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E-inbildung

Was Sie gerade jetzt über E-Learning wissen sollten? | Folge 2 |

Von Anja Dilk

Die gute Nachricht: E-Learning in Firmen nimmt zu. Die Qualität indes leider nicht. Längst ist nicht alles Gold, was glänzt. Innovationen fehlen. Der Markt ist umkämpfter denn je. Klar ist: Nur wer guten Content und Beratung, hohe Qualität und standardisierte Produkte anbietet, hat eine Chance. changeX-Redakteurin Anja Dilk hat sich in der Szene umgesehen. In Folge 2 berichtet sie über die ersten zarten Pflänzchen des virtuellen Lernens im Mittelstand.
Zu Folge 1.

"2003 ist im E-Learning ein Jahr des Mittelstandes", sagt die E-Learning-Expertin Thea Payome. "Die Anbieter des Online-Lernens entdecken allmählich die kleineren Unternehmen." Aus gutem Grund. Denn Potential ist da. Ob Schreiner oder Bäcker, ob Softwareklitsche oder Eventagentur, Klamottengeschäft oder Süßigkeitenfabrik - die Qualifikation der Mitarbeiter, die stete Politur des Humankapitals wird immer wichtiger, um am Standort Deutschland im Wettbewerb bestehen zu können. Punktgenaue Lösungen - billig, gut und je nach Bedarf - sind gerade für den Mittelstand Notwendigkeit. Doch abgeschreckt vom trüben Image der computerfeindlichen Mittelstandspiefkes, haben sich die Anbieter lange zurückgehalten. "Es gibt E-Learning-Produzenten, die sagen: Wenn die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) lernen wollen, sollen sie halt ein Buch in die Hand nehmen", erzählt ein Kenner der Szene hinter vorgehaltener Hand.

Andere Marketingstrukturen.


Natürlich, wer bei Mittelständlern E-Learning-Pakete verkaufen möchte, muss oft mühsam von Laden zu Laden ziehen und stramme Überzeugungsarbeit leisten. "Die Marketingstruktur ist völlig anders", resümiert Lutz Goertz vom Essener Medienforschungsinstitut MMB. "Die Anbieter haben nicht einen Ansprechpartner, sondern viele." Den Meister vielleicht und den kaufmännischen Leiter, den Abteilungschef und die Marketingfrau. Andererseits ist ein Auftrag schon mal leichter im Sack. Die Entscheidungswege sind in einem kleinen Unternehmen kürzer als in einem Konzern. "Und wem es gelingt, den Chef zu überzeugen, bekommt oft schneller den Zuschlag als in einem Großunternehmen", erzählt Petra Engstler-Karrasch vom E-Learning-Anbieter ets aus dem süddeutschen Halblech. "Wenn wir allerdings jeden separat akquirieren müssten, wäre es schon schwierig." Zumal sich der Mittelstand, gebeutelt von der Konjunkturmalaise, derzeit nur mit gebremstem Schaum für Weiterbildung interessiert. Wo jeder Cent zählt, tun sich die Firmen schwer, in die Qualifikation ihrer Mitarbeiter zu investieren.

Griffige Standardlösungen nach Kammerplan.


Dennoch hat sich ets auf Mittelständler spezialisiert. Im Fokus sind griffige Standardlösungen. "Individuell zugeschnittene Angebote sind bei den kleinen Firmen nicht gefragt", sagt Engstler-Karrasch. Zum einen seien sie für kleine Unternehmen in der Regel zu teuer, zum anderen "merken plötzlich alle, dass die Basisanwendungen völlig ausreichen". In Zusammenarbeit mit einer Reihe von Industrie- und Handelskammern (IHK), die als Serviceleistung kostenlos zwischen Anbietern und KMU vermitteln, bieten die Halblecher E-Learning zu den Themen: Soft Skills und IT, kaufmännisches Know-how und Train-the-Trainer.
Dafür hat ets den digita- und den comenius-Preis erhalten. Da die Firma mit den Kammern zusammenarbeitet, sind die meisten Online-Kurse auf geregelte Bildungsgänge mit Kammerprüfung ausgerichtet. Des Weiteren im Programm: Prüfungsvorbereitungstools für Auszubildende. In Kooperation mit einigen IHK und der Zentralstelle für die Weiterbildung im Handwerk bietet ets ausbildungsbegleitende Online-Programme für sechs Büro- und informationstechnische Berufe an. Das Gesamtangebot umfasst 160 modular aufgebaute Fach- und Prüfungsinhalte von Office-Anwendungen bis zu virtuellen Testprüfungen. Die Kurse orientieren sich eng an den Ausbildungslehrplänen. Wer Lust auf Weiterbildung hat, kann sich in der Zeit zwischen den Berufsschultagen weiterqualifizieren, zum Beispiel mit dem Europäischen Computerführerschein. Mittlerweile nutzen ein paar hundert Auszubildende das Angebot von "Azubi N@twork". Die Kosten (76 Euro pro Kurs) tragen die Unternehmen.

