Beispiel: Toilettenpapier. Im Auftrag der Hotelkette Ritz-Carlton versuchte Rapaille mit Hilfe von Tiefeninterviews diesem speziellen Kultur-Code auf die Schliche zu kommen. Der Hebel war die Betrachtung des Toilettentrainings für Kinder, das bei US-Eltern seit jeher einen extrem hohen Stellenwert genießt. Kurz gesagt: Erst wenn ein Kind Toilette und Klopapier selbst benutzen kann, ist es in der Lage, die Badezimmertüre schließen und die Eltern zurückweisen. "Die Eltern sind dann stolz auf das Kind, weil es sie nicht länger braucht. Sie lächeln und bekunden ihren Beifall. Manchmal kaufen sie ihm sogar Geschenke." Der Kultur-Code, so Rapaille, für Toilettenpapier lautet in den USA deshalb Unabhängigkeit. Kein Wunder also, dass nicht nur in Ritz-Carlton-Hotels, sondern auch längst in amerikanischen Eigenheimen absolute Luxusausstattung in Sachen Bad&WC vorherrscht. Ein Ort, der vollkommene Intimität und Unabhängigkeit bieten soll. Längst mit TV und Telefon.
Gesundheit = Mobil sein und Mission erfüllen.
Rapaille behauptet, dass ein jeder
aus seiner kulturspezifischen Prägung nicht heraus kann. Es ist
eine Art unbewusste Programmierung, die uns als Deutsche,
Franzosen oder Amerikaner kennzeichnet. Die Folge: Trotz unseres
gemeinsamen Menschseins sind wir in Wahrheit alle verschieden.
Der Kultur-Code, so Rapaille, biete die Möglichkeit, zu
verstehen, worin diese Unterschiede bestehen. Er sei vergleichbar
mit einem Nummernschloss und dessen einzigartiger
Zahlenkombination. "Werden die richtigen Zahlen in der richtigen
Reihenfolge nacheinander eingestellt, springt das Schloss auf."
Bei vielen US-Firmen ist jedenfalls bereits der Knopf
aufgesprungen, denn Rapaille geht längst in vielen Chefetagen ein
und aus. Er berät über die Hälfte der Fortune 100-Firmen.
Rapailles Methode ist eine indirekte Befragung. Er lässt
die Interviewten über ihre Erinnerungen, Erlebnisse und
Erfahrungen erzählen und versucht dann gemeinsame Muster zu
erkennen, die in einen Begriff münden. Sein Grundsatz: "Man kann
nur ergründen, was die Leute wirklich wollen, wenn man ignoriert,
was sie sagen." Sie neigen nämlich dazu, oft nur im Interesse des
Interviewers zu antworten. "Meistens sagen sie jedoch nicht das,
was sie meinen."
Ein interessantes Beispiel hierfür ist die Entwicklung des
amerikanischen Kultur-Codes für Gesundheit. Im Auftrag von
Procter&Gamble ließ sich Rapaille eine Fülle von Krankheits-
und Genesungsberichten erzählen. Dabei offenbarte sich, dass
Amerikaner Gesundheit keineswegs als Nicht-Kranksein definieren.
Es ging ihnen nicht um Husten, Schnupfen, Schmerz und Pein. Es
ging einzig und allein darum, mobil zu sein und seine Mission
erfüllen zu können. "Die Geschichten deuteten alle darauf hin,
dass die Amerikaner glauben, gesund zu sein, wenn sie stark genug
sind, etwas zu tun. Ihre größte Angst mit Blick auf das Kranksein
ist die, nichts mehr tun zu können." Deshalb lautet, so Rapaille,
der amerikanische Kultur-Code für Gesundheit und Wohlbefinden
Bewegung. Nichts schlimmer für einen US-Bürger, als
immobil zu sein.
Was beispielsweise einem Chinesen oder Japaner völlig fremd
vorkommt. Für die Chinesen bedeutet Gesundheit, mit der Natur in
Einklang zu sein. Sie glauben, dass sie immer mit den Elementen
der Natur in Verbindung stehen. Gesundheit heißt, mit der Natur
in Frieden zu sein. Der Japaner wiederum betrachtet Gesundheit
als Verpflichtung. Wer gesund ist, kann etwas für seine Kultur,
Gemeinde und Familie tun. Japaner produzieren geradezu Fluten von
Schuldgefühlen, wenn sie krank werden.
Ärzte sind Helden.
Und wo bleiben die Deutschen? Nun,
Rapaille beschäftigt sich mit ihnen eigentlich so gut wie gar
nicht. Der Amerikaner und mit Abstrichen der Franzose stehen im
Mittelpunkt seiner kulturpragmatischen Diagnosen. Was weiter
nicht tragisch ist (außer, dass der Verlag im Untertitel die
internationale Perspektive des Autors vortäuscht), denn ausgehend
von den amerikanischen Kultur-Codes lässt sich gar herzhaft
schwadronieren, was hierzulande als Begriff zutreffen könnte.
