Vertrau mir!
Living at Work-Serie | Folge 34 | - Gertrud Höhler über Vertrauen und Selbstvertrauen.
Seinen Mitarbeitern zu signalisieren, dass man ihnen etwas zutraut, setzt ungeahnte Leistungsbereitschaft frei. Kontrolle und Misstrauen saugen den Menschen die Kraft aus, Vertrauen dagegen beflügelt. Und stimuliert den Mut und die Tatkraft, die Unternehmen und Gesellschaft brauchen.
Vertrauensverletzungen, wohin man
schaut. Politiker lügen uns das Blaue vom Himmel, Manager
verzocken die Zukunft unserer Unternehmen und altgediente
Mitarbeiter werden rausgeworfen, sobald die Gewinne schrumpfen.
Wir hatten schon immer ein lauerndes Ressentiment gegen Manager
und ein deutliches Misstrauen gegen die Politik. Aber in guten
Zeiten ist der Spruch: "Ich traue denen allen nicht", so etwas
wie ein Luxus. Wenn dann die Krise kommt und Verantwortliche
gesucht werden, sind natürlich dieselben Führungsgruppen dran,
die vorher nur spielerisch verdächtigt wurden. Allerdings haben
die Menschen nicht diesen Figuren vertraut, sondern etwas ganz
anderem: Seit 50 Jahren ist es bei uns nur nach oben gegangen.
Man hat sich darauf verlassen, dass wir die Aufwärtsleute sind,
bei denen alles klappt. Jetzt hat die Richtung gewechselt und das
verursacht Enttäuschung und Angst, weil man eben keine Übung im
Abwärtsgehen hat.
Der Start in eine neue Richtung ist buchstäblich nur so
möglich, dass die Führung sagt: "Ich traue euch eine Menge zu.
Ihr wart gut im Boom, und das heißt, ihr seid Leute, die etwas
schaffen können." Aber wir bekommen diese Appelle nicht.
Stattdessen hören wir: "Gib mal ab, was du hast, das darfst du
jetzt nicht behalten." Natürlich machen die Menschen sofort ihre
Fäuste zu, wenn sie so etwas hören. Es fehlt vielen Managern und
Politikern an einer fürsorglichen Grundhaltung. Dem Bewusstsein,
dass ihnen Menschen anvertraut sind. Und dass sie damit einen
Vorsprung haben, den sie gestalten müssen, indem sie die Leute zu
sich holen und sagen: Ich traue euch eine Menge zu. Das wäre ein
Vertrauensbeweis - nur begreift das von den Führenden kaum
jemand.
Wir alle haben unser Selbstvertrauen zu einem großen Teil
aus der Erfahrung, dass uns andere etwas zutrauen. Nur wer eine
verlässliche Vertrauenslandschaft bewohnt, kann sich selbstsicher
nach draußen wagen. Doch in unserer Gesellschaft gibt es immer
weniger von dieser Geborgenheit, besonders für Heranwachsende. Da
haben wir schon eine Quelle für den latenten Mangel an
Selbstvertrauen. Auch in unserem Bildungssystem findet die
tägliche Vermittlung von Vertrauen durch Lehrer kaum statt. Statt
den Schülern spürbar etwas zuzutrauen, beherrschen Kontrolle und
Misstrauen den Schulalltag. Unseren Kindern wird Wissen
vermittelt - aber nicht das, was die Seele stark macht, nämlich
die Erfahrung: Ich bin wichtig und andere setzen auf mich. Und
kaum erwachsen geworden, finden sie sich auf Karrierepfaden
wieder, wo das Motto herrscht: "Trau keinem - nur dir selbst!"
Leider begreifen viele nie, dass man nur nach oben kommt, wenn
auch die anderen es wollen. Wer keine Vertrauenspartner hat, ist
nicht stärker, sondern schwächer.
Vertrauensvorschuss von oben.
