Männer, Frauen, Schreibtische
Living at Work-Serie | Folge 29 | - Uta Brandes über Geschlechterrollen im Büro.
Ursprünglich waren Sekretäre verschwiegene Staatsbeamte. Erst im 19. Jahrhundert, als Schreibmaschine und Telefon Einzug in die Büros hielten und die Tätigkeiten dort abgewertet wurden, wurde die Sekretärin zum Inbegriff für Büroarbeit. Doch seit es immer mehr weibliche Chefs gibt, sind die Geschlechterrollen im Büro - Thema zahlloser Bürowitze - im Umbruch.
Die Sekretärin gehört zum Büro wie,
sagen wir mal, die Mutter zum Kind (oder umgekehrt?). Daran hat
auch die Digitalisierung nicht wirklich etwas verändert. Zwar
sieht man heute hin und wieder einen dynamischen Manager, der
einige seiner E-Mails selbst beantwortet, aber das besagt nicht
viel. Denn erstens trifft dies überwiegend auf Jüngere zu - und
die gehören gewöhnlich noch nicht in die Chefetage - und zweitens
wird der gehobene Büromensch auch in Zukunft, neben
arbeitsorganisatorisch-funktionalen Argumenten, eine Sekretärin
brauchen, um den Status zu verdeutlichen, das Territorium zu
markieren.
Das heißt: Die Sekretärin muss bleiben. Aber sie war nicht
immer da.
Der Sekretär als Geheimnisträger.
Als das eindeutig staatstragende
"Bureau" im feudalistischen Frankreich entstand, war es durch und
durch männlich. Der Bureau-Chef, der Staatsbeamte, bedurfte der
Gunst des Königs und musste dementsprechend aus einer diesem
ergebenen bedeutenden Familie stammen.
Ein weiterer mit dem Staatsbeamten verknüpfter Begriff hat
sich historisch vererbt: der (Staats-)Sekretär war ein
Geheimschreiber (von
secret, Geheimnis), der "Vortragende unter vier Augen".
Die Tatsache, dass aus dem loyalen, verschwiegenen männlichen
Subjekt später im zivilen Leben ein Objekt, ein Möbelstück wurde,
ist gar nicht so erstaunlich. Denn der gegenständliche Sekretär -
oft mit Geheimfächern ausgestattet - verschloss die nicht für die
Öffentlichkeit bestimmten Dokumente und Papiere. Der
menschlich-männliche Sekretär hatte sich durch die gleichen
Eigenschaften auszuzeichnen. Auch im 19. Jahrhundert blieb das
Büro eine eindeutig männliche Domäne. Die "white collars" oder
"en faux col" (mit abknöpfbarem Kragen) verweisen nicht nur auf
die hierarchische Differenz zu den "blue collar"-Arbeitern,
sondern erst recht auf das männliche Geschlecht durch das
exklusiv Männer definierende Kleidungsaccessoire.
Die Dienende.
Mit der Ausweitung der Büros für
private Unternehmungen profanisierten sich alsbald Subjekt und
Objekt des Sekretärs zu gewöhnlichen Schreibern und Kopisten auf
der menschlichen sowie Schreibtischen auf der sächlichen Seite.
Aber mit den grundlegenden und rapide sich entwickelnden
technischen und organisatorischen Veränderungen der Büros zum
Ende des 19. Jahrhunderts verschwanden die Sekretäre mit ebenso
rasanter Geschwindigkeit: Die Mechanisierung der Büros durch die
Schreibmaschine und die Einführung des Telefons vereinheitlichten
Arbeitsinhalt sowie -organisation, beschleunigten, verbilligten
und disqualifizierten die Büroarbeit fundamental. Innerhalb
kurzer Zeit übernahmen diese abgewerteten Arbeiten - der
gesellschaftlich-ideologischen Logik einer
geschlechtsspezifischen Bewertungshierarchie folgend -
Stenotypistinnen und Telefonistinnen.
Längst ist die Sekretärin zum Inbegriff für weibliche
Büroarbeit geworden. Auf unterschiedlichen Stufen der Hierarchie,
aber immer in dem Chef zuarbeitender, erinnernder,
organisierender, mütterlich oder sexy zugewandter Weise - dienend
eben. Der Sekretärin wurde die zweifelhafte Ehre zuteil, diese
Art der Bürotätigkeit in aller Welt fast hundertprozentig zu
dominieren. Sollte es hin und wieder einen männlichen Sekretär
geben, dürfen wir davon ausgehen, dass er entweder Privatsekretär
eines berühmten oder reichen Mannes ist, oder, sofern er in einem
Unternehmen arbeitet, auf keinen Fall Sekretär heißt, sondern
"Assistent der Geschäftsführung" oder, englisch, irgendetwas mit
"Manager". Eine weitere Möglichkeit wäre noch, dass er bei der
UNO arbeitet: Ein Generalsekretär ist äußerst reputierlich; eine
Generalsekretärin aber würde ziemlich irritierend wirken und hat
es bisher auch noch nie gegeben.
Die Chefin verändert alles.
Allerdings: Wenn auch nicht bei der
UNO, so finden sich doch mittlerweile einige wenige Frauen in
Toppositionen. Das heißt: In diesen Fällen müssen Männer "unter
einer Frau" arbeiten. Nun wird heutzutage kein Mann mehr - und
schon gar nicht in Gegenwart seiner Chefin - lauthals verkünden,
Frauen seien dafür nicht geeignet und gehörten ins Haus.
