Abschied vom Verkaufen?
Peter Grimm fordert einen Paradigmenwechsel im Verkauf.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gierten die Menschen nach Waren. Heute haben sie längst alles, was sie brauchen. Für Verkäufer wird die Situation immer schwieriger. Peter Grimms Vorschlag: Statt einseitig nach Umsatz und Ertrag zu hecheln, müssen neue Werte und Zielorientierungen her. Nur dann kann der Aufbau einer neuen Verkaufskultur gelingen. Eine Leseprobe aus Peter Grimms Grundlagenwerk Der verratene Verkauf.
Gibt es im Zeitalter des Internets
und der vernetzten Marktpartner künftig noch Verkäufer - und
müssen wir wirklich Abschied vom Verkaufen nehmen? Edgar K.
Geffroy wird verzeihen: Es ist genau umgekehrt. Wir haben ja noch
nicht einmal eine exakte oder gar einheitliche Vorstellung davon,
was "Verkaufen" eigentlich ist. Wir haben schon Mühe damit, eine
einheitliche Vorstellung darüber zu entwickeln, über was wir
reden, wenn wir über den "Verkauf" diskutieren!
Auch im Umgang damit, sich verkaufsbezogen gegenseitig
materiellen und ideellen Nutzen zu bieten, haben wir noch viel
Nachholbedarf. Wir denken linear und schlussendlich doch ziemlich
egoistisch. So sind wir es gewohnt - und es ist verdammt schwer,
die damit verbundenen Denkprozesse in neue Bahnen zu lenken. Dies
beginnt schon bei der gewohnten Art, über Erfolg nachzudenken.
Erfolg wird bei uns einseitig als Zielerreichung definiert. Ein
Ziel zu erreichen setzt verständlicherweise voraus, überhaupt
eines zu haben. Dies ist die heilige Kuh, um die sich alles
dreht: Ziele, Ziele, Ziele. Daran wäre nichts falsch, wenn wir
die richtigen Zielmaßstäbe beziehungsweise die bessere
Zielorientierung für den Verkauf hätten. Das "ewige" Wachstum
früherer Zeiten erlaubte und förderte die Konzentration auf
Umsatz und Ertrag. Eine der damit verbundenen unangenehmen, weil
Image schädigenden Folgen waren jene "tumben, umsatzbolzenden
Verkäufer", die wenig Vorbildung, dafür aber möglichst
psychologisch motivierte "Verkaufstechnik" brauchten und bei
denen ansonsten das Denken eher erfolgskillend war.
Erfolg neu definieren.
Zunehmend wurde in Verbindung mit
den wirtschaftlichen Veränderungen erkannt, dass Umsatz und
Gewinn nur die eine Seite der Medaille sind. Die andere besteht
in der Konzentration auf das, was sich als Folge daraus
entwickeln soll. Diese Erkenntnis, so einfach sie klingen mag,
eröffnet eine ganz andere Dimension - eine, die Zeit und Raum für
Evolution lässt. Das sattsam bekannte Umsatz- und
Zielerreichungs-"Tätärä" früherer Verkaufsfürsten konnte sich
doch nur deshalb so lange erfolgreich halten, weil es sich in
leer gefegten, vakuum- und wachstumsbestimmten Märkten - zum
Beispiel nach dem Zweiten Weltkrieg - als eingängige
Erfolgsformel für den Aufbau von Unternehmen anbot.
Wir aber leben heute in einer komplexen, intelligentere
Differenzierungen suchenden Welt, in der auch der Verkauf neue
Werte und der Begriff "Erfolg" eine zeitgemäße Definition
braucht. Semantisch weist uns ja schon das Wort "Erfolg" den Weg
und sagt uns, dass Erfolg das ist, was aufgrund unseres
Verhaltens
erfolgt. Erfolg ist also die Folge unseres Verhaltens,
unseres Tuns oder Lassens. Im Veränderungsprozess unserer Zeit
zeigt sich auch immer deutlicher, was hier gemeint ist: Solange
wir Umsatz, Gewinn und Einkommen als erste Ziele sehen, folgen
wir dem Gesetz des abnehmenden Ertragszuwachses. Mit anderen
Worten: Wir müssen immer mehr umsetzen, um genauso viel zu
erreichen wie früher.
