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Gibt es einen Arbeitnehmer, der solche Situationen nicht kennt? Da pirscht sich ein Kollege an den Schreibtisch, sein übler Atem umnebelt das Gesicht. Ein verächtlicher Satz: "Naaa, wie wär's, wenn Sie mal, statt Lorbeeren für Babykram einzuheimsen, ernsthafte Kunden übernehmen würden?" Das Lob des Chefs, das einen soeben noch in Jubelstimmung versetzte, verpufft. Was bleibt, ist ein mieses Gefühl, in Wahrheit mal wieder unter seinen Möglichkeiten geblieben zu sein. Dem übel riechenden Arschloch sei Dank.
Arschlöcher an allen Ecken und Enden.
Bevor Robert Sutton, Professor für
Management-Science in Stanford, sein Buch schrieb, hat er sich
einige Zeit gewundert. Arschlöcher hocken an allen Ecken und
Enden. Sie lauern hinter den Türen der Teeküche, schleichen über
den Webfilz des Sekretariats, trommeln auf die
Kirschholzschreibtische in den Chefzimmern. Sutton hörte sich um.
Jeder einzelne seiner Freunde und Bekannten arbeitete nach
eigener Aussage mit mindestens einem solchen Fiesling zusammen.
Untersuchungen vermittelten ein ähnliches Bild. In einer
repräsentativen Umfrage unter 700 Arbeitnehmern in Michigan von
1997 gaben 27 Prozent der Befragten an, von Arbeitskollegen
schikaniert zu werden, einer von sechs sagte, dass er Opfer
permanenter psychischer Misshandlungen werde. Komisch eigentlich,
dachte Sutton, dass sich keine wissenschaftliche Studie explizit
mit der "Verbreitung von Arschlöchern in modernen Organisationen"
oder "Zwischenmenschlichen Strategien von Arschlöchern am
Arbeitsplatz: Formen und Häufigkeit" befasst hat.
Sie lachen? Sie haben Robert Sutton noch nicht gelesen.
Sie schaudern? "Arschloch" erscheint Ihnen als ein provozierend
harscher Begriff für gediegene Management-Literatur? Sie haben
noch nicht nachvollzogen was Sutton, ohne Wenn und Aber auf den
Punkt bringt: Wichtiger für die Zukunft von Unternehmen als jede
Balanced Scorecard und jeder Ruf nach einer neuen Fehlerkultur
ist das Nachdenken über all die destruktiven Charaktere in den
Unternehmen, die "ihren Mitmenschen schaden und die
Leistungsfähigkeit dieser Organisationen untergraben". Sie
vergraulen Kunden und Mitarbeiter, inszenieren
arbeitszeitkostende Konflikte, höhlen die Leistungsfähigkeit von
Teams und Management aus. Sie produzieren Kosten für häufigeren
Personalwechsel, höheren Krankenstand und schrumpfende
Arbeitsloyalität.
Die Arschloch-Gesamtkosten werden chronisch unterschätzt.
Doch die Wahrheit ist: Keiner macht
sich klar, welches unternehmerische Trümmerfeld die fiesen,
skrupellosen, um sich schlagenden Kotzbrocken Tag für Tag
hinterlassen. Die Arschloch-Gesamtkosten (AGK) werden chronisch
unterschätzt. Dabei lassen sie sich beispielhaft in Zahlen
darstellen. Für einen Spitzenmanager im Silicon Valley hat Sutton
das getan. Welche Kosten produziert der erfolgreichste und
höchstbezahlte Mitarbeiter, Ethan genannt, der gleichzeitig ein
ausgemachtes Arschloch ist? Die Kalkulation umfasste Posten wie
den Zeitaufwand der Personalabteilung, die Ausgaben für einen
externen Berater und für Wutmanagement-Seminare sowie die
Aufwendungen für die Suche nach Ethans neuer Assistentin.
Geschätzte Gesamtkosten des Arschlochs für ein Jahr: 160.000
Dollar.
