Speed Economy

Ein Essay von Susanne Eyrich darüber, wie sich Unternehmen an die Beschleunigung anpassen.

Schnell, flexibel, schlank. Ein Unternehmen, das heute überleben will, muss sich ständig anpassen. Es muss mit seinen Kunden zusammenarbeiten und intern so weit wie möglich auf Hierarchien verzichten. Denn Hierarchien machen langsam und provozieren oft teures Kompetenzgerangel.

Wir leben in einer Gesellschaft, die ständig beschleunigt. Vom Reisen bis zum Kommunizieren - alle Prozesse vollziehen sich immer schneller und haben inzwischen eine erstaunliche Geschwindigkeit erreicht. Genauso erstaunlich ist der Anpassungsprozess der Wirtschaft daran. Dauerte beispielsweise die Anpassung an zyklische Schwankungen noch vor wenigen Jahren einige Monate, geschieht das jetzt in wenigen Wochen. Die Unternehmen sind anpassungsfähiger geworden, auch weil durch die neuen Technologien die Produktionsmethoden flexibler geworden sind. Sie alle kennen den Begriff der Just-in-Time-Produktion. Mit ihr können Firmen Nachfrageschwankungen leichter ausgleichen als früher, weil es nicht mehr nötig ist, ein großes Lager vorzuhalten. Bricht die Nachfrage ein, kommt das allerdings auch schneller bei den Zulieferern an - das mussten Hersteller und Lieferanten von Handy-Komponenten schmerzhaft erfahren.

Customizing statt Massenproduktion.


Weniger offensichtlich - aber eine logische Folge aus der Beschleunigung - sind die Auswirkungen der Geschwindigkeit auf die Organisationen. Der Vorteil von Schnelligkeit überwiegt in der Regel den traditionellen Vorteil von großen Stückzahlen beim wirtschaftlichen Erfolg von Produkten. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst: Die Zeit zwischen der Auftragserteilung und der Auftragserledigung oder die Kürze eines Innovationszyklus gibt immer häufiger den Ausschlag für die Auftragserteilung. Damit verbunden ist, dass heute nicht mehr effiziente Massenproduktion der Maßstab für eine Firma ist, sondern ihre Problemlösungskompetenz und ihre Fähigkeit, Systeme und Services anzubieten. Individuelle, maßgeschneiderte Angebote - Customizing - liefern zu können ist entscheidend für die Kundenbindung.
Die Änderungen der Angebote von Massenware für einen anonymen Markt zu einer kundenindividuellen Produktion von Gütern und Leistungen führt auch zu grundsätzlichen Veränderungen. Industrien wandeln sich komplett in die Richtung von Systemlösungs-Anbietern. Man muss diese Prozesse gemeinsam mit den Kunden gestalten, nicht gegen sie.
In den neuen Wertschöpfungsprozessen werden die Entwicklung, die Bereitstellung und der Vertrieb von Produkten oder Leistungen durch die Entwicklung, Bereitstellung und den Vertrieb von Leistungspotentialen ausgetauscht, die dann in eine auf den Kunden zugeschnittene Problemlösung münden. Diese Leistung kann aber nur dann erbracht werden, wenn der Kunde in direkter Interaktion mit dem Hersteller Informationen über die Produktmerkmale bereitstellt, die er benötigt und wünscht. Der Kunde wird in einer Form in den Leistungsprozess integriert, der sowohl von dem Hersteller als auch von dem Kunden Input und Informationen erfordert.

Der Kunde arbeitet mit.


Sie entwickeln damit auch ein ganz neues Beziehungsgeflecht zwischen einem Unternehmen und seinen Kunden. Beide Seiten investieren in den Aufbau eines Datenvorrats. Der Kunde investiert in eine zuverlässige und zugeschnittene Lieferquelle. Denn je mehr ich als Kunde von meinen Gewohnheiten preisgegeben habe, desto besser ist der Service für mich - und desto unwilliger steige ich auf einen anderen Anbieter um.
Auch hier treten wieder altbekannte Mechanismen außer Kraft. Das klassische Kunden-Lieferanten-Verhältnis löst sich auf. Der Kunde beginnt, auch für den Lieferanten zu arbeiten. Wenn Sie Ihre Kontoauszüge ausdrucken, arbeiten Sie dann für sich oder für die Bank, die Ihnen die Auszüge früher zugeschickt hat? Wenn der Kunde über seine Wünsche und Ideen Auskunft gibt, arbeitet er genauso für den Anbieter. Der Kunde wird durch die Geltendmachung seiner Wünsche und die Einforderungen seiner Bedürfnisse Mitproduzent bei der Gestaltung des Produktes.
Und damit sind auch die Ansprüche der Kunden gestiegen. Nicht mehr so fehlerfrei wie nötig, sondern so fehlerfrei wie möglich muss ein Produkt hergestellt werden. Und der Kunde muss über die gesamte Lebensdauer des Produktes vom Unternehmen betreut werden - und mit dem Produkt zufrieden sein. Sie alle kennen die zahlreichen Initiativen wie Total Quality Management oder den European Quality Award zur Qualitätskontrolle.

