Zorro statt Zero!

Generation Z - das neue Buch von Reinhard Mohr.

Von Peter Felixberger

Heute erscheint eines der Highlights in diesem Bücherherbst. Zumindest für alle Männer zwischen 40 und 50. SPIEGEL-Redakteur Reinhard Mohr hat sich stellvertretend sein Leben von der Seele geschrieben. Zwar etwas leidenschaftslos und kühl, aber immerhin noch so streitehrlich, dass sich die Generation Z im Spiegel betrachten kann. Eine Reise von der elterlichen Bratkloß-Kultur in die hippe Berlin-Mitte. Die Reiseleitung: ein Konservativer, der das Erreichte bewahren will. In den nächsten 30 Jahren das Leben genießen, Weisheit verbreiten und Glück teilen. Nix da, sagen wir. Zukunft heißt, das Leben herauszufordern, Weisheit zu zertrümmern und das Unglück auszubalancieren. Das Erreichte ist bereits Vergangenheit. No way back.

Dieses Buch stammt "von einem 48-jährigen weißen, unverheirateten heterosexuellen Wessi-Mann, der seit ein paar Jahren in Berlin-Mitte lebt". Als 43-jähriger weißer, verheirateter (noch dazu zwei Kinder) heterosexueller Niederbayer, der seit vielen Jahren in Erding bei München lebt, habe ich auf den ersten Blick nur zwei Dinge mit ihm gemeinsam: weiß und heterosexuell, immerhin. Was nicht weiter überrascht, denn das waren die Männer aus den geburtenstarken Jahrgängen der heranwachsenden Bundesrepublik in der Mehrzahl. Doch das Identitätskonzept der demografischen Daten ist wenig aussagekräftig. Dahinter lauern erkenntnistheoretische Lektürepfade ebenso wie psychosoziale Befindlichkeitsbahnen und berufliche Selbstentfaltungslinien. Und natürlich das Aussehen.
Mohr, im richtigen Leben ein voll alimentierter, fest angestellter SPIEGEL-Redakteur in warmer Redaktionsstube, hat sich intensiv seiner Lebenslinie gewidmet. Körper, Geist und Seele haben offenbar schwer gelitten unter dem Einfluss von Bordeaux (Weinen), Startbahn West (Demos) und Berlin-Mitte (Lifestyle-Erwachen). Ein subjektiver Bericht, gepflastert mit Ich-Bekenntnissen und Zweifeln, mit Überzeugungen und Verwirrungen, mit Urteilen und Verurteilungen. "Ich habe immer noch kein Kind gezeugt, kein Haus gebaut, und auch die Ehe habe ich gemieden wie der Teufel das Weihwasser." Und eine Seite später werden die dazugehörigen Selbstzweifel aufs Schild gehoben: "Die ich-bezogene Selbstverwirklichung untergräbt den Kern von Bindung, Intimität und Vertrautheit. Am Ende sitzt jeder in seiner narzisstischen Ich-Höhle, surft durchs Internet und sucht Kontakt im virtuellen Chatroom."
Mohr ist ein Grübler, der das Früher bisweilen arg romantisch hochleben lässt und das Jetzt auf die Couch des Analytikers wuchtet. Die 1970er als Idylle kraftstrotzender Selbstverwirklicher, die 2000er im Fegefeuer mit jammernden Selbstzweiflern. Das Ganze mit eingebauter "Früher-war-eh-alles-besser"-Haltung. Über die Leidenschaften, Gefühle und Allmachtsfantasien der Jugend hat sich, so der SPIEGEL-Mann, ein rationaler Schleier gelegt. "Von der endemischen Beziehungsflucht bis zum minutiösen Ehevertrag, von der andauernden Vernunft- und Sicherheitspartnerschaft bis zum wohlkalkulierten Abenteuer - überall hat sich ein abwägend schmerzlinderndes, rationales Denken entwickelt, das die Leidenschaften wie ein feines Netz durchwirkt." Ein Leben im Schutzanzug, um die Wellen von Enttäuschungen und Desillusionierung abprallen zu lassen. Ein bisschen Muskeln und gutes Aussehen gehören aber noch dazu: "Selbstverständlich achte ich seit Jahren auf meine Figur, treibe mäßig Sport im mittleren Pulsfrequenzbereich, bevorzuge mediterrane und asiatische Kost."

