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In Ihrer Einleitung zur Festrede von Dr. Thomas Middelhoff
anlässlich des Starts der Gründungsphase des
Instituts für Corporate Governance sagten Sie, dass das
Institut einen neuen Ansatz in der Erforschung der Corporate
Governance verfolgt, der sich mit drei Wörtern darstellen lässt:
Leadership, Ethik und Kultur. Was verbinden Sie mit diesem
Dreiklang?
Genau in diesem Spannungsfeld liegt die zukünftige
Herausforderung der Corporate Governance, sei es in
Wirtschaftsunternehmen, in Kliniken oder auch in NGOs. Überall, wo
Führung und Aufsicht, also Leadership, eine wesentliche Komponente
darstellen, werden wir um die Einbeziehung von Ethik und Kultur
nicht umhinkommen. Und das ist auch gut so. Denn Ethik und Kultur
sind ganz entscheidend bei der Frage, wie die Organisation Führung
und Aufsicht lebt. Ethik und Kultur sind eben die prägenden
Parameter, um die es geht. Nehmen Sie zum Beispiel einen
börsennotierten Konzern und eine Universität: Beide werden geführt
und beaufsichtigt, aber eben nicht in gleicher Weise. Entscheidend
ist deshalb: Wenn wir die Corporate Governance weiterentwickeln
möchten, müssen wir sie um die Felder Ethik und Kultur erweitern.
Dieses Spannungsfeld ist einmal aus Sicht der jeweiligen
Organisation wichtig, aber auch für die gesamte Gesellschaft, der
Res publica. Wir müssen dieses genuin
betriebswirtschaftlich-juristische Thema anders anpacken, sonst
drehen wir uns im Kreis.
Fast jeden Monat erfahren wir eine neue Hiobsbotschaft, eine neue Unternehmenskrise, wenn nicht zumindest einen Unternehmensskandal. Sei es bei VW, Siemens, Airbus oder wie jüngst im Kartell der Aufzughersteller, alle diese Krisen und Skandale haben eines gemein: Es sind eindeutig Probleme der Corporate Governance! Oft versagen Führung und Aufsicht in dem, was sie ganz grundsätzlich und kategorisch tun sollten: gut führen und gut beaufsichtigen, zum Wohle des Unternehmens - und zwar langfristig! Doch den Akteuren allein kann man die Schuld nicht geben. Vielmehr ist es ein über Jahre gewachsenes System und Verständnis, das diese Probleme maßgeblich verursacht. Nehmen wir beispielsweise die kulturelle Prägung hier in der Bundesrepublik, die das Aufsichtsratsmandat als eine Form des Ehrenamts begreift. Genau das macht uns arg zu schaffen. Denn es behindert eine professionelle Aufsicht, die ja übrigens auch dafür verantwortlich ist, eine leistungsstarke Führung zu benennen, sie einzusetzen und sinnvoll zu beraten - und notfalls eben auszutauschen. Also: Schlechte Aufsicht führt ganz unmittelbar und direkt zu schlechtem operativem Management des Vorstands.
Das Aufsichtsratsmandat wird sukzessive erheblich aufgewertet, aber dies natürlich auch versehen mit einem deutlich höheren Leistungsanspruch an das Gremium und deren Mitglieder. Dieser Druck wird verursacht durch eine neue Generation von Anteilseignern in der Bundesrepublik - zum Beispiel langfristig orientierte Pensionsfonds oder Private-Equity-Gesellschaften.
Wir brauchen eine viel professionellere Einstellung zur Aufsicht, das Selbstverständnis der Aufsichtsräte als ehrenamtliche Kontrolleure ist schlichtweg nicht mehr zeitgemäß und schadet unserem Wirtschaftsstandort.
Die Überforderung der Aufsichtsräte wird immer deutlicher. Das Organ wird wichtiger in seiner Rolle und Funktion, und Gleiches gilt für die Mitglieder: Sie müssen professioneller werden. Weg vom Bild des Ehrenamts, hin zum Berufsaufsichtsrat. Wir werden immer öfter Zeugen davon, wie Aufsichtsräte eben nicht zum Wohle des Unternehmens agieren. Hier ist natürlich meist kein Vorsatz zu erkennen, sondern mangelnde Effizienz und Leistungsstärke im System. Bis heute haben wir keine Qualifizierung oder Ausbildung für diese Aufgabe. Auch das muss in den kommenden Jahren geschaffen werden. Das Postulat, die Arbeit im Vorstand qualifiziere einen per se, stammt eben noch aus Zeiten der Deutschland AG. Zweifelsohne können Erfahrungen in höherer Managementfunktion hilfreich sein, sind aber eindeutig nicht das entscheidende Kriterium. Vor allem, und dieser Punkt wird immer unter den Tisch gespielt, ist die Aufgabe im Aufsichtsrat eine völlig andere als im operativen Vorstand. Daher bedarf es auch ganz anderer Anforderungen an jene Personen, die ein Aufsichtsratsmandat übernehmen. Dies ist wohl auch eine der entscheidenden Fragen, der wir uns zukünftig widmen müssen: In Deutschland gibt es bisweilen noch kein klares Bewusstsein darüber, wie und was die Aufsichtsräte leisten - und hierfür natürlich dann auch mitbringen sollen.
