Reif für übermorgen

Rezension Walter Simon: GABALs großer Methodenkoffer Zukunft
Text: Sascha Hellmann

Das Bedürfnis, für die Zukunft gewappnet zu sein, wächst. Denn in einer Zeit immer schnellerer Entwicklungen reüssiert nur derjenige, der auf künftige Chancen und Risiken vorbereitet ist. GABALs großer Methodenkoffer Zukunft vermittelt das nötige Rüstzeug.

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Vor ungefähr 65 Jahren räumte ein renommiertes Beratungsunternehmen einer Erfindung namens Xerografie, umgangssprachlich Fotokopierer, keinerlei Marktchancen ein. Und vor 35 Jahren war man der Ansicht, dass niemand einen Grund haben dürfte, einen Computer auf seinem Schreibtisch zu haben. Heute ist augenfällig, dass diese Prognosen kolossale Fehleinschätzungen waren. Wären sie damals durch die Expertise von Zukunftsforschern vermeidbar gewesen?  

"Wahrscheinlich nicht", lautet der knappe Kommentar von Walter Simon in seinem neuen Buch GABALs großer Methodenkoffer Zukunft - Konzepte, Methoden, Instrumente. Denn: "Die Zukunft hat zu viele Möglichkeiten, sich zu entwickeln, um sie alle ernsthaft zur Kenntnis nehmen zu können." Vor dem Hintergrund dieser skeptischen Grundhaltung schildert der Wirtschafts- und Politikberater in seinem Buch in drei großen Kapiteln Grundvoraussetzungen, Konzepte und Navigationsinstrumente, die die moderne Zukunftsforschung heute ausmachen. Dabei bildet das Buch eine thematische Einheit mit einem weiteren von Simon verfassten Buch GABALs großer Methodenkoffer Zukunft - Grundlagen und Trends, in dem der Autor ausführlich über die Basics der Zukunfts- und Trendforschung informiert, die wichtigsten Megatrends und Triebkräfte des Wandels darstellt und auf viele der mit der Zukunft zusammenhängenden Fragen Antworten gibt.  

Der vorliegende Band geht jedoch direkt in medias res: Die wichtigsten Konzepte, Instrumente und Werkzeuge der Zukunftsforschung werden detailliert dargestellt und kritisch hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit gewürdigt. Mit diesem Methodenkoffer navigiert Simon am Puls der Zeit, denn das allgemeine Bedürfnis nach Gewissheit und Orientierung wächst. Akteure in Gesellschaft und Wirtschaft müssen auf die Zukunft vorbereitet sein. Sie benötigen Wissen, wie sich ihre Systeme entwickeln werden. Dieses verständliche Bedürfnis nach gesicherter Vorausschau verortet Simon ganz genau, relativiert jedoch die stets in der Gegenwart liegende Ausgangsposition des Menschen als notwendige Balance zwischen visionärem Weitblick und aktiver Zukunftsgestaltung: "Wenn Sie nicht heute schon an Ihrer Zukunft bauen, werden Sie wahrscheinlich keine haben. An die Stelle der Zukunft treten dann die Sorgen. Das ist zu vermeiden."


Zukunft als gestaltbar begreifen


Im ersten Kapitel geht es um Konzepte langfristiger Zukunftsgestaltung wie Corporate Foresight, Visionsmanagement, Strategisches Management, Wissens-, Innovations- und Changemanagement, die in ihren Grundzügen dargestellt werden. Dabei vertritt Simon die Auffassung, dass langfristige Zukunftsgestaltung in Wirtschaft oder Politik einer Systematik im Vorgehen bedarf: Zielsetzung, Planung, Realisation und Kontrolle seien die zentralen Managementfunktionen, die auch bei zukunftsorientierten Managementkonzepten wie beispielsweise dem Corporate Foresight eine tragende Rolle spielen sollten.  

Corporate Foresight ist ebenfalls auf dem schmalen Grat zwischen Wissensbedarf und Wissensangebot angesiedelt: Gemäß dem neueren Verständnis der Zukunftsforschung gehe es nicht mehr darum, "die Zukunft als Ergebnis vergangener und gegenwärtiger Determinanten zu ‚entdecken‘, sondern das Morgen und Übermorgen als gestaltbare Entitäten zu begreifen", so Simon. "Zukunft ist nicht mehr Schicksal, dem zu entrinnen unmöglich ist, denn die Verantwortung für die Gestaltung liegt beim Menschen, im Großen wie im Kleinen. Dabei kommt es darauf an, wie das bereits Perikles formuliert hat, nicht die Zukunft vorauszusagen, sondern auf sie vorbereitet zu sein." Beim Corporate Foresight soll der Zukunftsweitblick die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens langfristig sichern, die Lernfähigkeit und Innovationskraft nachhaltig stärken sowie Chancen und Risiken identifizieren. Organisationen und Unternehmen müssten angesichts globaler Wettbewerbsverhältnisse, vernetzter Märkte, enormer Beschleunigung und verstärkten Produktivitätsdrucks mehr tun, als strategisch zu planen. Trends, Innovationsmöglichkeiten und Marktbedürfnisse gilt es, in ihr strategisches Management einzubauen. "Hier kann das Corporate Foresight im Sinne einer Art vorgeschalteter Umfeldanalyse nützlich sein."


