Impfen per Banane
Die Zukunft der Ernährung - eine aktuelle Bestandsaufnahme.
Während der Trend "Fit und gesund" die Lebensmittelindustrie in den westlichen Industrieländern zu immer bizarreren Höchstleistungen im Food-Design anspornt, werden immer mehr Menschen in den Entwicklungsländern fett und krank. Die fatale Verknüpfung von Armut und Übergewicht geht inzwischen Hand in Hand mit Unterernährung und Infektionen. Die mit der Fehlernährung verbundene Explosion von Zivilisationskrankheiten ist längst zu einem globalen Problem geworden.
Gesundheit, Wohlbefinden und
Leistungsfähigkeit - alle wollen ein Maximum davon und wissen
unterschwellig ganz genau, dass eine gesunde, ausgewogene Ernährung
der Preis dafür ist. Dennoch bleibt für Einkauf und Zubereitung im
hektischen Trubel des Alltags oft keine Zeit. Das Sandwich
zwischendurch ersetzt die Hauptmahlzeit, der Energieriegel zwischen
Tür und Angel soll uns wieder neuen Schwung verleihen, wenn der
Blutzuckerspiegel schlapp macht. Wenn das schlechte Gewissen uns
dennoch plagt, versprechen uns im Supermarktregal neuartige
Produkte gesundheitlichen Zusatznutzen, Wellness und Schönheit. Die
Zunahme von Zivilisationskrankheiten, wie Diabetes,
Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs, verweist demgegenüber auf
jahrelange Fehlernährung. Der einzelne Mensch ist mit einer Fülle
von Fragen konfrontiert: Was kann ich angesichts diverser
Lebensmittelskandale überhaupt noch gefahrlos essen? Wie lassen
sich möglichst viele Ansprüche, zum Beispiel an Gesundheit,
Schnelligkeit und Praktikabilität, gleichzeitig befriedigen? Welche
Rolle spielen ökologische bzw. natürliche Lebensmittel für eine
gesunde Ernährung eigentlich wirklich? Wie kann ich meine
individuellen Ressourcen durch Ernährung gezielt optimieren?
Auf globaler Ebene herrscht ein bizarres Nebeneinander von
anhaltender Unterernährung, sich aber gleichzeitig ausbreitender
Übergewichtigkeit in den Entwicklungsländern sowie dem Trend zum
bewussten Self-Empowerment durch Ernährung in reichen
Industriegesellschaften. Im Frühjahr dieses Jahres schlug
Verbraucherschutzministerin Renate Künast Alarm: Deutschlands
Kinder seien zu dick. Aktuelle Daten liefern in der Tat allen Grund
zur Sorge: Bereits jedes fünfte Kind und jeder dritte Jugendliche
in Deutschland ist übergewichtig. Der Anteil dicker Kinder ist in
den vergangenen Jahren doppelt so schnell gewachsen wie der Anteil
dicker Erwachsener. Die Ursachen sind Bewegungsmangel, süße und
fetthaltige Ernährung, Langeweile, Unzufriedenheit und Einsamkeit.
Öffentliche Kampagnen, Ernährungsberatung durch Schulen und von
Versicherungen angebotene Therapien und Abnehmkuren sollen
vermeiden, dass aus dicken Kindern dicke Erwachsene werden.
Der Grund für das stärkere politische Engagement in Sachen
gesunder Ernährung liegt in den verheerenden gesundheitlichen
Schäden, die durch Fettleibigkeit ausgelöst werden. Viele
chronische und langwierige Krankheiten sind ernährungsbedingt und
belasten durch ihre hohen Kosten das staatliche Gesundheitssystem.
Beispiel: Diabetes vom Typ 2, im Volksmund auch Altersdiabetes
genannt, tritt jetzt immer häufiger auch bei Kindern und
Jugendlichen auf und ist eine direkte Folge falscher
Ernährung.
Globesity: Fettleibigkeit als weltweite Epidemie.