Blended Learning, selbst gemixt.


Solche Initiativen sind kein Einzelfall. Seit Jahren Vorreiter in Sachen Online-Lernen ist die IHK Bayreuth. Ihre Tochtergesellschaft, die "ihk.online&medien.gmbh", hat ein virtuelles Bildungszentrum für ihre Mitglieder eingerichtet. In Zusammenarbeit mit einem Strauß von Partnerfirmen bietet die Kammer bundesweit mehr als 1.000 Standardkurse in EDV, Wirtschaft und Recht, Verhaltenstrainings à la "Kundenkontakt leicht gemacht" und Profisprachkurse, Technikschulungen und Weiterbildungen für Azubis. Die virtuellen Lerneinheiten liegen auf der Lernplattform der Kammer, innerhalb einer Stunde sind sie für die Mitglieder abrufbar. Die Technik gibt es auf diese Weise gratis, nur für die Kurse müssen die Firmen löhnen.
"Viele Unternehmen kaufen sich E-Learning-Einheiten und verbinden sie mit ihren eigenen Präsenzkursen zu einer Mitarbeiterschulung", sagt Matthias Steiner, Vertriebsleiter von ihk.online in Bayreuth. Eine Art Blended Learning, selbst gemixt. "Standard ist E-Learning aber im Mittelstand noch nicht. Unsere Zuwachsraten steigen langsam, aber beständig." Wie auch der Umsatz im vergangenen Jahr von einer auf 1,1 Millionen. Interessant: Das Interesse am E-Learning hängt nicht von der Branche ab. Computernahe Mittelständler wie Softwareunternehmen oder Agenturen buchen grundsätzlich keineswegs häufiger als Bäcker oder Dreher. Entscheidend ist: Gibt es Bildschirmarbeitsplätze im Unternehmen?

Einmal reingefallen, für immer abgeschreckt.


Immer noch scheuen sich viele mittelständische Unternehmen, das virtuelle Lernen in ihre Firmenräume zu holen. Sie sind einfach weniger vertraut mit der neuen Lernkultur. Überdies sind sie in der Regel ungeübt in systematischer Personalentwicklung und scheuen sich vor größeren Investitionen, deren Nutzen nicht klar überschaubar ist. Und sie sind skeptisch geworden. "Am Anfang wurden viele unausgereifte Angebote für den Mittelstand auf den Markt geschleudert", sagt Birgit Raithel vom Projekt LERNET am Adolf-Grimme-Institut in Marl. "Damit hat man viel verpfuscht. Denn die Qualität ist für den Mittelstand, der knapp kalkulieren muss, enorm wichtig. Große Unternehmen probieren schon mal verschiedene Produkte aus. Ein Mittelständler versucht es nur einmal. Bekommt er schlechte Qualität serviert, wird er nicht wieder auf E-Learning setzen."
Ganz klar: Das ganz große Geld lässt sich mit E-Learning für den Mittelstand sicher nicht machen. Die Auftragsvolumen sind überschaubar. Der Aufwand, zum Beispiel in puncto Betreuung, ist für die Anbieter ähnlich hoch wie für ein Großunternehmen. Doch wenn sich mehrere Kleinunternehmen zu Allianzen zusammenschließen, rechnet sich das für beide Seiten. "Eine Musterkalkulation aus einem EU-Projekt beispielsweise hat ergeben: Wer für einen Blended-Learning-Kurs 140 Teilnehmer zusammenbringen kann, hat die Entwicklungskosten wieder herin, Beratung und regelmäßige Aktualisierung inklusive", sagt Medienforscher Goertz von MMB. "Und er liegt günstiger als mit reinem Online- oder reinem Präsenzlernen." Auf dieser Basis lassen sich schwarze Zahlen schreiben. Viele E-Learning-Entwickler sind nach wie vor skeptisch, zu unkalkulierbar scheint der Gewinn, zu unsicher die Rendite. Obendrein fehlt es immer noch an branchenspezifischen Lösungen, zugeschnitten auf die Bedürfnisse kleinerer Unternehmen.

