Rausgefiltert

Filter Bubble - das neue Buch von Eli Pariser
Rezension: Anja Dilk

Ist es nicht toll, wenn man automatisch genau die Bücher angezeigt bekommt, die einen interessieren? Was aber, wenn uns das Internet nur noch passgenaue Informationen serviert, alles andere aber ausblendet? Willkommen in der Filter Bubble!

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Eines Tages, als sich Eli Pariser morgens bei Facebook einklinkte, waren seine konservativen Freunde plötzlich verschwunden. Pariser, politisch eher links, aber neugierig auf andere Positionen, sah sich nur noch umringt von seinesgleichen. Wo waren die konservativen Kontakte, mit deren Gedanken, Argumenten und Links er sich so gern auseinandersetzte? Facebook hatte sie gelöscht.  

Eigentlich ist Eli Pariser ein Internet-Optimist. Der Board-Präsident der US-Menschenrechtsgruppierung MoveOn glaubte an die demokratisierende Kraft des Netzes, an neue Freiheiten, an inspirierende Vielfalt. Bis sich die Merkwürdigkeiten häuften.  

Als er zwei Freundinnen bat, nach dem Unfall der Ölbohrplattform Deep Horizon im Golf von Mexiko nach Informationen zu googeln, spuckte die Suchmaschine ihnen auf einmal völlig unterschiedliche Informationen aus. Die eine bekam zum Stichwort "BP" Investmentinformationen, die andere aktuelle Meldungen zur Katastrophe. Die eine fand auf der Seite Links zur Ölpest, die andere nur eine Werbeanzeige des Konzerns.


Informationen, passgenau zusammengestellt


Google hatte die Suchergebnisse so zusammengestellt, wie sie scheinbar am besten zum jeweiligen Nutzer passten. Ähnlich machte es eine Weile später Facebook bei Pariser selbst, als es ihm die Links und Kommentare seiner konservativen Freunde einfach von der Seite strich - offenbar hatte Facebook nachgerechnet und festgestellt, das er die progressiven Äußerungen und Links unterm Strich doch viel häufiger anklickte. Weg also mit dem anderen Kram. Was war nur geschehen mit dem Internet? Eli Pariser machte sich auf die Suche und erkannte: Die Ära der Personalisierung hat begonnen.  

Grund genug für Pariser, zu warnen: "Ohne Ankündigung oder großes Aufsehen beginnt die digitale Welt, sich fundamental zu verändern. Was einmal ein anonymes Medium war, in dem jeder jeder sein konnte, ist zu einem Werkzeug geworden, mit dem man unsere persönlichen Daten abfragt und analysiert", schreibt der Experte. Mithilfe von Cookies und Web Beacons und einer Fülle von Daten von Log-in und Browser über Standort bis zur akribischen Analyse der Begriffe, die man bisher bei Google eingegeben hat, wollen Giganten wie Google, Facebook, Apple, Microsoft und Co. so viel wie möglich über jeden Einzelnen erfahren. "Das neue Internet weiß nicht nur, dass Sie ein Hund sind: Es kennt auch Ihre Hunderasse und will Ihnen eine Schüssel Premiumfutter verkaufen." Und der User bekommt nur noch zu sehen, was zu seinem persönlichen Profil passt - in einer eigenen Filter Bubble.  

Was viele IT-Freaks und Internet-Junkies als Gewinn bejubeln (endlich müssen wir uns nicht mehr mit dem Ballast uninteressanter Informationen quälen), ist für Pariser eine ernste Gefahr. Denn wir verarmen geistig, isolieren uns sozial, polarisieren uns politisch. Wer etwa nur noch Nachrichten bekommt, die zu seinen angestammten Überzeugungen passen, versäumt die notwendige Auseinandersetzung mit anderen Standpunkten. Wer nur noch liest, was ein digitaler Algorithmus ihm aufgrund seiner letzten Buchbestellungen vorschlägt, verzichtet unwillkürlich auf wichtige Inspirationen. Wer dabei nicht mal weiß, welche Informationen wie von wem gefiltert werden, macht sich zum dümmlichen Blindläufer am Haken der Big Player des Internets und läuft Gefahr, einen verzerrten Blick auch auf die reale Welt zu gewinnen. "Nachrichten formen unsere Wahrnehmung der Welt. Sie lassen uns erkennen, was wichtig ist und welche Größen Ordnung, Farben und Eigenschaften unsere Probleme haben. Und was noch wichtiger ist: Sie stellen das Fundament für geteilte Erfahrung und geteiltes Wissen, auf dem unsere Demokratie aufbaut." Die Filter Bubble wird zur Bedrohung für uns alle.


Wir müssen aufwachen


Es ist eine ausnehmend spannende Reise, auf die Eli Pariser den Leser mitnimmt. Und dass er alles andere als ein Internet-Hasser ist, verleiht seinen detailreichen Recherchen und klugen Überlegungen doppelten Nachdruck. Seine Botschaft: Wir müssen aufwachen und etwas tun. Als Einzelne, indem wir beispielsweise gezielt Dinge anklicken, die uns auf den ersten Blick wenig interessieren. Indem wir uns unkalkulierbar verhalten, und nur noch schlecht in ein simples Profilkorsett einordnen lassen. Oder indem wir häufiger Dienste wie Yahoo anwählen, die sich den simplen Personalisierungsstrategien verweigern. Als Unternehmen, indem sie sich an ihre Verantwortung erinnern und User auch mal bewusst mit Themen in Kontakt bringen, die außerhalb ihrer Erfahrungswelt liegen. Als Regierungen, indem sie wo nötig stärker regulieren.  

Das Gute ist: Wir sind viele. Hunderte Millionen auf dem Globus. Pariser ist optimistisch: "Wenn ein Großteil von uns entscheidet, dass ein offenes und freies Internet wichtig ist und wir die Stimme erheben, ... dann haben die Lobbyisten keine Chance."  


changeX 15.06.2012. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Zum Buch

: Filter Bubble. Wie wir im Internet entmündigt werden. Carl Hanser Verlag, München 2012, 288 Seiten, 19.90 Euro, ISBN 978-3-446-43034-1

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Autorin

Anja Dilk
Dilk

Anja Dilk ist Berliner Korrespondentin, Autorin und Redakteurin bei changeX.

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