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Design und Zukunft

Folge 24 der Serie Zukunft der Zukunft
Essay: Anja Osswald

Zukunft ist Nichtwissen. Zunächst. Obwohl wir grundsätzlich nicht wissen können, was kommen wird, gestalten wir mit unserem Handeln heute Zukunft mit. Und machen uns Bilder und Vorstellungen von der Welt von morgen. Welche Zugänge wir zur Zukunft entwickeln können, davon handelt diese Serie. In Folge 24 schreibt Anja Osswald über den Zusammenhang zwischen Design und Zukunft.

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Abstract: Designer antizipieren Zukunft durch Bilder. Design eröffnet neue Möglichkeiten zur Gestaltung von Zukunft, denn es kultiviert den Möglichkeitssinn, der es uns erlaubt, uns flexibel auf die Zukunft einzustellen. Design-Denken gestaltet Möglichkeitsräume, in denen neue Muster und Zusammenhänge erschlossen werden können. Als angewandte Zukunftsforschung macht Design es möglich, komplexe Problemstellungen mit praktischen Lösungsansätzen zu hinterfragen und in eine prototypische Praxis zu überführen. Design hat daher längst seine ehemaligen Fachgrenzen verlassen und wird disziplin- und sektorenübergreifend für Zukunftsfragen immer wichtiger. Zeitgerechtes Zukunftsdenken setzt nicht mehr auf "Zukunft planen", sondern auf "Zukunft gestalten". 

"So ließe sich der Möglichkeitssinn geradezu als die Fähigkeit definieren, alles, was ebensogut sein könnte, zu denken, und das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen, als das, was nicht ist." Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften.


Design-Denken, oder die Gestaltung von Komplexität


Alle reden von Design - und alle reden von Zukunft. Warum das so ist und was das eine vielleicht mit dem anderen zu tun haben könnte, darum soll es in diesem Essay gehen. Um übereilten gedanklichen Kopplungen vorzubeugen: Thema ist weder die Zukunft des Designs noch das Design der Zukunft. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Frage nach der im "und" angezeigten Beziehung zwischen beiden Feldern. Worin besteht die Attraktivität des Design-Begriffs für eine Zeit, in der die Gegenwart sich überwiegend um die Zukunft zu drehen scheint? Welche Möglichkeiten eröffnet Design zur Gestaltung von Zukunft? Lässt sich die Welt der Zukunft "designen"?  

"Design is a kind of mental window shopping", formuliert Herbert Simon und spielt damit auf Design als Prozess, also die Arbeit an Möglichkeiten an. Design kultiviert den Möglichkeitssinn, der uns flexibel auf die Zukunft einstellen soll, und konturiert auf diese Weise gedankliche "Schaufenster". Aus dieser Sicht meint Design-Denken zunächst einmal gestalterisches Denken. Im Unterschied zur Zukunftsforschung, die mit Szenarien weite Zeithorizonte spannt und umfassende Zukünfte entwirft, setzt gestalterisches Denken im Konkreten an. Als Wissensarbeit orientiert es sich an vorgegebenen Rahmenbedingungen. Es steuert Wahrnehmung, baut Präferenzen auf und selektiert Möglichkeiten, geht aber nicht unbedingt davon aus, diese Rahmenbedingungen, Wahrnehmungen und Möglichkeiten vollständig zu verändern - ähnlich wie ein Architekt, der auf vorgegebene Mittel, wie etwa Bebauungspläne, Statik, Umwelt et cetera, Rücksicht nehmen muss wenn er ein Gebäude plant (weil diese außerhalb seines Gestaltungsspielraumes liegen). Das Ziel jedes guten Designers ist es, innerhalb gesetzter Vorgaben eine größtmögliche Vielfalt und - damit einhergehend - Freiheit zu erlangen. Das geschieht durch die Arbeit in heterogenen Gruppenkonstellationen, zu denen neben Designern und Architekten, Statikern und Technikern oft auch Soziologen, Psychologen oder Trendforscher gehören, was eine möglichst vielschichtige Herangehensweise an das gestellte Problem gewährleistet.  