Der Z-Single tut endlich, was er will.


Womit wir wieder bei den Unterschieden wären. Dem allein lebenden Menschen oder Single widmet Mohr ein Gutteil seiner Ausführungen. Der Single habe "die Utopie des Kommunismus im Einmann-Betrieb erfüllt: Er lebt nach seinen Bedürfnissen." Der Z-Single, der mit Protest und Revolte groß, später dann mit Konsum und Wohlstand noch größer geworden ist, tut endlich, was er will: "ein Austern-Autonomer von eigenen Gnaden". Er müsse, so Mohr, auf niemanden Rücksicht nehmen, außer auf sich selbst. Doch darin schlummere der Kern einer ständigen Überforderung. Immer Richter und Anwalt seiner selbst sein, immer ein "Einmann-Kollektiv samt Betriebsrat und Volkstribunal". Der ideale Humus, aus dem starke Angsttriebe und Blüten voller Zweifel wachsen. "Sind denn all die schillernden Freiheiten des scheinbar ungebundenen Lebens nicht doch nur Pseudofreiheiten, Placebos der Selbstrechtfertigung, bunte Pillen des Selbstbetrugs?"
Tja, der Selbstbetrug. Ein Lieblingsthema auf Abiturfeiern der Generation Z. Zu fortgeschrittener Stunde fallen dann die Masken und es macht sich die Einsicht breit, zu oft die falschen Ausfahrten genommen zu haben. Im Erschnüffeln der Geldvermehrungsspur hingegen sind sie Könner ihres Fachs. Der Rest ist Schweigen, vielfach ebenfalls aus Gold. Gemeinsamkeiten gibt es wenige. Vor allem die Singles sind sonderbar geworden. Mohr erklärt: "Der Single pickt sich seine biografischen, sozialen, amourösen, politischen und anderweitig abgründigen Grashalme auf der grünen Wiese des Daseins heraus, ohne sie am Ende zu einem ordentlichen Nest zusammenzufügen."

Ein Bewerbungsschreiben an die besten Töchter des Landes.


