ich bin nicht gut genug." Jetzt geht er - mit
roter Farbe auf ein Blatt Papier geschrieben - in Flammen auf.
Als die Marketingleiterin sich vor zwei Tagen auf den Weg
nach Gunzenhausen machte, hatte sie nicht gedacht, dass ihr das
Seminar des Münchner Bildungshauses Siemens Business Services,
Learning so an die Nieren gehen würde. Doch bereits nach der
ersten Stunde wurde ihr und den anderen 17 Teilnehmerinnen klar:
Es geht hier nicht um Tipps und Tricks, wie sich Managerinnen
unter all den männlichen Kollegen behaupten können.
Orientierung gefragt.
Nach der obligatorischen
Kennenlernrunde fordert Barbara Mettler-von Meibom die
Teilnehmerinnen auf, aus ihrem Firmenalltag zu erzählen. Manuela
Behrens*, seit drei Jahren Projektleiterin bei einem großen
Konzern, meldet sich, fängt den kleinen gelben Ball, den ihr die
Professorin für Politik- und Kommunikationswissenschaften an der
Universität Essen zugeworfen hat, und erzählt. "Ich weiß manchmal
gar nicht, wo ich stehe. Die Prioritäten wechseln täglich. Hier
ein Anruf, dort eine E-Mail, dann ein großer Deal, und schon
sehen die Machtkonstellationen anders aus. Was ich heute
entwickle, landet morgen im Papierkorb. Da ist es nicht immer
einfach, bei Laune zu bleiben. Und meine Mitarbeiter zu
mobilisieren." Die anderen Frauen nicken. Sie alle haben nicht
nur eine Restrukturierung mitgemacht. Und kennen das Gefühl von
Sinnlosigkeit, das sich ab und an in ihren Kopf pflockt.
Mettler-von Meibom hört aufmerksam zu. Doch eine einfache
Lösung kann und will sie nicht bieten. "Positives Denken allein
bringt uns nicht weiter. Das Einzige, was unsere Motivation
stärken kann, ist unser Selbst. Und dieses Selbst gilt es
wertschätzend zu erkunden." Nur so ließen sich Kräfte
mobilisieren. Nur so Einsamkeit und permanente Veränderung
ertragen.
Eine leichte Aufgabe? Mitnichten. "Die Selbstwahrnehmung
ist gerade bei Frauen gestört." Was das bedeuten kann, erfahren
die Teilnehmerinnen in einer ersten Übung.
Sie spielt und spielt und spielt.
Was habe ich besonders gut gemacht?
Rita Zons* denkt nach. In 20 Minuten soll sie vor die Kamera, um
innerhalb von 90 Sekunden eine Geschichte zu erzählen, in der sie
die Hauptrolle spielte. Nicht die Verliererin, sondern die
Gewinnerin. Sie entscheidet sich für eine Episode aus ihrem
Berufsleben. Durch einen geschickten Deal hat sie ihrem
Unternehmen mehrere 100.000 Euro gespart. Mit eiserner Miene
rattert sie ihre Geschichte runter. Erst bei der anschließenden
Analyse mit Imme de Haen, Kommunikations- und Medientrainerin,
wird ihr klar: Was für ein Erfolg! Aber warum kann ich ihn als
solchen nicht verbuchen?
Kristina Brode, Psychosynthese-Trainerin: "Ich bin dumm,
ich bin ungeschickt, ich bin nichts wert - die meisten von uns
haben eine innere Platte, die sie immer und immer wieder
abspielen. Und dadurch verhindern, dass sie ihre wahren Stärken
und Bedürfnisse erkennen." Doch man müsse sich nicht jahrelang
auf die Coach legen, um anschließend einen Schuldigen zu
benennen. "Mit einer glücklichen Kindheit kann man sofort
beginnen."
Während der vier Tage begleitet die promovierte Pädagogin
die Teilnehmerinnen mit viel Fingerspitzengefühl auf ihren Reisen
in die Vergangenheit und in die Zukunft. Wer bin ich, was kann
ich, was will ich? Mittels Visualisierung und geführter
Meditation, freiem Malen und Arbeiten mit dem Zeit- und
Lebensplaner kommen sie nach und nach ihren Talenten und Träumen
auf die Spur. Definieren ihre Werte und halten in einem kleinen
Buch fest, was sie in ihrem Leben noch unbedingt erreichen
wollen. Die Bodenhaftung verlieren die Teilnehmerinnen nie.
Akribisch achten die drei Trainerinnen darauf, dass die
Erkenntnisse ins Alltagsleben sickern.