Groß ist nicht gleich gut.


Das alles ist ein kleiner Teil der Veränderungen, die in der Wirtschaft stattgefunden haben und immer noch stattfinden. Die Art und Weise, wie Unternehmen funktionieren, ändert sich; die Industrie ist komplexer geworden. Es geht hier nicht mehr nur um das einfache mechanistische Organisieren von Arbeitsvorgängen. Neue Technologien haben Auswirkungen auf die Unternehmensstruktur - und am Ende auch auf die Unternehmenskultur.
Werfen wir ein Blick zurück: In den 60er Jahren hat jeder nach Lean Production, nach der schlanken Produktion nach japanischem Vorbild gefragt. Alles wurde auf einen Prüfstand gestellt - aus Sicht der Kostenersparnis.
In den 70er Jahren waren Datenverarbeitung, Diversifizierung und die Bildung von Konglomeraten State of the Art. In den 80er Jahren brach die Fusionitis aus - Kompensationsgeschäfte, Skaleneffekte, Hierarchieabflachung und Teamwork definierte Unternehmensumstrukturierungen. Es waren nicht Unternehmensfusionen im Rahmen von Marktkonsolidierung, wie wir sie heute etwa in der Auto- oder der Pharmaindustrie erleben. Es waren Fusionen unter dem Aspekt: je größer, desto wettbewerbsfähiger.
Heute müssen wir schnell, flexibel und intelligent auf die Veränderungen reagieren können. Die großen Unternehmen, die wie Riesendampfer durch das Wirtschaftsgeschehen fahren, sind nicht mehr steuerbar. Nach wie vor gilt: Die schnellen Unternehmen werden die langsamen vom Markt drücken. Gerade Riesendampfer können sich nicht schnell genug verändern. Wissen Sie, wie lange es dauert, in einem Unternehmen mit nur 10.000 Mitarbeitern einen Umlernprozess durchzusetzen? Denn je größer eine Gruppe ist, desto stabiler und behäbiger ist sie - und damit resistenter gegen Veränderungen. Und Veränderungsmanagement ist heute auf einer alltäglichen Basis notwendig.

Hierarchien kosten Zeit und Kraft.


Strategische Allianzen prägen das Bild der modernen Wirtschaft. Sie entstehen aus Firmen, die sich auf die Kernbereiche ihrer Fähigkeiten reduziert haben und die sich durch Outsourcing oder andere Maßnahmen des Business Process Reengineerings verkleinert und verschlankt haben.
Das hat natürlich Auswirkungen auf die Managementhierarchien. Denn die alte Regel, dass ein Manager fünf Mitarbeiter optimal beaufsichtigen kann, resultierte in einer Pyramide von Führungsebenen. Kompetenz und Informationsgrad in jeder Stufe sind genau definiert. Von unten nach oben werden Berichte und Anfragen weitergereicht, von oben nach unten Anordnungen. Dazwischen werden sauber Kompetenzen definiert - und die Nichtüberschreitung von Kompetenzgrenzen eifersüchtig überwacht. Das ganze Verfahren frisst viel Zeit und Arbeitskraft - und Motivation. Dieses Verfahren macht aus jedem Schnellboot einen Dampfer.
Meetings sind dann auch nicht Treffen zum Austausch und zur Weiterentwicklung von Ideen. Sie sind Kontrollgremien. Haben Sie einmal ausgerechnet, was das kostet? Eine Abteilung besteht aus acht Mitarbeitern. Einmal wöchentlich trifft sich die Abteilung für zwei Stunden zur Arbeitskontrolle, acht Mitarbeiter mit einem durchschnittlichen Stundenlohn von 300 Euro sind für monatlich acht Stunden von der Arbeit ferngehalten: 19.200 Euro. Ein Meeting zweier Abteilungen mit acht Mitarbeitern, um Kompetenzen abzustecken - nach wie vor ein beliebtes Spiel zwischen Abteilungen. Dauer etwa zwei Stunden. Kosten: 9.600 Euro. Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Projekt ist Trumpf.


