Bloß jetzt nicht zurücklehnen

Ein Interview mit atunis-Berater Albert Weber über werteorientiertes Management.

Von Nina Hesse

Werte, Verantwortung, Ethik - für die Wirtschaft ein großes Thema zurzeit. Kein Wunder, nach den diversen Skandalen gelten viele Unternehmen und ihre Führungscrew nur noch als skrupellos und raffgierig. Doch Albert Weber ist überzeugt: Die Wirtschaft ist besser als ihr Ruf, nicht wenige Unternehmen engagieren sich bereits sozial. Eine Schlüsselrolle spielt dabei die Unternehmenskultur: Um ein positives Image und stabile Überzeugungen zu schaffen, müssen die Unternehmen aktiv ein menschlicheres Umfeld gestalten.

Albert WeberAlbert Weber ist einer der Gründer und Geschäftsführer des atunis-Instituts, das mit dem NetzLogik �-Ansatz, einem neuen Konzept in der Unternehmensberatung, Unternehmen und öffentliche Organisationen durch Consulting, Seminare und Studien unterstützt. Weber arbeitete bei SEL und debis, war im Management unter anderem verantwortlich für Logistik und Beschaffung. Seit drei Jahren ist er erfolgreich als Unternehmensberater tätig.

Das Image der Wirtschaft ist nach zahlreichen Skandalen zurzeit nicht das Beste. Müssen neue Gesetze her oder können die Unternehmen es selbst schaffen, sich einen neuen Verhaltenskodex zu geben und ihn zu leben?
Die Wirtschaft als einer der Indikatoren einer Gesellschaft für Wohlstand, Sicherheit und Zukunftsperspektive hat tatsächlich wesentlich an Glaubwürdigkeit und Image verloren. Allerdings sind es nicht nur die Skandale, also diejenigen Fälle, wo scheinbar Moral oder gar Gesetze gebeugt wurden, die dabei den Ausschlag geben. Vielmehr erleben die Menschen in den Unternehmen eine Kultur, die weitab von einem menschlichen Miteinander verstärkt für Unwohlsein und Unsicherheit sorgt. Sind Politik und Sozialwesen schon seit geraumer Zeit instabil und unzuverlässig, so mittlerweile auch die Wirtschaft.
Natürlich rufen viele in solchen Situationen nach neuer und schärferer Gesetzgebung. Allerdings wird damit das eigentliche Problem nicht gelöst und es hilft dem Einzelnen oder dem betroffenen Unternehmen nicht in der jeweiligen Situation. Im Gegenteil, der Wettbewerbsspielraum, der Gestaltungs- und Handlungsfreiraum, den Unternehmen brauchen, wird weiter begrenzt.
Unternehmen sind durchaus selbst in der Lage, in ihrem sozialen System, nämlich dem Unternehmen selbst und in der Außenwirkung hin zu Kunden und Lieferanten, eine neue Identität, ein neues Verhalten zu etablieren und wieder Vertrauen zu schaffen. Das ist eine Frage der eigenen Überzeugung und des konsequenten Handelns der Unternehmensleitung und der Führungscrew.

Viele Kritiker sehen eine einseitige Ausrichtung auf Gewinnmaximierung und einen hohen Aktienkurs als Wurzel der Probleme. Zu Recht? Und sind immer noch viele Manager vom Shareholdervalue-Ansatz überzeugt?
Ein hoher Aktienkurs ist ein Indiz für ein glaubwürdiges Unternehmen mit hoher Renditechance und damit der Chance, Kapital zu vermehren. Vom Grundsatz her ist das nichts Verwerfliches. Wer möchte nicht möglichst hohe Zinsen für sein Geld auf der Bank erhalten?
Hier unterscheidet sich jedoch der "Otto Normalverbraucher" scheinbar vom Manager. Während der normale Bürger darauf bedacht ist, Spekulation, also Risikogelder und langfristige Kapitalsicherung, in Balance zu halten, scheint beim heutigen Shareholdervalue-Ansatz die langfristige Perspektive völlig unwichtig zu sein. Es geht nur noch um die schnelle Kohle. Meiner Ansicht nach ist die Wurzel der Misere, dass in der Post-Shareholder-Ära nicht verantwortet abgewogen wurde und andere Perspektiven, die langfristigen Unternehmenserfolg gewährleisten, vernachlässigt wurden.