Die Zielorientierung muss sich ändern.
Statt einseitig nach Umsatz und
Ertrag zu hecheln, wäre es demnach klüger, zu fragen, was
gedacht, getan,
ver-ursacht werden müsste, um die erwünschten Ergebnisse
als Folge des damit verbundenen Verhaltens zu ernten. Die
Zielorientierungen müssten sich demnach gewaltig ändern. Dies
wäre dann auch ein gewiss nicht unerheblicher Beitrag für das so
oft geforderte verantwortlichere Verhalten der Einzelnen und der
Unternehmen.
Werteoptimierung statt Egoismus könnte eine der Folgen
dieser Betrachtung sein, um in Folge "Mehrwerte" als
Wertschöpfung zu erzeugen. Diesem Denken gehört die Zukunft. Wer
diese Dimension nicht begreift oder begreifen will, verspielt den
langfristigen Erfolg. Das ist sicher. Bereits viele Vordenker
erkennen diese Dimension unserer kommenden wirtschaftlichen
Entwicklung.
Hand in Hand mit der Gesamtentwicklung unserer Wirtschaft
zeigen sich so auch in Bezug auf das Verkaufen immer deutlicher
die Konturen eines drastischen Wandels mit der Qualität eines
Paradigmenwechsels im Verkauf. Dies bedeutet, dass wir uns
mitten in einer Neuorientierung befinden und uns von vielen
Vorstellungen darüber verabschieden müssen, wie sich Verkaufen in
der Zukunft gestalten wird. Warum? Weil wir in allen anderen
Disziplinen unternehmerischen Handelns schon längst die neue
Dynamik der Veränderungsprozesse erlebt haben. Dieser Prozess der
Neubesinnung erfasst alle und alles: von der Wirtschaft bis zur
Wissenschaft, von der Politik bis zum Marktgeschehen. Der Prozess
selbst ist die zu lösende Aufgabe. Die Strukturveränderungen
unserer Zeit, das Thema Globalisierung, das Abkoppeln der
Konjunktur von der Beschäftigungslage sind ebenso Zeichen dafür
wie die Tatsache, dass wir heute in einem Heer von Arbeitslosen
verzweifelt Mitarbeiter suchen, mit denen wir die Zukunft
gestalten können. Vom linear-mechanistischen Weltbild sind wir in
die Dynamik chaotisch-energetischer Prozesse geraten. Die
Ereignisse überschlagen sich und die "Utopien des Vormittags sind
die Realitäten des Nachmittags", wie Lichtenberg treffend
bemerkte.
Von der "Vakuumzeit" zum Verdrängungswettbewerb.
Betrachten wir diese Entwicklung
einmal etwas genauer: Es ist jetzt fast ein ganzes Lebensalter
nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs vergangen. Die Technik hat
sich seit dem Zweiten Weltkrieg weiterentwickelt und die
Produktion von Waren und Gütern stellt kein Problem mehr da.
Alles, was wir hier zu Lande an Lebensnotwendigem brauchen, haben
wir demzufolge, und zwar im Überfluss.
Wir haben doch alle ein oder mehrere Autos, Fahrräder,
Fernseher, einen Kühlschrank, eine Tiefkühltruhe und so weiter.
Was wir heute kaufen, gehört entweder zum täglichen Bedarf, wie
Nahrungsmittel, oder ist Ersatzbedarf und Luxus. Innovationen der
Elektronik (EDV, Handys et cetera) zeigen, dass neue Bedürfnisse
am ehesten im Zusammenhang mit Kommunikation und Information
erwachsen. Im Klartext bedeutet dies, dass wir heute unter völlig
anderen Voraussetzungen wirtschaften, arbeiten, denken und
handeln, als dies in der "Vakuumzeit" leer gefegter Märkte (nach
den beiden Weltkriegen) möglich und erforderlich war. Die
Voraussetzungen - und damit auch die Spielregeln - haben sich
geändert.