Zunehmendes Übergewicht in weiten Teilen der Bevölkerung ist aber nicht nur ein Problem westlicher Industrieländer. In vielen Teilen der Welt ist die Fettleibigkeit (engl. obesity) inzwischen zu einer ernsthaften Gesundheitsbedrohung geworden. Die WHO spricht angesichts von Übergewicht und Fettleibigkeit bereits von einer globalen Epidemie und etablierte damit die Bezeichnung "globesity". In nur fünf Jahren von 1995 bis 2000 ist die Zahl der fettleibigen Erwachsenen weltweit von 200 Millionen auf über 300 Millionen angewachsen und übertrifft damit bereits die Zahl der weltweit circa 220 Millionen Unterernährten. Als "nur" übergewichtig gelten immerhin rund eine Milliarde Menschen. Der Anteil an fettsüchtigen Kindern weltweit verzehnfachte sich im Laufe der 90er Jahre sogar. In Brasilien, einem Land, das in puncto Fettleibigkeit zu den zehn weltweiten Spitzenreitern gehört, ist die Fettleibigkeit von Kindern in nur einer Generation um 239 Prozent gewachsen. In diesem Zusammenhang eher traurig als lustig: In den USA sind inzwischen die Kinosessel um zwölf Zentimeter verbreitert worden. Allein für die Entwicklungsländer geht man von 150 Millionen Menschen aus, die an durch Fettleibigkeit verursachten Gesundheitsproblemen leiden (WHO 2003). Experten nehmen an, dass die Fettleibigkeit den Nikotinkonsum als wichtigste vermeidbare Todesursache bald überholt haben wird.
Fortschritt und Fett.
Wo liegt nun aber die Ursache für
die Zunahme von Fettleibigkeit auch in den Entwicklungsländern?
Es ist zu beobachten, dass sich mit steigendem Einkommen, der
wirtschaftlichen Weiterentwicklung sowie zunehmender
Urbanisierung von Drittwelt- und Schwellenländern in diesen
Ländern auch die Nahrungsmittelproduktion und die
Ernährungsgewohnheiten der Bevölkerung verändern. So wird
vermehrt kalorienreiche und fetthaltige Nahrung konsumiert, die
mit mehr Zusätzen an Zucker, tierischen Eiweißen und Fetten
versehen ist. Im Gegensatz dazu werden weniger komplexe
Kohlenhydrate, Ballaststoffe, Obst und Gemüse gegessen.
Erschwerend kommt hinzu, dass zunehmend auch der bewegungsarme
Lebensstil der westlichen Industrienationen kopiert wird, so die
Erkenntnisse der Weltgesundheitsorganisation WHO. Diese globale
Übernahme von vormals auf westliche Industrienationen
beschränkten Ernährungsgewohnheiten wird von Experten als
Nutritional Transition bezeichnet.
Darüber hinaus besteht ein weltweiter Zusammenhang zwischen
Armut und Übergewicht. Ärmere Menschen können sich oft nur
billige und kalorienreiche Lebensmittel leisten, Obst und Gemüse
sind zu teuer. Zudem sind ihnen die Gefahren von Fast Food,
einseitiger Ernährung und Bewegungsmangel meist nicht bekannt. Es
wird damit gerechnet, dass die Nutritional Transition in den
Entwicklungs- und Schwellenländern Land- und
Nahrungsgüterwirtschaft grundlegend umwälzen und dort laut WHO
verstärkt zu Fehlernährung und damit zu ernährungsbedingten
Krankheiten führen wird. Zu den Zivilisationskrankheiten, die
durch einen erhöhten Blutdruck und Cholesterinspiegel, Tabak- und
Alkoholkonsum, Fehl- und Überernährung, Stress oder
Bewegungsmangel verursacht werden, gehören
Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Herzinfarkt, Arteriosklerose),
Stoffwechselerkrankungen (Diabetes mellitus, Gicht), Übergewicht,
Fettsucht, Magersucht, Krebs, Erkrankungen des Bewegungsapparates
und zahlreiche Allergien.
Zivilisationskrankheiten auf dem Vormarsch.