Doch das muss nicht sein, es gibt einen besseren Weg. Was verstehen Sie unter "werteorientiertem Management"? Woher kommt dieser Ansatz?
Die Wirtschaft - also Lieferanten, Hersteller, Dienstleister und Kunden - sind in ihren unterschiedlichen Interaktionsbeziehungen nicht nur rein ökonomisch verflochten. Nicht die Unternehmen als Institution, egal ob Anbieter oder Nachfrager, interagieren, sondern die Menschen in den Unternehmen.

These 1:
Menschen - in Unternehmen als Mitarbeiter und in Märkten als Nachfrager - handeln immer aus einem Bündel von Motiven; unter diesen sind die ökonomischen zwangsläufig in der Minderheit.
These 2:
Menschen handeln - in Unternehmen und Märkten - immer in komplexen Interaktionssituationen, in denen zwangsläufig die persönlichen (sozialen) Aspekte überwiegen.
These 3:
In Unternehmen, wie im Markt, handeln immer Menschen mit Menschen für Menschen. Deshalb ist ökonomischer Erfolg mit und durch Menschen nicht nur rein funktional erreichbar. Menschen sind mehr als nur Arbeitskräfte, nur Kunden oder nur Geldgeber. Deshalb kann man Menschen in Unternehmen nicht bloß ökonomisch führen, mit den Menschen in den Märkten nicht bloß ökonomisch interagieren. Man kann beides nur auf Grundlage sozialer Prinzipien.

Werteorientiertes Management ist also mehr als nur Fairness, Ehrlichkeit, Gesetzestreue oder Zuverlässigkeit oder gar der Versuch, Vorurteile zu vermeiden. Mehr als nur ökonomischen, ökologischen oder sozialen, gar religiösen Moralvorstellungen zu entsprechen. Werteorientiertes Management ist eine komplexe Disziplin in Unternehmen. Unternehmensziele, Verhaltensnormen, gesetzliche Bestimmungen, die persönlichen Erwartungen, Interessen und Bedürfnisse der Menschen und vor allem auch konkrete Prozesse und Handlungen. Diese Handlungskompetenz kann als solche auch als ethische Performance bezeichnet werden, unter der Prämisse, dass wir Ethik als Verhaltensdisziplin verstehen, die nicht Normen und Regeln in den Mittelpunkt stellt, sondern den handelnden Menschen.
Die aktuellen Trends in den Medien, ethische Fragen der Wirtschaft zu diskutieren, scheinen darauf hinzudeuten, dass Ethik gerade jetzt und heute erst wichtig wird. Ethik ist und war jedoch schon immer ein entscheidender Faktor in Unternehmen und Marktbeziehungen. Vielmehr scheint es so, dass schon lange Grenzen überschritten wurden und Menschen deshalb höchst sensibel reagieren. Die öffentliche Diskussion bis hin zur gerichtlichen Klärung ethischer Fragen hilft allerdings den Unternehmen ebenso wenig wie dem Einzelnen.
Vom Grundsatz her sind sich heute alle einig, dass Werte und der ethische Umgang mit Werten in der Gesellschaft, in Politik und Wirtschaft maßgeblich bestimmend sind. Vielerorts ist hektisches Treiben erkennbar, hier ein Corporate Codex, dort eine Änderung des Aktiengesetzes, Kommissionen, die sich mit Ethik und Wertesystemen beschäftigen, Beratungshäuser und Universitäten, die der Weisheit letzter Schluss suchen, nämlich endlich funktionalisieren, was Religion, Psychologie und Philosophie bisher zu vermitteln versuchten.
Werte verkommen dabei zu normativen Regelwerken, ohne grundlegend den Themenkomplex zu berühren. Vereinfacht ausgedrückt, werden Gesetze und Normen formuliert, die es Institutionen ermöglichen zu sanktionieren, was nicht dem Normengefüge entspricht. Wenige nur stellen sich jedoch der Herausforderung, Antworten darauf zu finden, wie denn der Einzelne für sich und im Umgang mit anderen mit Werten umzugehen hat. Wie der Einzelne in der Gesellschaft, in der Politik und vor allem auch in seinem ökonomischen Umfeld, also den unterschiedlichen sozialen Systemen, in denen er lebt und handelt, zu seinem persönlichen Nutzen und dem Nutzen anderer beitragen kann.
Eine eindeutige Definition von Ethik existiert bis heute nicht. Unterschiedliche Modelle machten Ethik zu einem heute nicht greifbaren Begriff mit einem Hauch von philosophischer Abstraktheit, fern von unternehmerischem Handeln. Wir vereinfachen Ethik zu bewusstem Handeln und Entscheiden auf Grundlage tragfähiger Erkenntnisse. Ethik in Unternehmen verstehen wir daher als bewusste Kompetenz der Menschen im Unternehmen, in Balance wert- und werteorientiert zu handeln.