Vier wirtschaftliche Phasen lassen sich unterscheiden: Etwa
von 1948 bis Mitte der Sechziger dauerte die "Vakuumzeit", in der
die Nachfrage das Angebot weit überstieg. Der Bedarf war der
Motor der konjunkturellen Entwicklung. Danach wurde der
Wettbewerb spürbarer. Mitte der Siebzigerjahre kam eine neue
Qualität hinzu: der Verdrängungswettbewerb, der seinen Höhepunkt
in der zweiten Hälfte der Achtziger erreichte.
Es folgte in Deutschland die Zeit der Wiedervereinigung,
die nochmals für einige Jahre in Ostdeutschland Zustände
hervorbrachte, die der "Vakuumzeit" glichen.
Seit etwa 1994 kämpfen wir in einem zunehmend härter
werdenden Vernichtungswettbewerb. Vernichtungswettbewerb heißt:
Arbeitsplätze werden vernichtet, Firmen, die den Strukturwandel
nicht bewältigen, gehen in Konkurs, das Preisverhalten der
Konkurrenten untereinander ist ruinös und so weiter. Wir haben
den Krieg, den wir Gott sei Dank nicht mehr in seiner "heißen"
Form erleben müssen, in die Wirtschaft verlagert.
Die Großunternehmen und Konzerne rüsten sich für kommende
globale Auseinandersetzungen durch Fusion. Riesige
Wirtschaftsgiganten entstehen, und man darf gespannt sein, ob
diese Flucht in die Supergröße wirklich der Weisheit letzter
Schluss sein wird. Ich persönlich bezweifle dies außerordentlich.
Bedenkt man die alte Geschichte von David und Goliath, so lautet
die entsprechende Formel heute:
Intelligenz contra Macht.
Die schiere Größe wird in nicht allzu ferner Zukunft
problematischer werden, als wir uns dies heute vorstellen
können.
Aufbau einer neuen Verkaufskultur.
Auch die Phase des
Vernichtungswettbewerbs ist nicht für alle Zeiten
festgeschrieben. Es wird sich eine völlig neue Wirtschaftsära
entwickeln, deren Mechanismen und Konsequenzen wir erst noch
verstehen lernen müssen. Allein die Veränderungen, die in den
letzten circa zehn Jahren in den Unternehmen bewältigt werden
mussten, sind Legion:
ISO 9000 und Euro-Norm, Lean Management und flache
Hierarchien, die Einführung des Just-in-Time-Konzepts, Kaizen als
kontinuierlicher Verbesserungsprozess, Business Process
Reengineering und andere Managementphilosophien sowie Lean
Production. Die fraktale Fabrik mit teilautonomen Arbeitsgruppen
statt Einzelkämpfern wurde Realität. Der Verkauf aber blieb von
solchen Entwicklungen weitgehend "verschont", vermutlich deshalb,
weil es für viele unvorstellbar ist, die gleiche Präzision, die
heute in Produktion und Betriebswirtschaft überall
selbstverständlich ist, auch auf den Verkauf zu übertragen. So
leben viele Verkäufer auch heute noch von einmal errungenen
Marktpfründen. Aber die Effizienzfragen werden auch vor dem
Verkauf nicht Halt machen - ganz im Gegenteil. Wir stehen also
nicht vor dem "Abschied vom Verkaufen", sondern vielmehr vor dem
Aufbau einer neuen Verkaufskultur. Dies wird die zentral zu
leistende Aufgabe aller Unternehmen sein, denn sie sind darauf
angewiesen, auf Dauer ihren Markt zu gestalten, ihre Kunden zu
halten, Anziehungskraft zu entwickeln und Erfolg in einer neuen
Dimension zu erreichen.
Peter Grimm ist seit 25 Jahren selbstständiger Unternehmer und geschäftsführender Gesellschafter der Peter Grimm Customing � GmbH.
Dieser Essay ist eine Leseprobe aus Peter Grimms Buch Der verratene Verkauf. Warum der Verkauf eine neue Identität braucht und wie er den Erfolg vom Zufall befreit. Ausführlichere Informationen zum Buch finden Sie in der Buchbesprechung Verkaufen, aber richtig!
Zum changeX-Partnerportrait: Peter Grimm Customing GmbH.
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