Designer antizipieren Zukunft durch Bilder. Die gewählte Form setzt Grenzen, aber genau diese Limits werden im Gestaltungsprozess immer wieder neu zur Disposition gestellt. Man kann sagen: Design ist Arbeit an Grenzen. Das beinhaltet einen Umgang mit Komplexität in zwei Richtungen: Auf der einen Seite reduziert der Design-Ansatz Komplexität, weil er als Bild, als gestaltete Form notwendigerweise immer nur einen Ausschnitt aus einem größeren Ganzen repräsentiert. Andererseits findet im gestalterischen Prozess durch das Einspielen unterschiedlicher Perspektiven und Herangehensweisen eine Zunahme an Komplexität statt.  

Dasselbe gilt für Design-Denken als Gestaltung von Ideen. Design-Denken entwickelt Möglichkeiten aus der Zukunft heraus, die in interdisziplinären Teams weiterentwickelt oder auch verworfen werden. Von der Annahme ausgehend, dass nur aus möglichst unterschiedlichen Sichtweisen ein facettenreiches Panorama von Möglichkeiten entstehen kann, basiert es auf Interaktion, Partizipation und Teilhabe aller. Jeder Teilnehmer ist "Teil-Geber" einer Idee. Wie ein Designer, bevor er einen Stuhl entwirft, sehr genau unterschiedliche Sitzkulturen studiert und Menschen zu ihren Lebens- und Arbeitsgewohnheiten befragt, stellt Design als strategische Gestaltungsmethode den Nutzer eines Produkts mit seinen Aufgaben, Zielen und Eigenschaften in den Mittelpunkt des Prozesses - und nicht das Produkt selbst. Das nutzerorientierte Design (Human Centered Design) fragt nach der Perspektive des Kunden, wobei die Zusammenstellung von interdisziplinären Teams immer auch die Vielfältigkeit der potenziellen Nutzer repräsentiert.  

Entscheidend ist der multiperspektivische Blick auf eine Thematik, der auch in der gezielten Einbindung von sogenannten "T-shaped people" in den Gestaltungsprozess zum Ausdruck kommt. Damit sind Menschen gemeint, die sowohl ein profundes Fachwissen mitbringen als auch über die Möglichkeit verfügen, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Gezielte Befragungs- und Interviewverfahren ergänzen diesen Prozess der Ideenfindung, an dessen Ende Modeling-Verfahren stehen, in denen entwickelte Gestaltungen getestet und überprüft werden können. Die Eingleisigkeit von Sender-Empfänger-Logiken wird dabei aufgebrochen und durch das kybernetische Prinzip der Wechselwirkung ersetzt. Aus dem Empfänger des designten Objektes wird der Impulsgeber, der unmittelbar Einfluss nimmt auf die Gestaltung von Produkten, Lösungen ebenso wie im größeren Maßstab auf organisationale Entwicklungen oder Arbeitsabläufe und Entscheidungen. Letztlich verlegt Design-Denken damit das Prinzip Open Innovation in den analogen Diskursraum einer konkret greifbaren, realen Auseinandersetzung. Es schafft "enabling spaces, also Ermöglichungsräume, die zu Produkten, Dienstleistungen oder Change-Prozessen führen, denen die spezifischen Anforderungen ihrer Nutzer inhärent sind.