Was sind die Vorteile dieses Konzepts? Für hart gesottene Manager zählen immaterielle oder ideelle Vorteile sicher kaum ... oder setzt bereits ein Umdenken ein?
Natürlich gibt es noch sehr viele Manager, für die nur klingende Münze zählt. Allerdings wird alleine schon der Gesetzgeber, vor allem aber auch die Finanzwelt zum Umdenken zwingen. Nehmen wir Basel II, die Änderungen des Aktiengesetzes, die Bewertungskriterien für Börsengänge oder aber Themenkomplexe wie Corporate Governance Codex. Selbst eine einfache Qualitätsmanagement-Zertifizierung nach DIN ISO oder anderen Normen bewertet heute schon nicht mehr nur ökonomische Aspekte, sondern vermehrt Softfaktoren, Managementprofile und Zukunftsperspektiven.
Allerdings muss man für die Unternehmen und Manager auch einmal den Stab brechen. Sehr viele beschäftigen sich heute schon sehr intensiv auch mit außerökonomischen Aspekten. Sie haben verstanden, dass sich Wert nur aus zielgerichteter Interaktion zwischen Menschen schöpfen lässt. Darüber hinaus entwickeln die Menschen in den Unternehmen und im Markt ein neues Bewusstsein, in dem ihre persönlichen Werte nicht mehr nur nachrangig wichtig sind. Sie formulieren ihre Ansprüche auch gegenüber den Führungskräften. Das dramatisch geänderte Investitionsverhalten und die Börse zeigen auf einfache, aber wirkungsvolle Weise, dass nicht mehr jedem alles geglaubt wird, dass das Vertrauen erst wieder gewonnen werden muss.

Wie ist das Interesse der Unternehmen an diesem Konzept? Welche Argumente kommen bei den Unternehmen, die Sie beraten, besonders gut an?
Grundlegend sind fast alle Unternehmen, die wir ansprechen, sehr interessiert. Sprechen wir aber konkret von Wirtschaftsethik, so werden wir und unser konzeptioneller Ansatz sehr schnell in die Ecke philosophischer oder religiöser Fantasterei verbannt.
Mit werteorientiertem Management und unserer Definition von Ethik haben wir jetzt ein Sprachspiel gefunden, das Unternehmer und Führungskräfte anspricht. Sie können anhand einfacher Praxisbeispiele sehr gut nachvollziehen, worauf wir unsere Wertschöpfungsthese begründen. Durch die zielgerichtete Reflexion ihrer eigenen persönlichen Werte wird das Bewusstsein für Werte und für die soziodynamischen Aspekte in einem Unternehmen und im Markt geschärft.
Vom Grundsatz her argumentieren wir mit relativ einfachen Thesen: Wenn ein soziales Umfeld dazu geeignet ist, den Werten eines Menschen weitestgehend zu entsprechen und diese zu fördern, so erleben wir zufriedene, ausgeglichene, motivierte und engagierte Menschen. Welcher Unternehmer möchte das nicht? Daraus ergibt sich der logische Schluss: Je kompatibler die Werte aller Menschen sind, egal, ob Führungskraft und Mitarbeiter oder Kunde und Lieferant, umso stabiler ist das soziale System "Unternehmen" oder "Markt". Alle ziehen am gleichen Strang und sie verstehen sich beziehungsweise sie achten und respektieren die individuellen Menschen mit ihren ganz spezifischen Werten, Erwartungen, Interessen und Bedürfnissen.
Welch bessere Geschäftsgrundlage kann sich ein Unternehmen wünschen, als Kundenorientierung deutlich zu verbessern, die Beziehung zu Kunden stabiler und tragfähiger zu gestalten, die Attraktion für Produkte, Leistungen und das Unternehmen insgesamt für Kunden zu optimieren?