Sutton knallt dem Leser nicht nur die Arschloch-Kosten auf
den Tisch. Er rührt auch kräftig in schmuckloser Terminologie:
Asshole im Original, Arschloch zu Deutsch. Von verwässerten
Varianten wie "Anti-Idioten"- oder "Anti-Mobber"-Regel will er
nichts wissen. Ihnen würde "einfach der authentische Klang und
emotionale Appell des Originals abgehen". Und diesen Klang zu
erfassen ist Suttons Anliegen. Schließlich hatte er selbst oft
genug mit solchen Charakteren zu tun. Schließlich trifft gerade
der emotionale Appell die Bedeutung des Phänomens.
Robert Sutton geht es nicht um Menschen, die man rasch
dahingesagt als Arschloch abkanzelt. Präzise unterscheidet er
zwischen "temporären Arschlöchern", die mal aus einer Laune
heraus einen Mitmenschen niedermachen, und den "amtlichen
Arschlöchern", den permanent, man könnte sagen, strukturell
fiesen Zeitgenossen, denen es eine wahre Freude ist, -
vorzugsweise weniger mächtige - Mitmenschen abzukanzeln und zu
demütigen. Definition eines amtlichen Arschloches: "Die
betreffende Person muss ein durchgängiges Verhaltensmuster zur
Schau stellen, eine Vergangenheit mit einer Fülle von Episoden
haben, an deren Ende sich ein 'Ziel' nach dem anderen
herabgesetzt, klein gemacht, erniedrigt, verachtet, unterdrückt
und geschwächt fühlte und sich insgesamt schlechter vorkam." Zu
den typischen "Arschloch-Strategien" gehören persönliche
Beleidigungen, Verletzung der Privatsphäre, unaufgeforderter
körperlicher Kontakt, E-Mail-Hassattacken, bewusstes Anstarren
und öffentliche Demütigungen.
Handreichungen zu einem effektiven Arschloch-Management.
Suttons Forderung: Ein funktionsfähiges Unternehmen müsse funktionierende Anti-Arschloch-Regeln aufstellen. Der Management-Experte will eine Handreichung geben, um echte Arschlöcher erkennen und anschließend managen zu können. Dabei geht es ihm keineswegs darum, das charakterliche Gegenstück heranzuzüchten, nämlich rückhaltlose Feiglinge. Denn auch sie richten erheblichen Schaden an. Weil sie nicht konfliktfähig sind. Studien in Unternehmen zeigen, dass Teams, die sich mit gegenseitigem Respekt über Ideen streiten, bessere Ergebnisse und Leistungen erbringen. "Konstruktive Konfrontation" bringt voran. Schritt für Schritt zeigt der Stanford-Professor, wie sich in zehn Schritten die Anti-Arschloch-Regel in Unternehmen durchsetzen lässt. Zu einem effektiven Arschloch-Management gehört, eine Regel offen zu erklären, sie einzuführen und dann konsequent danach zu handeln und dabei nicht nur große, sondern auch kleinere Arschlöcher in die Zange zu nehmen. Dazu gehört, amtliche Arschlöcher klar als inkompetente Mitarbeiter zu behandeln und auch die kleinen Dinge im Unternehmen auf den Arschloch-Faktor hin zu überprüfen. Eingängig ist die Ein-Arschloch-Regel: "Da Menschen Regeln und Normen eher folgen, wenn sie hin und wieder mit Beispielen 'schlechten Verhaltens' konfrontiert werden, könnte es sein, dass die Anti-Arschloch-Regel in den Organisationen am striktesten befolgt wird, die bewusst ein oder zwei Kotzbrocken als 'negative Rollenmodelle' dulden, die allen anderen vor Augen führen, was falsches Verhalten ist." Wichtig ist nicht zuletzt: Die Anti-Arschloch-Regeln sind Sache aller, nicht nur des Managements. Und wenn das alles nicht funktioniert? Da zieht Sutton ein hilfreiches Quintett aus dem Ärmel: Fünf Lektionen, mit deren Hilfe es sich leichter mit Arschlöchern leben lässt.
Jeder ist gefährdet.
