Zurück in die Zukunft

Die Münchner Lux Kultur Agentur sponsert ein Forschungsprojekt zum Thema Utopien.

Viele Unternehmen verschicken Weihnachtsgeschenke an ihre Kunden. Eigentlich könnte man das Geld sinnvoller ausgeben, entschieden die Mitarbeiter der Agentur Lux - und riefen ein Forschungsvorhaben ins Leben. Ziel: das Nachdenken über die Gesellschaft zu fördern, ein komplexes Thema der Öffentlichkeit nahe zu bringen und dem wissenschaftlichen Nachwuchs ein Forum zu bieten.

Utopien sind gänzlich aus der Mode gekommen. Im hektischen Taumel des Alltags verschwendet kaum noch jemand einen Gedanken daran, wie die Welt beschaffen sein könnte. Man fügt sich darin, wie sie ist. "Das ist doch Utopie!" - in einer an Machbarkeit orientierten Gesellschaft gilt das gemeinhin als K.-o.-Kriterium für jeden Vorschlag: nicht realisierbar, ein Hirngespinst, gescheitert schon, bevor man weitere Gedanken darauf verwendet. Mehr noch: Die Gesellschaft scheint den Anspruch einer Lenkung der eigenen Entwicklung preisgegeben zu haben.

Wissenschaftssponsoring statt Weihnachtsgeschenke.


Und doch fördert die Münchner Lux Kultur Agentur ein Forschungsprojekt zum Thema "Utopien und utopisches Denken". Die Idee des Wissenschaftssponsorings entstand vor einigen Jahren in der Vorweihnachtszeit. Damals schon verschickte die Agentur keine Weihnachtsgeschenke mehr, sondern spendete stattdessen Geld für soziale Zwecke. Weil etliche Mitarbeiter der Agentur studierte Geisteswissenschaftler sind, entstand die Idee, das Geld in geisteswissenschaftliche Projekte zu investieren und so dem chronischen Geldmangel in diesem Wissenschaftssegment ein klein wenig entgegenzuwirken. Seit drei Jahren unterstützt die Agentur den geschichts- und gesellschaftswissenschaftlichen Fachbereich der Katholischen Universität Eichstätt. Zunächst finanzierte man eine Assistentenstelle und sponserte dann eine wissenschaftliche Tagung zum Thema "Ikonographie von Promotionszeremonien in der frühen Neuzeit".
Aus dieser Zusammenarbeit entstand der Wunsch, ein eigenes Forschungsprojekt ins Leben zu rufen - das Utopien-Projekt. Zusammen mit dem wissenschaftlichen Leiter Prof. Dr. Rainer Müller erarbeitete die Agentur ein Konzept für das Vorhaben. Ziel ist nicht nur eine Bestandsaufnahme utopischen Denkens in der Geschichte. Daneben steht die ganz pragmatische Intention, dem wissenschaftlichen Nachwuchs ein Forum und eine - die vielleicht erste - Gelegenheit zur Publikation der Forschungsergebnisse zu bieten. Nicht zuletzt will man das komplexe Thema "Utopisches Denken" über das innerwissenschaftliche Publikum hinaus einer breiteren Öffentlichkeit nahe bringen. Heraus aus dem Elfenbeinturm sozusagen.

Heraus aus dem Elfenbeinturm.


"Unser Anspruch ist die Popularisierung eines komplexen Themas", beschreibt Gerhard Lux das Anliegen. Das Ziel ist hoch gesteckt: Man will das Nachdenken über Gesellschaft fördern. Für Lux hat das viel mit der alltäglichen Arbeit zu tun. "Für uns als Kommunikationsagentur ist die Gesellschaft gewissermaßen die Arbeitsfläche." Nachdenken über Gesellschaft ist deshalb Pflicht, Engagement für die Gesellschaft selbstverständlich. "Eine Gesellschaft muss darüber nachdenken, woher sie kommt und wohin sie geht", fordert Lux, nur gebe es in den marktwirtschaftlichen Gesellschaften, die aus dem Systemwettstreit als Sieger hervorgingen, keinen Ansatz, über Alternativen nachzudenken - weil man sich als Sieger fühle. Doch sei kein System perfekt - und das Denken von Alternativen die Voraussetzung für Innovation. "Neues lässt sich nur entdecken, wenn man den Horizont, über den man hinwegsehen will, zuvor auch wahrgenommen hat", betonte Lux in seiner Ansprache zum Start des Projekts. "Utopien sind für uns das Sinnbild dafür, �Hirngespinste' zuzulassen."

Zurück in die Zukunft.