Hauptargument insoweit ist, dass Unternehmen und Führungskräfte mit

  • klaren Zielen (Corporate Targets - was ist unser Zweck und was sind unsere Ziele?),
  • authentischen Werten (Corporate Codex - worauf kann sich jeder verlassen?),
  • klarer Identifikation (Corporate Identity - wer sind wir?),
  • verantwortetem Handeln (Corporate Culture - wie verhalten wir uns?)

ökonomischen Erfolg maximieren.

Sie schaffen es, ein gut funktionierendes soziales System aufzubauen, in dem Menschen miteinander menschlich umgehen. Sie führen situativ in Kooperation, Delegation oder durch Management by Objectives oder gar autoritär. Sie achten und fördern die individuellen Menschen im gesamten sozialen System "Unternehmen" beziehungsweise "Markt". Sie folgen ihrer Bestimmung, ihren Überzeugungen und nicht Dogmen. Sie schaffen Realitäten durch gemeinsame Erkenntnisfortschritte in einem konstruktiven Miteinander, maßgeblich bestimmt von höheren handlungsleitenden Werten, den einzelnen Menschen in seiner Individualität achtend und wertschätzend.

Oft hat man den Eindruck, dass Wirtschaftsethik mehr die Funktion eines Feigenblatts hat, dass das Image wichtiger ist als das, was bei Ethik-Initiativen wirklich herauskommt. Sehen Sie das ähnlich?
Vom Grundsatz her verkommt Ethik, damit auch Wirtschaftsethik, tatsächlich zu einem Gebrauchsgegenstand, der bei Bedarf gezückt, ansonsten aber gut versteckt wird. Vieles, was heute in dieser Richtung unternommen wird, ist mehr nur Lippenbekenntnis denn tatsächlich verantwortet ethisches Verhalten. Das wird auch die Gesetzgebung nicht ändern.
Nur die Menschen in den Unternehmen selbst haben die Kompetenz und die Macht, hier nachhaltige Veränderungen herbeizuführen. Wissenschaft und Religion wie auch Beratungshäuser und Institute müssen hierzu aber noch einen wichtigen Beitrag leisten, nämlich den Transfer von abstrakten und hochkomplexen Denkmodellen hin zu täglichem Pragmatismus mit einer gewissen Leichtigkeit im Umgang mit Werten in Unternehmen.
Im Übrigen ist das nicht nur unser konkreter Anspruch, sondern auch das erklärte Ziel des Ethikverbandes der deutschen Wirtschaft in Frankfurt.

Wie genau funktioniert "werteorientiertes Management"? Können Sie ein paar Beispiele aus der Praxis von Unternehmen geben?
Werteorientiertes Management ist ein ständiger Prozess der Überprüfung und Anpassung des Wertesystems im Unternehmen und im Markt. Jede Führungskraft muss ständig komplexe Fragestellungen beantworten und entsprechend handeln. Betrachten wir diese Art von Unternehmensführung, so ist auch hier klar zu erkennen, dass es sich um eine dialektische Einheit handelt, wo jede Disziplin auf die jeweils andere einwirkt. Einfach ausgedrückt, und dies kann jeder Manager sicher bestätigen, ziehe ich die eine Schraube an, so geschehen meist unkontrolliert an ganz anderen Stellen Veränderungen.