Zukunft gestalten statt Zukunft planen


Dieser besondere Umgang mit Komplexität - Designer sprechen hier von "Simplexity" - brachte dem gestalterischen Denken in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine unerwartete Aufmerksamkeit ein und führte bekanntermaßen zur Entwicklung der Methode des Design Thinking, hier und im Folgenden kursiv gesetzt, um die Marke vom generellen Modus des Design-Denkens zu unterscheiden. Maßgeblichen Anteil an diesem Siegeszug hatte die d.school in Stanford, die ausgehend von der Agentur Ideo Design Thinking seit den 1980er-Jahren als Methodenset zur kreativen Ideenentwicklung in Change-Prozessen weiterentwickelt hat. Das Verfahren orientiert sich an der Arbeit von Designern, die als eine Kombination aus Verstehen, Beobachten, Sichtweisen definieren, Ideen finden, Prototypen entwickeln und Prototypen testen verstanden wird.  

Die Visualisierung und Strukturierung von Prozessen gewinnt dabei vor allem Bedeutung im Sinne einer Gestaltung von Möglichkeitsräumen, in denen neue Muster und Zusammenhänge erschlossen werden können. Dabei stehen folgende Kernfragen im Mittelpunkt:  

  • Wie können die ausgetretenen Pfade organisationaler Routinen verlassen werden?

  • Auf welche Weise entstehen neue Ideen?

  • Wie lassen sich Mindsets verändern?

  • Wie viel Komplexität verträgt eine Idee, wenn sie als Innovation in der "wirklichen Welt" landen will?

Der Grund für den derzeitigen Boom von Design Thinking in den Innovationsabteilungen von Unternehmen sowie in den Thinktanks von Forschungseinrichtungen und Technologie-Start-ups ist genau in diesem neuen Pragmatismus einer, wenn man so will, angewandten Zukunftsforschung zu suchen. Im Übergang von einer auf industriellen Rohstoffen und Wertschöpfungsketten basierten Wirtschaft zu einer immer mehr auf Wissen basierten globalen Ökonomie verspricht die praxisorientierte und interdisziplinär organisierte Auseinandersetzung mit drängenden Zukunftsfragen, die stetig zunehmende Komplexität unserer Lebens- und Arbeitswelten auf ein für alle Beteiligten verarbeitbares und greifbares Niveau zu bringen.  

Ideo und die d.School in Stanford und später in Potsdam haben diesen Trend früh erkannt und daraus ein eigenes Geschäftsmodell entwickelt. Jenseits dieses Brandings lässt sich Design-Denken ganz grundsätzlich als Framing von Herausforderungen beschreiben. Seine spezifische Qualität besteht darin, das Denken aus der abstrakten Betrachtung von Phänomenen in konkrete Handlungspraxen zu überführen, die in prototypischen Gestaltungen buchstäblich greifbar werden. Mit interdisziplinären Teams setzt Design-Denken auf die Durchdringung von theoretischen Problemstellungen und praktischen Lösungsangeboten und macht damit eine Eigenart des gestalterischen Denkens, das "Wissen im Entwurf", für andere Berufsgruppen verfügbar. Komplexe und (vielleicht vorerst nur) theoretische Problemstellungen werden mit praktischen Lösungsansätzen hinterfragt und im Idealfall in eine prototypische Praxis überführt. An die Stelle von "Zukunft planen" tritt "Zukunft gestalten"; mit situationsbezogenen Handlungsmodellen können dann Lösungen erschlossen und kartografiert werden.


Disruptiv denken oder: Kreativität als Ressource


Spätestens seit Richard Floridas Buch The Rise of the Creative Class (2002) gibt es die These, dass die Zukunft den Kreativen gehört. Aber warum? Immerhin ist es noch gar nicht so lange her, da galt der Kreative, der Künstler als Außenseiter der Gesellschaft. Er war ihr verdrängtes anderes, ihre unterdrückte und "wilde" Seite. Heute ist Kreativität ein entscheidender Produktionsfaktor. In einer Welt, in der Innovationszyklen immer kürzer und die Herausforderungen, vor denen wir stehen, immer komplexer werden, sind Ansätze gefragt, die uns in die Lage versetzen, adäquat mit immer neuen Herausforderungen umzugehen und neue Lösungsansätze zu formulieren. "Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind", wusste schon Albert Einstein. Und das bedeutet in erster Linie: anders denken, um anderes zu ermöglichen.  

