Genug
Nachhaltigkeit in der Wirtschaft ist machbar – sogar innerhalb des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Hans Christoph Binswanger ist einer der frühesten Architekten einer nachhaltigen Wirtschaftsweise. Sein neues Buch schafft einen Überblick über sein Werk.
„Kopenhagen steht nicht nur für einen Klimagipfel. In Wirklichkeit wird es der wichtigste Wirtschaftsgipfel aller Zeiten.“ Deutlicher als Volker Hauff, Chef des Rates für Nachhaltige Entwicklung, kann man die Bedeutung einer zukunftsorientierten Wirtschaftspolitik für den globalen Umweltschutz nicht herausstellen. Da mutet es geradezu irrwitzig an, welche Themen dieser Tage unsere Profis in Politik und Wirtschaft bewegen: Man diskutiert über Mehrwertsteuersenkungen für Hotelbesitzer. Gewisse Vertreter von Partikularinteressen versprechen sich durch solche Maßnahmen eine Ankurbelung der regionalen Wirtschaft – und natürlich, so beteuern sie, auch des großen Ganzen. Doch das große Ganze hat so gar nichts mit dem Klein-Klein eines Landes zu tun, das sich insgeheim als erster Retter des Klimas sieht. Das große Ganze ist eben genau das: Weltwirtschaft. Globales Ökosystem. Überleben der Menschheit.
Es nimmt also wunder, wie kleinteilig die Diskussion läuft, wo doch das Ausmaß der Misere klar ist – und ebenso klar, welch ganz großes Rad gedreht werden muss. Einer, der darauf seit 40 Jahren pocht, ist Hans Christoph Binswanger. Der ehemalige Ökonom an der Hochschule St. Gallen umriss schon in seiner Antrittsvorlesung von 1969 alle Themen, die sein Lebenswerk bestimmen sollten – und die für die aktuelle Wirtschafts- und Umweltpolitik nach wie vor von Bedeutung sind. Binswanger ist Träger zahlreicher Preise, darunter des Adam-Smith-Preises für marktwirtschaftliche Umweltpolitik. Dem Murmann Verlag ist es zu verdanken, dass mit Vorwärts zur Mäßigung jetzt eine Übersicht über Binswangers Werk vorliegt. Der Band versammelt die wichtigsten Thesen und Themen und endet mit ebenjener Antrittsrede von 1969.
Magie der Geldvermehrung.
Die aber sollte zunächst lesen, wer sich zum ersten Mal mit Binswanger beschäftigt. Binswangers Denken kreist sein akademisches Leben lang um die Frage der Geldschöpfung wie um die Notwendigkeit des Wachstums, aber auch seiner Begrenzung, und um die Bedeutung des Eigentums für eine nachhaltige Wirtschaft. Mit anderen fordert er eine Neugestaltung des Finanzsystems, konkret die Abschaffung der Verbriefung von Krediten. Diese gibt den Geschäftsbanken die Möglichkeit, über Kredite an ihre Kunden, die wiederum durch Kredite bei den Zentralbanken abgesichert werden, praktisch neues Geld zu schaffen – Buchgeld, das durch kein „reales“ Geld abgesichert ist. Diese Möglichkeit der Geldschöpfung aus dem Nichts begreift Binswanger als eine Art von „Magie“. Sie ist Grundlage der Wachstumsspiralen nationaler und weltweiter Wirtschaften, die irgendwann zwangsweise in Blasen und Zusammenbrüche führen.
Zudem plädiert Binswanger dafür, den Produktionsfaktor Natur wieder in die makroökonomische Gleichung einzuführen. Natur, fordert er, ist keine Ressource, die einfach kostenlos verbraucht werden darf. Ganz klar setzt er dabei auf Marktmechanismen, plädiert aber dafür, die Regeln, denen diese Mechanismen unterliegen, neu zu justieren – hin zu einer Begrenzung des Wachstums. Denn im Gegensatz zur ewig wachsenden Geldwirtschaft ist die Natur nicht unbegrenzt.
Das bedeutet aber keine Absage an Wachstum schlechthin. Binswanger negiert die Notwendigkeit des Wachstums an sich, wie auch des Gewinnstrebens, nicht. Vielmehr glaubt er fest an den Wettbewerb und das Recht des Einzelnen, Privateigentum marktökonomisch zu verwerten. Dem stellt er jedoch das Prinzip des Gemeineigentums gegenüber – Eigentum, das allen Menschen gemeinsam gehört, und das diese nur gebrauchen, aber nicht verbrauchen dürfen. Dass Regeln zur schonenden Nutzung dieses Gemeineigentums funktionieren, zeigt er am Beispiel der schweizerischen Allmend- beziehungsweise Alpgenossenschaften.
Pflichtlektüre für Wirtschaftsromantiker und Marktgläubige.
Man muss Binswanger nicht in allem folgen. Wenn er beispielsweise Mythen und Sagen zur Verdeutlichung menschlicher Fehlwirtschaft heranzieht, werden hartgesottene Wirtschaftswissenschaftler damit nur wenig anfangen können. Für sie gibt es zum Ausgleich im Anhang ausreichend komplizierte wirtschaftsmathematische Formeln.
In jedem Fall ist das Buch Pflichtlektüre sowohl für linke Nachhaltigkeitsromantiker wie auch für unkritische Anbeter von Markt und Kapital. Marktwirtschaftlich – nicht ideologisch – untermauert schreibt uns Binswanger ins Stammbuch, dass das Postulat der Nachhaltigkeit kein Ideal, sondern eine schlichte Notwendigkeit ist. Er zeigt aber auch, dass Nachhaltigkeit innerhalb des bestehenden Systems aufgrund des immanenten unbeschränkten Wachstumszwanges und der Möglichkeiten der Geldschöpfung „aus dem Nichts“ schlicht nicht machbar ist. Wollen wir die Erde und damit unsere Lebensgrundlage erhalten, müssen wir die Rahmenbedingungen des kapitalistischen Wirtschaftens ändern: weg vom unkontrollierten Wachstum, hin zu mehr Stabilität. Es bleibt zu hoffen, dass der eine oder andere, der demnächst nach Kopenhagen fährt, sich Binswangers Gedanken zu eigen macht.
changeX 26.11.2009. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch
Hans Christoph Binswanger: Vorwärts zur Mäßigung. Perspektiven einer nachhaltigen Wirtschaft. Murmann Verlag, Hamburg 2009, 241 Seiten, ISBN 978-3867740722
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Autor
Jost BurgerJost Burger ist freier Journalist in Berlin. Er schreibt als freier Mitarbeiter für changeX.