Fürung

Warum es zu wenige gute Chefs gibt - ein Gespräch mit Gerhard Zapke-Schauer.

Von Heike Littger

Führung ist erlernbar wie Mathematik oder Autofahren. Doch viele Führungskräfte haben zu wenig Ahnung davon. Sie glauben, Führungswissen per se intus zu haben. Die Folge: Anstatt sich und ihre Fähigkeiten in den Dienst des Unternehmens zu stellen, streben sie ans helle Licht der Öffentlichkeit, wo sie auf Anerkennung und Macht hoffen. Ein Holzweg, sagt ein Zürcher Berater. Gute Führungskräfte sorgen dafür, dass Unternehmensziele überall in der Firma ankommen. Damit Mitarbeiter mitarbeiten können und wissen, in welchem Stück sie mitspielen. Leider hängen noch zu viele Unternehmen am Gängelband schlechter Chefs voller Egozentrik.

Gerhard Zapke-Schauer ist Präsident des Verwaltungsrats der Euratio Akademie in Zürich und berät hochrangige Führungskräfte zum Thema Leadership.

Herr Zapke-Schauer, deutsche Manager stehen unter Beschuss. Der starke, charismatische und entschlossene Spitzenmann früherer Jahre, so die lautstarke Kritik, wurde durch farblose, korrupte oder machthungrige Männer ersetzt. Als Berater gehen Sie seit Jahren bei hochkarätigen Führungskräften ein und aus. Ist die Kritik berechtigt?
Nein. Die deutschen Führungskräfte sind nicht schlechter und nicht besser als anderswo. Führung wird in der Regel autodidaktisch erlernt und intuitiv durchgeführt. Während in den jeweiligen beruflichen Fachgebieten, zum Beispiel als Ingenieur, hohe Kompetenzen aufgebaut werden, bleibt die Entwicklung der Kompetenz als Führungskraft auf einzelne, meist interne, Führungsseminare beschränkt. Gleichwohl - und das sollten wir nicht vergessen - gestalten diese Frauen und Männer die Zukunft, oftmals leise und beständig. Junge Mitarbeiter nehmen dies häufig nicht wahr und stellen ihren Chefs vorschnell ein schlechtes Zeugnis aus.

Warum dann noch ein Leadership-Buch? Wie die Welt in kleinen und großen Organisationen zu organisieren ist, das ist ein Thema, das ganze Bibliotheken füllt.
Führungskräfte müssen begreifen: Führung ist nur zum Teil ein psychologischer Prozess. Führung ist ein interaktiver Prozess. Das heißt: Mitarbeiter sind meist ein Spiegelbild meiner eigenen Aktion. Oder anders ausgedrückt: Wenn ich in den Berg Maria hineinrufe, kann ich als Antwort nicht Josef erwarten. Dieses Echoprinzip wird von vielen Führungskräften ignoriert. Oder sie denken, dass es mit einem "Wie geht es dir?" getan sei. Das ist aber nicht der Fall. Nur weil ich nett zu meinen Mitarbeitern bin, heißt das noch lange nicht, dass sie mit mir in die gleiche Richtung marschieren. Was wir brauchen, sind Pläne, die gemeinsam erstellt werden und dadurch Ownership erzeugen.

Konkreter: Wie erreiche ich als Führungskraft, dass sich meine Mitarbeiter in Bewegung setzen. Freiwillig wohlgemerkt. Denn spätestens seit Sprenger wissen wir: Mitarbeiter kann man nicht motivieren. Schon gar nicht in einer Zeit, in der die morgendliche Zeitungslektüre wie ein Depressivum wirkt und das Vertrauen in die Vorgesetzten sinkt.
Dazu eine Anekdote: An einem bayerischen Schauspielhaus fällt während der Pause der Abendvorstellung der Hauptakteur aus. Ein Kollege wird eilends herbeigerufen. Mit etwas Verzögerung wird die Vorstellung fortgesetzt und der neue Akteur betritt die Bühne. Als der Vorhang aufgeht, sagt der aber keinen Ton. Als die Souffleuse eingreift, sagt er laut vernehmlich: "Keine Details, welches Stück bitte?"
Wie dem Schauspieler ergeht es vielen Mitarbeitern. Sie wissen nicht, welches Stück gerade in ihrem Unternehmen gespielt wird. Führung ist ein Prozess, der dieses Stück jedem Mitarbeiter immer und immer wieder klar macht und daraus Schlussfolgerungen für das aktuelle notwendige Detail zieht. Das Stück, nicht das Detail, liefert die Inhalte, aus denen sich Mitarbeiter selbst motivieren können. Wer nur Details kennt und daraus kein Mosaik zusammensetzen kann, der verliert Vertrauen in seine Führungskräfte.

