Offen für alle

Ideen für Geflüchtete 15: Refugee Phrasebook bietet hilfreiche Redewendungen und Vokabeln für Geflüchtete in 44 Sprachen
Text: Winfried Kretschmer

Die Aufnahme und Integration zahlreicher Geflüchteter verlangt neue Ideen, neue Lösungen und neue Wege. Kurz: soziale Innovationen. changeX trägt die besten Ideen zusammen. Folge 15: Refugee Phrasebook ist ein Open-Community-Projekt, das hilfreiche Redewendungen und Vokabeln für Geflüchtete zum Herunterladen und Ausdrucken bereitstellt.

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Das Problem: "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt." Gesagt hat das der österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein. Und genau das ist das Problem, wenn Menschen zusammentreffen, die unterschiedliche Sprachen sprechen. Grenzen, die überwunden schienen, entstehen dann neu, als Grenzen zwischen Sprachen. 


Die Idee: Wissen ist verteilt vorhanden, liegt in Netzwerken, in der Crowd. Es muss nur zusammengetragen werden. Genau das tut Refugee Phrasebook. Das Open-Community-Projekt stellt eine einfache Online-Datenbank bereit, in der ein Netzwerk von Freiwilligen Hunderte von Begriffen und Redewendungen in 44 Sprachen zusammengetragen hat. Flüchtlingsinitiativen und Helfer können die offenen Daten kostenfrei nutzen und anpassen, um eigene Versionen zu erstellen und auszudrucken.  


Konzept und Umsetzung: Das Projekt entstand im Willkommenssommer 2015, als der anschwellende Flüchtlingstreck eine Welle der Hilfsbereitschaft im ganzen Land auslöste. Wie in vielen Städten und Gemeinden fanden sich in Berlin verschiedene Initiativen aus dem kulturell-akademischen Umfeld in einer Facebook-Gruppe zusammen, um Hilfe zu organisieren. Hier entstand die Idee für ein "Refugee Phrasebook" - eine Sammlung von Begriffen, Redewendungen und gebräuchlichen Formulierungen für Geflüchtete und Helfer, angelegt als Crowd-Projekt, an dem sich jeder beteiligen kann. Die Idee: Ein Netzwerk von Freiwilligen übersetzt Vokabeln und Redewendungen, gesammelt werden die Daten in offenen Google-Spreadsheets, die jeder editieren kann, der den Link besitzt.  

Schnell waren die Google-Docs eingerichtet, und rasend schnell verbreitete sich der Link dazu. Binnen einer Woche war die Sammlung schon auf über 30 Sprachen angewachsen. "Sowohl die Zahl der Phrasen wie auch der Sprachen ist exponentiell in die Höhe geschossen", erinnert sich Paul Feigelfeld, einer der Koordinatoren, die von der Open Knowledge Foundation Deutschland organisatorisch unterstützt werden. Mittlerweile sind es 44 Sprachen und Hunderte von Phrasen, die in drei Dokumenten organisiert sind: eines mit einem Grundwortschatz zur allgemeinen Orientierung sowie ein Phrasebook mit medizinischen und eines mit juristischen Begriffen und Formulierungen. Die Daten stehen allen offen, die sie nutzen wollen. Übersetzungen wie die Dokumente sind unter einer offenen Creative-Commons-Lizenz verfügbar, wie Feigelfeld unterstreicht: "Flüchtlingsinitiativen und Helfer können die Daten kostenfrei nutzen und anpassen, um eigene Versionen zu erstellen, und diese für Hilfsprojekte verwenden."  

Auf der Website Refugeephrasebook.de lassen sich aus den Daten Druckversionen erstellen, die "maßgeschneidert sind für den lokalen Gebrauch", so Feigelfeld. Denn in Idomeni braucht es andere Sprachen und andere Formulierungen als beispielsweise in einem Flüchtlingsheim in Berlin-Mitte. Auf rund 150.000 schätzt die Initiative die Zahl der bis heute gedruckten Exemplare des Phrasebooks. Die Daten fanden zudem in mehreren Apps Verwendung und werden auch für Karteikarten zum Sprachenlernen verwendet. Aber einen genauen Überblick über den Einsatz und die Verwendung der Daten haben auch die Koordinatoren nicht, ebenso wenig über die Gesamtzahl der Menschen in aller Welt, die zu dem Projekt beigetragen haben. "Wenn sie nett sind, teilen uns die Nutzer das mit", schmunzelt Feigelfeld. Aber ein Muss ist das nicht. 


Potenzial und Perspektiven: "Refugee Phrasebook ist ein gemeinschaftliches Projekt, das offen mit der Erstellung, Bearbeitung und Verbreitung von Daten umgeht", sagt Feigelfeld. Es zeigt, wie sich Crowdsourcing effektiv für Hilfsprojekte einsetzen lässt, und ist zugleich ein Beispiel für die gemeinschaftliche Nutzung von Daten.  

Gerade dieser offene Charakter des Projekts überzeugte die Jury der Ars Electronica in Linz. Refugee Phrasebook erhält den diesjährigen "Prix Ars Electronica Award of Distinction" in der Kategorie Digital Communities. Preisverleihung ist auf dem Ars Electronica Festival Anfang September 2016 in Linz, wo sich alle Siegerprojekte mit einer kleinen Ausstellung präsentieren können. Für die Koordinatoren ein Zielpunkt für die Weiterentwicklung ihres Projekts. Sie arbeiten daran, die noch etwas zeitaufwendige Erstellung von Druckversionen zu vereinfachen. In Zukunft soll es möglich sein, Versionen einfach per Mausklick zusammenzustellen. Bis zur Ars Electronica will man so weit sein. In der Ausstellung dort sollen Besucher an einem Rechner eine eigene Druckversion erstellen und ausdrucken können.  

Das ist nicht die einzige Baustelle. So gibt es noch verschiedene Lücken in den Übersetzungen; Nachholbedarf besteht vor allem im juristischen Bereich, während das Medical Phrasebook vor allem durch Unterstützung von Medizinern aus dem Netzwerk der Ärzte ohne Grenzen schnell zu einem konsistenten Wörterbuch medizinischer Grundbegriffe ausgebaut wurde. Auch lassen sich sicher weitere Ideen entwickeln, was man mit dem Datenbestand noch anfangen kann. Hier sieht Feigelfeld aber die Community am Zug. "Einfach machen!", sagt er.  


changeX 02.06.2016. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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