Potenziale entdecken - bei sich und bei den Mitarbeitern.
Leicht hat es sich Siemens Business
Services (SBS) mit dem Seminar nicht gemacht. Bereits nach dem
ersten Vorgespräch zwischen Christiane Graf und Guido Kopp, beide
Produktmanager bei SBS, und Barbara Mettler-von Meibom war klar:
Eine Dozentin reicht nicht. Die Professorin holte sich ihre
Kolleginnen Kristina Brode und Imme de Haen ins Boot. Für mehrere
Tage zogen sich die drei Frauen auf den Bauernhof von de Haen in
der Nähe von Berlin zurück, um die wichtigsten Themen abzuklopfen
und ein schlüssiges Gesamtkonzept zu kreieren. Dazwischen immer
wieder Gespräche mit dem Veranstalter, Anregungen, Kritik,
Bekräftigungen.
Warum es mit einem Standard-Programm nicht getan ist?
Karl-Josef Kuhn, Leiter von Siemens Business Services, Learning:
"Die Anforderungen und Probleme, denen sich Managerinnen heute
stellen müssen, sind zu komplex, als dass sie allein mit
Hard-Skill-Training gelöst werden könnten." Nicht nur dass sie
sich bestens organisieren und vernetzen müssten, um Beruf und
Familie miteinander zu verbinden. Führung bedeute heute etwas
anderes als noch vor zehn Jahren.
Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht der Mangel an Führung
beklagt wird. Der starke, charismatische und entschlossene
Spitzenmann früherer Jahre wurde, so die allgemeine Kritik, durch
farblose Männer und Frauen ersetzt. An die Stelle kühner
Handstreiche sind Verteidigungsstrategien getreten, die weniger
darauf zielen, die Zukunft zu gestalten, als die Vergangenheit zu
verwalten. Anspruch und Wirklichkeit - wie so oft klaffen sie
auseinander. Die Fragen drängen sich immer stärker auf: Wie soll
der kollektive Sprung in die Zukunft klappen? Was hält eine
Organisation künftig zusammen? Und wie können Unternehmen mit
ihrer eigentlichen Ressource, den Mitarbeitern, näher
zusammenrücken?
Kuhns Antwort: "Mitarbeiter wollen geführt werden, und sie
erwarten gerade in schwierigen Zeiten eine starke Hand. Aber als
Führende wollen sie keine auswechselbaren Typen." Sie wünschten
sich Persönlichkeiten, die sich durch Integrität, Beständigkeit
und Charakter auszeichnen. Und Frauen und Männer, die eine klare
Vorstellung von dem haben, was ihre Organisation ist, wie sie
funktioniert und in Zukunft aussehen wird. "Doch dafür", so Kuhn
weiter, "müssen Führungskräfte von ihren Unternehmen die
Möglichkeit erhalten, sich mit der eigenen und der Wertewelt der
Firma auseinander zu setzen. Ist der Gap zu groß, verlieren die
Manager nicht nur an Authentizität. Auch der Spagat zwischen Job
und Privatleben ist auf Dauer nicht zu schaffen." Deswegen gelte:
"Wer sich um sich selbst kümmert, sorgt sich immer auch um das
große Ganze."
Blick für die Juwelen.
Und so formulieren die 18 Frauen am Ende des Seminars nicht nur für ihr eigenes Leben berufliche wie private Ziele, Werte und Visionen. Sie wissen auch, was der Titel des Seminars "Vom Selbstmanagement zum Management" bedeutet. "So, wie wir zu dem werden, was wir uns immer und immer wieder vorsagen, so konstruieren auch Organisationen ihre eigene Realität", meint die Marketingleiterin Susanne Weber*. "Doch leider überwiegt auch hier die negative Sicht. Anstatt der vielen Juwelen sehen wir oft nur einen Haufen Unrat." Höchstleistungen seien da nicht zu erwarten. Ganz gleich, auf welcher Ebene. "Aber auch diese Platte werden wir stoppen!"
* Die Namen wurden von der Redaktion geändert.
Das nächste Women's Leadership Program (WLP) findet vom 16. bis 19. Februar 2003 statt.
Weitere Informationen:
www.siemens.com/training/ikn
www.siemens.com/learning/ikn
oder Telefon 0800 845 1000.
© changeX Partnerforum [13.09.2002] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Autorin
Heike LittgerHeike Littger ist selbständige Journalistin und wohnt in Mountain View, Kalifornien. Sie schreibt als freie Autorin für changeX.