Als weitverbreitetste Folge von
Übergewicht und Fettleibigkeit wird laut WHO in den nächsten 25
Jahren der Diabetes vom Typ 2 eine der Haupttodesursachen und
hauptsächlichen Gesundheitsbeeinträchtigungen darstellen. In den
Entwicklungsländern wird sich die Krankheit im Zuge der
zunehmenden Urbanisierung, Ökonomisierung und Verwestlichung
weiter ausbreiten, von 1995 bis 2025 wird mit einer Zunahme von
170 Prozent gerechnet. Für die Industrieländer wird eine Zunahme
von 42 Prozent prognostiziert. Während in den Industrieländern
vor allem ältere Menschen an Diabetes leiden, wird in den
Entwicklungsländern auch vermehrt der vergleichsweise junge und
produktive Teil der Bevölkerung betroffen sein, so lautet das
Ergebnis einer aktuellen Studie der International Diabetes
Federation.
Doch damit nicht genug, auch was die anderen bereits
genannten Zivilisationskrankheiten angeht, gibt es einen massiven
Anstieg zu verzeichnen. So ist bereits jeder dritte bis vierte
Deutsche Allergiker. Allein unter den deutschen Kindern hat sich
ihre Zahl in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Die Zahl der neu
erkrankten Asthmapatienten verdoppelt sich weltweit alle zehn
Jahre. Eine Studie des Worldwatch Institute belegt, dass an der
chronischen Krankheit bereits 100 bis 150 Millionen Menschen
leiden. Die weltweite Krebsrate könnte sich laut World Cancer
Report bis 2020 um 50 Prozent auf 15 Millionen neue Fälle pro
Jahr erhöht haben. Durch ihren langwierigen, degenerativen
Charakter stellen diese Erkrankungen bereits heute enorme
Belastungen für die Gesundheitssysteme der einzelnen Länder dar.
Im Zuge der Nutritional Transition werden
Zivilisationskrankheiten und Übergewicht diejenigen Entwicklungs-
und Schwellenländer besonders hart treffen, in denen diese Seite
an Seite mit Unterernährung und Infektionen auftreten. Die
Aussagen der WHO klingen niederschmetternd: In China zum Beispiel
sind Erwachsene zunehmend übergewichtig und auch unter der
städtischen Bevölkerung Indiens breitet sich das vormals
westliche Übel immer weiter aus.
Darüber hinaus gibt es Befürchtungen, dass Afrika sich bis
2020 vom Hungerkontinent zum Kontinent für
"Wohlstandskrankheiten" gewandelt haben wird. Durch Übergewicht
verursachte Krankheiten werden dann die Todesursache Nummer eins
sein und neben der verbleibenden Unterernährung existieren. Schon
2001 sind eine Million Afrikaner an Bluthochdruck und
Herz-Kreislauf-Problemen gestorben, da sich auch die ländliche
Bevölkerung zunehmend von Konserven und Importwaren ernährt, so
Francois Misser in einem kürzlich erschienenen
taz-Artikel. Die WHO sagt voraus, dass bis 2020 60 Prozent
der Belastungen chronischer Krankheiten in den
Entwicklungsländern auftreten werden.
Trend: Vom Functional Food zum Pharma Food.
Während sich in den
Entwicklungsländern die Qualität der Ernährung eher
verschlechtert, steigt in den Industrieländern das Bedürfnis nach
ausgewogenen, nahrhaften und gesunden Lebensmitteln. Gemeint sind
damit jedoch nicht mehr automatisch nur natürliche und
ökologische Lebensmittel. Vielmehr zeichnet sich ein Trend ab,
dass die Menschen immer mehr bereit sind, industrielle,
technologisch und auch genetisch veränderte Nahrungsmittel zu
sich zu nehmen - solange diese nur den Anschein erwecken, gut für
die Gesundheit zu sein.
