Mit allen vier Ohren
Wie wir vermeiden, auf uns selber hereinzufallen - eine Serie von Ulf D. Posé.
Folge 1: Hören.
Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein, besagt ein Sprichwort. Die gemeinsten Fallen sind jene, die man sich selber stellt. Doppelt schlimm freilich ist es, wenn man nicht mal merkt, dass man hineintappt. Und das ist häufiger der Fall, als wir denken. Sagt Ulf D. Posé. In seiner vierteiligen Serie benennt er die Gruben, die wir uns beim Hören, Denken und Sprechen selber graben. Und verrät, wie man vermeidet, hineinzufallen: Indem man lernt, die eigenen Denk- und Wahrnehmungsmuster zu erkennen und zu hinterfragen. In Folge eins geht es darum, dass man meist nur hört, was man hören will. Und wie man wieder mit allen vier Ohren zu hören lernt. / 09.08.07
Illustration von Limo LechnerVier Freunde fahren gemeinsam mit ihren Ehefrauen für ein Wochenende nach Berlin. Samstagabend steht ein Besuch in der Oper auf dem Programm. Alle machen sich vorher noch frisch und ziehen sich festlich an. Karl kommt aus der Dusche, trocknet sich ab, zieht sein Hemd an und fragte seine Frau Elvira: "Du, wo sind denn meine Manschettenknöpfe?" Elvira antwortet: "Die liegen auf dem Nachttisch." Karl ist zufrieden. Herrmann kommt ebenfalls aus der Dusche, und auch er fragt seine Frau: "Du, wo sind denn meine Manschettenknöpfe?" Seine Frau Ursula meint: "Die sind genau da, wo du sie hingetan hast." Klar, damit hatte Herrmann gerechnet. Sein Freund Oliver will ebenfalls von seiner Frau wissen: "Du, wo sind denn meine Manschettenknöpfe?" Und seine Frau Steffi antwortet: "Mensch Oliver, du bist aber vergesslich, die hast du doch selbst eingepackt." Schlussendlich will noch Eberhard den Aufenthaltsort seiner Manschettenknöpfe wissen. So fragt auch er seine Frau Hannelore: "Du, wo sind denn meine Manschettenknöpfe?" Hannelore meint daraufhin: "Warte, ich hol sie dir."

Unsere vier Ohren.


Vier Mal dieselbe Frage, jedes Mal eine andere Antwort. Das liegt daran, dass jede Ehefrau die Frage auf einem anderen Ohr gehört hat. Biologisch haben wir zwei Ohren, psychologisch haben wir vier. Wir können eine Nachricht auf sehr verschiedene Art wahrnehmen und reagieren dementsprechend. Das hat vor über 25 Jahren schon der Psychologe Friedemann Schulz von Thun in seinem Buch Miteinander reden: Störungen und Klärungen beschrieben. Nur ist es offensichtlich bis heute noch nicht Standardwissen geworden. Zuhören gehört vielfach zu den nicht ausreichend entwickelten Fähigkeiten des Menschen. Schauen wir näher hin. Man kann vier Ebenen des Hörens - oder vier Ohren - unterscheiden:

  1. Das Hören von Sachverhalten: Jeder Mensch hat ein Ohr, das für den Informationsgehalt einer Nachricht zuständig ist. Ein Mensch, der nur auf diesem Ohr gut hört, antwortet auf die Frage: "Können Sie mir sagen, wie spät es ist?", nur mit einem "Ja". Die Uhrzeit bleibt ungenannt. Mit anderen Worten: Es gibt Menschen, die vorwiegend auf die semantische Bedeutung einer Nachricht hören, den Rest bekommen sie nicht mit. Untertöne oder Zwischentöne bleiben unverstanden.
  2. Das Hören von Beziehungsbotschaften: Dann gibt es Zeitgenossen, die nur darauf hören, was andere von ihnen halten, selbst wenn es ausdrücklich nicht gesagt wurde. Ihre Aufmerksamkeit gilt nur dem Gedanken: "Was sagt der andere damit über mich, wie sieht der mich, was hält der andere von mir?" Auch hier bleibt der Rest der Botschaft auf der Strecke. Für solche Menschen macht durchaus der Ton die Musik.
  3. Das Hören von Selbstdarstellungen: Es gibt auch Menschen, die sich nie fragen, was der andere über sie sagt, sondern nur heraushören, was er über sich selbst sagt. Selbst auf die Beleidigung "Du Schuft!" würde ein solcher Hörertyp nur mit den Worten reagieren: "Was musst du für ein Menschenbild haben, wenn du so was über andere sagst?" Sich selbst fühlt er nicht angesprochen.
  4. Das Hören von Aufforderungen: Zum Schluss gibt es Menschen, die nur hören, was andere von ihnen wollen. Sie sind ständig auf der Jagd nach Appellen. Und stehen dabei durchaus unter Stress, weil sie immer überlegen, wozu der andere sie aufgefordert haben könnte. Wenn jemand sagt: "Es müsste sich mal jemand um die Blumen im Büro kümmern", dann fühlen sich aufgefordert, dies zu tun. Und stehen auf, um die Blumen zu gießen.

