Beste Bohne
Ein teuflisches Zeug - das neue Buch von Stewart Lee Allen.
Auf den Spuren der Kaffeebohne bereiste der Abenteurer und Journalist Stewart Lee Allen die halbe Welt. Mitgebracht hat er eine ebenso amüsante wie fesselnde Story, die zwischen sorgfältig recherchierter Kulturgeschichte und unterhaltsamen Anekdoten den Bogen von der Blütezeit bis zum Niedergang des Kaffees schlägt.
Kurz, Stewart Lee Allen wäre nicht Abenteurer und Journalist, wenn er - immer getrieben von der Suche nach einer guten Tasse Kaffee - dem phänomenalen Siegeszug der Kaffeebohne nicht auf den Grund gehen würde.
Für einen wie ihn, der viel herumgekommen ist und sein bisheriges Leben auf vier Kontinenten und in elf verschiedenen Städten verbrachte, ist es ein Leichtes, seinen Rucksack zu packen und der Frage nachzugehen, wann die Europäer anfingen, den Kaffee für sich zu entdecken und was sie davor tranken. Die Suche nach der Antwort führte ihn fast um den ganzen Erdball, mehr als 30.000 Kilometer per Zug Rikscha, Frachter und sogar auf einem Esel nimmt er auf sich, um das Geheimnis des aromatischen Getränks zu lüften.
Faszinierende Fakten und Zusammenhänge.
Mitgebracht hat er spannend
erzählte Geschichten, die den roten Faden dort aufnehmen, wo die
Menschen schon Kaffee getrunken haben, als die Europäer noch Bier
zum Frühstück schlürften, nämlich in Äthiopien, wo der kleine
Schwarze auch heute noch zähflüssig wie Likör in einem
Schnapsglas serviert wird. Was Allen an Fakten und umfangreichem
Wissen zusammengetragen hat, legt den Blick frei auf eine
faszinierende Entwicklungsgeschichte mit fein gesponnenen
Zusammenhängen historischer, gesellschaftlicher und politischer
Dimension und liest sich außerdem noch unterhaltsam.
So erfährt der Leser von den Oromo-Nomaden, die den Kaffee
nicht tranken, sondern ihn aßen, nachdem sie die Bohnen
zerstoßen, sie mit Fett vermischt und zu golfballgroßen Happen
geformt hatten - am liebsten, bevor sie sich hemmungslos in die
Schlacht warfen. Oder von religiösen Ritualen, bei denen
Kaffeebohnen gekaut wurden, um die spirituellen Kräfte aus der
Reserve zu holen und zu stärken. Da ist der Schritt zu
geschäftlichen Besprechungen, bei denen eine Kanne Kaffee zu den
internationalen Gepflogenheiten gehört, nicht mehr allzu
weit.
Kaffee statt Alkohol.
Doch zunächst wartet Allen mit Bildern auf, die zu 1001 Nacht gehören könnten, und erzählt vom Islam, nach dessen Entstehung sich der Genuss des Kaffees rasch in den arabischen Ländern verbreitete. Denn die religiös bedingte Alkohol-Abstinenz sorgte dafür, dass man sich dem aromatischen Getränk dort mit Leidenschaft zuwandte. Dass die islamische Sufi-Sekte um 1480 sogar den Kaffeegenuss in ihren Gottesdienst mit einbezog, muss damals allerdings so gewirkt haben, als "würde man sich heute im Vatikan einen Joint anzünden", erklärt Allen. Und so ließen die ersten Repressalien gegen Kaffeetrinker nicht lange auf sich warten, sein Genuss wurde in ganz Mekka verboten, die Bohnen wurden säckeweise auf den Straßen verbrannt. Diese islamische Kampagne mündete übrigens später in einen Kompromiss: Die Gläubigen durften ihren ersten Kaffee erst nach dem Morgengebet zu sich nehmen. So waren sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht von den angeblich teuflischen Stimulanzien aufgestachelt und das Wort des Propheten konnte ihre "unvergifteten Herzen" ungehindert erreichen. Schon damals galten Kaffeehäuser als Treffpunkte nicht nur von Mystikern und Müßiggängern, sondern auch von Gelehrten, hatten sie doch den Ruf, einen Treffpunkt zu bieten, der nicht nur zu politischen Debatten einlud, sondern auch den Ungehorsam förderte. Murad IV. löste dieses Problem beispielsweise, indem er alle Kaffeehäuser Istanbuls dem Erdboden gleichmachte, den Kaffeegenuss unter Prügelstrafe stellte und Schiffe mit den gefährlichen Bohnen an Bord noch vor ihrer Einfahrt in den Hafen versenkte.