Die Vorstellung, dass nur natürliche, möglichst biologische
Lebensmittel gesund sind, hat sich - nicht zuletzt wegen diverser
Lebensmittelskandale auch in diesem Sektor - gewandelt. Es
entsteht eine wachsende Nachfrage nach Nahrungsmitteln mit
gesundheitlichem Zusatznutzen. Functional Food oder
Nutraceuticals sind Lebensmittel, denen über die Zufuhr von
Nährstoffen hinaus ein gesundheitlicher Zusatznutzen zugesprochen
wird. Sie sollen dafür sorgen, dass es uns rundum gut geht:
Krankheiten vorbeugen, das Wohlbefinden steigern, gesund,
leistungsfähig und glücklich machen. Der Anreiz besteht darin,
dass die Lust am Essen mit den Erfordernissen der Gesundheit
verbunden werden kann. Functional Food ist keine klar abgegrenzte
Produktgruppe, sondern vor allem in den Bereichen Milchprodukte,
alkoholfreie Getränke, Backwaren, Getreideprodukten, Süßwaren und
Brotaufstrichen zu finden. Und so stoßen wir auf Brot mit
Hormonen gegen Wechseljahresbeschwerden, Fertigsuppe mit
Echinacea, Joghurt mit probiotischen Stoffen für die Darmflora
oder cholesterinsenkende Margarine, um nur einige Beispiele aus
der vielfältigen Produktpalette zu nennen.
Nach den probiotischen (mit Bakterien angereicherten)
Produkten und Mineralstoffzusätzen werden jetzt zunehmend
vitamin- und fettveränderte Produkte eingeführt. Obwohl die
gesundheitlichen Wirkungen von Functional Food wissenschaftlich
umstritten sind, steigen die Umsätze in diesem Sektor stetig. In
Deutschland sind 60 Prozent der Bevölkerung vom Nutzen
probiotischer Joghurts überzeugt und von jedem Bundesbürger
werden jährlich immerhin 20 kg an industriell hergestellten
Zusatzstoffen verspeist. Der Vertrauensaspekt, der bei
biologischen Produkten eine wichtige Rolle spielt und durch
verschiedene Öko-Prüfsiegel untermauert wird, scheint im
Functional Food allein durch ausreichendes Marketing befriedigt
zu werden. Japan, Westeuropa und die USA stehen hier
unangefochten an der Spitze, machen sie doch 90 Prozent des
Gesamtmarktes für Functional Food aus. Schätzungen gehen für die
Jahre 2000 bis 2010 von einem jährlichen Wachstum des
Weltumsatzes von Functional Food von sechs auf 23 Mrd. EUR aus,
wobei vor allem China und Japan als Vorreiter dieser Entwicklung
gelten.
Durchbruch für die Gentechnik?
Immer spezifischer werden die Functional Food-Produkte der Zukunft auf die Bedürfnisse und Leiden einer Lifestyle-Gesellschaft abgestimmt sein. Sie werden vor allem zur Krankheitsprävention, als Leistungsförderer, zur Verlangsamung des Alterungsprozesses oder zur Unterstützung der kindlichen Entwicklung eingesetzt werden, so die Grundlagenstudie Food Trends. Mit dem dahinter stehenden Ziel, den eigenen Körper als Ressource gezielt zu optimieren, wird eine breit gefächerte, stetig wachsende Zielgruppe angesprochen. Die Entwicklung neuartiger Lebensmittel und Lebensmittelzutaten (Novel Food) könnte der Gentechnik den Durchbruch verschaffen. Dabei steht die Aufwertung von Grundnahrungspflanzen durch Anreicherung mit Aminosäuren, Vitaminen oder anderen wertvollen Inhaltsstoffen im Zentrum der Forschung. Ihr Ziel ist es, Produkte zu kreieren, die dazu beitragen, Nährstoffmängel, Krankheiten, Allergien und Unverträglichkeiten zu vermeiden. Transgene Pflanzen mit gesundheitlichem Zusatznutzen wie zum Beispiel Reis mit erhöhtem Eisengehalt, Sojabohnen mit weniger Cholesterin oder karotinangereicherter Raps könnten erstmals einen direkten Nutzen für den Verbraucher sichtbar machen und Mangelernährung in den Entwicklungsländern lindern helfen.
Impfen per Banane?
Functional Food-Produkte zur
Krankheitsprävention werden eine immer spezifischere
pharmakologische Wirkung haben, so dass in einigen Fällen bereits
von "Pharma Food" gesprochen wird. In Zukunft wird es eine
Vielzahl an Produkten geben, die genau gegen die typischen
Zivilisationskrankheiten der Industrieländer vorbeugend wirken
und Medikamente partiell ersetzen. Zum Beispiel sollen in Zukunft
Nahrungsmittel mit Impfstoffen angereichert oder Pflanzen- und
Tierarten gentechnisch so verändert werden können, dass die aus
ihnen hergestellten Nahrungsmittel bereits Impfstoffe enthalten.