Auf einem Ohr taub.


Kompliziert wird die Angelegenheit, wenn zwei Gesprächspartner auf unterschiedlichen Ohren hören. Oder gar auf einem der vier Ohren taub sind, der andere jedoch genau in Richtung dieses Ohrs gesprochen hat. Dann entstehen Missverständnisse, die kaum zu beheben sind. Es kommt nicht selten vor, dass Menschen sich streiten, nur weil sie sich nicht darüber im Klaren sind, welches Ohr gerade zugehört hat.
Ein einfaches Beispiel mag dies erläutern: Jemand sagt: "Du, ich hab andauernd bei dir angerufen, nur bist du nicht ans Handy gegangen." Dahinter stehen mehrere mögliche Bedeutungen:

  1. Ich habe mehrfach angerufen. (Informationsebene)
  2. Wo treibst du dich denn rum, nie bist du erreichbar. (Beziehungsebene)
  3. Ich wähle mir hier die Finger wund. (Selbstdarstellungsebene)
  4. Melde du dich doch auch einmal! (Aufforderungsebene)

Der so Angesprochene kann jetzt je nach Hörergebnis vierfach reagieren:

  1. Ach, wie oft hast du denn angerufen? (Informationsreaktion)
  2. Du, ich war unterwegs, sei mir nicht böse. (Beziehungsreaktion)
  3. Du Ärmster, da hast du dich aber geärgert. (Selbstdarstellungsreaktion)
  4. Ich melde mich demnächst öfter bei dir! (Appellreaktion)

Ein anderes Beispiel: Wenn ein Abteilungsleiter zu seinem Mitarbeiter sagt: "Die Akte Schulz liegt ja immer noch hier", dann kann er meinen: "Die Akte Schulz liegt hier noch." Eine passende Reaktion des Mitarbeiters wäre dann: "Das ist richtig, die muss hier auch noch liegen, weil ich daran noch arbeite." Dann wären beide Informationshörer. Meint der Abteilungsleiter aber: "Sie sind wohl zu faul, die Akte wegzuräumen", dann wäre eine passende Reaktion des Mitarbeiters: "Mein Gott, ich brauche die Akte noch, ich hab da meine eigene Ordnung!" So würden Beziehungshörer miteinander sprechen. Will der Abteilungsleiter indessen sagen: "Ich bin sauer, weil die Akte noch hier rumliegt. Ich hätte sie längst weggeräumt." Dann würde der Mitarbeiter, falls er seinen Chef so versteht, so reagieren: "Wenn es Sie stört, dann räumen Sie die Akte doch selber weg. Mich stört sie nicht." So wären beide Selbstdarstellungshörer. Will der Abteilungsleiter damit jedoch sagen: "Nun räumen Sie endlich die Akte weg!", dann würde sein Mitarbeiter als Appellhörer vielleicht antworten: "Ich räum sie gleich weg. Bin bisher noch nicht dazu gekommen."
Bitte bedenken Sie, der Abteilungsleiter hat tatsächlich gesagt: "Die Akte Schulz liegt ja immer noch hier." Es kommt immer darauf an, was er tatsächlich gemeint hat. Denn nur wenn das, was er meinte, mit dem übereinstimmt, was der Mitarbeiter versteht, verstehen sich die beiden auch. Aber wehe, der Mitarbeiter reagiert auf einer anderen Ebene! Es gilt also darauf zu achten, was der andere gemeint haben könnte. Welches Ohr bei einem Menschen stark entwickelt ist und auf welchem er nicht so gut hört, sagt durchaus etwas über seine Wahrnehmung und damit über seine Lebensführung aus. Denn die Lebensführung hat viel mit der Wahrnehmungsfähigkeit eines Menschen zu tun.
Scheuen wir uns doch genauer an, was die unterschiedlichen Hörertypen auszeichnet - und auf welchen Ohren sie weniger gut hören.

1. Was zeichnet den guten Informationshörer aus?

Die Welt ist Information.