In diesem Zusammenhang erfährt der Kreative als Innovationsstratege eine unerwartete Aufwertung. Denn Kreative sind geschult im Umgang mit Komplexität, Ungewissheit, Chaos - das ist Teil ihrer Kernkompetenzen. Kreative sind Störer von Routinen, und es gehört zu ihrem Berufsbild, veränderte Sichtweisen zu eröffnen und die Welt "mit anderen Augen" zu sehen. Das lehrt uns die Geschichte der modernen künstlerischen Avantgarden, die im Kern auf einer permanenten Infragestellung des Vorhandenen beruht, genauso wie die Mode mit ihren saisonalen Innovationen. "I am not afraid of new ideas, I am afraid of old ones", mit diesen lakonischen Worten bringt Joseph Beuys diese kreative Lust an Veränderung auf den Punkt. Ebenso wie der gute Künstler "ver-rückte" Perspektiven einnimmt und damit neue Sichtweisen erschließt, ist auch der gute Designer ein Perspektiven-Verrücker. Kreative praktizieren Schumpeters Prinzip der "schöpferischen Zerstörung", indem sie neue, andere Wege jenseits der bekannten Pfadabhängigkeiten suchen. Diese Erschließung des Nicht-Dagewesenen, des Noch-nicht-Gedachten macht sie zu wichtigen Akteuren in Zeiten des postheroischen Managements, in denen die Offenheit für neue Rahmenbedingungen jedweder Art einen entscheidenden Parameter für Zukunftsfähigkeit bildet.  

Nicht zufällig sind aktuelle Veröffentlichungen im Kontext von Change Management und Organisationsentwicklung denn auch gespickt mit Kreativitätstechniken. Abgeleitet aus der Praxis von Kreativen und angereichert mit Erkenntnissen aus der Hirnforschung und Psychologie werden hier Tools vorgestellt, die dazu beitragen sollen, die wertvolle Ressource Kreativität auch im noch so normalen Büroarbeiter zu aktivieren. Alle modernen Managementmethoden, von Kaizen bis zu Total Quality Management versuchen, diese Erkenntnisse nutzbar zu machen und in der Praxis der Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen umzusetzen.  

Umso erstaunlicher ist es, dass Design Thinking, das sich ja explizit aus der kreativen Praxis herleitet, die Rolle des Kreativen nicht explizit erklärt - und in der Konsequenz auch nicht explizit einbindet. Zwar ist die Rede von möglichst interdisziplinären Teams, aber die ausdrückliche Aufforderung, den "kreativen Störer" einzubeziehen, fehlt. Um Missverständnissen vorzubeugen: Dies ist kein Plädoyer für eine Institutionalisierung des Störers oder seine fixe Verankerung in der Gruppe. Unbedingt notwendig ist allerdings die Berücksichtigung einer unabhängigen und freien Haltung, die kein Stakeholder einnehmen kann. Nur so kann Design-Denken ein "wildes Denken" integrieren. Im Sinne von Claude Lévi-Strauss ist damit ein Denken in komplexen Bildern gemeint, das durch Assoziation und Kombinatorik entsteht, nicht durch Abstraktion und empirisch-logische Kausalitäten. Kreative verfügen über dieses Denken in Bildern. Wohlgemerkt: Gemeint sind hier nicht ausschließlich die Kreativen im engeren Sinn, sondern generell solche Persönlichkeiten, die über eine Freiheit des Denkens verfügen, indem sie dazu in der Lage sind, Ideen, Dinge und Sachverhalte in Beziehung zu setzen - auch und gerade dann, wenn diese zunächst keine Zusammenhänge erkennen lassen. Design-Denken braucht den produktiven Störer, den Narren am Hofe des Königs, der auch unbequeme Wahrheiten aussprechen darf.  


