Die Gesetze der Netze
Ein Interview mit Alfred Doll und Albert Weber, den Gründern des atunis Instituts.
Klassische Hierarchien und Organigramme? Nicht mehr sinnvoll! Manager sollten sich nach der Logik von Netzen richten. Und tunlichst vermeiden, ihre Regeln zu verletzen. Denn ein Unternehmen definiert sich, so die atunis-Berater Doll und Weber, aus Beziehungen. Deshalb gilt es, die Beziehungskompetenz des Unternehmens zu analysieren und weiterzuentwickeln.
Das atunis Institut unterstützt mit dem NetzLogik �-Ansatz, einem neuen Konzept in der Unternehmensberatung, Unternehmen und öffentliche Organisationen durch Consulting, Seminare und Studien. Alfred Doll hat durch jahrelange Vertriebstätigkeiten und durch die Führung einer Niederlassung der debis in München sowie der aktiven Mitgestaltung des Börsenganges der NorCom AG in Verantwortung für Vertrieb und Marketing umfangreiche Erfahrungen in Industrieunternehmen gesammelt. Durch den Aufbau einer europaweiten Vertriebsorganisation für Wellness-Produkte konnte er diese Erfahrung mit dem Wissen über Netzwerke sinnvoll erweitern. Darauf aufbauend und mit persönlichen Studien ergänzend hat er seine "Spielregeln der Netzlogik" entwickelt, mit denen er Unternehmen hilft, neue Lösungen für die notwendige Transformationen zu erarbeiten. Albert Weber arbeitete bei SEL und debis, war im Management unter anderem verantwortlich für Logistik und Beschaffung. Seit drei Jahren ist er erfolgreich als Unternehmensberater tätig.
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Doll: Es begann mit einer Selbstreflexion, was mir eigentlich liegt und zu mir passt. Daraus habe ich ein persönliches Mission Statement entwickelt, das man folgendermaßen formulieren könnte: "Ich versuche, eine Umgebung zu finden, wo ich im wirtschaftlichen Umfeld Hilfestellungen geben kann, bestimmte Problemstellungen und Aufgabenstellungen einfacher, schneller und bequemer zu lösen." Das war der Anlass, mich intensivst mit Methodiken auseinander zu setzen. Doch die meisten traditionellen Konzepte erschienen mir der sich schnell wandelnden Gesellschaft nicht angemessen, es fehlte an einem neuen, zeitgemäßen Ansatz ...
... den Sie dann mit der NetzLogik entwickelt haben.
Doll: Ja, das Thema Netze fand ich besonders spannend. Ich
begann, mich intensiv damit auseinander zu setzen. Anfang letzten
Jahres bin ich dann auf den Autor Michael Gleich gestoßen, der in
seinem Buch
Web of Life sehr spannende, und für mich sehr eingängige
Beispiele gebracht hat, wie Netze funktionieren. Er war auch
derjenige, der den Begriff NetzLogik geprägt hat. Er hat mich
darin bestärkt, ein neues Denken in Unternehmen hineinzubringen -
eben besagte NetzLogik. Daraufhin begann ich in Projekten, die
ich im letzten Jahr realisiert habe, bestimmte Thesen aus diesem
Ansatz hin zu überprüfen. Es hat funktioniert. Besonders der
Fokus auf Beziehungen und "weiche" Faktoren in Unternehmen
stellte sich als gute Ergänzung zu traditionellen
Managementkonzepten heraus.
Welche Beziehungen? Die zwischen Mitarbeiter und
Management?
Doll: Nicht nur. Jedes Unternehmen besteht aus einem
Beziehungsnetz, aus Interaktionen zwischen Menschen - seien es
Mitarbeiter, Management, Kunden, Zulieferer oder Abteilungen. Die
Wirtschaft ist nur ein Spiegelbild einer gesellschaftlichen
Situation. Menschen sind vom Grundsatz her Beziehungswesen. Wir
brauchen Familie, wir brauchen ein soziales Umfeld. Über private
Beziehungen wissen wir relativ viel, denn das sind meistens
Eins-zu-eins-Beziehungen. Innerhalb von Unternehmen existieren
aber Eins-zu-n-Beziehungen, die man idealerweise in Form von
Netzwerken abbildet.
Was ist denn das genau, NetzLogik?