Das heute notwendige projektorientierte Arbeiten an kundenspezifischen Problemlösungen verlangt völlig andere Managementstrukturen. Nicht mehr die Kontrolle der Mitarbeiter, sondern der Ergebnisse steht im Vordergrund. Und für die Entwicklung der Ergebnisse brauchen Mitarbeiter zeitliche Spielräume - auch für das Gespräch auf dem Gang oder an der Kaffeemaschine, für den informellen Austausch. Der für 80 Prozent aller innovativen Problemlösungen verantwortlich ist.
Ich zeige Ihnen ein realistisches Szenario einer solchen Projektarbeit auf: Für ein neues Projekt bildet sich ein kompetentes Team, das aus fähigen Mitarbeitern der Firma, externen Spezialisten (zum Beispiel von Subunternehmen) und eventuell auch dem Kunden selbst besteht. Jedes Team arbeitet weitgehend ungehindert selbstständig, es erhält ein großes Maß an Entscheidungskompetenz und hat Zugriff auf alle nötigen Informationen. Man arbeitet wie ein Unternehmen im Unternehmen. Ähnliche Regeln gelten auch innerhalb des Teams für die einzelnen Mitglieder. Vertrauen tritt an die Stelle von Kontrolle. Der Manager hat überwiegend koordinierende Funktion.
Natürlich haben solche Strukturen auch Gefahren, denn die Teams dürfen nicht anfangen, als Miniunternehmen im Unternehmen mit eigenen Strategien, Hierarchien, Organisationen zu arbeiten. Die wichtigste Aufgabe eines Managers heute - und darauf gehe ich später noch eingehender ein - ist nicht mehr die Vorgabe von Aufgaben und die Kontrolle deren vorgabengenauen Erledigung, also die klassische Machtausübung. Es ist nicht mehr nur das einfache mechanische Organisieren von Arbeitsvorgängen. Führung eines Unternehmens heute bedeutet die Organisation und Überwachung selbststeuernder Prozesse und deren Alignment, also deren Ausrichtung und Anpassung an die übergeordnete Unternehmensstrategie. Sie managen keine durchsteuerbaren Hierarchien mehr, sondern komplexe Systeme.

Vom Team zum Netzwerk.


Was zwingend notwendig ist, denn Hierarchien begrenzen Innovation. Stellen Sie sich ein Netzwerk aus drei Teilnehmern vor. Für jeden der Teilnehmer gibt es zwei Möglichkeiten, eine Verbindung herzustellen. Der Austausch von Ideen und Gedanken und damit die Möglichkeit zur Entwicklung von Innovation ist begrenzt. Die gegenseitige Befruchtung wächst, wenn ein Teilnehmer hinzukommt. Die Verbindungen wachsen auf drei Verbindungen für jeden einzelnen Teilnehmer an, in der Summe aller Teilnehmer sogar auf sechs. Allerdings tritt mit gemeinsamer Kommunikation in der Gruppe ein weiterer steigernder Parameter hinzu: Parallelschaltungen von Teilnehmer 1 mit Teilnehmer 2 und 3; Teilnehmer 1 mit Teilnehmer 3 und Teilnehmer 4, Teilnehmer 2 mit Teilnehmer 3 und Teilnehmer 4 und Teilnehmer 1 mit Teilnehmer 2, 3 und 4. Bei fünf Teilnehmern sind es bereits zehn bipolare Verbindungen und 16 Mehrfachkontakte. Es ist eine Rechnung mit mathematischen Variationen. Je mehr Teilnehmer hinzukommen, desto stärker wird die Innovationsfähigkeit. Allerdings - und das muss ich betonen - funktioniert das nur bis zu einer kritischen Größe. Wird sie überschritten, entwickeln sich Hierarchien - und das System führt sich selber ad absurdum.
Mit solchen Netzwerken verändern sich auch Strukturen. Haben Sie sich einmal Hollywood angeschaut? Zu Beginn wurden Zeitarbeitskräfte an die bestehenden Produktionsfirmen angebunden. Gegenwärtig gibt es projektbezogene Verträge, in denen "outgesourctes" Personal zu einer zeitlich befristeten Produktionseinheit zusammengeführt wird. Und aufgelöst, wenn das Projekt beendet ist. Das ist eine hoch produktive und äußerst flexible Arbeitsweise. Ich habe gehört, dass es in Hollywood kaum noch eine Filmproduktion gibt, die nicht über diese Mechanismen funktioniert. Es entsteht also eine Unternehmensstruktur, in der weniger als zehn Unternehmen mehr als 1.000 Mitarbeiter beschäftigen. 85 Prozent der Firmen haben aber nur noch maximal zehn Angestellte - von denen sich immer mehr am Gewinn beteiligen lassen und damit als Angestellte im herkömmlichen Sinn nicht mehr fungieren können. So verändern sich langsam, aber sicher Strukturen an den Arbeitsmärkten - unabhängig von irgendwelchen Branchen.

Susanne Eyrich ist Senior Manager Public Affairs bei der Infineon Technologies AG.

www.infineon.com
www.campeon.de

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Autorin

Susanne Eyrich

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