Evolution statt Revolution


Zum Schluss eine philosophische Betrachtung. Vor einigen Jahren hat Bruno Latour einen klugen Text veröffentlicht, der die Konjunktur des Designs im Kontext eines gesellschaftlichen Paradigmenwechsels im Übergang von der Moderne zur Nachmoderne nachzeichnet. In der Erweiterung des Design-Begriffs von seiner herkömmlichen Definition als Gestaltung von Dingen auf Landschaften, die Kommunikation, auf Produktions- und Dialogprozesse, politische Systeme, Menschen, Gene und Wissenschaften bis hin zur Natur selbst sieht der Soziologe ein deutliches Symptom für die grundlegende Veränderung in unserer kollektiven Definition von Handlung. Normalerweise besteht die Tätigkeit eines Designers nicht darin, etwas radikal Neues zu bauen, sondern etwas, das bereits da ist, zu verändern beziehungsweise zu verbessern. Design beinhaltet die Arbeit an Dingen - ob das Stühle sind, die seit Jahrtausenden designt werden, oder neuerdings eben Prozesse oder Gene. Design schlägt eine Brücke zwischen dem, was war, und dem, was sein könnte. Design, so Latour, markiert die Abkehr vom modernen Paradigma der Konstruktion und Beherrschung hin zum Paradigma des Involviertseins und der Abhängigkeit. Sein wesentliches Kennzeichen besteht in der Verbindung aus Vision und Handwerk. Design ist mehr Evolution als Revolution: "Ich möchte behaupten, dass Design einer der Begriffe ist, die das Wort ,Revolution‘ ersetzt haben! Wenn man sagt, dass alles designt und redesignt werden muss (einschließlich der Natur), dann ist etwas impliziert wie: weder wird es revolutioniert noch modernisiert werden. Für mich ist das Wort Design ein kleiner ,Tracer‘, dessen Ausbreitung beweisen könnte, wie sehr wir aufgehört haben zu glauben, dass wir modern gewesen sind." 

Die Konjunktur des Design-Begriffs steht demnach in Abhängigkeit zu einem Paradigmenwechsel, der seine besondere Bedeutung vor dem Hintergrund der ständig wachsenden Herausforderungen in einer globalisierten, nachmodernen Welt gewinnt, deren Komplexität nicht mehr durchschaut werden kann: "Das sich ausweitende Konzept von Design zeigt eine tiefgehende Verschiebung in unserem Gefühlshaushalt an, die sich genau in dem Moment ereignet, von dem an die Skala dessen, was überarbeitet oder neu gemacht werden muss, unendlich viel größer geworden ist - kein politischer Revolutionär, der die kapitalistische Produktionsweise in Frage stellte, zog je in Betracht, das Erdklima zu redesignen." So nochmals Bruno Latour.


Design als Reaktion auf Komplexität


Mit anderen Worten: Design stellt eine intellektuelle und sensuelle/gestalterische Reaktion auf Komplexität dar, indem es auf die großen Herausforderungen der Zeit mit der Arbeit an jeweils spezifischen und konkreten Detailfragen antwortet. Design ist nicht der "große Wurf" und die radikale Veränderung, sondern stellt eine Handlungsmethode dar, eine Methode der Einmischung und des Involviertseins, die sich einlässt auf die Artefakte und die Dinge und die Veränderung im Konkreten sucht.  

Vor dem Hintergrund der großen Ideale und Heldengeschichten, die das Zeitalter der Moderne in unserer westlichen Kultur geprägt haben, klingt das natürlich erst einmal etwas fad und klein gedacht. Für eine Zivilisation jedoch, die angesichts von Globalisierung, Digitalisierung und all den anderen exponentiellen Komplexitätszunahmeparametern in eine Art Schockstarre zu verfallen droht, weil ja in Anbetracht der Vernetzung von allem mit allem und der inhärenten Wechselwirkungen sowieso nichts zu helfen scheint, für die eröffnet dieser neue Begriff von Design buchstäblich Gestaltungsspielräume.  