Wetten im Coffeehouse.
Allens sorgfältige Recherche führt
natürlich auch nach London, im 17. Jahrhundert die
Kaffeehauptstadt schlechthin. Nicht nur, weil sich die
abstinenten Puritaner geradezu auf den "schwarzen Wein" stürzten,
sondern auch, weil die Kaffeehäuser den debattierfreudigen Briten
eine echte Alternative zur Kneipe boten. Da war zum Beispiel das
Londons Turk's Coffeehouse, wo sich die demokratische Gesinnung
am kraftvollsten etablierte, stellte man doch dort zum ersten Mal
eine Wahlurne auf, damit die Gäste ihre Meinung zu kontroversen
politischen Themen ungefährdet kundtun konnten. Lloyds Kaffeehaus
hingegen entwickelte sich zum Treffpunkt für Hochseekapitäne und
Kaufleute. Dort entwickelte sich über zunächst humorig
abgeschlossene Wetten, welche Schiffe wohl den Hafen erreichen
würden, aus dem einstigen Kaffeeausschank die erste moderne
Version eines Versicherungsbüros. Andere Kaffeehäuser mauserten
sich zu wahren Zentren der Kunst und der Wissenschaft und zählten
zu ihren Stammgästen so illustre Persönlichkeiten wie Newton,
Swift und Hogarth. Um die Gesprächsinhalte und Neuigkeiten aus
diesen Treffpunkten nach außen zu transportieren, etablierten
sich dort die ersten Korrespondenten-Schreibtische.
Interessant auch zu erfahren, wie sich der Kaffee in den
anderen europäischen Ländern durchsetzte. In Frankreich fand
Ludwig XIV. das schwarze Gesöff scheußlich, schätzte aber die
abführende Wirkung. Dies mag, so die Mutmaßung Allens, die
Vorliebe der Franzosen für einen Espresso als Digestif nach dem
Essen erklären. Doch auch in Frankreich waren die Cafés Mitte des
18. Jahrhunderts Zentren der damaligen Reformbewegung. Dort
wurden flammende Reden gehalten und im Umkreis der Cafés des
Palais Royal geschah es dann auch, dass Camille Desmoulins am 12.
Juli 1789 auf einen Tisch sprang und die Menge dazu aufrief, die
Waffen gegen die Monarchie zu erheben. Der Rest ist Geschichte,
doch einige Gesellschaftskritiker der damaligen Zeit sahen im
Kaffee das Stimulans, das sowohl die Aufklärung in Gang gesetzt
als auch die erste Revolution Europas hervorgebracht habe.
Kaffee mit Milch = Lepra?
Heftet man sich weiter an die
Fersen des Autors, so erfährt man, dass man es in den ersten
Wiener Kaffeehäusern vergleichsweise gediegener und entspannter
liebte. So fand die Sitte, den Kaffeesatz mit auszuschenken, dort
ein jähes Ende. Und damit nicht genug - in Wien wurden die
stimulierende Wirkung und der aromatische Geschmack erstmals
durch Milch und Sahne gedrosselt. Ein Unding übrigens für jeden
Türken, glaubte man dort doch lange Zeit, mit Milch versetzter
Kaffee erzeuge Lepra.
Was die deutsche Auseinandersetzung mit dem Getränk
betrifft, stößt der Autor auf die Geschichte von Friedrich dem
Großen, der 1777 ein Kaffeeverbot verhängte und auch nicht davor
zurückschreckte, Veteranen anzuheuern, die dem Geruch frisch
gerösteten Kaffees nachgehen sollten. Dies zog die Entstehung des
Zichorienkaffees, dem so genannten Muckefuck (ursprünglich "Mocca
faux"), nach sich. Dabei ging es dem Preußenkönig weniger um die
Gesundheit seines Volkes als vielmehr darum, mit dem Kauf des
echten Kaffees nicht die Taschen der französischen und
holländischen Feinde zu füllen.
Maloche auf der Plantage.
