Expedition in unbekanntes Terrain

Zur EuViz 2014: Martin Haussmann und Karina Antons im Interview
Interview: Jost Burger

Eine Projektgruppe ist ein Team von Forschern und Entdeckern, die ihre Arbeit als Kartierung eines noch unbekannten Gebietes verstehen: ein schönes Bild für das, was Entwicklungsteams weltweit jeden Tag tun. Wie sich diese Kartierung visuell unterstützen lässt, darum geht es auf der EuViz im Track zum Thema "Visual Dialogue".

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Martin Haussmann und Karina Antons gelten in Europa als Vorreiter von Visualisierungstechniken, die gemeinsames Nachdenken grafisch aufbereiten. Dabei kombinieren sie Didaktik (Antons) und Visualisierung (Haussmann). Als Visual Facilitators helfen sie, Projekte, Change-Prozesse oder strategische Fragen mithilfe grafischer Methoden in den Griff zu bekommen. Grundlegender Gedanke ist die Karte, die Gruppenprozesse und Gedankenmodelle grafisch darstellt. Im Mittelpunkt des Workshops stehen die konkreten Möglichkeiten, Abstraktes bildlich darzustellen.
 

Frau Antons, Herr Haussmann, können Sie kurz umreißen, um was es in Ihrem Track gehen soll? 

Eine Grundstrategie von Visualisierung in der Dialog- und Prozessbegleitung ist das Mapping. Dieser Begriff lässt sich wohl am ehesten mit "Kartieren" übersetzen. Stellen wir uns vor, die Gruppe ist ein Team von Forschern, und ihr Dialogprozess eine Expedition in unerkundetes Gebiet. Der Visual Facilitator oder Graphic Recorder dient dieser Expedition als Kartograf: Er hört zu, nimmt die wesentlichen Entdeckungen auf und zeichnet daraus, Schritt für Schritt, ein Schaubild. So entsteht langsam eine Karte des Forschungsgebiets, die Orientierung bietet, weiße Flecken deutlich macht und Erkenntnisse in ihrem Gesamtzusammenhang darstellt.
Diese Strategie ist universell. Am bekanntesten ist sie in Form des populären Mindmappings nach Tony Buzan, wo Gedankengänge als Wege und Verzweigungen abgebildet werden. Es gibt aber noch viele andere Mapping-Ansätze, die wir zusammen mit den Teilnehmenden entdecken, austauschen und systematisieren wollen.
 

Und wie wird das konkret umgesetzt?  

Wir haben uns für Tag eins und Tag drei zwei unterschiedliche Untersuchungskorridore gewählt. Am ersten Tag wollen wir die Mapping-Strategien, die die Teilnehmenden verwenden, miteinander in Resonanz bringen. Das wird in einem Methoden-Marktplatz geschehen. Die so entwickelten "Methoden-Steckbriefe" werden wiederum selbst kartiert und systematisiert: Wie ist mein Vorgehen? Wie groß ist die Gruppe, mit der ich arbeite? Welche Rolle nimmt die Visualisierung ein? Was sind meine Erfolgsfaktoren?
Am Tag drei nehmen wir dann das Kartieren wörtlich und vertiefen uns in die Logik und Bildsprache von tatsächlichen Landkarten. Als Entwickler der bikablo-Visualisierungstrainings beschäftigen wir uns mit diesem Ansatz bereits seit einiger Zeit. Was passiert, wenn eine Dialoggruppe den Untersuchungsgegenstand während ihrer Erkundung in Form einer Landkarte darstellt? Wofür nutzt die Gruppe die Topografie von Kontinenten und Inseln und typische kartografische Elemente wie Städte, Straßen, Brücken, Gebirge oder Flüsse? Wie also interagieren Sachebene und metaphorische Ebene miteinander, und welchen Mehrwert bietet dieses Vorgehen für komplexe Lösungsfindungen?
 

Sie sprechen vom "Tanz", vom "Zauber" zwischen Facilitator und Gruppe. Wie wichtig sind neben den Visualisierungsmethoden an sich Techniken, um so eine starke Verbindung herzustellen?  