Menschen, die die Aussagen Ihres Gegenübers vorwiegend als Information verstehen, neigen dazu, jedem Menschen das Recht auf eine eigene Meinung zuzugestehen. Ist diese Meinung anders als ihre eigene, können sie das akzeptieren. Sie sind fest davon überzeugt, dass Gefühle und Stimmungen nichts in einer Diskussion zu suchen haben. Für Informationshörer steht immer die Sache im Vordergrund - manchmal auch der Sachzwang.
Informationshörern würde es helfen, wenn sie den Mut hätten, ab und an die sachliche Seite beiseitezulassen, denn sie neigen stark zu der Strategie "Wir wollen doch sachlich bleiben!" Informationshörer gelten deshalb als sehr diszipliniert. Sie können es sogar akzeptieren, wenn ihre Vorschläge nicht angenommen werden, erwarten dafür aber eine sachliche Begründung. Allerdings sollten Informationshörer daran denken, dass hinter einer sachlichen Begründung oft eine emotionale Haltung steht.
Ein Infohörer nimmt meist Selbstdarstellungen nicht wahr. Und er läuft Gefahr, seine eigene Selbstdarstellung hinter langatmigen Ausführungen zu verstecken. Will ihm jemand zu verstehen geben, wie er sich selbst sieht und was er fühlt, dann neigt er dazu, diese Selbstdarstellung auf der Sachebene zu prüfen. Stimmt für ihn die sachliche Seite, dann stimmt für ihn auch der Mensch. Infohörer verfügen oft über geringe Menschenkenntnis und sind schon oft von anderen enttäuscht worden. Sie sollten darauf achten, was ein Mensch mit seinen Aussagen über sich selbst mitteilt, und sollten gezielt auf den gefühlsmäßigen Anteil einer Nachricht achten, nicht allein auf die sachliche Ebene. Die entscheidende Frage ist: "Was will der andere mir über sich selbst mitteilen?"
Ein Infohörer hat oft Schwierigkeiten, die Beziehungsebene von Aussagen wahrzunehmen. Was andere Menschen von ihm halten, scheint ihm egal zu sein. Aber dieser Schein trügt. Er ist sehr wohl interessiert daran, wie andere Menschen ihn sehen. Nur, herauszuhören, was andere von ihm halten, fällt ihm schwer. Sein Umfeld gibt ihm aber sehr wohl zu verstehen, wie es zu ihm steht und was es von ihm hält, nur "hört" er es eben nicht. Für ihn lohnt es sich also, hier genauer hinzuhören. Und statt zu prüfen, ob das, was andere ihm sagen, sachlich richtig ist, lieber zu fragen: "Was will der andere mir über mich mitteilen, wenn er mich so anspricht?"
Auch Appelle gehen an einem Infohörer oftmals vorbei. "Merkst du denn nicht, was der von dir will?" Diese Frage hört der Infohörer als schlechter Beziehungshörer öfter. Wenn jemand um Hilfe ruft, dann muss er schon genau sagen, welche Hilfe er erwartet, bevor der Infohörer reagiert. Er prüft zunächst die sachliche Seite eines Appells - und darüber bleibt nicht selten die Hilfe auf der Strecke. Versteckte Appelle sind ihm eher fremd. Er selbst sagt schließlich ja auch deutlich, was er will. Also erwartet er das auch von anderen. Doch es lohnt, daran zu denken, dass die meisten Menschen dazu neigen, ihre Appelle zu verstecken. Infohörer sollten auf Entdeckungsreise gehen. Die passende Frage könnte sein: "Was will der andere mit seiner Aussage erreichen?"

2. Was zeichnet den guten Beziehungshörer aus?

Die Welt ist Beziehung.


