Arbeit = Spiel?

Living at Work-Serie | Folge 24 | - Birger P. Priddat über Kompetenzen für das 21. Jahrhundert.

Arbeit ist nicht mehr das, was sie mal war. Sie verknüpft sich mit dem Spiel, bekommt dadurch neue Dimensionen. Agil manövrieren sich heutige Wissensarbeiter durch Interaktionen, deren Resultate nicht vorhersagbar sind, arbeiten auf neue Art mit Kunden, Kollegen, Mitarbeitern anderer Unternehmen zusammen.

Arebeyt bedeutet altdeutsch: Mühe, Last (wie auch das griechische ponos). Im Buch Mose wird die Arbeit als Fluch bezeichnet. Man arbeitete, um zu leben. Das Ideal des griechischen Adels hingegen war Arbeitslosigkeit. Ihre "Muße" war nicht untätig, sondern galt "höherer Tätigkeit": Bildung, Politik, Gespräch, Philosophie. Zwischen diesen beiden Polen entwickelte sich das abendländische Arbeitsverständnis, in der Neuzeit geheiligt bis hin zur Arbeitstugend, der bürgerlichen Form des Selbstbewusstseins. Adam Smith sortiert in seinem Werk Wealth of Nations die produktiven von den unproduktiven Klassen, die bürgerlichen Wertschöpfer vom parasitären Adel. Deshalb wurde Wealth of Nations zur Bibel des säkularisierten Bürgertums, das seine Arbeitswertlehre und seine Kapitalakkumulationstheorie als Zivilisationsfortschritt begriff. Seither wird die Arbeit neu differenziert:

  • in die Dimension der Arbeit als ausführende Herstellung von etwas und zugleich als Erwerbsquelle;
  • in die Dimension der Arbeit an sich selbst, der Bildung;
  • in die Dimension der Arbeit als Kommunikation mit anderen - mit Kollegen, mit Kunden und Mitarbeitern anderer Unternehmen.

Die erste Dimension ist in der Neuzeit entfaltet worden: bei John Locke ("Arbeit als Eigentumserwerb") und bei Adam Smith ("productive labour" als wertschöpfende Produktion). Sie verstanden Arbeit zum einen als Transformation von Natur in Wertform, später in Nutzen: Arbeit schafft Wert durch die Leistung selbst und damit Einkommen.
Die zweite Dimension ist im 19. Jahrhundert betont worden. Nun galt, dass die Arbeit den Arbeitenden auch für sich selbst bilden müsse. Zuerst wurde das von Hegel und Marx als philosophische Anforderung formuliert, später diente es als Argument für die sozialreformerische "Humanisierung" der Industriearbeit, zuletzt wurde es zur praktischen Anforderung der Qualifizierung. Arbeit schafft Kompetenz.
Die dritte Dimension, die komplexeste der drei, ist erst im späten 20. Jahrhundert hinzugekommen: Kooperation und Kommunikation. Diese Dimension eröffnete sich erst, nachdem die hierarchisch-arbeitsteilige Produktion an Grenzen stieß. Wir befinden uns heute inmitten dieses Prozesses der Transformation der industriellen Ökonomie in eine Wissensökonomie, die über die neuen Kommunikationstechnologien die Virtualisierung der Organisationen und damit der Arbeit vorantreibt - Arbeit schafft Kommunikation. Jetzt - im 21. Jahrhundert, zugleich im 3. Jahrtausend - kommt eine vierte Dimension hinzu, deren Valenz wir gerade erst zu entdecken beginnen: dass die Arbeit eine offene Beziehung zum Spiel hat.

Die vierte Dimension der Arbeit.


Das klingt verwegen, wird aber sogleich einsichtig, wenn wir die Arbeit in der Wissensgesellschaft mit Entrepreneurship, Flexibilität und hoher Anpassungsintelligenz verbinden. Arbeit bekommt Spielcharakteristika, wo sie nicht mehr als festgelegte Aufgabe - in einer hierarchischen Organisation - ausgeführt werden soll, sondern wo sie in den lernenden Prozessen die Arbeitenden ihre Kompetenz immer wieder neu entwickeln lässt, und wo sie in den interaktiven Prozessen der Kooperation und Kommunikation ihr Ergebnis erst finden muss. "Spielerisch" - nicht "verspielt" - sich in Interaktionen einzulassen, deren Resultate nicht vorhersagbar sind, fordert neue Kompetenzen, die man als "kreativ" oder "innovativ" bezeichnen könnte. "Das Unerwartete managen" nennen es K. E. Weick und K. M. Sutcliffe und betonen, dass man auf diese Weise Leistung in einer komplexen Welt sicherstellen kann.
Systematisch bezeichnet die vierte Dimension der Arbeit, dass sich die Arbeit in der Wissensgesellschaft immer wieder neu erfinden muss. In der Relation zum Spiel wird die Riskanz sichtbar, in die diese offene Form der Arbeit kommt. Sie ist keine unnötige Beschränkung, sondern der Raum der Selbsttätigkeit und Erfindungen, der geöffnet sein muss, um den sich ändernden Marktanforderungen gerecht zu bleiben. Arbeit ist kein Ausführungsschema in strikt hierarchisch bestimmten Organisationen mehr, sondern eine Kompetenz, neuen Situationen gegenüber gelassen zu reagieren und sie zu gestalten.

