Bloß keine Dogmen!
Living at Work-Serie | Folge 11 | - Bernhard Kallup über Büroeinrichtung und Mitarbeiterzufriedenheit.
Wem die Motivation und Leistungsfähigkeit seiner Mitarbeiter wichtig sind, der achtet ihre unterschiedlichen Bedürfnisse - und gibt ihnen die Möglichkeit, sich für eine individuelle Bürolösung zu entscheiden. Viele Führungskräfte haben unterschätzt, wie sehr es auf das "Heimatgefühl" ihrer Mitarbeiter ankommt.
Höchste Effizienz oder Mitarbeiterzufriedenheit - zwischen diesen beiden Polen bewegen sich neu geplante Büros. Bei diesem Thema wird ganz schnell deutlich, ob der Mitarbeiter im Unternehmen nur in Sonntagsreden im Mittelpunkt steht oder ob wirklich auf seine Bedürfnisse geachtet wird. Es gibt Unternehmen, die den Mitarbeiter als reinen Kostenfaktor sehen und die auf höchste Quadratmeterproduktivität stark achten, auf der anderen Seite gibt es Unternehmen, die den Mitarbeiter als entscheidendes Leistungspotenzial sehen. Bei Bauprojekten solcher Firmen wird beispielsweise auch diskutiert, eine Cafeteria einzubauen oder Rückzugszonen in Bürogebäuden zu schaffen, in denen sich Mitarbeiter kurzfristig regenerieren oder in einer entspannten Atmosphäre kreativ arbeiten können. Unter Druck an einem flächenoptimierten Arbeitsplatz fällt das natürlich nicht so leicht.
Der Lohn der Vision.
Der Dreh- und Angelpunkt ist die
Vision eines Unternehmens. Sie wirkt sich stark auf die Kultur
aus und damit auch darauf, wie gearbeitet wird und welche Mittel
dem Mitarbeiter zur Verfügung gestellt werden, um möglichst
effizient zu arbeiten. Ein schönes Beispiel: Wir haben bei Sedus
eine Vision, die eine rationale und eine emotionale Komponente
enthält. Wenn ich eine solche Vision ernst nehme, muss ich dem
Mitarbeiter nicht nur eine Bürolandschaft bieten, die all das
enthält, was er braucht, sondern ich muss ihm dieses Büro auch so
gestalten, dass er sich darin möglichst wohl fühlt. Damit die
Arbeit nicht nur Arbeit, sondern Teil des Lebens ist.
Dafür ist ein individuelles Umfeld wichtig. Jeder
Mitarbeiter kann sich bei uns für sein Büro Pflanzen und Möbel
aussuchen, außerdem kann er sich aus dem Fundus verschiedener
Galerien sein ganz persönliches Bild wählen. Da die Möbel alle
aus einem vorher definierten Portfolio stammen und einem
bestimmten Gesamtkonzept entsprechen, entsteht trotz dieser
Wahlfreiheit kein buntes Chaos. Allerdings sollte man darauf
achten, dass die Mitarbeiter bei der Möbelauswahl beraten werden,
damit es nicht zu Fehlentscheidungen kommt. Wenn Sie sich
beispielsweise nur kurz auf einen Stuhl setzen, werden Sie einen
bequemen Stuhl als den besten Stuhl empfinden - ein härteres
Polster ist aber ergonomisch sehr viel sinnvoller für längere
Arbeiten.
Das emotionale Umfeld, das wir schaffen wollen, betrifft
nicht nur den Einzelarbeitsplatz, sondern das ganze Umfeld. Zum
Beispiel die Kantine, in der wir - was nur sehr wenige Firmen tun
- unseren Mitarbeitern eine Vollwertküche mit ökologischen
Lebensmitteln anbieten. Unsere Unternehmensvision war sogar
entscheidend dafür, wie wir unser neues Hochregallager gebaut
haben. Es ist 115 Meter lang, 30 Meter hoch und mit 17.000 bunten
Paneelen verkleidet. Ein solches Lager würden Sie nie bauen, wenn
Sie nicht eine emotionale Komponente in Ihrer Vision hätten.
Sonst würden Sie einen grauen Klotz hinstellen. Für uns hat sich
das Experiment gelohnt, wir erleben begeisterte Mitarbeiter, aber
auch Kunden und Händler, die zu uns kommen und sagen: "Das ist ja
ein tolles Ding, das ist ganz was anderes!"