Instrumente zur Kühlung, Sterilisation oder Spritzen würden
dadurch unnötig und die Impfung um ein Vielfaches preiswerter
werden. Anstatt sich beim Impfen spritzen zu lassen, könnte man
beim Arzt einfach eine präparierte Banane essen.
Auch als Produzenten hochwertiger Wirkstoffe sollen
genetisch veränderte Pflanzen eingesetzt werden: Arzneimittel zur
Diagnose und Therapie von Krebserkrankungen oder Rohstoffe für
Waschmittelenzyme und Bio-Kunststoffe können so gewonnen werden.
Als gesund gelten nicht mehr nur natürlich erzeugte
Nahrungsmittel. Die wachsende Akzeptanz von hochgradig
industriell verändertem Functional oder Pharma Food folgt dem
langfristigen Trend der zunehmenden Technisierung der
Nahrungsmittelerzeugung. Von der Herstellung bis zur
Haltbarmachung sind bei sämtlichen land- und
lebensmittelwirtschaftlichen Prozessschritten neue
Technisierungsschübe zu beobachten. Pharmakologie, Bio- und
Gentechnologie nehmen bei der Entwicklung neuartiger
Lebensmittelprodukte mit gesundheitlichem Zusatznutzen eine
Schlüsselrolle ein. Auch die Konsumenten akzeptieren diese
mehrstufig industriell überformten und auch gentechnisch
veränderten Lebensmittel immer mehr, solange für sie selber ein
konkreter Vorteil ersichtlich ist. Angesichts der anhaltenden
Kontroversen um die Chancen und Risiken der "grünen Gentechnik"
ist jedoch zumindest für Europa nur mit einer schleppenden
Durchsetzung von gentechnisch erzeugtem Pharma und Functional
Food zu rechnen.
Klein, schnell, fix und fertig.
Mit Functional Food versucht der
Konsument gezielt, die eigenen körperlichen und geistigen
Ressourcen zu optimieren. Convenience Food stellt demgegenüber
eine schnelle, unkomplizierte Alternative zur herkömmlich
zubereiteten Mahlzeit dar. Der Grundgedanke besteht darin, sich
schnell, mit möglichst geringem Aufwand und ohne besondere
Vorkenntnisse eine warme Mahlzeit zuzubereiten. In Deutschland
ist laut einer GfK-Studie jeder Fünfte ein Convenience-Fan. Von
Fertiggerichten, Konserven und Tiefkühlkost bis zu Imbissbuden
wird jede Möglichkeit gern genutzt, das Zeitmanagement im Alltag
zu vereinfachen. Kleine, schnelle und einfache Fix &
Fertig-Mahlzeiten werden auch in Zukunft eine Rolle spielen, denn
den meisten Konsumenten fehlt inzwischen nicht nur die Zeit,
sondern auch das Wissen, sich eine aufwändige Mahlzeit
zuzubereiten.
Das Biokonzept wird dabei weiterhin bedeutungsvoll bleiben,
da es durch positive Rahmenbedingungen wie sinkendes Vertrauen in
Massentierhaltung, intensivierte Anbaumethoden, industriell
verarbeitete Lebensmittel und auch politisches Umdenken
("Agrarwende") gestützt wird. Die Zahl der Verbraucher, die
ausschließlich Bio-Lebensmittel einkaufen, wird jedoch gering
bleiben. Dem Bio-Gedanken tut dies keinen Abbruch, er wird nur
funktionaler verstanden. Biologische Lebensmittel behalten ihren
moralischen Wert und ihren guten Ruf, kommen jetzt jedoch mit
gesundheitlichem Zusatznutzen versehen oder als Fertiggericht auf
den Tisch.
Sanity Food - und alles wird gut.