Alles muss neu interpretiert werden.


Wert, Kompetenz, Kommunikation und Spiel sind die wichtigen Dimensionen der Arbeit im jetzigen Übergang. Im Wert wird das Resultat der Arbeit benannt, in der Kompetenz die Voraussetzung, wenn Arbeit gelingen soll, in der Kommunikation Interaktion und soziale Anerkennung, und im Spiel die Offenheit der Arbeitsprojekte, ihr optionaler Charakter.
Indem das Spiel ins Spiel kommt, bleiben die ersten drei Dimensionen der Arbeit zwar vollständig erhalten, werden aber neu interpretiert:

  • Die Kommunikation/Spiel ist - aus der neuen Perspektive der Spiel-Arbeit-Relation - kein reines Informationsgeschehen mehr, sondern eine Erörterungsarbeit, in der zwischen Mitarbeitern, Kunden und Externen gemeinsam festgestellt und begründet wird, was jeweils zu tun ist. Dazu gehören Prozesse wie "prosuming" (Mitarbeit der Kunden bei der Leistungserstellung) und der ganze Komplex der sich erst zu entfalten beginnenden "Kundenintegration".
  • Die Kompetenz/Spiel ist nicht mehr nur eine Eingangsbedingung, um eine Arbeit ausführen zu können, sondern ein fortwährender Lernprozess, der sich durch das spielerische Riskieren/Probieren und durch die kommunikative Erörterung verändert.
  • Der Wert/Spiel der Arbeit wird schlicht dadurch neu bestimmt, dass die Herstellung von etwas nicht allein durch definierte Arbeitsprozesse geschieht, sondern durch zum Beispiel die Kooperation von "Kunden", die traditionell für die gesamte Arbeit zahlen. Wie aber wird eine Arbeit bewertet, an der die Kunden mit-gearbeitet haben? Bewertet wird nun auch die Motivation desjenigen, der arbeitet: die neuen friendly workers sind Zu-Arbeiter statt Ab-Arbeiter.

Erst wenn die einzelnen Arbeiter und Angestellten - diese Unterscheidung wird hinfällig werden - die Arbeit als Nexus von Wert, Kompetenz, Kommunikation und Spiel zu betrachten gelernt haben, wird sich die industriegesellschaftliche Trennung von Arbeit und Leben wahrhaft aufheben.

Das Jahrhundert des Human Capital.


In der Wissensökonomie, die eine Ökonomie der Netzwerke, virtuellen Unternehmungen und schnellen Wechsel ist, verschwindet die Ressource "lebenslanger Beruf". An ihre Stelle tritt kein Gewährleistungsersatz, keine neue institutionelle Sicherung, sondern die Ökonomie stellt um auf Attraktivität und Agilität, auf adaptive Intelligenz und Kommunikation - neu organisiert in schnell sich wandelnden virtuellen Netzwerken. Die neuen Formen der Arbeit lösen die konventionellen Arbeitsbeziehungen und -erwartungen auf. Aus der Mühe und Last, der abendländischen Schwere der Arbeit erwachsen wir in eine Arbeitswelt, die Intelligenz und Lust neu verbindet. Dem muss sich die Form der Organisation der Unternehmen anpassen, um für diese new high-level-workers attraktiv zu bleiben. Das 21. Jahrhundert wird das Jahrhundert des human capital.
Das mag utopisch klingen angesichts der Strukturprobleme des aktuellen Arbeitsmarktes. Aber zum einen haben wir trotz der diversen Hartz-Modelle keine erhöhte Flexibilität erreicht. Die Immobilität der Arbeit in Deutschland ist ein hoher Sozialkostenfaktor. Zum anderen ist ein Teil der Arbeitslosigkeit ein Transformationsdefekt: Im Übergang zur Wissensgesellschaft produziert die auslaufende Industriegesellschaft noch zu viele Kompetenzen, die in Zukunft nicht mehr gebraucht werden. Noch immer werden hierzulande Bergleute ausgebildet! Letztlich liefert das Bildungssystem nicht das human capital, das sich selber intelligent einsetzen und in Wissensökonomien bewegen kann. Die Zukunft der Arbeit ist - zu einem guten Teil - an die Gegenwart der Bildungsinvestitionsentscheidungen geknüpft.

Übersicht aller bereits erschienenen Beiträge der "Living at Work-Serie".

English version: PDF-File.

Birger P. Priddat ist Professor am Lehrstuhl für Volkswirtschaft und Philosophie der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft der Universität Witten/Herdecke. Er ist unter anderem Autor der Bücher Arbeit an der Arbeit und Nachlassende Bildung.

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Vom 19. bis 23. Oktober 2004

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