Beispiel: Arzt. Der Code für Ärzte in Amerika lautet
Held. Warum? In den Erzählungen stehen im Mittelpunkt die
Erlösung von Gefahr bis hin zur Abwendung eines schrecklichen
Schicksals. Ärzte retten Leben und jeder erinnert sich an einen
Familienangehörigen, der gerettet wurde. Noch positiver sind die
Gefühle der Amerikaner gegenüber Krankenschwestern. Sie gelten
als der "ethischste und ehrlichste Beruf". Klar, sie sorgen für
und pflegen Patienten und sind immer da, wenn man sie braucht.
Kein Wunder, dass der Kultur-Code für Krankenschwester
Mutter lautet.
Wer die letzten Monate Ärztestreik in Deutschland miterlebt
hat, kommt nicht unbedingt zu der Erkenntnis, dass diese
protestierenden Heerscharen auf Marktplätzen und in überfüllten
ICEs unsere wahren Helden sind. Im Poker um Pfründe und Gehälter
nähert man sich eher dem Code "zahnloser Held", der im Aufmarsch
von Lobbyisten und Politikern zwischen die Fronten geraten
ist.
Wer arbeitet, ist jemand.
Wieso Rapaille lesen? Der erste
Grund liegt auf der Hand: Wer das Fremde verstehen will, muss
ihre Metaphern und Erzählungen näher kennenlernen. Internationale
Unternehmen rühmen sich gerne der so unterschiedlichen Herkunft
ihrer Mitarbeiter. Blöd, wenn keiner den anderen versteht oder
verstehen will. Wieviele Deutsche haben sich schon am Kopf
gekratzt, dass sie nie von ihren amerikanischen Kollegen nach
Hause zum Essen eingeladen werden? Wer Rapailles Buch gelesen
hat, weiß jetzt die Antwort. Die Kultur-Codes für Zuhause und
Essen sind in den USA
Zurück ins Vertraute sowie
Zentraler Kreis. Beide zielen auf ein Gefühl, "unter
Menschen zu sein, die einen unterstützen und für einen da sind.
Auch wenn man in die Welt hinauszieht, sobald man heimkehrt und
sich zum Essen rund um den Tisch setzt, ist man wieder richtig zu
Hause". Anders ausgedrückt: Der amerikanische Berufstätige
verlässt am Morgen das Haus, kämpft sich durch den Tag und kehrt
zur Essenszeit wieder in den Schoß der Familie zurück, um den
Kreis mit seinen Lieben zu schließen. Da hat der deutsche Kollege
keinen Platz.
Der zweite Grund liegt darin, dass sich große Anteile
amerikanischer Kulturcodes auch bei uns niederschlagen. Zum
Beispiel lautet der Code für Arbeit
Jemandsein. Amerikaner sind fest davon überzeugt, das zu
sein, was sie beruflich tun. Arbeitslose betrachten sich deshalb
in der Regel als Niemande. Anerkennung und Würde zieht man auch
hierzulande immer stärker aus Tätigkeit und Arbeit. Wir sollten
deshalb anerkennen: Kulturelle Selbstvergewisserung passiert auch
im Vergleich mit anderen Kultur-Codes. Insofern ist der Blick auf
die USA immer auch ein Stück Selbsterkundung.
Fazit: Rapaille hat eine interessante Methode entwickelt,
um hinter die Kulturfassade von Ländern zu blicken. Ausführlich
hat er dies nun für die USA vorgelegt. Immerhin das Ergebnis von
30 Jahren Forschungsarbeit. Wer von Globalisierung und
Internationalisierung spricht, sollte sein Buch unbedingt lesen.
Denn das interkulturelle Nichtverstehen wird zunehmend ein
ernstes Thema - in der Wirtschaft genauso wie in Politik,
Gesellschaft und im Alltag. Dieses Buch ist der Versuch, Brücken
zu schlagen. Von diesen bräuchten wir noch viele mehr.
Peter Felixberger ist Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX.
Clotaire Rapaille:
Der Kultur-Code.
Was Deutsche von Amerikanern und Franzosen von Engländern
unterscheidet und die
Folgen davon für Gesundheit, Beziehungen, Arbeit, Autos,
Sex und Präsidenten.
Riemann Verlag, München 2006,
288 Seiten.19 Euro
ISBN 3-570-50075-6
www.randomhouse.de/riemann
© changeX [31.08.2006] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
changeX 31.08.2006. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch
Clotaire Rapaille: Der Kultur-Code. . Was Deutsche von Amerikanern und Franzosen von Engländern unterscheidet und die Folgen davon für Gesundheit, Beziehungen, Arbeit, Autos, Sex und Präsidenten. . Riemann Verlag, München 1900, 288 Seiten, ISBN 3-570-50075-6
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Peter FelixbergerPeter Felixberger ist Publizist, Buchautor und Medienentwickler.
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