Und genau darin liegt ein wesentlicher Grund, warum Design längst seine ehemaligen Fachgrenzen verlassen hat und disziplin- und sektorenübergreifend für Zukunftsfragen immer wichtiger wird. Ob es um die Gestaltung von Prozessen geht (Design Thinking, Collaborative Design), um die Modulierung von Erfahrung (Experience Design) oder um ganz umfassende und tief greifende Veränderungsprozesse (Transformation Design): Zeitgerechtes Zukunftsdenken setzt nicht mehr auf "Zukunft planen", sondern auf "Zukunft gestalten". Als Methode der Interpretation, der kreativen Störung von Routinen und neuen, assoziativen Formen des In-Beziehung-Setzens dreht Design an den Stellschrauben für Veränderung und bietet sich für die Thematisierung und Problematisierung von systemischen Fragen an.  

"It’s not about the world of design. It’s about the design of the world", fasst Bruce Mau, einer der führenden Designer weltweit, das Credo eines solchermaßen gewandelten Design-Begriffs zusammen. Um nicht mehr und nicht weniger geht es. Design ist nicht der Masterplan zur Lösung aller globalen und lokalen Probleme, aber eine Methode, die die "Kreativität des Kreativen" in Bereiche bringen kann, in denen diese bisher nicht zu Hause war.  


Literatur 

"Design Thinking". In: Revue für postheroisches Management, Heft 8, 2011
Bruce Mau: Massive Change. Phaidon Press, London 2004
Herbert A. Simon: The Sciences of the Artificial. Massachusetts Institute of Technology, Cambridge 1996
Heinz von Foerster: KybernEthik. Merve, Berlin 1993
Richard Florida: The Rise of the Creative Class. Basic Books, New York 2002
Claude Lévi-Strauss: Das wilde Denken. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1968
Bruno Latour: "Ein vorsichtiger Prometheus. Einige Schritte hin zu einer Philosophie des Designs, unter besonderer Berücksichtigung von Peter Sloterdijk". In: M. Jongen, S. v. Tuinen, K. Hemelsoet (Hg.): Die Vermessung des Ungeheuren. Philosophie nach Peter Sloterdijk. Wilhelm Fink, München 2009, S. 356-373, online: http://www.bruno-latour.fr/sites/default/files/downloads/112-DESIGN-SLOTERDIJK-DE.pdf (Direktlink siehe Links)


Zitate


"Designer antizipieren Zukunft durch Bilder." Anja Osswald: Design und Zukunft

"Design ist Arbeit an Grenzen." Anja Osswald: Design und Zukunft

"Anders denken, um anderes zu ermöglichen." Anja Osswald: Design und Zukunft

"Design-Denken braucht den produktiven Störer, den Narren am Hofe des Königs, der auch unbequeme Wahrheiten aussprechen darf." Anja Osswald: Design und Zukunft

"Zeitgerechtes Zukunftsdenken setzt nicht mehr auf ,Zukunft planen‘, sondern auf ,Zukunft gestalten‘." Anja Osswald: Design und Zukunft

 

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Autorin

Anja Osswald
Osswald

Dr. Anja Osswald ist Kunst- und Kultur-wissenschaftlerin und hat an diversen Kunsthochschulen Medientheorie und -ästhetik unterrichtet. Außerdem ist sie als freie Autorin in diversen Feldern tätig. Seit 2008 arbeitet sie als Kreativdirektorin in den Bereichen Konzeption und Strategieentwicklung bei TRIAD, einer Berliner Agentur für Kommunikationsdesign in 3-D. Dort entwickelt sie gemeinsam mit Kunden und in wechselnden Teams Themen- und Kommunikationsräume, in denen Zukünfte erforscht, diskutiert und erlebt werden können.

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