Es gibt ja den schönen Satz, wonach jedes Problem wie ein Nagel aussieht, wenn man nur einen Hammer im Werkzeugkasten hat. Mit den visuellen Methoden, die wir für unsere Prozessbegleitungen und Trainings entwickeln, ist es genauso: Es ist natürlich hilfreich, viele unterschiedliche Werkzeuge parat zu haben und zu beherrschen. Wesentlich ist jedoch, Kontexte zu erkennen und die richtigen Fragen zu stellen, um herauszufinden, welches Werkzeug an welcher Stelle bedeutungsvoll sein kann. Deshalb sind Trainingslabors und Pilotgruppenarbeit für uns wichtige Erfolgsfaktoren.
 

Während des Prozesses ergibt sich in Echtzeit eine Art Landkarte von Gedanken, Projekten, Ideen. Wie kann so eine Landkarte auch später noch eingesetzt werden? 

Meist ergibt sich die richtige Nutzung im Prozess selbst: Die Gruppe hat den Wunsch, die Dialoglandkarte im Unternehmen sichtbar aufzuhängen und mit Kollegen darüber ins Gespräch zu kommen. Details zu vergrößern und als Impuls für vertiefende Gespräche zu nutzen. Oder in einer weiteren Iteration eine zweite, überarbeitete Version davon herzustellen. Wichtig ist, dass Prozess und Produkt immer im richtigen Verhältnis zueinander stehen.
 

"Alte Hasen" und Newcomer sind zu ihrem Track eingeladen. Wie erleben Sie das - inwiefern entwickelt der Nachwuchs neue Techniken und Stile?  

Das Spannende an der internationalen "Visual Practitioner"-Szene ist, das sie insgesamt noch sehr jung ist. Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze, und es herrscht eine tolle Stimmung des Austauschens, Ausprobierens und Reflektierens. Insofern - und das motiviert uns ungemein - spielt es gar keine so große Rolle, ob jemand schon seit Jahren "Practitioner" ist oder ganz neu im Geschäft - alle können voneinander lernen.
 

Und wohin entwickelt sich aus Ihrer Sicht Visualisierung generell? 

Auch wenn die Kommunikationslotsen seit über zehn Jahren mit Visualisierung arbeiten: Oft fühlen wir uns wie frisch geschlüpfte Küken, die über den Rand der Eierschale fasziniert und neugierig in die Welt schauen - und zwar in alle Richtungen. Unsere Herausforderung ist es allerdings, jenseits der toll gezeichneten Wandbilder, die unsere Kunden faszinieren, mit den richtigen Fragen und Vorgehensweisen genau an den Stellen von Veränderungsprozessen zu sein, an denen wir wirklich einen Beitrag leisten können.
 

Eine letzte Frage zur Konferenz: Welche Erwartungen haben Sie an die EuViz 2014? 

Dass alle, die dabei sind, mit offenen Herzen, Augen und Ohren in Resonanz miteinander gehen, und dadurch etwas Neues in die Welt kommt.
 

Das Interview haben wir per E-Mail geführt; die Fragen wurden von den Interviewpartnern gemeinsam beantwortet. 


Zitate


"Die Gruppe ist ein Team von Forschern, und ihr Dialogprozess eine Expedition in unerkundetes Gebiet. Der Visual Facilitator oder Graphic Recorder dient dieser Expedition als Kartograf." Martin Haussmann, Karina Antons: Expedition in unbekanntes Terrain

"Wesentlich ist es, Kontexte zu erkennen und die richtigen Fragen zu stellen, um herauszufinden, welches Werkzeug an welcher Stelle bedeutungsvoll sein kann." Martin Haussmann, Karina Antons: Expedition in unbekanntes Terrain

 

changeX 17.06.2014. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Quellenangaben

Weitere Informationen

Zum Buch

: UZMO - Denken mit dem Stift. Visuell präsentieren, dokumentieren und erkunden. Das Praxisbuch zur bikablo®-Visualisierungstechnik. Redline Verlag, München 2014, 304 Seiten, 24.99 Euro, ISBN 978-3-86881-517-7

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Autor

Jost Burger
Burger

Jost Burger ist freier Journalist in Berlin. Er schreibt als freier Mitarbeiter für changeX.

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