Das ist für mich ein schönes Beispiel dafür, was sich
ergeben kann, wenn man eine Vision hat und nicht nur nach
strategischen Plänen vorgeht. Die Unternehmensvision ist für mich
das tragende Element unseres Erfolges, weil wir dadurch alle an
einem Strang ziehen und gemeinsame Ziele haben, an denen wir alle
zusammen arbeiten können.
Bloß keine Dogmen!
Wir haben sehr unterschiedliche
Arbeitsplätze. In manchen Abteilungen gibt es zwar einzelne
Arbeitsbereiche, aber auch einen großen Rahmen, das heißt ein
Großraumbüro mit Unterteilungen. In anderen Bereichen hat sich
gezeigt, dass für einige Mitarbeiter ein Einzelbüro besser ist.
Wir haben aber auch Doppelbüros, Dreifachbüros und so weiter -
alle Mischformen sind vertreten. Schlicht und einfach, weil die
Büroformen den Bedürfnissen der Mitarbeiter angepasst sein
sollten. Manche Menschen sind Einzelkämpfer, andere Teamworker.
Wenn ein Mitarbeiter eine "Einzelkämpferfunktion" hat, macht es
wenig Sinn, ihn mit vier anderen Kollegen in einen Raum zu
setzen.
Man sollte das Thema "Raum" sehr variabel behandeln,
strikte Dogmen wie "Bei uns soll es nur Zellenbüros geben" machen
keinen Sinn. Alle Formen haben ihre Berechtigung, allerdings nur
individuell zugeschnitten auf die Arbeitsprozesse. Konzepte, bei
denen die Mitarbeiter keinen eigenen Schreibtisch mehr haben,
sind vor Jahren extrem modern geworden. Wenn Mitarbeiter vier
Tage beim Kunden und einen Tag im Büro sind, macht so ein System
mit Sicherheit Sinn. Wenn ein Mitarbeiter vier Tage im Büro und
einen Tag außerhalb ist, kann ich theoretisch 20 Prozent
einsparen, wenn ich die Fläche optimieren will. Vielleicht sogar
auch praktisch. Die wesentliche Frage ist aber eher eine
psychologische: Wann fühlen sich Mitarbeiter besonders wohl und
wann sind sie besonders leistungsfähig? Wissenschaftler haben
herausgefunden, dass jeder Mitarbeiter einen Ort, einen
Bezugspunkt, im Unternehmen braucht. Ob das jetzt sein ganz
persönlicher Schreibtisch ist oder die Cafeteria, wo sich eine
Gruppe von Mitarbeitern regelmäßig trifft.
Ich würde heute niemals ausschließlich eine
Flächenoptimierung machen, weil der Verlust an Produktivität
durch mangelnde Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter viel größer
ist als die Kosteneinsparung. Denn die Leistungsfähigkeit hängt
von der Motivation ab und diese wiederum - unter anderem - vom
"Heimatgefühl". Hat er das nicht, wird der Mitarbeiter vor sich
hin arbeiten und vor allem sein Einkommen optimieren. Darauf
weisen wir Unternehmen, die "Nomadenbüros" planen, immer hin.
Diese Zusammenhänge sind übrigens auch ein Problem der
Ich-AGs. Meiner Meinung nach wird der momentane Trend zur
Vereinzelung irgendwann kippen und die Leute werden erkennen,
dass sie gemeinsam viel stärker sind als allein, dass viele
Ergebnisse aus der Gruppendynamik heraus entstehen.
Schritt halten mit der Veränderung.
Solche Bürokonzepte sind
entstanden, weil sich bei den Arbeitsprozessen in den letzten
Jahren viel verändert hat. Heute gibt es kaum noch einen
Arbeitsplatz, an dem nicht die Möglichkeit besteht, mit IT- und
Datennetzen zu arbeiten. Das war eine gewaltige Veränderung, weil
man viele Informationen über das Internet holen kann, ohne
Kataloge und Akten auszutauschen. Auch die
Informationsarchivierung hat sich verändert, obwohl heute immer
noch sehr viele Schränke und Container mit Archiven in Büros
herumstehen. Der Papierverbrauch steigt interessanterweise
permanent, obwohl die meisten Arbeitsprozesse inzwischen
elektronisch ablaufen könnten.
