Familien an die Macht!

Wie könnte man Beruf und Familie in Zukunft besser kombinieren?

Von Greta Gesenberg, Cornelia Daheim und Klaus Burmeister.

Eltern haben's schwer. Besonders, wenn beide Partner Berufstätigkeit und Selbstverwirklichung mit Erziehungspflichten kombinieren wollen. Noch immer verzichten viele Mütter auf ihren Beruf oder wechseln in Teilzeitpositionen. Gefragt sind innovative Lösungen für die Zukunft - und gerade die Netzwerkgeneration könnte einige Ideen parat haben.

Die Zeit nach der Geburt des ersten Kindes und bis zu seiner Einschulung ist eine kritische Phase, in der innerhalb der Familie Lebensmodelle neu arrangiert und ausgehandelt, Lösungen gefunden und umgesetzt werden müssen. Eigentlich ist die Zeit danach noch problematischer. Die Balance zwischen Leben und Arbeiten zu finden wird spätestens dann schwierig, wenn die Suche eines Betreuungsplatzes ansteht. Denn in Deutschland fristen professionelle Kinderbetreuungsangebote im Dienstleistungssektor noch ein Schattendasein, während sie im Ausland als Kick-off für das Leben eines Kindes bewertet werden.

Schwierige Rahmenbedingungen.


Insbesondere für Eltern, die ein Modell leben möchten, in dem beide sowohl die Ernährer- als auch die Erziehungsfunktion wahrnehmen, wirken die Rahmenbedingungen in ihrer Summe dagegen. Ein schwer erkämpfter Mutterschutz und Erziehungsurlaub, vergleichsweise hohe Transferleistungen im Elternurlaub sowie ein hohes Kindergeld fördern ein langes Ausscheiden vieler Frauen aus dem Berufsleben. Kaum vorhandene Betreuungsmöglichkeiten und Ganztagseinrichtungen nach der Einschulung zementieren dann die Trennung der Rollen in den "Verdiener" und die "Kinderbetreuerin". Begünstigt wird dieses klassische Rollenmuster durch das Ehegatten-Splitting, das das Ausscheiden des finanziell schwächeren Ehepartners aus dem Berufsleben steuerlich begünstigt. In der Konsequenz leistet sich Deutschland ein traditionelles familienpolitisches Leitbild. Dass es auch anders geht, zeigen Länder wie Frankreich und Schweden. Dort finden sich flächendeckende und ganztägige Kinderbetreuungseinrichtungen für Kinder aller Altersstufen, die Geburtenraten sind höher und Frauen nehmen in höherem Maße am Erwerbsleben teil.

Keine Alternative zur Selbsthilfe.


Eine grundlegende Änderung auch vor dem Hintergrund der prekären Finanzsituation öffentlicher Haushalte ist nicht in Sicht. Damit nicht genug, werden den Familien weitere Aufgaben der staatlichen Daseinsfürsorge überantwortet. Es gilt, die Geburtenrate zu erhöhen, die aktive Förderung der Kinder wird nach dem PISA-Schock bereits ab dem Kindergarten von den Eltern eingefordert und letztlich benötigt die Wirtschaft verstärkt durch den demografischen Wandel eine Zufuhr qualifizierter Fachkräfte, in Zukunft auch die gut ausgebildeten Frauen. Die Familie als Keimzelle der Gesellschaft erlebt auf hohem Niveau eine Renaissance. Sie soll sich, so einige Stimmen, professionalisieren und in radikaler Zuspitzung zur Wir-AG mutieren. Die Familie, welche auch immer gemeint sei, die klassische, die reale, die Patchwork- oder die der Alleinerziehenden, erscheint als Rettungsreifen im Meer einer sich paralysierenden Familienpolitik. Trotz dieses ernüchternden Befundes gibt es für engagierte Eltern keine Alternative zur Selbsthilfe. Der Staat wird es eben in Zukunft immer weniger richten. Damit wird die bestehende Disparität zwischen den Eltern, die es sich heute schon leisten, ihre Kinder zu fördern, und denen, die dies aus unterschiedlichen Gründen so nicht können, weiter wachsen.

Die Netzwerkgeneration ist gefordert.