  • Steigere ich zum Beispiel den Unternehmensgewinn, so ist meist unverständlich, wenn dann Gehaltserhöhungen für die Mitarbeiter verweigert werden. Dramatisch wird das Beispiel, wenn das Unternehmen trotzt Gewinnmaximierung und öffentlicher Zurschaustellung des Erfolges Mitarbeiter entlässt und gleichzeitig aber die Tantiemen oder Gehälter der Führungscrew erhöht.
  • Predige ich als Führungskraft "Teamwork" und bestimme dennoch dogmatisch die Marschrichtung, so ist nicht verwunderlich, wenn nur wenig Innovationskraft und Engagement freigesetzt werden.
  • Ignoriere ich ein konkretes Interesse von Mitarbeitern zum Beispiel nach geregelter Arbeitszeit und führe dennoch versetzte Arbeitszeitmodelle oder Schichtdienst ein, so darf ich mich nicht wundern, wenn Mitarbeiter unzufrieden werden, weil sie ihre Kinder vor dem Zubettgehen nicht mehr sehen oder Ehepartner sich nur noch selten zum gemeinsamen Abendessen treffen, obwohl ihnen die Familie sehr wichtig ist.
  • Wenn das Unternehmen oder die Führungskraft ständig die Wichtigkeit der Mitarbeiter hervorhebt, darf sich niemand wundern, wenn Mitarbeiter dann auch erwarten, konkret gefördert zu werden.

Natürlich unterliegt ein Unternehmen, eine Führungskraft, ständig Sachzwängen, wenn das Budget zum Beispiel knapp wird oder die Unternehmensentwicklung die eine oder andere Aktion nicht erlaubt, wenn kritische Situationen Fokussierung und Priorisierung erfordern. Allerdings gilt es dann, die Betroffenen einzubinden, die Situation zu klären, also klar zu kommunizieren, unter welchen Prämissen ich als Führungskraft eine Entscheidung getroffen habe. Jede Führungskraft, die eben genau dies aktiv bisher getan hat, wird bestätigen können, dass Mitarbeiter diesen Weg meist mitgehen und durchaus verstehen, was erklärt wird, sofern die Erklärung auch tatsächlich tragfähig ist und nicht Werte beziehungsweise ethische Prinzipien verletzt werden. Wird dagegen mit offensichtlichem oder verstecktem Schwachsinn argumentiert, so wird eine Führungskraft genau das Gegenteil erreichen, nämlich die Freisetzung destruktiver Energien bei den Mitarbeitern.
Dieses komplexe System der Führung bezeichnen wir als Managementdisziplin "werteorientiertes Management". Es ist offensichtlich, dass durch formulierte Werte ein positiver Rahmen geschaffen wird. Erst konsequentes werteorientiertes Verhalten jedoch schafft Raum für eine positive Unternehmensentwicklung, für ökonomischen Erfolg durch Werte.

Worauf kommt es bei der Umsetzung besonders an, wo sind die Fallstricke?