Die Signale von früher hört kaum mehr jemand. Wo einst die Morgenröte in den Wäldern um die Frankfurter Startbahn West oder auf den Feldern rund um das AKW Brokdorf lockte, herrscht heute orthopädisches Abendgrau und Rabenschwarz im Neonlicht. Reinhard Mohr oszilliert zwischen dem verpassten Leben und dem Versuch, davon abzulenken. Also lautet die Devise einer ganzen Generation: Nur der Not keinen Schwung geben. Keine Sekunde darf im Leerlauf verschwendet werden. So lange herumwirbeln, bis das Grau verschwindet. Mohr bezeichnet sich selbst als leuchtendes Vorbild der Ablenkungsstrategen: "Normalerweise lese ich Zeitung, während Fernsehnachrichten laufen, der Laptop summt und SMS-Mitteilungen darauf warten, beantwortet zu werden. Nebenher läuft die Waschmaschine, womöglich köchelt die Spaghettisauce, die gerade dann nach besonderer Zuwendung verlangt, wenn das Telefon klingelt und ein halber Gedanke auftaucht, der umgehend notiert werden muss." Liest sich aber auch wie die Kontaktanzeige des deutschen Muster-Schwiegersohns auf einer Heiratsmarkt-Website. Und irgendwann merkt der geneigte Leser, dass dieses Buch letztlich insgesamt ein Bewerbungsschreiben an die besten Töchter des Landes ist. Seht her, ein Mohr: Geläuterter Hippie, längst zu Hause in den urbanen Dschungeln der Stadtmitten, Multitasking-Experte, Freigeist und Konfigurator des guten Lebens. Auf den Schlag weg zu heiraten. Denn schließlich ist die Welt eh nicht mehr zu retten.
Doch Mohr dringt noch eine Schicht tiefer vor. Die Generation Z verneble nicht nur den jugendlichen Leichtsinn, nein, sie verneble ihr ganzes bisheriges Leben, das sie lieber "ganz authentisch, wahrhaft befreit, echt und glücklich" geführt hätte. In Wirklichkeit hat sie vergeblich darauf gewartet. Die Folge war "ein permanenter Ausnahmezustand, in dem man sich ganz gemütlich einrichten konnte". Zu besichtigen übrigens täglich in Berlin-Mitte. Und manchmal fährt der Mohr sogar mit dem Fahrrad vorbei. Dann steigt er ab und stellt ein Schild mit den Worten auf: "Das Leben frisst alle Theorie, und die Enttäuschung ist die Mutter aller Weisheit." Könnte auch eine Werbeaktion des SPIEGEL sein, der diesen Spruch als kleine Heiligenbildchen an die Abonnenten verteilen lässt.
Was bleibt? Ein vorsichtiges, selbstsicheres und souveränes Leben will er führen, der gute Mohr. Seine Ruhe will er haben im preußisch-aufgezuckerten Berlin-Mitte - bequem und privilegiert. Am Monatsersten sorgt dann der Bankauszug für Ruhe - ohne Risiko im Federbettchen der alten Bundesrepublik. Sich damit herumzuschlagen, wie die Welt denn nun im Ganzen aussehen könnte, ist nicht mehr sein Bier. Schade, aber Deserteur bleibt Deserteur.

Die Angst-Ära des Überall-immer-Weniger bricht gerade an.


Wir wollen nicht ungerecht sein. Es ist ja nur die Geschichte eines 48-jährigen weißen, unverheirateten heterosexuellen Wessi-Manns, der seit ein paar Jahren in Berlin-Mitte lebt. Ich als 43-jähriger weißer, verheirateter (noch dazu zwei Kinder) heterosexueller Niederbayer, der seit vielen Jahren in Erding bei München lebt, habe mich in vielen Passagen des Buches wiedergefunden, habe oft zustimmend genickt. Sogar über manche parallele Biografie-Etappe. Aber letztlich habe ich meine Laufbahn als Chronist des Sicherheitsdeutschlands vor längerer Zeit beendet. Ich schreibe nicht mehr auf Kosten der Opfer, sondern damit sie gewinnen - mehr Selbstverwirklichung, mehr Möglichkeitsräume, mehr wilde Freiheit. Die Ich-, Wir- und Weltfindung ist gerade zu einer neuen Mission aufgebrochen. Leider ist sie riskant, gefährlich und bisweilen existenzbedrohlich.
Kurzum: Anstatt wie Mohr die "nächsten 30 Jahre das Leben zu genießen, Weisheit zu verbreiten und Glück zu teilen" wird ein anderer Teil der Generation Z das Leben herausfordern, Weisheit zertrümmern und Unglück ausbalancieren. Das klingt unverbesserlich, ist aber die einzige "Lebensoptimierungsstrategie" in der anbrechenden Angst-Ära des Überall-immer-Weniger.

Peter Felixberger ist Geschäftsführer und Chefredakteur von changeX.

Reinhard Mohr:
Generation Z
oder Von der Zumutung älter zu werden,

Argon Verlag, Berlin 2003,
222 Seiten, 18 Euro,
ISBN 3-87024-597-2
www.argon-verlag.de

© changeX [20.08.2003] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.


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: Generation Z oder Von der Zumutung älter zu werden.. Argon Verlag, Berlin 1900, 222 Seiten, ISBN 3-87024-597-2

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Autor

Peter Felixberger

Peter Felixberger ist Publizist, Buchautor und Medienentwickler.

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