Bücher zu verlegen und Ideen unters Volk zu bringen ist für Gabriel Zaid das größte Abenteuer von allen. Dabei stehen Kultur und Kommerz für ihn in keinerlei Widerspruch. Im Gegenteil: Genüsslich mokiert er sich über die Heuchelei der "erlauchten Riege der Cognoscendi", die kommerziellen Erfolg misstrauisch beäugt und freimaurerische Zirkel bildet, in denen Hochkultur von Ohr zu Ohr weitergeraunt wird. Handel - und der Handel mit Büchern besonders - ist für Zaid immer mehr als der Tausch einer Ware gegen Geld: Handel ist ein Dialog zwischen Anbietern und Käufern, ist Kommunikation und Austausch. Der Handel mit Büchern und Wissen ist Voraussetzung für jede demokratische Gesellschaft, er stellt für Zaid eine Befreiung von der Macht der Heiligen Bücher und der Eliten dar, die ihr Geheimwissen an Auserwählte weitergeben.
Die Zielgruppe fest im Griff.
Zaid verwendet keine modischen
Begriffe wie Service- oder Kundenorientierung, doch im Grunde
handelt sein Buch von nichts anderem. Aufgabe der Verlage und der
Buchhandlungen sei es, ihren Kunden eine Auswahl aus der schier
überwältigenden Flut von Wissen und Büchern anzubieten. Die
wachsende Macht der Konzernverlage und Buchhandelsketten sieht er
gelassen: Sie seien wie Ramschläden, in denen man zwar alles
geboten bekommt - aber wer habe schon die Zeit, danach zu suchen?
Gesunden Erfolg wird nur der Verleger und der Buchhändler haben,
der mit Leidenschaft für seine Zielgruppen Themen setzt. Eine
klare Programmstruktur ist dabei eine unschlagbare
Dienstleistung.
Zaids Ideal ist der Verlag, der seine Zielgruppe
gewissermaßen schon im Adressenverteiler hat. Wie das Prinzip
funktioniert, zeigt Zaids Verlag IBCON auf ganz besondere Weise.
Seit rund 25 Jahren stellt IBCON Adressenverzeichnisse für
Anwälte, Bibliotheken oder Außenhandelsfirmen her, zunächst
gedruckt, seit einigen Jahren auch auf CD-ROM. Bei IBCON sind
Adressenverteiler und Produkt sogar identisch.
In anderen Wirtschaftsbereichen haben sich solche
Erkenntnisse längst herumgesprochen, doch gerade in Deutschland
halten noch viele Verlage und Buchhandlungen gern am Prinzip des
Gemischtwarenladens fest. Und gehen dann in Schönheit zugrunde,
wie so mancher Buchladen, der sich im Namen des "guten Buches"
weigert, die Wünsche seiner Kunden ernst zu nehmen. Oder sie
werden von ihrem eigenen Gewicht erdrückt wie ein gestrandeter
Wal, wie zurzeit am Bertelsmann Buchclub zu beobachten. Die
Krise, von der alle so gern reden, erreicht nur die, die ihre
Kunden nicht ernst nehmen. Doch auch in Deutschland muss man
nicht weit schauen, um zu sehen, dass Erfolg hat, wer sich auf
den Dialog mit seinen Kunden einlässt: Der Mare-Verlag hat mit
erstaunlichem Erfolg eine ganz besonders ausgefallene Nische
erobert. Der im vergangenen Jahr gegründete Murmann-Verlag hat
mit seinen anspruchsvollen Sachbüchern gute Aussichten, eine
ernst zu nehmende Größe als Verlag für Wirtschaft und Management
zu werden. Und so mancher Buchladen mit Café und einer kleinen,
aber an den Interessen seiner Leser orientierten Auswahl von
Titeln, hält sich auch in unmittelbarer Nachbarschaft zu den
großen Ketten.
Das Medium Buch ist für Zaid geradezu ideal, um noch
kleinste Interessengruppen zu erreichen. Welches andere Produkt
kann man schon mit einer Stückzahl von 3.000 (und mit Printing on
Demand sogar schon wenigen Hundert) Exemplaren wirtschaftlich
rentabel produzieren? Das Internet, das viele als Tod des Buches
fürchteten und feierten, sieht Zaid übrigens keineswegs als
Gefahr für den Buchmarkt. Projekte wie Wikipedia oder das Project
Gutenberg eröffnen einmalige Möglichkeiten, Wissen im
gesellschaftlichen Dialog zu halten. Amazons heftig umstrittenen
neuen Service, der Kunden erlaubt, Leseproben herunterzuladen,
hält er für genial und glaubt, dass damit eher mehr als weniger
Bücher verkauft werden. Überhaupt sei Amazon nicht etwa durch
seine riesige Auswahl so erfolgreich, sondern durch
Glaubwürdigkeit und Service, und weil er seinen Kunden
Möglichkeiten bietet, ihre Meinungen kundzutun und in Dialog
miteinander zu treten. Daran, so Zaid, nicht an der Menge der
Bücher, müssen sich Buchhandlungen messen lassen.
Hang zum Selbstmitleid.
Zaids Buch ist ein lehrreicher, manchmal polemischer und immer unterhaltsamer Streifzug durch die Welt der Bücher, in dem praktische Hinweise für Verleger und Buchhändler genauso ihren Platz haben wie provozierende Überlegungen zum Buchmarkt. Als würde er den deutschen Verleger oder Buchhändler kennen, schreibt er, Buchmenschen "haben traditionell einen ausgeprägten Hang zum Selbstmitleid und stimmen selbst dann Klagelieder an, wenn alles zum Besten steht". Wie schön, dass Zaid sich selbst nicht daran hält und ein Buch geschrieben hat, das Lust darauf macht, sich mitten hinein ins Getümmel zu stürzen und selbst einen Verlag zu gründen.
Jürgen Neubauer ist Übersetzer von So viele Bücher! und hat Gabriel Zaid in Mexiko Stadt zu einem Gespräch getroffen.
Gabriel Zaid:
So viele Bücher!
Erstaunliches, Kurioses und Nachdenkliches rund ums
Lesen,
Campus Verlag, Frankfurt/New York 2004,
142 Seiten, 14.90 Euro,
ISBN 3-593-37656-3
www.campus.de
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Zum Buch
Gabriel Zaid: So viele Bücher! . Erstaunliches, Kurioses und Nachdenkliches rund ums Lesen.. Campus Verlag, Frankfurt/New York 1900, 142 Seiten, ISBN 3-593-37656-3
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