  • Erstens klares Commitment und konsequentes Vorleben durch die Unternehmensführung und durch das Management. Das ist eine Kulturfrage im Unternehmen. Unternehmen können sich Mühe, Aufwand, Ärger und vor allem Kosten für Kulturgestaltungsprojekte sparen, wenn die oberste Unternehmensführung nicht im Bewusstsein auch für sie selbst geltender Veränderung konsequent handelt.
    Nichts wirkt sich dramatischer auf das Unternehmen aus als unglaubwürdige Führungskräfte. Was für den Markt gilt, nämlich Integrität und eindeutige Identität, gilt vor allem auch für das Unternehmen selbst in der Innenwirkung hin zu Mitarbeitern und Kooperationspartnern.
    Erfolgreiche Unternehmen differenzieren sich dadurch, dass sie sich nicht nur auf Gewinnmaximierung fokussieren oder die reine Marketing-Kommunikation. Sie betrachten auch andere Aspekte, wie zum Beispiel Corporate Codex, Corporate Culture, Corporate Identity, Corporate Behavior oder Corporate Branding, um sie aktiv auszugestalten.
    Ich möchte hier Professor Guido Palazzo, Universität Lausanne, zitieren:
    "Wer Werte nur als ästhetisches Element seiner Werbe- oder Kommunikationsstrategie missversteht, wird sehr schnell in ein moralisches Dilemma geraten, und moralische Dilemmata bedrohen die Reputation des Unternehmens. Wer die Integrität seines Handelns nicht garantieren kann oder will, sollte die Finger von pathetischen Auftritten lassen.
    Integre Unternehmen verstehen es als Pflicht, die eigenen ethischen Risiken entlang der Wertschöpfungskette zu analysieren und potenzielle Widersprüche zwischen Selbstverständnis und Unternehmensrealität möglichst aufzulösen."
  • Zweitens Funktionalisierung soziodynamischer Aspekte. Werte verkommen zu normativen Regelwerken oder zu Kennzahlensystemen, deren Geltung durch Sanktionen untermauert wird. Nicht Motivation und Selbstverständnis sind der prägende Faktor. Viele Visionen, Ziele und Leitbilder in Unternehmen sind einfach nicht das Papier wert, auf dem sie stehen. Es ändert sich nichts im Bewusstsein der Menschen. Im Gegenteil, für viele Betroffene wird offensichtlich, welche Werte im Unternehmen eher mit Füßen getreten werden, wie wichtig beziehungsweise unwichtig die Mitarbeiter oder Kunden tatsächlich sind!
  • Drittens mangelnde Kommunikation und Integration der Betroffenen. Wer nicht schon zu Beginn von Werte-Projekten klar und zielorientiert kommuniziert, die Betroffenen im weiteren Projektverlauf ständig offen informiert und abholt, wird später wenig Verständnis und Unterstützung durch die Betroffenen erfahren. Häufig bauen sich sogar massive Widerstände auf, die nur mühsam zu überwinden sind. Konsequent ist, schon zu Beginn und im laufenden Projekt die Betroffenen aktiv mit einzubinden und Erkenntnisfortschritte gemeinsam zu erleben. Hierdurch können Nachhaltigkeit und Akzeptanz erzeugt werden.
  • Viertens Ziellosigkeit, Delegation und operative Hektik. Ein werteorientiertes Management zu entwickeln, zu gestalten und einzuführen ist ein komplexes Gestaltungsthema mit signifikanten Auswirkungen auf die Unternehmenskultur. Häufig ist zu Beginn eines derartigen Projektes die Zielrichtung unklar - eher prinzipienorientiert, standardisierungsorientiert, risikoorientiert oder kulturzentriert? Auf welche Handlungsfelder will sich das Unternehmen erstmal konzentrieren, welche Perspektiven gilt es, im Fokus zu betrachten?
    Auch sind derartige Projekte nur dann erfolgreich, wenn die Unternehmensführung eindeutig dahinter steht und Leitbildfunktionen, die Verantwortung, nicht auf die nächste Ebene delegiert werden. Überforderung, Zielkonflikte und letztendlich operative Hektik sind die Folge.

Worauf achten Sie und die anderen atunis-Berater besonders, wenn Sie ein Unternehmen zum Thema werteorientiertes Management beraten? Kommt es stark auf die bisherige Unternehmenskultur an?
Unser Beratungsansatz für ethisches Unternehmertum basiert auf den Grundüberlegungen:

  • Einsicht führt zu Erkenntnissen!
  • Erkenntnisse zu realen Handlungsperspektiven!
  • Handlungsperspektiven bestimmen die Handlungen selbst und deren Wirksamkeit!
  • Wirksame Handlungen bestimmen die Effektivität in Unternehmen!
  • Effektivität ist Grundlage effizienter Wertschöpfung!
  • Effiziente Wertschöpfung schafft ökonomischen Erfolg!