Der Startschuss fiel im Sommer 2002. "Zurück in die Zukunft. Vom Nutzen der Utopien - oder: warum sich Zukunft rechnet", lautete der Titel der Auftaktveranstaltung am 2. Juli im Forum Hotel München. Dort wurde nicht nur das Programm des Forschungsprojekts vorgestellt, sondern man wagte sich auch an aktuelle Themen. Prof. Dr. Dr. Franz-Josef Radermacher, der Vorstandsvorsitzende und wissenschaftliche Leiter des Forschungsinstituts für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung (FAW) in Ulm, stellte in seinem Leitreferat über "Globalisierung, Informationsgesellschaft und nachhaltige Entwicklung" eine recht konkrete Utopie für den Aufbau einer ökosozialen weltweiten Marktwirtschaft vor. Das "10à4:34-Prinzip" nannte Radermacher seine Zukunftsformel, in dem die "10" für einen "doppelten Faktor 10" und "4:34" für einen neuen Verteilungsschlüssel zwischen Nord und Süd steht. Konkret soll die Erhöhung der Ökoeffizienz der Weltökonomie um einen Faktor 10 ein Wachstum des weltweiten Bruttosozialprodukts in derselben Größenordnung möglich machen - ohne zusätzliche Umweltbelastung und zusätzlichen Ressourcenverbrauch. "Das Wachstumspotenzial ist im Rahmen eines Weltvertrages im Verhältnis 4:34 zwischen Nord und Süd aufzuteilen", fordert Radermacher.
Und formulierte damit zugleich eine Gegenthese zu dem Historiker Joachim Fest. Der nämlich sah mit dem Fall der Berliner Mauer und dem Untergang des Sozialismus zugleich das Ende der Utopien gekommen. "Was damit endet", schrieb er, "ist ein mehr als 200 Jahre alter Glaube, dass sich die Welt nach einem ausgedachten Bilde von Grund auf ändern lasse." Für Radermacher indes ist genau dies eine Überlebensfrage; "Balance oder Zerstörung" laute die Alternative, die sich der Menschheit stelle.

Zeitreise durch die Utopien der Menschheitsgeschichte.


Nach diesem Abstecher in die Zukunft ging es zurück in die Vergangenheit. Auf einer zweieinhalbtägigen Tagung im restaurierten Kloster Roggenburg nahe Ulm stellten 15 vorwiegend junge Historiker im Spätherbst 2002 ihre Ergebnisse vor. In einem breiten Panorama präsentierten sie die Geschichte der Utopien: von Platons "Philosophenstaat", die Bibel mit ihrer Botschaft vom Reich Gottes über die utopischen Inselreiche der frühen Neuzeit bis hin zu den sozialistischen Gegenentwürfen, die bis in die jüngste Vergangenheit die Welt in Atem hielten.
Trotz ihrer Vorläufer in Antike und Mittelalter ist die Utopie ein Produkt der Neuzeit. Ihren Namen erhielt sie bekanntlich durch das berühmte Buch des englischen Humanisten Thomas Morus, das den Titel Utopia trägt und eine Insel im Weltmeer beschreibt, genauer: einen utopischen Inselstaat, der nach idealen Vorstellungen aufgebaut ist. Binnen kurzer Zeit mauserte sich der Werktitel zum Gattungsbegriff und zur "Metapher für einen Ort außerhalb dieser Welt". Die Utopie als Gegenbild, als idealisierter gedanklicher Gegenentwurf zur Realität. Und solche Gegenentwürfe kamen an der Schwelle zur Neuzeit zunehmend in Mode. Meist beschrieben die Autoren utopische Inselstaaten, die irgendwo liegen konnten oder eben nirgendwo - Utopia.
Zwei Jahrzehnte vor der Französischen Revolution vollzog sich dann der Schritt vom idealen Inselreich im nebulösen Nirgendwo hin zur Utopie als Vorbild politischer Veränderung. Die Utopie wurde konkret - und mündete über die utopischen Entwürfe der Frühsozialisten und die vermeintlich wissenschaftliche Begründung des Sozialismus durch Karl Marx und Friedrich Engels in den totalitären Machtanspruch des "real existierenden Sozialismus".

Keine egoistische Utopie.


Fazit: Utopien begleiten die Geschichte des westlichen Kulturkreises seit der Antike. Sie gehören zum kulturellen Gedächtnis der Menschen, und dieses rational oder emotional gespeicherte Wissen "beeinflusst offenkundig das menschliche Handeln", wie Tagungsleiter Prof. Rainer A. Müller ausführte. Utopien sind geradezu ein Wesensmerkmal des Menschen, zumindest aber im westlichen Kulturkreis - dies kann man als eines der zentralen Ergebnisse der Tagung festhalten. Und: "Keine Utopie ist eine egoistische Utopie", wie Gerhard Lux für sich als ein zentrales Ergebnis festhielt. Das Utopienprojekt zeigte auch, dass der Tod der Utopie vermutlich zu früh ausgerufen wurde. Welcher Entwurf aber prägende Kraft entfalten wird, musste indes offen bleiben. Zwei Utopien schienen auf: einmal Radermachers Entwurf einer nachhaltig ausbalancierten Weltökonomie und die (Gen-)technische Utopie von der Vervollkommnung des Menschen.

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Autor

Winfried Kretschmer
Kretschmer

Winfried Kretschmer ist Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX.

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