Signal für das virtuelle Lernen im Mittelstand.


Um beide Seiten zusammenzubringen und zu zeigen, dass E-Learning im Mittelstand für Anbieter und Unternehmen interessant sein kann, hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit in Kooperation mit dem Adolf-Grimme-Institut und dem Essener Medienforschungsinstitut MMB 2001 das Projekt LERNET auf die Beine gestellt, ein Förderprogramm für die Entwicklung neuer Formen des "netzbasierten Lernens für den Mittelstand und öffentliche Verwaltungen". Derzeit laufen bundesweit elf Pilotprojekte.
Ende Oktober wollen die LERNETler erste Bilanz ziehen. Anhaltspunkte gibt es bereits jetzt. Birgit Raithel: "Wir haben festgestellt, dass es sehr schwierig ist, ganz kleine Unternehmen für E-Learning zu gewinnen. Auch für die Anbieter ist das nicht interessant, weil man kaum genügend Kunden für ein Produkt zusammenbekommt." Das Feedback aus den Mittelstandsfirmen ist zwar grundsätzlich positiv, doch gibt es einige strukturelle Haken.
Den E-Schülern fällt es schwer, die virtuellen Lernstunden in den Arbeitsalltag zu integrieren, mangels Zeit müssen sie sich abends hinsetzen. Eine zusätzliche Belastung für die Tutoren, die damit ebenfalls nach Feierabend online für Fragen bereitstehen müssen. Die E-Schüler aus dem Mittelstand knapsen an der Eigenmotivation. Daher wollen sie einen stärker durchorganisierten, klaren curricularen Aufbau der Lernpakete, genauere Vorgaben und Tests zur Leistungskontrolle. Am liebsten hätten sie feste Termine, um sich zum Online-Pauken zu treffen. Wichtiger als in Großunternehmen ist ein Tutor, der die Schüler immer wieder von sich aus anspricht, motiviert und in den Lernprozess zieht.
Und obwohl die technische Ausstattung der Mittelständler gut ist, hapert es an der IT-Kompetenz der Mitarbeiter. "Chats beispielsweise werden schlecht angenommen, weil viele Mitarbeiter keine Erfahrungen damit haben", sagt Raithel. "Manche Lerner schreiben ihren Text in ein Word-Dokument und versuchen ihn wie einen Brief mit Copy and Paste via Mail in den Chat zu bringen. Dann macht ein Chat natürlich wenig Spaß."

Immer noch als Monster bestaunt.


Projekte wie LERNET zeigen: E-Learning im Mittelstand hat Perspektiven, wenn es auch noch einige Klippen zu umschiffen gilt. Und da der Markt bei den Großunternehmen längst nicht mehr so üppig wie vor zwei Jahren ist, werden die Anbieter das Potential von Mittelstand und öffentlicher Verwaltung ausschöpfen müssen. Doch bei leeren öffentlichen Kassen wird dort noch weniger zu holen sein. Inwieweit es den E-Learning-Anbietern gelingt, mittlere Unternehmen für das Lernen im virtuellen Klassenzimmer zu gewinnen, wird auch von der Marketingstrategie abhängen. "Es ist ein Kommunikationsproblem, dass die Leute nicht wissen, wie phantastisch die Tools sein können", sagt E-Learning-Fachmann Bendel von der Universität St. Gallen. "Das virtuelle Klassenzimmer wird oft immer noch als Monster bestaunt - gerade in den kleinen Unternehmen." Es wird noch viele Informationskampagnen und Aufklärungsarbeit für den Mittelstand geben müssen.
Hörgerätehersteller Phonak, hierzulande mit 600 Mitarbeitern fast noch ein Mittelständler, doch weltweit mit Tochtergesellschaften und insgesamt 2.200 Leuten im Business, hat den Schritt nicht bereut. "Wir können erstmals Mitarbeiter zusammenschalten, die sich sonst nie getroffen hätten", sagt E-Session-Leader Daniel Stoller-Schai. "Oder wo sonst kann ein Vertriebler aus Asien schon mit Kollegen in England, Finnland oder Dänemark gleichzeitig über die neuesten Entwicklungen diskutieren, als im virtuellen Klassenzimmer?"

www.lernet.info
www.e-learning-presseclub.de
www.ihk-lernen.de

Zu Folge 1.

Anja Dilk ist Redakteurin bei changeX.

© changeX [16.07.2002] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Autorin

Anja Dilk
Dilk

Anja Dilk ist Berliner Korrespondentin, Autorin und Redakteurin bei changeX.

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