Immerhin haben die Designer versucht, sich auf die neuen
Arbeitsbedingungen einzustellen. Der Trend geht eindeutig in
Richtung Möbel, die so aufgebaut sind, dass sie variabel auch an
einem anderen Platz eingesetzt werden können. Aber unter alle
Möbel Rollen zu machen war auch nur ein gewisser Gag. Man braucht
nicht unbedingt Rollen, um einen Tisch drei Meter weiter zu
befördern. Und es gibt Bereiche, bei denen man erkennt, dass dort
in den nächsten Jahren relativ statisch gearbeitet werden wird.
Leider ist es nicht ganz so einfach, auch das Gebäude
selbst flexibel einzusetzen. Es gibt zwei unterschiedliche
Möglichkeiten - entweder Sie bauen Ihr eigenes
Unternehmensgebäude, das idealerweise auf Ihr Unternehmen und
seine Vision zugeschnitten ist, oder Sie verwenden angemietete
Räume. In Letzteren ist eine Individualisierung auf das
Unternehmen kaum möglich. Manchmal hat man Glück und die Flächen
sind relativ variabel gehalten, so dass sich jedes Unternehmen
seiner Kultur und seiner Ausrichtung entsprechend einrichten
kann. Aber oftmals sind die Büroräume fest vorgegeben und dann
wird eine übergestülpte Büroausstattung oder -landschaft
gestaltet, die nicht unbedingt mit der Vision und den Prozessen
des Unternehmens in Einklang zu bringen ist.
Passgenaue Bürogebäude.
Auch bei dem für sich selbst
gebauten Gebäude kann es passieren, dass man nach einer Weile
unzufrieden damit wird. Dafür sorgt der permanente Wandel, dem
Unternehmen unterworfen sind. Auch wir bei Sedus würden das, was
wir vor ein paar Jahren für uns gebaut haben, heute wieder etwas
anders gestalten. Um ein Beispiel zu geben: Wir hatten früher
geschlossene Büros, und dann in einem Neubautrakt zum Flur hin
Glaswände, so dass zum Beispiel jeder mich bei der Arbeit oder
beim Mittagsschläfchen auf dem Open-up-Stuhl beobachten kann. Das
hat sich bewährt, inzwischen würden wir drei Vorstandskollegen
jedoch am liebsten zusammensitzen, was im Moment rein räumlich
nicht möglich ist. Früher hatte jeder seinen abgetrennten Bereich
und machte in seinem "Fürstentum" das Beste daraus. Heute
arbeiten wir vernetzter und teamorientierter als früher im
hierarchisch geprägten Unternehmen. Das Optimum wäre sicher ein
variables Gebäude, in dem man schnell mal eine Glaswand einziehen
oder die Aufteilung der Räume verändern kann. Solche Systeme gibt
es, aber sie könnten noch deutlich besser werden.
Wenn ein neues Bürogebäude geplant wird, sollte die
Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Dienstleistern
möglichst früh einsetzen. Bei einem Neubau ist natürlich der
Architekt maßgeblich gefragt, aber er sollte sich schon zu einem
frühen Zeitpunkt mit dem Büromöbelhersteller kurzschließen und
nicht einfach nur ein Gebäude entwickeln. Je früher Facility
Manager, Architekten, Vertreter des Unternehmens und
Ausstattungsberater zusammenwirken, desto besser wird das Gebäude
auf die spätere Mannschaft passen.
Wenn jemand für Sedus arbeitet, ob es nun ein Architekt,
Fotograf oder zum Beispiel Designer ist, muss er natürlich die
Vision des Unternehmens verinnerlicht haben. Denn was
letztendlich entsteht, muss zur Marke und Kultur der Firma
passen.
Übersicht aller bereits erschienenen Beiträge der "Living at Work-Serie".
English version: PDF-File.
Bernhard Kallup ist Vorstandsvorsitzender der Sedus Stoll AG, einem bedeutenden europäischen Hersteller von Büroeinrichtungen.
Zum changeX-Partnerportrait: Koelnmesse GmbH.
www.orgatec.de
Vom 19. bis 23. Oktober 2004 |
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