Beziehungshörer wissen sehr gut, was andere von ihnen halten - manchmal schon zu gut. Für sie ist das Wie einer Nachricht besonders wichtig. Immer sind sie mit persönlichem Engagement und persönlicher Betroffenheit bei der Sache. Ihre Meinung über sich selbst ist oft abhängig von dem, was andere von ihnen halten. Für sie ist es sehr wichtig, an ihrem Arbeitsplatz von ihren Kollegen akzeptiert, respektiert und geachtet zu werden. Zwei Dinge merken sie sehr schnell: Wenn sie jemand bevormunden will oder sie abschätzig behandelt. Dagegen sind sie allergisch. Allerdings hören sie ab und zu die Flöhe husten. Mit allzu autoritären Führungskräften kommen sie nicht gut klar. Für sie ist es immer wichtig, dass es möglichst wenig Reibereien in ihrem Team gibt. Beziehungshörer sollten darauf achten, dass ihre Menschlichkeit nicht ausgenutzt und nur als Mittel zur Effizienzsteigerung missbraucht wird.
Beziehungshörer sind oftmals schlechte Informationshörer. Sagt dem Beziehungshörer jemand: "Es ist 13.00 Uhr", dann interessiert sie die Uhrzeit am wenigsten. Er hört die sachliche Seite einer Botschaft selten mit, auch wenn nur sie gemeint ist. Für Beziehungshörer lohnt es sich, hin und wieder nur auf die Sachinformation zu reagieren. Und zu prüfen, was an Aussagen richtig oder falsch ist, statt nur darauf zu reagieren, wie andere mit ihm umgehen. Sonst fühlt er sich schnell unverstanden oder spielt die beleidigte Leberwurst.
Beziehungshörer sind oft schlechte Selbstdarstellungshörer. Wenn einem Beziehungshörer jemand mitteilt, er sei niedergeschlagen oder traurig, dann fühlt er sich schuldig. Doch sollte er sich vor Augen halten, dass Menschen Gefühle haben, die nichts, aber auch gar nichts mit ihm persönlich zu tun haben. Wenn er ständig auf der Lauer liegt und darauf achtet, welche Gemeinheiten andere ihm antun wollen, dann entgeht ihm, wie es um die anderen steht. Für ihn lohnt es sich zu prüfen: "Was will mir der andere über sich sagen?"
Schließlich sind Beziehungshörer oftmals taub für Appelle. Einen Hilferuf deuten sie eher als Schuldzuweisung. Doch anstatt sich beleidigt zurückzuziehen, ist Aktivität gefragt. Es gilt so konstruktiv wie möglich zu reagieren und zu fragen: "Was will der andere mit dem, was er sagt, erreichen? Was möchte er von mir?"

3. Was zeichnet den guten Selbstdarstellungshörer aus?

Die Welt ist Expression.


Selbstdarstellungshörer gelten als gute Menschenkenner. Wie es um andere steht, was andere bewegt, was ihnen wichtig ist, das haben sie schnell heraus. Zudem haben sie keine Angst, sich mitzuteilen und ihre Gefühle zu äußern. Ihre Mitmenschen empfinden sie als einfühlsam und verständnisvoll, denn sie gestehen anderen Menschen das Recht auf eigene Gefühle zu. Allerdings sollte ein Selbstdarstellungshörer daran denken, dass diese Gefühlsäußerungen auch echt sein müssen. Sonst wird es zu einer Pflichtübung, seine Gefühle immer offen nach außen zu zeigen - selbst wenn momentan keine festzustellen sind. Und das wäre der Versuch, eine Seifenblase tätowieren zu wollen.
Ein Selbstdarstellungshörer ist meist ein schlechter Informationshörer. Sagt jemand zu ihm: "Wir müssen mehr für den Umweltschutz tun", dann trachtet er gleich danach festzustellen, warum der andere das sagt und welchen Werdegang er hinter sich hat, dass er zu solch einer Aussage kommt. Die sachliche Ebene, nämlich ein Gespräch über den Umweltschutz, wird von ihm nicht wahrgenommen. Hier lohnt es sich, weniger zu fragen, wie es um den anderen emotional steht. Denn die Gefahr ist groß, dem anderen Gefühle zu unterstellen, die er vielleicht gar nicht hat. Und das grenzt manchmal an Psychoterror.
Selbstdarstellungshörer sind oft schlechte Beziehungshörer. Sie wissen immer schon im Voraus, wie es um den anderen steht - dabei möchte der vielleicht ausdrücken, wie aus seiner Sicht die Beziehung zueinander beschaffen ist. Doch das kriegt ein schlechter Beziehungshörer einfach nicht mit. Wenn einer eine andere Meinung hat als er selbst, dann liegt der andere falsch; wer sich über ihn ärgert, der sollte zunächst einmal vor seiner eigenen Haustür kehren - das kennzeichnet seine Grundhaltung. Scheinbar hat er immer die Oberhand, doch kann das dazu führen, dass andere Menschen ihn zu meiden beginnen. Für ihn würde sich lohnen, Botschaften an sich herankommen zu lassen. Also sich zu fragen, welche Gefühle den anderen bewegen. Eine sinnvolle Frage könnte sein: "Was sagt das jetzt über mich aus? Wie sieht der andere mich, wenn er das sagt?" Und: "Wie stehen wir zueinander?"
Appelle haben für Selbstdarstellungshörer eher einen Offenbarungs- denn einen Aufforderungscharakter. Er ist eher immun gegen Bitten, die unausgesprochen bleiben. Denn er weiß ja längst, warum der andere eine Bitte an ihn richtet. Und dieses Warum ist ihm wichtiger als die Bitte selbst. Selbstdarstellungshörer könnten sich den Umgang mit anderen Menschen erleichtern, wenn sie über die Beweggründe eines Menschen hinausgehend sich fragen würden, was der andere erreichen möchte. Also: " Was will der andere mit seiner Aussage erreichen?" Und nicht: " Warum will er das erreichen."