Wichtig für uns ist, auf vorhandene Lösungen, Systeme und Fähigkeiten, vor allem auch auf Basis der gelebten Unternehmenskultur und den Zielen des Unternehmens aufzubauen. Unsere vorrangige Aufgabe ist es, Perspektiven aufzuzeigen und zu dynamisieren. Reflexion ist dabei eine der wichtigen Disziplinen, um dynamische Veränderungen zu begleiten. Auf Grundlage der Reflexionsergebnisse, konkreter Einsicht zu Situationen, vor allem aber auch mit einer Sicht im Management auf die Situation wird das Fundament für nachhaltige Entscheidungen gelegt.
Durch spezifische Methoden der Dialektik, wie Mehrziel-Entscheidungsfindung, Logik, Konstruktivismus und Altruismus wird der Prozess der Zieldefinition bestmöglich unterstützt und Werteorientierung in der Führungspraxis gemeinsam schon im Projekt geübt.

Kann ein solches Management helfen, einige gesellschaftliche Probleme zu mildern? Gibt es ermutigende Beispiele von Public-Private-Partnerships?
Die Wirtschaft, damit alle Anbieter und Nachfrager, stehen stellvertretend für die soziale Marktwirtschaft in Deutschland. Wer sonst außer der Wirtschaft trägt (finanziert) unseren Sozialstaat? Solange Politik und Sozialstaat nicht ökonomisch wirtschaften, sondern ausgabengetrieben die Einnahmen bestimmen, wird die Wirtschaft, neben Kultur und Wissenschaft, die tragende Säule unserer Gesellschaft bleiben. Also hat sie auch eine klare soziale Verantwortung - auch für einige gesellschaftliche Probleme.
Erstens, und dies muss auch eingefordert werden, müssen sich die Unternehmen ihrer sozialen Verantwortung bewusst werden und ihr Handeln danach richten. Sich zurückzulehnen und auf Politik und Gesetzgebung zu warten ist verantwortungslos. Sich der Verantwortung hier in Deutschland zu entziehen und sein unternehmerisches Handeln in das Ausland zu transferieren verlagert nur die Verantwortung von Deutschland nach zum Beispiel Indien oder China. Vielleicht wird für eine bestimmte Zeit auch die Verantwortung geringer, weil die Randbedingungen für das Unternehmen ökonomisch günstiger sind. Aber klar muss sein, wer in Deutschland als Teil der deutschen Wirtschaft aktiv ist, kann sich seiner Verantwortung nicht entziehen. Wer dies dennoch tut, handelt sozial unverträglich.

  • Das Problem der Arbeitslosigkeit ist zum Beispiel eindeutig ein Thema der Beschäftigungspolitik der deutschen Wirtschaft. Kein noch so gutes Anreizsystem der Politik kann der Wirtschaft diese Verantwortung nehmen.
  • Das Thema des Wohlstandes der deutschen Bevölkerung ist eindeutig ein Thema der Wirtschaft, nicht der sozialen Absicherung durch den Rechtsstaat.
  • Konjunkturflaute oder Hype sind Themen der Wirtschaft und nicht staatliche Manipulation ökonomischer und außerökonomischer Wirkprinzipien in marktwirtschaftlichen Systemen.
  • Mittelverwendung wie auch Mittelverschwendung sind Themen der Wirtschaft. Ökologie ist ein Thema der Wirtschaft, nicht von Institutionen wie Greenpeace oder Bund Naturschutz oder gar der Politik.