Das heißt: Die Kommunikation muss top-down perfekt funktionieren.
Richtig. Die oberste Führungsriege muss dafür sorgen, dass jeder Mitarbeiter weiß, für welche Kunden und welche Themen die Unternehmung steht. Das erreicht sie nicht durch Vorlage von Kosten- und Umsatzzahlen. Sie muss wissen, was die Basis denkt und wie sich jeder Einzelne in das Gesamtgeschehen einordnet. Dies ist ein Frageprozess, kein Informationsverteilungsprozess. Am besten fragt man seine nächste Ebene: Was wissen ihre Mitarbeiter über unsere Ziele und wie sollen diese Ziele erreicht werden? Nur wenn diese Aussagen konsistent sind, kann die oberste Führungsebene davon ausgehen, dass ihre Leute top-down wissen, welches Stück gespielt wird und wer welchen Part darin übernimmt. Das ist im Übrigen keine Hexerei. Dafür gibt es Instrumente, die man nur einsetzen muss.

Damit wären wir bei der Gretchenfrage: Ist Leadership erlernbar?
Natürlich. So wie Mathematik oder Autofahren auch.

Es gibt massenhaft schlechte Autofahrer ...
Und es gibt massenhaft schlechte Chefs. Der Grund: Viele Führungskräfte sind charakterlich für den Chefposten nicht geeignet. Sie wollen vor allem in der Öffentlichkeit stehen. Wollen Anerkennung und Macht. Ihnen geht es nicht um die Sache, sondern ausschließlich um ihre eigene Person. Alle exponierten Positionen zeigen dieses Phänomen, egal ob wir die Politik oder das Filmgeschäft betrachten. Wenn es Gelegenheit gibt, im Rampenlicht zu stehen, dann drängen sich vermehrt die Personen auf, die eben nur das wollen.

Unternehmen sollten demnach ihre zukünftigen Führungskräfte besser unter die Lupe nehmen?
Unbedingt. Das Auswahlverfahren muss verändert werden. 80 Prozent derjenigen, die sich für eine Führungsposition bewerben, sind ungeeignet. Sie sind zu egozentrisch und wollen das Unternehmen für ihre eigenen Belange benutzen. Dabei sollte es genau andersherum sein: Eine gute Führungskraft stellt sich und seine Fähigkeiten in den Dienst des Unternehmens. Leider hören die Unternehmen zu häufig auf die Lautstarken und holen sich die Drängler ins Boot. Dabei ist es ein offenes Geheimnis: Die besten Führungskräfte sind diejenigen, die einen Chefposten niemals haben wollen. Denn sie verfügen in der Regel über eine der wichtigsten Tugenden - und das ist Bescheidenheit.
Außerdem haben sie sich in der Regel genauestens überlegt, ob sie eine Führungsposition bekleiden wollen. Denn Leadership hat ihren Preis: Als Führungskraft sind plötzlich alle Augen auf einen gerichtet, beim Meeting und beim privaten Dinner. Man muss Reden halten und an Orten auftreten, die man freiwillig nie besuchen würde. Sie gehören nicht mehr zur Gruppe, sie leiten die Gruppe - und das kann einsam machen und isolieren. Die Verträge sind kurzfristiger und das persönliche Risiko ist größer. Während andere Wochenende feiern und auf Geburtstagspartys gehen, ist man in Arbeit verwickelt. Und je höher man kommt, desto dünner wird die Luft, auf Zuspruch und Unterstützung kann man nicht vertrauen. Im Gegenteil: Flüsterer treten auf und streuen Unwahrheiten. Deswegen ist das private Umfeld enorm wichtig.