Doll: Unter NetzLogik verstehen wir zunächst einmal das
Verständnis, wie Netze funktionieren. Es gibt bestimmte Regeln,
die für alle Netze - ob biologische, soziale oder technische -
gleich sind. Diese Regeln, die übrigens immer gelten, machen wir
transparent. Es ist wichtig, sie den Menschen bewusst zu machen,
damit sie sich in Einklang mit diesen Regeln verhalten können. So
kann man Widerstände, Potenzialverluste et cetera vermeiden.
Bestimmte Strukturen und Verhalten verstoßen nämlich gegen die
Gesetzmäßigkeiten der Netze.
Verstoßen viele Unternehmen gegen diese Regeln?
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Es gibt aber auch andere Beispiele, die zeigen, dass Projekte dann besonders erfolgreich sind, wenn ein hoch motiviertes Team relativ hierarchiefrei miteinander arbeitet, wenn Interaktionen bewusst gesteuert werden und wenn integrativ vorgegangen wurde. Das sind drei Grundbedingungen - und sie alle stehen gegen die traditionelle hierarchische Denke.
Doll: Anderes Beispiel: Eine der Regeln der NetzLogik besagt, dass Netze sich selbst organisieren. Doch sehr viele Unternehmen schreiben nach wie vor Organigramme - obwohl wir bisher kein Unternehmen gefunden haben, das wirklich nach diesem Organigramm lebt! Es sagt vielleicht noch aus, wer den Urlaubsantrag von wem unterschreibt, aber es sagt nicht aus, wie das Unternehmen tatsächlich funktioniert. Man sollte sich bewusst machen, wer mit wem interagiert - dann werden die Funktionsweise des Unternehmens und die Aufgaben der Mitarbeiter wesentlich klarer und transparenter.
Kennen Sie das Forschungsprojekt von Hewlett-Packard, bei dem
über die Analyse der E-Mail-Kommunikation ein Abbild der
Beziehungsnetze im Unternehmen erzeugt wird?
Doll: Ja, das ist eine sehr interessante Thematik.
Allerdings wird damit nur ein bestimmter Aspekt berücksichtigt,
nämlich der Informationsfluss. Kommunikation ist wesentlich mehr,
obwohl das vielen Unternehmen leider nicht bewusst ist. Dort
versucht man, Kommunikation eher nach dem Vorbild von Computern
zu organisieren - man definiert ein Protokoll, und schon kann der
eine Computer mit dem anderen interagieren. Menschliche
Kommunikation basiert zusätzlich zu einem wesentlichen Anteil auf
dem "Bauch-zu-Bauch-Gefühl", wie ich es nenne.
Vermutlich ist ein Teil des Problems, dass solche "weichen"
Faktoren oft nicht so richtig ernst genommen werden, dass die
Unternehmen sich nicht klar machen, wie stark sie den
Unternehmenserfolg ausmachen. Oder?
Doll: Wenn man den Publikationen, die in den letzten zwölf
Monaten erschienen sind, und den Aussagen der etablierten
Unternehmensberater glauben darf, werden die weichen Faktoren
immer wichtiger. Diese jedoch zu messen und ihre Beziehung zu den
"harten" Faktoren transparent zu machen - hierzu fehlten bisher
die Methoden. Unser Ansatz ist, in einer einfach durchführbaren
Analyse die Beziehungsfähigkeit eines Unternehmens zu
untersuchen. Damit können wir schnell feststellen, wo die
Schwachpunkte im Unternehmen sind. Spannenderweise stellt man bei
der Auswertung fest, dass die Hardfact-Problemstellungen im
Unternehmen, mit den Softfact-Problemstellungen korrelieren.
Insoweit zeigt sich, dass viele Kosten- und Umsatzschwachpunkte
ihren Ursprung im Softfact-Bereich haben.
Weber: Im Grunde hat man vor zehn, 15 Jahren sehr
vorsichtig damit begonnen, mit der Entwicklung neuer Methoden
diese weichen Faktoren zu untersuchen und einzubeziehen. Doch man
ist relativ schnell wieder davon abgekommen, weil es schmerzhafte
Bewusstseinsänderung bei Führungskräften und Managern bedeutet
hätte. Ihnen wurde klar, dass ihre Aufgabe nicht die ist, eine
Hierarchie aufrechtzuerhalten. Sondern Teams zu bündeln, zu
kommunizieren und Innovationen freizusetzen. Ein solches
Führungsbild wird erst jetzt wiederentdeckt.
