Kooperation vor Konkurrenz
Allgemeinplätze wie "in Zusammenhängen denken" haben nur wenig zu tun mit systemischem Management. Das ist nicht einfach nur hübsch und ziemlich en vogue. Sondern es folgt aus dem, was wir heute über uns und die Welt wissen. Ein Buch sichert die Grundlagen.
Wenn eine Idee zur Mode wird, haben ihre glühendsten Anhänger Grund zur Sorge. Zwar wünschen sie dieser Idee Verbreitung, doch nicht um den Preis ihrer Verwässerung. "Systemische Denkansätze sind en vogue", schreibt Cyrus Achouri. Und kann sich doch nicht so recht freuen darüber, obwohl - oder eben weil - er ein so überzeugter Systemiker ist.
Vor allem im Bereich des Management-Coachings und der Beratung von Führungskräften haben "systemische" Ansätze Konjunktur. Doch Achouri, Philosoph und Professor für Management an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen-Geislingen, sieht’s mit Skepsis. Zu oft, so sein Eindruck, beziehe sich das Etikett "systemisch" nur auf "allgemeingültige Aussagen wie ‚in Zusammenhängen denken‘".
Zudem schmücke das Etikett manch fragwürdige Kuckuckskinder. Denn Trends wie kooperatives Führungsverhalten, Hedonismusprinzip, der Ruf nach Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung, so Achouri, hätten "mit systemwissenschaftlicher Forschung wenig zu tun und bringen die Systemtheorie durch ihre mangelnde Fundierung eher in Misskredit". Gerade auch in den konservativen Chefetagen von Unternehmen.
Rückbindung an die Natur des Menschen
In seinem Buch Wenn Sie wollen, nennen Sie es Führung unternimmt Achouri nun den Versuch, die Idee des systemischen Managements vom Kopf auf die Füße zu stellen. Ihre wissenschaftlichen Grundlagen darzulegen, um "systemische Führung als effizienten, der Natur lebender Systeme entsprechenden Ansatz zu präsentieren". Diese Rückbindung an die Natur des Menschen ist für Achouri zentral: Der systemische Ansatz ist nicht einfach nur hübsch und handlich, sondern folgt zwangsläufig aus dem, was wir heute über uns und die Welt wissen.
Um das zu zeigen, galoppiert Achouri mit dem Leser durch das weite und oft unwegsame Terrain verschiedenster Wissenschaften. Er beleuchtet Theorien und Diskurse in der Biologie, der Physik, der Soziologie und Philosophie, streift Chaostheorie, Kybernetik und Thermodynamik, Sokrates, Konrad Lorenz und Werner Heisenberg. Unweigerlich fällt der Leser auf diesem Husarenritt ein ums andere Mal vom Pferd. Doch es spricht für Achouris mitreißende Art der Geländeerkundung, dass der Leser sich immer wieder aufrappelt und neu aufsitzt, um die aufgezeigten Zusammenhänge zu begreifen.
Achouris Kernthese lautet: Fundament der Systemtheorie ist die Evolutionsbiologie. Systemisches Denken basiert für ihn "auf den jeweils aktuellen Erkenntnissen biologischer und kultureller Evolution". So spricht er auch von "evolutionärer Systemtheorie" und entsprechend von "systemisch-evolutionärem Management". Im Sinn hat er dabei allerdings nicht den klassischen Darwinismus mit seinem Leitbegriff der Konkurrenz. Vielmehr beruft sich Achouri auf postdarwinistische Evolutionstheorien, die ohne die Idee des ständigen Wettbewerbs zwischen Artgenossen auskommen. "Die Prinzipien der Evolution sind in ihrer Dynamik weniger durch Mutation und individuelle Konkurrenz bestimmt, sondern im Wesentlichen durch Selbstorganisation, Kooperation, Emergenz, Koevolution und Replikation", fasst Achouri diese Position zusammen.
Ein System so organisieren, dass es sich selbst organisiert
Der Konkurrenzbegriff, so der Autor, mache in der Systemtheorie streng genommen gar keinen Sinn. Denn: "Autopoietische Systeme versuchen gemäß ihrer Entelechie die ‚beste‘ Version ihrer selbst zu werden." Auch neuste Erkenntnisse der Hirnforschung führt er ins Feld, um das "Dogma von der Leistung durch Konkurrenzdruck" ins Wanken zu bringen. "Kooperation", so sein Fazit, "geht vor Konkurrenz."
Eben daraus ergeben sich unausweichlich die bekannten Konsequenzen für systemische Führung: der Verzicht auf umfassende Kontrolle, das Vertrauen auf Selbstorganisation und Selbstregulation von Systemen - im Grunde also die Aufgabe, ein System so zu organisieren, dass es sich selbst organisiert. In der Praxis bedeutet systemisches Management unter Berücksichtigung dieser Selbstorganisation dann: "Einrichtung vieler kleiner Arbeitsteams und Projektgruppen, Aufgabenrotationen, Aufweichung starrer Regelungen, Abschaffung strenger Hierarchien, Erweiterung von Aufgabenbereichen und unbeschränkter Zugang zu Informationen".
Anleitung zur Selbstorganisation
Achouris Buch will und kann nicht mehr sein als eine Skizze. Es reizt an vielen Stellen zur Nachfrage und auch zum Widerspruch. Aber es langweilt nie. Zudem bietet es am Ende der einzelnen Kapitel bündige Zusammenfassungen und ganz am Schluss einen handfesten 30-Punkte-Plan systemischer Führung. Das eröffnet dem Leser vielfältige Lektüremöglichkeiten. "Sie können das Buch von vorne bis hinten durchlesen oder beliebig einzelne Kapitel herausgreifen", schreibt Achouri. Und liefert so ein ganz praktisches Beispiel für die Anleitung zur Selbstorganisation.
Zitate
Systemisches Management unter Berücksichtigung von Selbstorganisation heißt: "Einrichtung vieler kleiner Arbeitsteams und Projektgruppen, Aufgabenrotationen, Aufweichung starrer Regelungen, Abschaffung strenger Hierarchien, Erweiterung von Aufgabenbereichen und unbeschränkter Zugang zu Informationen". Cyrus Achouri: Wenn Sie wollen, nennen Sie es Führung
changeX 19.06.2011. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch
Cyrus Achouri: Wenn Sie wollen, nennen Sie es Führung. Systemisches Management im 21. Jahrhundert. GABAL Verlag, Offenbach 2011, 312 Seiten, 29.90 Euro, ISBN 978-3-86936-174-1
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Autor
Dominik FehrmannDominik Fehrmann ist freier Journalist in Berlin. Er schreibt als freier Mitarbeiter für changeX.