Die Synthese der drei Trends -
Convenience, Functional und Bio - mündet in ein neues,
ganzheitliches Konzept von Ernährung, das so genannte Sanity
Food. Sanity Food soll deren Vorteile vereinen und entspricht
damit dem wachsenden Bedürfnis der Konsumenten angesichts des
Überangebotes, der gestiegenen Ansprüche an eine
Work-Life-Balance und an das individuelle Zeitmanagement, mit
ihrem Ernährungsverhalten einen Einklang zwischen Gesundheit,
Geist, Umwelt, Genuss und Alltagstauglichkeit herzustellen. In
Zukunft werden sich die Konsumenten also vermehrt Lebensmitteln
zuwenden, die mehrere Aspekte gleichzeitig beinhalten: die
schnelle, kleine und einfach zuzubereitende biologische
Fertigmahlzeit, das biologische Produkt mit Betonung des
Gesundheitsaspekts oder Functional Food im praktischen
Convenience-Format. Es kristallisieren sich also - basierend auf
den beschriebenen Entwicklungen - zwei wesentliche
Verbrauchertrends heraus. Erstens: Die Ansprüche der Verbraucher
an ihre Nahrungsmittel steigen und es wird versucht, möglichst
viele Benefits - vom Zeitsparen bis hin zur Optimierung der
eigenen Physis - in einer Mahlzeit zu vereinen.
Es wird ein pragmatischerer Umgang mit dem Essen gepflegt
und unterschiedliche Konzepte wie Bio oder Functional Food
schließen sich nicht mehr gegenseitig aus. In Zukunft werden also
Kombinationen von Ernährungstrends und multifunktionale
Nahrungsmittelangebote zunehmen. Zweitens: Mit wachsendem
Gesundheitsbewusstsein und einer zunehmenden Individualisierung
findet auch in der Ernährung eine Entwicklung hin zu stärkerer
Selbstentfaltung statt. Die Konsumenten können hierbei aus einer
Vielzahl an Handlungsoptionen und Produkten wählen, die es ihnen
ermöglichen, unterschiedliche Motive zu integrieren. Ernährung
ist nicht mehr nur reine Aufnahme von Nährstoffen, sondern Teil
des individuellen Selbstkonzeptes.
Nahrungssicherheit durch kontrolliertes Hightech-Food.
Allerdings hat der Konsument mit
seinem Essverhalten keinen Einfluss auf die
Lebensmittelsicherheit. Auch beim vermeintlich sauberen, gesunden
Sanity Food ist er vor Krankheitserregern nicht sicher. Seit den
Skandalen um BSE, Schweinepest, Maul- und Klauenseuche,
Salmonellen, Cholera und mit Pestiziden belastete Lebensmittel
ist die Nahrungssicherheit zum zunehmend brisanten Thema in der
Öffentlichkeit geworden.
Erreger von Lebensmittelinfektionen verbreiten sich über
die globalen Transportwege über immer weitere Distanzen. Durch
den Ballastwasseraustausch von Schiffen, verstärkte Migration und
Tourismus werden Mikroorganismen in die entlegendsten Regionen
der Erde verschleppt. Hinzu kommen Bevölkerungsfaktoren wie
Alterung, Fehl- und Unterernährung sowie Krankheiten wie HIV und
Krebs, die allesamt zu einem schwachen Immunsystem führen,
wodurch sich das Risiko einer Lebensmittelinfektion erhöht. Auch
die Bedrohung durch terroristische Aktivitäten, wie zum Beispiel
gezieltes Einschleusen von Krankheitserregern in die
Nahrungskette, hat laut WHO zugenommen.
Frischetest durch Sensoren.
Die Bedeutung der
Lebensmittelsicherheit wird für Konsumenten wie Produzenten auch
in Zukunft weiter zunehmen. Gefordert ist eine maximale
Sicherheit vom Feld bis auf den Teller. Neue Technologien werden
Lebensmittel haltbarer machen und deren Qualität kontrollieren.
Unterschiedliche Methoden wie zum Beispiel ionisierende
Bestrahlung, hydrostatische Druckbehandlung oder Ultraschall
sollen krankheitserregende Mikroorganismen abtöten und
gleichzeitig schonender für Umwelt und Lebensmittel sein.