4. Was zeichnet den guten Appellhörer aus?

Die Welt ist Aufforderung.


Ein guter Appellhörer hingegen weiß ganz genau, was andere von ihm wollen. Er gilt als sehr zuvorkommend und engagiert. Seine Hilfsbereitschaft ist sprichwörtlich. Er liest seinen Mitmenschen jeden Wunsch von den Augen ab - selbst wenn diese gar keinen Wunsch haben. Damit unterliegt er jedoch der Gefahr, von anderen ausgenutzt zu werden. Für ihn würde es sich lohnen, seine eigenen Wünsche und Gefühle zu entdecken. Also sich ab und an zu fragen: "Will ich das wirklich? Und was habe ich davon?"
Nicht selten ist ein Appellhörer ein schlechter Informationshörer. Er vermutet hinter jeder Aussage eine Absicht, doch dabei geht die sachliche Information verloren. Doch nicht jeder, der eine Bemerkung macht, will etwas von ihm. Deshalb lohnt es, ab und an zu fragen, was an sachlicher Information in einer Aussage steckt, anstatt nur darauf zu reagieren. So würde dieser Hörtyp sich nicht mehr so sehr unter Zugzwang gesetzt sehen.
Ein Appellhörer ist meist auch ein schlechter Beziehungshörer. Ob andere Menschen ihn sympathisch finden, hängt für ihn immer davon ab, was er für andere geleistet hat. Doch sollte er sich vor Augen halten, dass Menschen ihn mögen, auch ohne dass er gleich etwas für andere tut. Wenn er das akzeptieren kann, dann ist er auch in der Lage festzustellen, wie andere über ihn denken und wie man zueinander steht. Dieser Hörtyp sollte sich gelegentlich fragen: "Will mir jemand sagen, was er von mir hält?" Und bevor er sich in Aktivitäten stürzt, fragen, ob der andere dies auch möchte. Und wenn das nicht der Fall ist, akzeptieren, dass dahinter keine böse Absicht steckt.
Appellhörer sind meist schlechte Selbstdarstellungshörer. Wie andere Menschen sind und was sie bewegt, fällt ihnen schwer zu entdecken. Gefühlsäußerungen sehen sie als Handlungsaufforderung. Sagt jemand: "Ich will meine Ruhe haben", dann sucht er für den anderen ein ruhiges Plätzchen und sorgt dafür, dass er nicht gestört wird - egal, ob der das will oder nicht. Hier hilft es, anderen Menschen das Recht auf ihre eigenen Gefühle zuzugestehen und nicht immer daran zu denken, was für den anderen getan werden müsste. Die hilfreiche Frage lautet: "Was sagt mir der andere über sich?" Und es auch mal dabei zu belassen. So werden Appellhörer lernen, dass der Stress nachlässt, und Menschen und ihre Wünsche besser kennenlernen.

Auf allen Ohren gut hören.


So wäre es hilfreich, wenn wir versuchen würden, wieder auf allen Ohren gut zu hören. Mit etwas Training lässt sich das durchaus herstellen.
Sie sehen, gutes Zuhören ist mehr, als nur geduldig über sich ergehen zu lassen, was andere von sich geben. Es lohnt sich, auf Entdeckungsreise zu gehen. So lernen wir andere Menschen besser kennen. Und lernen uns selbst ebenfalls besser kennen. Viel Spaß dabei.

Ulf D. Posé ist seit 25 Jahren selbständiger Personalentwickler. Er war von 1969 bis 1980 Rundfunk- und Fernsehjournalist für RNI, RTL, WDR, Deutsche Welle, Deutschlandfunk, SWR, SDR, Radio Bremen und NDR. Seit 2003 ist er Präsident des Ethikverbandes der Deutschen Wirtschaft e. V. Seit 2004 ist Posé zusätzlich Senatsmitglied im Bundesverband für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft (BWA). Posé schreibt regelmäßig für changeX.
 

Kontakt:
Ulf D. Posé
Klosterstraße 19-21
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Mobil: 0171 / 8549321
E-Mail des Autors:
pose@posetraining.de
info@ethikverband.de

Mit einer Illustration von Limo Lechner.

© changeX [09.08.2007] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Ulf D. Posé

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