Unternehmen, die sich mit Werten und dem eigenen verantworteten Handeln konsequent beschäftigen, leisten aber noch an vielen anderen Stellen einen wichtigen und wertvollen Beitrag für unsere Gesellschaft. Ein menschlicheres Miteinander in den Unternehmen bewirkt, dass sich diese Menschen in ihrem gesamten Umfeld sozialer verhalten. Verantwortlich handelnde Unternehmen geben Vertrauen in die Zukunft, sie schaffen Räume, wo sich Menschen befreien und entfalten können.
Unternehmen, die sich bewusst mit Werten und Ethik beschäftigen, engagieren sich übrigens häufig über die Unternehmensgrenzen hinaus, unterstützen Stiftungen, Krankenhäuser, Forschungsförderung, Kindergärten. Oder das konkrete Beispiel von Unternehmens-Universitäten, von Siemens, von VW. Hier wird Verantwortung für die Gesellschaft, für den Bereich Kultur übernommen. Und diese Unternehmen sind meist wirtschaftlich dennoch sehr erfolgreich, obwohl sie sich nicht unerheblich außerökonomisch engagieren.

Wie lange wird es Ihrer Meinung nach dauern, bis eine ethischere, werteorientierte Art des Wirtschaftens sich durchgesetzt hat - und bis das Image der Wirtschaft sich wieder von den diversen Skandalen erholt hat?
Eigentlich hat sich bereits eine ethischere beziehungsweise werteorientierte Art des Wirtschaftens durchgesetzt. Themen wie Corporate Governance, Customer Satisfaction, Kommunikation im Unternehmen, Balanced Scorecard und so weiter betreffen Werte, Verantwortung, handlungsleitende Prinzipien. Warum es jedoch so vielen schwer fällt, das Ganze auch einmal unter dem Begriff "Ethik" darzustellen, ist nicht nachvollziehbar. Mit einer beneidenswerten Professionalität bedienen die Wissenschaft, die Beratungshäuser und Institutionen den Markt mit ständig neuen Begriffen und neuen Interpretationen von ethisch verantwortetem Unternehmertum.
Betrachten wir das Image der Wirtschaft, so zeigt sich ein verzerrtes Bild der Realität. Absatzorientiert beschäftigen sich die Medien vorrangig mit Katastrophen und Hiobsbotschaften. Das gilt gleichfalls für die Wirtschaftsberichterstattung. Daher ist es nicht verwunderlich, dass einzelne Krisen oder Verfehlungen so in den Vordergrund gerückt werden, dass der Eindruck entsteht, die Wirtschaft beziehungsweise die gesamte Führungselite sei nur auf ihr persönliches Wohl fokussiert - Lug und Trug sei an der Tagesordnung. Genau dies trifft so aber nicht zu. Es sind mehr die Ausnahmen, die hier zur Regel gemacht werden. Die vielen positiven Beispiele engagierter, integrer Unternehmen verlieren zu Unrecht an Bedeutung.
Auch darf nicht vergessen werden, dass nicht nur die Politik, die Gesellschaft oder die Wissenschaft einem dramatischen Paradigmenwechsel unterliegen, sondern auch die Wirtschaft. Für die Unternehmen ist es ständig schwieriger geworden, sich schnell genug dem Wandel anzupassen und sich in dem Strudel staatspolitischer, sozialer und finanzpolitischer Desaster erfolgreich zu behaupten. Keine leichte Übung.
Fazit ist, die Wirtschaft ist besser als ihr Ruf. Sie sollte es auch zeigen und tagtäglich beweisen. Zufriedene Mitarbeiter oder Kunden, die sich ökonomisch wie auch sozial entfalten können, werden sich durch die wenigen Skandalfälle nicht von ihren Überzeugungen abbringen lassen. Sich nicht erwischen zu lassen oder gar nur der Minimalanforderung gerecht zu werden, nämlich keinen Skandalfall zu schaffen, reicht allerdings nicht aus. Um ein positives Image und stabile Überzeugungen zu schaffen, müssen die Unternehmen aktiv ein menschlicheres, werteorientiertes Umfeld gestalten.
Wirtschaftsethik ist insofern nicht nur notwendig, sondern auch profitabel. Von einer reflektierten und methodisch kontrollierten Wirtschaftsethik profitieren die Unternehmer, die Menschen in den Unternehmen, der Markt und die gesamte Gesellschaft.

Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.

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Nina Hesse

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