Neuartige Testverfahren mit DNA- und Biochips oder Biosensoren
ermöglichen eine schnelle, kostengünstige "real-time"-Analyse der
Lebensmittel. In einigen Jahren werden Konsumenten Lebensmittel
schon im Laden auf bestimmte Qualitätsmerkmale hin selber testen
- zum Beispiel durch auf der Verpackung angebrachte Sensoren, die
den genauen Reifestand angeben - und gezielter entsprechend ihrer
körperlichen und geistigen Bedürfnisse einkaufen können.
Die genaue Überwachung der Wege, die unsere Nahrung von
Ihrer Erzeugung bis zum Endverbraucher nimmt, könnte sich in
Zukunft zu einem Seitenzweig der Logistik entwickeln, denn
einheitliche und nachweisbare Qualitätsstandards werden für die
Verbraucher und Händler wichtiger. Dezentrale Sicherheits- und
Kontrollaufgaben könnten von einer zentralen Stelle gebündelt und
koordiniert werden. Angesichts zunehmender Globalisierung der
Nahrungsmittelproduktion würde jedoch eine verstärkte Kooperation
über Ländergrenzen hinweg erfolgen müssen. Die Zukunft der
Erzeugung und des Verbrauchs von Nahrungsmitteln wird
gekennzeichnet sein von zunehmenden Versuchen und Aktivitäten,
diese Vorgänge zu kontrollieren und gezielt zu beeinflussen. Je
nach Akteursgruppe fallen die Motive allerdings unterschiedlich
aus.
Kontrolle, Manipulation und Optimierung.
Da ist der Konsument, der die
gesundheitsfördernde Wirkung von Nahrung gezielt kontrollieren
möchte und sich dabei neuartiger Food-Konzepte wie Functional
oder Sanity Food bedient. Synthetik und Natürlichkeit stellen
keinen Widerspruch mehr dar, sondern bilden eine neue
Kombinationsmöglichkeit. Die Lebensmittelindustrie ihrerseits
wird versuchen, mithilfe neuer (Gen-)Technologien das
Wirkungsspektrum einzelner Nahrungsmittel immer präziser zu
beeinflussen. Nahrungsmittel werden künstlich mit spezifischem
Zusatznutzen versehen, neue Produkte entwickelt sowie Anbau- und
Produktionsverfahren optimiert. Vonseiten des Staates und seiner
Kontrollinstanzen werden verstärkt neue und vereinfachte
Testverfahren zur Qualitätskontrolle von Lebensmitteln zur
Anwendung kommen. Angesichts der dramatischen Zunahme
fehlernährungsbedingter Krankheiten und der daraus resultierenden
Kosten für das ohnehin finanziell kränkelnde Gesundheitssystem
wird der Staat darüber hinaus seine Anstrengungen verstärken
(müssen), durch Aufklärung und Präventionsmaßnahmen Einfluss auf
das Ernährungsverhalten seiner Bürger zu nehmen. Für die
Entwicklungsländer bleibt abzuwarten, ob sie vor den im Zuge der
Nutritional Transition entstehenden Belastungen kapitulieren oder
durch Fortschritte in der Ernährungswissenschaft und präventive
Kontrollmaßnahmen die fatale Verbindung zwischen Armut und
Übergewicht durchbrechen können. Kommt es zu keiner grundlegenden
Trendwende im Ernährungsverhalten der Verbraucher, wird sich die
Kluft zwischen ernährungsbewussten Konsumenten und ungesunden
Essern weiter vertiefen.
Die auf den ersten Blick gegensätzlichen Entwicklungen
müssen sich dabei nicht zwingend widersprechen. Vielmehr wird
immer mehr versucht, die Fehlernährung mit
gesundheitsförderlichem Functional Food wieder auszugleichen. Wer
sich im herkömmlichen Sinne falsch ernährt, kann gleichzeitig
versuchen, seine Ernährung stärker zu kontrollieren und etwaige
Mängel durch zielgenau wirkende, synthetische Ernährungsprodukte
wieder auszugleichen. All diesen Entwicklungen ist der Versuch
einer zunehmenden Kontrolle, Manipulation und Optimierung der
Ernährung und ihrer Wirkungen gemein.
Nora Engel ist Mitarbeiterin des z_ punkt-Büros in Berlin.
Den ungekürzten Beitrag mit
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