Aber wie soll man solche
Vertrauenspartner finden in unserer höchst beweglichen,
flüchtigen und unverbindlichen Geschäftswelt? Das große, anonyme
System ist ein Feind des Wunsches nach Vertrauen. Deshalb müssen
wir innerhalb der kleineren Einheiten solcher Systeme die
Beziehungen höher bewerten. Und gerade dann, wenn niemand den
Boss an der Spitze kennt, ist es überlebenswichtig, dass die
Firma eine Grundmelodie sendet, die den Kanon der nicht
aufzugebenden, gemeinsamen Werte darstellt. Wenn die
Führungskräfte diese Melodie nicht kennen und an ihre Mitarbeiter
weitergeben, dann zerbröseln solche Unternehmen, sobald eine
Bedrohung auftaucht. Das lässt sich überall beobachten. Wenn sich
wie heute die Verhältnisse, die Bedingungen, die Sachlage
permanent verändern, dann gibt es nichts anderes als die
Menschen, auf die man sich verlassen kann. Aber es gibt immer
noch zu viele Manager, die sich lieber auf Zahlen verlassen.
In den Chefetagen ist immer noch ein tiefes Unbehagen
gegenüber dem, was Vertrauen leisten kann, an der Tagesordnung.
Weil man glaubt, dass sich etwas, das man nicht berechnen und
einkreisen kann, auch nicht als Führungsinstrument eignet.
Gleichzeitig höre ich dort immer wieder: "Klar ist Vertrauen
wichtig - unsere Leute vertrauen uns." Dann muss man die Chefs
aufwecken und sagen: "Es läuft umgekehrt: Vertraut ihr euren
Leuten? War das jemals eine Botschaft in eurer Firma? Dann erst
bekommt ihr das Vertrauen zurück." Daraufhin sind die meisten
sehr überrascht, weil sie die Sache immer falsch herum gelesen
haben: dass nämlich der Schwache dem Starken vertrauen soll, weil
der so ein toller Bursche ist. Dabei muss der Vertrauensvorschuss
immer vom Stärkeren ausgehen, also von der Führung. Sie muss den
Mitarbeitern klar machen: Wir gehen in das Wagnis Vertrauen, weil
wir ohne euch nichts schaffen können. Das ist eine bedingungslose
Vorleistung, die den Mitarbeiter aufwertet. Und die meisten
Menschen reagieren darauf nicht mit Vertrauensbruch, sondern mit
Vertrauensbeweisen wie Anstrengungsbereitschaft und
Leistungswille.
Natürlich entsteht Vertrauen nur dort, wo man nicht das
Gefühl hat, morgen rauszufliegen. Zwar gibt es heute keine
Garantie für sichere Arbeitsplätze. Aber die Firma kann ihre
Mitarbeiter fit für einen ähnlichen Platz in einem anderen
Unternehmen machen. Nicht der Platz im Unternehmen ist wichtig,
sondern das Gefühl, jederzeit unter den Besten woanders eintreten
zu können. Das Grundgefühl "Sicherheit des Arbeitsplatzes" meint
also heute: die Gewissheit, dass es einen Bedarf für die eigene
Arbeitskraft gibt, ganz gleich wo.
Zu viel Systemgläubigkeit.
Man weiß, dass Menschen in dem Moment Angst bekommen, wenn das Bewährte, Bekannte und Vertraute umgedreht wird. Deshalb muss man ihnen sehr viel nachdrücklicher Hilfestellung geben, als es zurzeit geschieht. Das gilt für die Führungskräfte in Politik und Wirtschaft gleichermaßen. Wer den Menschen nichts zutraut, bekommt nichts von ihnen. Kein Vertrauen und auch keine Bereitschaft zum Wandel. Aber immer noch trauen wir uns selbst und den anderen viel zu wenig zu. Immer noch sind wir gefesselt an die Systemgläubigkeit und sagen, wenn das System seine Leistungsfähigkeit verliert, dann können wir alle nichts tun. Dabei ist der Mensch die Größe, die herausreißt und umdreht - die alles verändern kann. Wenn das System nicht mehr rund läuft, dann ist die Stunde der Menschen gekommen.
Übersicht aller bereits erschienenen Beiträge der "Living at Work-Serie".
English version: PDF-File.
Gertrud Höhler, Publizistin und Professorin für Literatur, ist Beraterin für Wirtschaft und Politik in Berlin. Sie hat zahlreiche Sachbücher veröffentlicht, darunter Vertrauen siegt (Econ 2003).
Zum changeX-Partnerportrait: Koelnmesse GmbH.
www.orgatec.de
Vom 19. bis 23. Oktober 2004 |
© changeX [27.08.2004] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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