Natürlich führt die Recherche rund
um den Kaffee Stewart Lee Allen auch nach Brasilien, wo Sklaverei
und Kaffee seit jeher Hand in Hand gingen: "Die bitterste Ironie
war es dann aber wohl, dass die afrikanischen Sklaven in die Neue
Welt verschleppt wurden, um eine Pflanze abzuernten, die genau
wie sie aus Afrika gestohlen worden war. Südamerikanische
Kaffeeplantagen schufen eine Nachfrage für Sklavenarbeit, die
sowohl das Gesicht Afrikas als auch das der Neuen Welt für immer
veränderte." Ebenso kritisch beleuchtet er die Tatsache, dass der
Kaffeeanbau in Monokultur eng verknüpft ist mit der Zerstörung
des brasilianischen Regenwaldes und dem damit verknüpften
Einschnitt in das Ökosystem: "Den meisten Kaffeekonsumenten ist
gar nicht klar, welchen Anteil ihre Versorgung mit diesem
Suchtstoff daran hat."
Allens kaffeezentrierte Geschichte, mit einem wohltuenden
Augenzwinkern erzählt, versucht schlussendlich eine fundierte
Beweislage für die These zu präsentieren, der Siegeszug der
Kaffeebohne gehe einher mit zivilisatorischen Blütezeiten. Damit
stützt er sich da auf den Historiker Jules Michelet, der meint,
die Entstehung einer aufgeklärten westlichen Gesellschaft gehe im
Grunde genommen auf den Wandel der Europäer zu Kaffeetrinkern
zurück. Dies relativiert sich, als Allen auf den deutschen
Soziologen Dr. Josef Joffe trifft, dessen Theorie lautet:
"Schlechter Kaffee steht für Expansionspolitik, Imperialismus und
Krieg; guter Kaffee tröpfelt einher mit Höflichkeit, Pazifismus
und Schlaffheit."
Eine koffeinsüchtige Nation.
Um nach all den Geschichten aus der
Blütezeit des Kaffees den Ort seines Niedergangs auszumachen,
begibt sich Allen auf den Weg ins Land der unbegrenzten
Möglichkeiten, von dem er behauptet: "Die Vereinigten Staaten
waren der erste westliche Staat, der schon koffeinsüchtig auf die
Welt kam." Interessant seine Behauptung, dass Amerika erst nach
seiner ersten größeren militärischen Niederlage gelernt habe,
trinkbaren Kaffee zu kochen. Die Verwendung von frisch gerösteten
Kaffeebohnen sieht Allen direkt verknüpft mit der Rebellion der
60er Jahre. Entwickelt hat sich aus dieser anfänglichen
Spezialitätenkaffee-Bewegung dank Coffee Connection oder
Starbuck's eine Industrie, die mittlerweile sechs Milliarden
Dollar umsetzt.
Doch was Allen wirklich sucht, ist dort nicht zu finden.
Und so macht er sich in einem Cadillac in schönster
Roadstory-Manier auf den Weg, um die miserabelste Tasse Kaffee zu
finden, die Amerika zu bieten hat. Ein Höllentrip, der
bezeichnenderweise erst in Texas endet, der Allen aber zu der
Erkenntnis bringt, dass jedes Zeitalter es verstanden habe, die
Kaffeebohne gemäß seines eigenen Weltverständnisses zu nutzen.
Sahen die früheren Kaffeekulte in Äthiopien und im Nahen Osten in
der Droge ein Tor zum Geist Gottes, benutzten die säkularen
Humanisten im Europa des 18. Jahrhunderts den Kaffee als
Hilfsmittel zum Aufbau einer vernunftgeleiteten Gesellschaft. Das
wehmütige Fazit eines ebenso fesselnden wie kurzweiligen Buches:
"Wir Bürger der Schönen Neuen Welt, die wir Effizienz und
Geschwindigkeit anbeten, machen einfach ein Aufputschmittel
daraus, um noch ein wenig an Tempo zuzulegen, ein bisschen
schneller anzukommen und uns etwas besser zu fühlen. Zur Hölle
mit den Folgen."
Stewart Lee Allen:
Ein teuflisches Zeug.
Auf abenteuerlicher Reise durch die Geschichte des
Kaffees,
Campus Verlag, Frankfurt/New York 2003,
230 Seiten, 19.90 Euro,
ISBN 3-593-37290-8
www.campus.de
Petra Günzel ist freie Mitarbeiterin von changeX.
© changeX Partnerforum [14.10.2003] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch
Stewart Lee Allen: Ein teuflisches Zeug. . Auf abenteuerlicher Reise durch die Geschichte des Kaffees. Campus Verlag, Frankfurt/Main 1900, 230 Seiten, ISBN 3-593-37290-8
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