Interessant aber ist, dass Aktivitäts- und Verhaltensformen sich
beträchtlich verändern, wenn die Spitze weiblich besetzt ist.
Plötzlich müssen Worte und Scherze permanent darauf überprüft
werden, ob sie angemessen sind.
Dasselbe gilt etwa für Freizeitaktionen während einer
Tagung oder einem
incentive meeting: Ist die Chefin dabei, geht man abends
kultiviert und gesittet essen statt in die Sauna, Table Dance
Bars oder ähnliche Etablissements - und recht früh zu Bett.
Darüber hinaus fließt nicht der Alkohol, sondern eher das
Mineralwasser in Strömen, so dass am nächsten Morgen alle früh,
gesund und munter zum Frühstück erscheinen. In Japan, das bis in
die Gegenwart einem noch viel traditionelleren
Geschlechterverständnis frönt als westliche Gesellschaften,
bedauern Männer zutiefst, wenn Frauen bei den allabendlichen, uns
ohnehin etwas infantil anmutenden After-Work-Beschäftigungen
zugegen sind. Denn dann muss das Trinken eingeschränkt werden,
und Spiele wie "Blinde Kuh" können auch nicht stattfinden.
Fazit: Für Unternehmen in Ost und West wäre die massenhafte
Einstellung von weiblichen Vorgesetzten vernünftig, da das Klima
arbeitsamer und "gediegener" zu werden verspricht. Doch man darf
die emotionalen Komponenten nicht unterschätzen: Wenn männliche
Büroangestellte sich ständig disziplinieren, sozusagen immer auf
der Hut sein müssen, scheint das auf Dauer womöglich
gleichermaßen dysfunktional. Dieser Widerspruch lässt sich in der
bürokratischen Geschlechterdebatte gegenwärtig kaum lösen.
Wie viel Bürowitze verraten.
Konstruktion und Inszenierung von
Geschlechterrollen äußern sich am deutlichsten im klassischen
Bürowitz. Allein, dass es solche eigene und klar konturierte
Sparte von Witzen gibt, weist auf die Relevanz dieses Ortes und
der Beziehung der dort arbeitenden Menschen hin.
Die meisten Bürowitze behandeln die Beziehung zwischen dem
Chef (dem "Direktor") und seiner Sekretärin. Allen gemeinsam ist
eine erstaunlich überkommene Projektionsstruktur, die nach den
1950er Jahren klingt. Doch da diese Witze praktisch unverändert
im Internet zu finden sind, scheinen sie in dieser Form immer
noch erzählt zu werden.
Der vorherrschende Bürowitz handelt von geilen Chefs und
sexy Sekretärinnen, wobei der aktive obszöne Part - und damit
das, was den Witz zum Witz machen soll - in der Regel männlich
angelegt ist. Die Sekretärin agiert entweder überhaupt nicht und
wird nur durch das vom Chef Gesagte als hübsch, jung, sexy
kenntlich, oder aber sie sagt etwas harmlos Gemeintes, was der
Chef metaphorisch in Sexistisches verwandelt.
Die zweite, ebenfalls weit verbreitete Version belustigt
sich über das Bild der komplett dummen (und oft zusätzlich
hübschen) Sekretärin, die alle Anweisungen missversteht oder
unfähig ist, Arbeiten zu erledigen. Hier kommt es eher vor, dass
der Witz sich aus der dusseligen Frage oder Antwort der
Sekretärin ableitet, sie also sozusagen den aktiven Part innehat.
Auch relativ häufig findet sich das Gespräch zwischen
Sekretärinnen, die sich entweder über den - im Witz abwesenden -
Chef unterhalten beziehungsweise ihn kommentieren oder aber sich
über die sexlastigen Aktionen einer abwesenden Kollegin den Mund
zerreißen. Und schließlich spielen Ehefrauen im Verhältnis zur
Sekretärin eine gewisse Rolle; wobei normalerweise die Ehefrauen
alt, hässlich, kontrollierend, verbittert und eifersüchtig, die
Sekretärinnen jung und hübsch sind.
Weniger oft findet sich die Konstruktion von der alten,
hässlichen Sekretärin, die entweder von der Ehefrau des Chefs
besorgt wurde, oder die dumm und vertrocknet sich darüber freut,
dass sie von den Büromännern die meiste Schokolade auf einem
Betriebsfest erhalten hat - die Alternative war ein Kuss.
Zum Abschluss noch ein Zitat, das ich sehr treffend finde:
"Das Büro stellt unvermeidlich Mittel bereit, die zur Darstellung
von Geschlecht und zur Bestätigung von Geschlechtsidentität
benutzt werden können", hat Brigitte Felderer im Sammelband
work @ culture geschrieben. "Aussehen, Arbeitsteilung,
Anredeformen, Produktdesign werden hingestellt als natürliche
Folgen des Unterschieds zwischen den Geschlechtern, obwohl sie
tatsächlich mehr ein Mittel zur Anerkennung, wenn nicht gar zur
Erschaffung dieses Unterschiedes sind."
Übersicht aller bereits erschienenen Beiträge der "Living at Work-Serie".
English version: PDF-File.
Uta Brandes studierte Anglistik, Politische Wissenschaften, Soziologie und Psychologie an der Universität Hannover. Heute hat sie an der Köln International School of Design die Professur für Gender und Design.
Zum changeX-Partnerportrait: Koelnmesse GmbH.
www.orgatec.de
Vom 19. bis 23. Oktober 2004 |
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