Erst in den letzten zwei, drei Jahren sind viele Ratgeber zum
Thema Coaching und Führung erschienen. Bis ein solches neues
Leitbild greift, wird es sicher noch eine Weile dauern, oder?
Doll: Deshalb ist der Ansatz der NetzLogik unseres
Institutes auch der, nicht nur Wissen zu vermitteln, sondern
Führungskräfte und Unternehmen in ihren Lernkurven, Lernschritten
zu begleiten. Wir sprechen von fünf Schritten: Es geht zunächst
um Einsicht, um Wollen, um Wissen und Können. Dann, wenn ich das
Konzept perfekt beherrsche, geht es ums Lehren, also das aktive
Weitergeben innerhalb des Unternehmens. Wir gestalten diesen
Prozess und begleiten die Unternehmen aktiv, damit sie in
tagtäglichen Situationen reflektieren können, wie sie einfacher,
schneller, effizienter agieren können.
Welche Tools oder Methoden setzen Sie konkret bei Ihren
Beratungen ein? Sie legen ja Wert auf ein ganzheitliches,
systemisches Konzept.
Weber: Für die normalen Bausteine verwenden wir ganz
klassische Methoden - allerdings ergänzt um die Dimension der
Softfaktoren und den generischen Regeln der NetzLogik. Wichtig
ist, dass wir immer über die Führungskräfte einsteigen. Durch sie
finden wir zunächst eine Gesamtsicht des Unternehmens und der
dort vorhandenen Dynamiken, danach begleiten wir die
Führungskräfte durch die nächsten Schritte. Dieser
Top-down-Ansatz ist bei der NetzLogik absolut notwendig. Wir
haben erkannt, dass es wenig Sinn macht, in hierarchisch
geprägten Teams Führungskräfte zu schulen, Interaktionen zu
optimieren oder Mitarbeiter zu motivieren. Dadurch würde man nur
eine noch größere Kluft und Unzufriedenheit erzeugen zwischen
Wertschöpfungsebene und Führungskraft. Erst wenn der Unternehmer
selbst und die Führungscrew ein Miteinanderumgehen praktizieren,
das durch ihr Vorbild zu einer anderen Unternehmenskultur führt,
kann ich es von den Mitarbeitern verlangen.
Heißt das, mit den klassischen Methoden kann man bei den
Mitarbeitern gar nicht viel ausrichten?
Weber: Es gibt nur eine kurzfristige, punktuelle,
scheinbare Verbesserung. Mittelfristig und langfristig
funktionieren klassische Methoden, aus der Mitarbeiterbasis
eingesetzt, überhaupt nicht.
Sind ältere Manager, die Hierarchien gewöhnt sind, bereit,
sich auf solche neuen Prinzipien wie Management nach NetzLogik
einzulassen?
Doll: Das ist keine Frage des Alters, sondern der
Einstellung. Ich habe bei den Gesprächen, die ich geführt habe,
bei älteren Unternehmern eine wesentlich höhere Resonanz
wahrgenommen als bei jungen. Weil sie zumindest in ihrer früheren
Ausbildung noch wesentlich mehr mit Ethik, mit Werten gearbeitet
haben als heute. Der typische Mittelständler in Deutschland kommt
eigentlich aus dieser Ecke. Ob Reinhold Würth oder Max Grundig -
das sind und waren charismatische Führungspersönlichkeiten, die
aufgrund ihrer Vision, ihrer Intuition das gelebt haben, was wir
momentan über NetzLogik propagieren. Die Balance zwischen Werte-
und Wert-orientierter Unternehmensführung war der Erfolgsgarant.
Werte an sich werden heute nicht mehr vermittelt. Vielmehr stehen
rein fachliches Wissen und Themen wie Shareholder-Value im
Vordergrund. Das sind für mich eher "Unwerte", weil ein
Shareholder nicht nur von einem kurzfristigen Quartalsgewinn,
sondern als Investor von einem soliden, nachhaltigen Wachstum des
Unternehmens profitiert. Es geht darum, werteorientiert zu führen
und nicht jeder wird in der Lage sein, dieses für sich so zu
internalisieren. Das hat wirklich was mit persönlicher Reife, mit
Wertevorstellungen und mit Selbstbewusstsein zu tun.