Robert Sutton ist ein Buch gelungen, das erfrischend mit vielen Tabus bricht. Auch mit einem sehr intimen: dem Arschloch in uns. Jeder ist gefährdet. Manchmal. Unter den richtigen falschen Bedingungen. Wenn die Gäule mit einem durchgehen. Hier liegt auch eine Wurzel für die bedauerliche Häufung von Arschlöchern, wie man sie in manchen Unternehmen antrifft: Arschlöcher sind ansteckend. "Eine Horde Arschlöcher wirkt wie ein 'Freundlichkeitsvakuum', das aus jedem, der hineingerät, Wärme und Freundlichkeit heraussaugt und durch Kälte und Verachtung ersetzt", erklärt Sutton. Damit wird zugleich eine andere Beobachtung verständlicher: Die vielen Arschlöcher an der Spitze. Ist ein Unternehmen einmal infiziert, gerät der Circulus vitiosus in Gang: Arschlöcher rekrutieren nach ihrem Ebenbild wieder Arschlöcher, welche an die Spitze wachsen, von wo aus sie nach ähnlich gestricktem Nachwuchs suchen - und so weiter. Umso schwerer ist es, aus diesem Teufelskreis auszubrechen. "Wenn sich die meisten Unternehmen schon schwertun, Widerlinge, die den Eindruck erwecken, sie könnten jede Menge Umsatz bringen, nicht einzustellen, dann fällt es Managern noch schwerer, destruktive Despoten zu feuern, die für jede Menge Umsatz sorgen." Denn Sutton räumt - widerwillig und auf Druck wohlratender Freunde, wie er schreibt - auch ein: Selten zwar, aber es gibt sie, die effektiven Arschlöcher à la Steve Jobs, dem Apple-Chef, die mit Zuckerbrot und Peitsche zu Höchstleistungen antreiben. Murrend liefert Sutton das letzte Quintett: "Möchten Sie ein effektives Arschloch sein?"
"Es liegt an Ihnen, einen zivilisierten Arbeitsplatz aufzubauen und zu gestalten."
Dieses herrlich geschriebene Buch zeigt, wie wunderbar leichtfüßig, klug und lebensnah Wissenschaft zum Volke hinabsteigen kann. Wie schön, dass auch die Bild-Zeitung Auszüge veröffentlicht hat. Ob das Sammelsurium handfester, aber letztlich einfacher Erkenntnisse und Tipps reicht, sich der Arschlöcher um und in einem zu erwehren? Da bleibt nur: Ausprobieren. Oder Suttons wichtigsten Grundsatz zu beherzigen: Der Versuchung widerstehen, mit einem Haufen Arschlöchern zu arbeiten, egal, welche Vorzüge der Job bietet. "Wenn Sie die Schnauze gestrichen voll davon haben in 'Jerk City' zu arbeiten, sprich in einem von Arschlöchern verseuchten Unternehmen, und jeden Tag die Arschloch-Allee hinunterzumarschieren, nun, dann liegt es mit an Ihnen, einen zivilisierten Arbeitsplatz aufzubauen und zu gestalten. Natürlich ist Ihnen das längst klar. Aber ist es nicht langsam an der Zeit, damit auch anzufangen?"
Robert I. Sutton:
Der Arschloch-Faktor.
Vom geschickten Umgang mit Aufschneidern,
Intriganten und Despoten im Unternehmen.
Aus dem Amerikanischen von Thomas Pfeiffer,
Carl Hanser Verlag, München/Wien 2006,
192 Seiten, 17.90 Euro,
ISBN 3-446-40704-9
www.hanser.de
Anja Dilk ist Redakteurin bei changeX.
© changeX [19.10.2006] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch
Robert I. Sutton: Der Arschloch-Faktor. Vom geschickten Umgang mit Aufschneidern, Intriganten und Despoten im Unternehmen.. Carl Hanser Verlag, München/Wien 1900, 192 Seiten, ISBN -446-40704-9
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Autorin
Anja DilkAnja Dilk ist Berliner Korrespondentin, Autorin und Redakteurin bei changeX.
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