Hinter jedem starken Chef ein starker Partner?
Führungskräfte unterliegen dem Primat des Erfolges. Wer Leistung erbringt, ist im Geschäft, wer versagt, ist draußen. Dieses Spiel beginnt in jedem Geschäftsjahr aufs Neue, vergangene Erfolge zählen nicht. Die private Beziehung ist vollständig anders konstruiert. Sie lebt in besonderem Maße aus ihrer Leistungsfreiheit. Man wird akzeptiert, weil man existiert, nicht weil man etwas Konkretes kann. Man braucht kein Abitur, keine Fremdsprachenkenntnisse, keinen exzellent erarbeiteten Marketingplan und schon gar keine erfolgreiche Bottom-Line, um geliebt zu werden. Diese Erfahrung ist für die innere Balance einer Führungskraft von großer Bedeutung. In der Erfüllung ihrer Aufgabe gehen Führungskräfte soziale Risiken ein. Viele Mitarbeiter zu orchestrieren macht einsam, und manche Entscheidungen werden mit Aggression beantwortet. Wer in diesen Fällen keinen sozialen Rückhalt im privaten Lebenskonzept besitzt, der steht plötzlich vor der Wahl, die Sache zu fördern oder seine soziale Anerkennung am Arbeitsplatz zu riskieren. Dieses Risiko geht nur der ein, der sich privat aufgehoben fühlt.

Das Wort Vision ist noch kein einziges Mal gefallen. Das erstaunt. Ist doch die Vision genau das, was alle von einer Führungskraft erwarten. Dass sie sich vor ihre Belegschaft stellt, zum Horizont zeigt und verkündet: Leute, das ist unser Weg.
Eine Vision ist in der Tat sehr wichtig. Doch leider verpufft auch die. Schauen wir uns an, was passiert: Im Zielsetzungsprozess, der in der Regel top-down erfolgt, ist meist das Topmanagement von einer Vision beseelt. Es kann sich jeder gut vorstellen, was alles eintreten wird, wenn man zum Beispiel einen größeren Marktanteil erobert oder die Kostenführerschaft übernommen hat. Wie stark diese Visionen wirken, erlebt man in abendfüllenden Gesprächen bei guten Gläsern Wein ...
Allerdings bleiben diese Gespräche innerhalb des Leitungskreises und zeigen nur dort Wirkung. Zurück im Büro formulieren die Mitglieder der Führungsspitze Ziele in PowerPoint-Folien. Aus Visionen werden nüchterne Zahlen, die messbare Ziele beschreiben. Nach dem Topmanagement wird in weiteren Meetings die nächste Führungsebene aufgefordert, diese Ziele herunterzubrechen und mit ihren Mitarbeitern zu besprechen. Zum Schluss gelangt das Zielszenario an die Basis und soll mit konkreten Arbeitsschritten erreicht werden, die in einem Projektplan festgehalten werden. Wer aber Projektpläne und Milestones als zentralen Inhalt des Arbeitsalltags erlebt, der verliert die Attraktivität des Ziels aus den Augen. Und wer die Attraktivität aus den Augen verliert, der hat kein Motiv zu Ownership.

In Ihrem Buch unterscheiden Sie zwischen Zukunftsvision und Konditionsvision. Erklären Sie uns bitte den Unterschied.
80 Prozent verstehen unter Vision: "Ich sehe etwas, was du nicht siehst. Dieses Etwas liegt in der Zukunft und ich sehe es sozusagen voraus." Nennen wir dies Zukunftsvision. Für 20 Prozent bedeutet Vision: "Ich sehe etwas, was du nicht siehst. Dieses Etwas könnte bereits heute eintreten, wenn wir einige Bedingungen erfüllt hätten." Nennen wir dies Konditionsvision.
Die Zukunftsvision ist schwierig, geht selten in Erfüllung und ist schwer in Pläne umzusetzen. Bereits ein Blick in die Wettervorhersage für die kommenden 14 Tage macht deutlich, dass es um unsere Vorhersagekraft schlecht bestellt ist. Außerdem sortieren Mitarbeiter Zukunftsvisionen in den Ordner "unrealistisches Gerede von Führungskräften" ein, sie wissen um die schwache Befähigung der Hellseherei.
Um Mitarbeiter ins Boot zu holen, sollte man davon sprechen, was heute schon alles sein könnte, wenn ... Genau das tut die Konditionsvision. Sie liefert zwar auch Inhalte, die wir heute leider noch nicht genießen und gerne hätten, also zukünftig, aber sie formuliert auch die Bedingungen, die erfüllt werden müssen, damit das Ziel und in der Folge die Vision eintreten. Erscheint es realistisch, diese Bedingungen erfüllen zu können, dann kommt Hoffnung auf, das gesteckte Ziel zu erreichen. Und Hoffnung ist ein guter Motor.
Im Übrigen gilt: Je besser die Vision, desto attraktiver das Motiv und umso stärker der Wille, das Ziel zu erreichen. Visionen, die Mitarbeiter nicht aufrütteln, verfehlen ihren Zweck. Bereits Antoine de Saint Exupéry sagte: "Wer Menschen zum Schiffsbau einlädt, muss ihnen die Sehnsucht nach der Weite des Meeres vermitteln."