Doch diese Entwicklung bietet auch Chancen. Die heranreifende und gut ausgebildete Elternschaft gilt als Netzwerkgeneration. Neu interpretiert als selbstbewusste Interessengemeinschaft, könnten familiäre Gemeinschaften jeglicher Ausprägung ihren Alltagskampf aus seiner individualisierten Verengung befreien und zu einer machtvollen Haltung anschwellen lassen. Die Zeiten erscheinen dafür nicht schlecht. Im Vakuum eines sich orientierungslos verhaltenden Staates, überforderter Kommunen, sich merkwürdig ruhig verhaltender Träger von Betreuungseinrichtungen und einer wehklagenden Unternehmerschaft erwächst mit einer selbstbewusst auftretenden "Klasse von Eltern", deren Kinder doch unsere Zukunft darstellen, eine erhebliche Koalitions- und Durchsetzungskraft. Es geht, würde die Herausforderung angenommen, um eine erhebliche quantitative und qualitative Verbesserung der Infrastruktur für Kinder, Familien und eine zukunftsfähige Zivilgesellschaft. Also um nichts weniger als um eine Infragestellung der bisherigen etablierten Formen der "Kindererziehung" in mehr oder weniger gut geführten Kinderverwahreinrichtungen (vom Kindergarten über die Vorschule bis zur Grundschule) und das Weiterdenken und grenzüberschreitende Realisieren neuartiger Kooperationsmodelle zwischen ungewöhnlichen Partnern und das Schmieden neuer Allianzen. Last but not least sind zuverlässige Arrangements für zeitlich flexibel zu vereinbarende Zeitkontingente für eine Kinderbetreuung nach Maß als Grundvoraussetzung für eine Work-Life-Balance unerlässlich.

We have a dream.


Blauäugig, illusionär, voluntaristisch oder wie sonst die Kommentare zu diesen wohlmeinenden Wünschen ausfallen mögen. Eine sinnvolle Alternative dazu gibt es kaum. Was könnte geschehen? Werfen wir einfach einen kurzen Blick in eine etwas andere Realität. Die Streichung von Stellen in Kindergärten wird tatsächlich zum Topthema in den "Diskursen" in den Familien, den Wohnquartieren, Kommunen und Städten. Ein Aufschrei und Zorn erfasst die Gemeinden. Selbsthilfe wird geleistet, ohne dass die Verantwortung denen, die sie bisher innehatten, ganz entzogen wird. Die lokalen Verantwortlichen werden sich zukünftig rechtfertigen müssen, warum zum Beispiel für eine neue Straßenführung Geld vorhanden ist. Kinder sind keine reine Privatangelegenheit. Sie sind ein öffentliches und kostbares Gut. Die anstehenden Mittelkürzungen und drohenden Schließungen städtischer Einrichtungen mobilisieren endlich den Handlungsdruck, der zu ungeahnten Synergieeffekten führt. Es entstehen lokale und überregionale Netzwerke von Musikschulen, Kindergärten, Schwimmbädern, Stadtbibliotheken und Schulen, die sich inhaltlich ergänzen und austauschen. Sie etablieren mit dem Verkehrsverbund einen Shuttle-Service zwischen den Einrichtungen. Sie ermöglichen den Kindern neue Lern- und Erlebnisformen und den Eltern Zeitsouveränität für die Bereitstellung ihrer Arbeitskraft. Es gibt sie tatsächlich, die Unternehmen, die ihre soziale Verantwortung wahrnehmen und in lokalen Arenen ihrem Wehklagen nach qualifiziertem Personal durch mittel- bis langfristig angelegtes Handeln etwas entgegensetzen. Sie fördern in Patenschaften, Stiftungen und Bündnissen vor Ort direkt und indirekt den Bildungs- und Erziehungsauftrag einer Wissensgesellschaft und sie ermöglichen - nicht zuletzt, weil sie dazu gezwungen sind - neue flexible Beschäftigungsformen für ihre qualifizierten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. In dieser Wissensgesellschaft wird ein solches Handeln honoriert.
Ein schöner Traum. Aber er kann wahr werden. Die Verhältnisse zwingen uns zum Tanzen. Wer fängt an?

Greta Gesenberg und Cornelia Daheim sind Zukunftsforscher des Z_ punkt Büro für Zukunftsgestaltung in Essen. Klaus Burmeister ist Geschäftsführer von Z_ punkt.

Das ausführliche Paper zum Thema "Family-Life-Work-Balance" mit dem Schwerpunkt "Vereinbarkeit von Karriere und Familie durch flexibilisierte Arbeitszeit und ein flexibilisiertes Betreuungsangebot" erscheint im nächsten Z_ newsletter.

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Autor

Klaus Burmeister
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Klaus Burmeister ist Gründer und Managing Partner von Z_punkt The Foresight Company.

Autorin

Cornelia Daheim
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Cornelia Daheim ist Managing Partner von Z_punkt.

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Greta Gesenberg

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