Das ist letztendlich das, was in den Lernstufen der
NetzLogik mitschwingt - den Menschen ein größeres
Selbstbewusstsein im Sinne von "Wer bin ich?" zu geben, um damit
eine Plattform für ein Werte- und Wert-orientiertes Unternehmen
zu schaffen. Aber nicht jeder ist bereit, diesen Weg zu gehen,
seine Komfortzone zu verlassen.
Haben Sie den Eindruck, dass es zurzeit ein neuer
Managementtrend ist, sich an der Natur zu orientieren?
Doll: Wir sind momentan in einem gigantischen
Paradigmenwechsel, wie es ihn seit Menschengedenken vielleicht
zwei- oder dreimal gegeben hat. Wir können, um Regeln für die
Zukunft zu finden, kaum auf den etablierten Regeln aufsetzen,
weil diese nur die bisherige Welt widergespiegelt haben. Deshalb
ist die Suche nach einer darüber liegenden Wertigkeit, nach
Basics nachvollziehbar. Die Frage ist: Wo nimmt man die her? Aus
der Natur und aus der Religion. Leider haben die Menschen viele
von diesen Ansätzen vergessen, und auf den ein oder anderen
wollen wir mit NetzLogik wieder aufmerksam machen. Denn so
revolutionär dieser Paradigmenwechsel auch sein mag, die Basics,
die Grundschwingungen, werden die gleichen bleiben.
Weber: Noch einmal zu der Frage: Ist Natur momentan ein
Trend? Vom Grundsatz her nein. Was wir zurzeit am Markt und in
den Medien erleben, ist mehr ein Aufdecken alter Werte, bisher
allerdings ohne konkrete Lösungsansätze. Denn Philosophen und
geistige Vordenker beschäftigen sich seit Jahrtausenden mit
diesem Thema. Sei es nun Ethik, Dialektik, die Regeln sozialer
Systeme oder Methoden der Logik und Entscheidungsfindungen, um
nur einige Beispiele zu nennen. Sie haben damit seit jeher
Gesellschaftssysteme, kulturelle Werte, Staats- und
Wirtschaftssysteme entscheidend geprägt.
Noch mal zum Thema Netzprinzipien. Können Sie vielleicht ein
paar von diesen Gesetzmäßigkeiten erklären?
Doll: Wir haben sechs grundlegende Regeln, die nach
unseren Überprüfungen für biologische, soziale und auch
technische Netze gleich sind. Eine Regel besagt zum Beispiel:
Netze besitzen Emergenz, also die Fähigkeit, aus der Interaktion
ein Mehr zu machen, als die Summe der einzelnen Komponenten, die
sich in diesem Netzwerk bewegen. Wir nennen das landläufig
Synergie. Eine weitere Gesetzmäßigkeit ist dieses vorhin schon
angesprochene "Netze organisieren sich selbst". Es ist also eine
sehr hohe Eigendynamik innerhalb von Beziehungen vorhanden. Es
muss fortlaufend neu bestimmt werden: Wer ist informeller Führer,
wer schafft Räume, damit die anderen Ergebnisse erzielen könne,
wer ist zurzeit der kreativste Kopf? Das hängt auch von der
Tagesform ab, und im Netzwerk können die Rollen wechseln.
Wie lange dauert es meist, bis ein Unternehmen nach NetzLogik
zu funktionieren gelernt hat?
Doll: Wichtig ist die Erkenntnis, dass der Weg, den wir
mit den Unternehmern und den Führungskräften gehen, ein
Lernprozess ist. Dieser Lernprozess kann bis zu drei Jahre
dauern. Es ist ein stetes Wachstum.
Dafür steht ja, glaube ich, auch Ihr Firmenname ...
Weber: Richtig, wir haben versucht, einen Namen im
Einklang mit unserer Idee zu finden, und sind dabei auf Atunis
gestoßen, den etruskischen Gott des Wachstums. Den Namen fanden
wir ideal, weil es ein schönes Kunstwort ist, andererseits auch
dafür steht, was wir vorhaben, nämlich durch NetzLogik
Wachstumsimpulse in Unternehmen und in sozialen und
wirtschaftlichen Systemen zu schaffen.
Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.
© changeX Partnerforum [17.07.2003] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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