... wer Menschen zum Schiffsbau einlädt - eine hübsche Formulierung. In der Regel werden Menschen nicht eingeladen, um gemeinsam mit ihren Kollegen und Chefs die Zukunft zu gestalten. Sie werden bezahlt, um im Hier und Jetzt das zu erledigen, was andere anschaffen.
Das ist das Problem. Mitarbeiter wollen mitarbeiten, nicht für jemanden arbeiten. Mitarbeiter wollen am Unternehmenserfolg ursächlich beteiligt sein, nicht für diesen benutzt werden. Doch dafür dürfen Unternehmensziele nicht Ziele der Führungskräfte bleiben, sondern müssen Ziele jedes einzelnen Mitarbeiters sein.
Vergegenwärtigen wir uns: Das Unternehmen ist unser Ergebnis, unsere Statue, an der wir meißeln, unser Bild, an dem wir malen, die Musik, die wir komponieren. Wir selbst sind nicht die Statuen, die Bilder, die Musik, wir sind die Kreativen, die das alles schaffen. Je mehr Mitarbeiter Teil des Unternehmens, also des "Geschaffenen" und nicht Teil der "Schaffenden" sind, desto höher ist das Risiko, Mitarbeiter als Unternehmensressource zu verwenden. Die kategoriale Gleichstellung der Humanressource mit den Produktions-, Kapital- und Marktressourcen hat in dieser Hinsicht viele Nachteile gebracht und damit Unternehmensgewinne vernichtet. Deswegen wäre es besser, bei Mitarbeitern auf den Begriff Ressource zu verzichten. Maschinen, Rechenzentren und Gebäude sind unabhängig von den Erlebnissen des Erfolges, deshalb weinen sie nicht, wenn es dem Unternehmen schlecht geht, und freuen sich nicht, wenn Prosperität eintritt. Aus dem gleichen Grund übernehmen sie kein Ownership und müssen auch nicht geführt werden. Sie werden einfach nur verwendet.

Wenn Sie in die Zukunft blicken ...
... dann bin ich voller Zuversicht. Denn viele Führungskräfte haben verstanden, dass ihre Ziele nur in Zusammenarbeit mit ihren Mitarbeitern zu erreichen sind. Gerade die jungen Führungskräfte setzen wieder auf Werte und arbeiten an dem Verständnis, dass Moral und Profit nicht Gegensätze, sondern einzelne Perspektiven am gleichen Unternehmensgeschehen sind. Wettbewerb ist nicht Vernichtung des Wettbewerbers, sondern konkurrierende Herausforderung in Richtung Kundennutzen. Die Fachkompetenz unserer jungen Führungskräfte ist enorm. Wenn sie erlernen, Unternehmensführung spielerischer statt verkniffen unter hoher Beachtung des Humanfaktors durchzuführen, dann können wir erleben, dass eine Sache ernsthaft zu betreiben nicht zugleich heißt, dies traurig oder verängstigt zu tun. Ich hoffe nur, dass die Jungen ihr Mut nicht verlässt - auf ihrem langen Weg durch die Hierarchien.

Heike Littger ist Redakteurin bei changeX.

Gerhard Zapke-Schauer:
The Art of Leadership.
Reflexionen und Inspirationen für wirkungsvolle Führung,

Gabler Verlag, Wiesbaden 2003,
235 Seiten, 29.90 Euro,
ISBN 3-409-12543-4
www.gabler.de

© changeX [12.02.2004] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.


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: The Art of Leadership. . Reflexionen und Inspirationen für wirkungsvolle Führung.. Gabler Verlag, Wiesbaden 1900, 235 Seiten, ISBN 3-409-12543-4

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Heike Littger
Littger

Heike Littger ist selbständige Journalistin und wohnt in Mountain View, Kalifornien. Sie schreibt als freie Autorin für changeX.

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