Im Vieleck denken


Im zweiten Kapitel schnürt Simon ein Paket mit unterschiedlichen Instrumenten der Zukunftsanalyse wie der Szenariomethode, der Expertenbefragung (Delphi-Methode), der Zukunftswerkstatt und -konferenz, der Technikfolgenabschätzung und anderem mehr. Als Grundtechnik aller zur Zukunftsprojektion eingesetzten Konzepte und Instrumente begreift der Autor das "systemisch vernetzte Denken": Im Gegensatz zum systematischen Denken, das ein analytisches und lineares Vorgehen beschreibt, handelt es sich beim systemisch vernetzten Denken um eine Art und Weise, in der man sich bemüht, "Sachverhalte mehrdimensional, dynamisch prozesshaft, ganzheitlich und zugleich detailliert zu betrachten. Anders ausgedrückt: Sie versuchen geradeaus, im Kreis, um die Ecke, im Vieleck und im Netz zu denken."  

Vornehmlich widmet sich Simon in diesem Kapitel der Szenariomethode, die als meistverbreitete und beliebteste unter den zukunftsgerichteten Projektionsmethoden gilt. Der Begriff des Szenarios als Beschreibung einer zukünftigen Situation ist Kern und Namensgeber dieses Instruments: Aus einem Bündel von Einflussfaktoren werden sogenannte "Schlüsselfaktoren" isoliert, um ein Szenario als hypothetisches Zukunftsbild zu projizieren, aus dem dann Maßnahmen für die entsprechende Organisation abzuleiten sind. Simon zufolge besteht der wichtigste Einwand gegen die Szenariomethode in dem hohen personellen und finanziellen Aufwand. Denn: "Trotz des hohen Aufwandes liefert sie keine verlässlichen Zukunftsaussagen, sondern bietet verschiedene mögliche Szenarien." Ihre Güte sieht Simon jedoch gleich dreifach: Die Methode zwingt die Entscheidungsträger einer Organisation zu einer fundierten Beschäftigung mit der Zukunft, wobei nicht nur empirisch messbare Daten, sondern auch subjektive Erwartungen in die Analyse mit einbezogen werden können - und die Szenariomethode kann als "Basis eines Frühwarnsystems" gelten, insofern als die Gestaltung einer Strategie durch kontinuierliche Beobachtung von Einflussfaktoren im Zeitvorsprung stets besser ist als die bloße Reaktion auf die Umwelt.


Zweifel sind angebracht


Im dritten und letzten Kapitel holt Simon zu einer harschen Kritik all der Rezepte aus, die selbst ernannte "Beratungsgurus" zwecks Zukunftsgestaltung anbieten. Da Managementmoden immer schneller wechseln und vermeintliche Erfolgsrezepte in immer kürzeren Abständen neu angeboten werden, stellt sich schon die Frage, was das richtige Konzept sei, um die Zukunft erfolgreich zu managen. So legt der Autor so manchen Finger in die Wunde und fragt, ob es sich bei etlichen Rezepten nicht um Seifenblasen, fragwürdige Naturgesetze, Binsenweisheiten oder gar blanken Unsinn handle, der zu guter Letzt auch noch in einer von Anglizismen, Schlagwörtern oder gar semantischen Unsinnigkeiten durchtränkten Sprache dargeboten wird. Die besonnenste Haltung des Autors hierzu lautet: "Mannigfaltige Zweifel sind angebracht."  

Simon liefert mit seinem Buch einen gleichzeitig transparenten, illustrativen und kritischen Überblick über die aktuellen Instrumentarien der Zukunftsforschung. Inwieweit seine skeptischen Einschätzungen hinsichtlich der Leistungsfähigkeit der modernen Zukunftsforschung Bestand haben, wird nicht zuletzt die Zukunft selbst zeigen.  


Zitate


"Die Zukunft hat zu viele Möglichkeiten, sich zu entwickeln, um sie alle ernsthaft zur Kenntnis nehmen zu können." Walter Simon: Methodenkoffer Zukunft 1

"Wenn Sie nicht heute schon an Ihrer Zukunft bauen, werden Sie wahrscheinlich keine haben. An die Stelle der Zukunft treten dann die Sorgen. Das ist zu vermeiden." Walter Simon: Methodenkoffer Zukunft 1

"Zukunft ist nicht mehr Schicksal, dem zu entrinnen unmöglich ist, denn die Verantwortung für die Gestaltung liegt beim Menschen, im Großen wie im Kleinen. Dabei kommt es darauf an, ... nicht die Zukunft vorauszusagen, sondern auf sie vorbereitet zu sein." Walter Simon: Methodenkoffer Zukunft 1

 

changeX 06.05.2011. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Zum Buch

: GABALs großer Methodenkoffer Zukunft. Konzepte, Methoden, Instrumente. GABAL Verlag, Offenbach 2011, 296 Seiten, ISBN 978-3-86936-182-6

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Autor

Sascha Hellmann
Hellmann

Sascha Hellmann ist freier Journalist in Heidelberg. Er arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.

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