Mein Plädoyer an dieser Stelle wäre: Souveränität - der Aufsichtsrat darf sich nicht mit dem Ansinnen des Vorstands gemeinmachen! Souverän differenzieren kann eben nur, wer sich nicht in einem Netz von wechselseitigen Abhängigkeiten verstrickt weiß. Hinzu kommen Mut und Neugier - vor allem auch, unbequeme Fragen zu stellen, wenn nötig. Nicht zuletzt Unabhängigkeit - diese erscheint mir bei einem direkten Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat übrigens fraglich. Um Interessenkonflikte zu vermeiden, ist Transparenz im Verhältnis der Aufsichtsratsmitglieder untereinander und zum Unternehmen unbedingt notwendig. Urteilskraft, beruhend auf Erfahrung und Sachkenntnis. Schließlich Vertrauen - denn bei noch so intensiver Aufsicht und Kontrolle muss in der Ausübung ein immer noch größeres Vertrauen zugrunde gelegt werden. Es geht also um sehr grundlegende Fähigkeiten, die geübt sein wollen und ein elementares Bildungsphänomen beschreiben. Dazu gehört aber nicht zuletzt auch das betriebswirtschaftliche Handwerk: eine Bilanz zu entschlüsseln und zu interpretieren, eine Unternehmensstrategie zu hinterfragen und zu reflektieren. Auch darum soll es bei vielen Aufsichtsräten nicht sonderlich gut bestellt sein, wie Experten behaupten.
Aber ich möchte noch einen Schritt weiter gehen. Im Rahmen der Corporate-Governance-Debatte müssen wir die ethische Perspektive wieder mit in die betriebswirtschaftliche Auseinandersetzung einbeziehen! Wofür steht das Unternehmen? Reicht Shareholder-Value aus? Oder müssen wir noch weitere Aspekte einbeziehen? Ich bin ausdrücklich gegen eine kodifizierte Beantwortung dieser Frage, aber sie muss diskutiert werden - und zwar im Aufsichtsrat eines jeden Unternehmens! Und durch die Frage, welches Management eingesetzt wird, welche langfristige Strategie das Unternehmen verfolgt, welche Dividende ausgezahlt wird und so weiter, nimmt der Aufsichtsrat ganz fundamentalen Anteil an der Entwicklung und Durchsetzung der Normen und ethischen Konzeption der Unternehmung. Und diese müssen sie vor allem gegenüber sich selbst, aber nicht zuletzt gegenüber der Res publica, in der das Unternehmen wirkt, verantworten.
Ergo: Wir brauchen starke, souveräne Aufsichtsräte - sowohl strukturell als Organ einer AG wie auch in den einzelnen Persönlichkeiten, die ein solches Mandat tragen. Und wir müssen sie dazu ausbilden. Andere Länder, wie zum Beispiel Großbritannien, Südafrika oder Neuseeland, sind hier schon sehr aktiv. Wir sollten uns an ihnen ein Beispiel nehmen, die Frage der Bildung nicht hochnäsig beiseitezulegen, sondern neugierig und offensiv anzugehen.
Das ist sehr philosophisch, aber bestimmt wahr. Platon sagt hierzu: "Jedes Führen anderer impliziert, dass man sich selber führen kann und man sich souverän gegenüber sei." Ein herausragender Professor meiner Universität, Jürgen Werner, meinte hierzu: "Die Souveränität über sich selbst schließt ein eine Vertrautheit mit den kulturellen Bedingungen der Organisation und deren Menschen, zu denen Selbstvertrauen und Selbstgewissheit, Autonomie und Neugier, Mut und das Talent, anfangen zu können, genauso zählen wie die Fähigkeit, nicht nur mechanisch kommunizieren zu können, den Willen klar zu artikulieren und ihn überzeugend durchzusetzen, und nicht zuletzt dialogoffen zu denken."
Mit kreativem Denken und Mut schafft Middelhoff Werte fürs Unternehmen - oder ganz konkret: Der Verkauf der Immobilien war eine kreative Entscheidung, um Handlungsspielraum zu schaffen. Aber Kreativität alleine reicht noch nicht. Erst der Mut und das Vertrauen, das Dritte in einen setzen, machen es möglich, wertschöpfend tätig zu sein.
Weil der Mensch von seinem Wesen her - also wesentlich - ein Neugieriger ist. Er will explorativ die Welt erkunden. Die gesamte Menschheitsentwicklung beruht auf Kreativität - und natürlich auch auf Zufall. Daher gilt: Wenn sich Gesellschaften oder Unternehmen weiterentwickeln wollen, ganz alleine schon des Überlebens willen, dann müssen sie der Kreativität entsprechende Räume geben, sich entfalten zu können. Wird diese Ressource behindert, so stirbt das Unternehmen - oder die Gesellschaft - über kurz oder lang.
Nein, sie sind nicht nur "kreativ" tot, sondern ganz dinglich tot. KarstadtQuelle wäre ohne kreative Ansätze heute sicher nicht in der vorzüglichen Ausgangssituation, in der es ist, sondern schlichtweg insolvent und damit tot. Es ist eben eine Frage der Unternehmenskultur, wie mit Krisen umgegangen wird, und es beschreibt damit vorzüglich die jeweilige Corporate Governance. Eine kreative Lösung heißt im Fall KarstadtQuelle ganz konkret: Überleben!
Ich gebe ein paar Stichworte, was sie tun müssen: Neugier behalten. Kreativ agieren. Mutig handeln. Empathie entwickeln. Freiräume und Fehler zulassen und nicht unterdrücken - sonst bleiben all die Neugier, Kreativität und der Mut ohne Initiative, und somit ohne Ergebnis. Und ganz wichtig: Vertrauen durch Handlungen schaffen, nicht durch Erklärungen oder Absichten. So kann man neue Märkte entdecken und in ihnen erfolgreich agieren. Das bedeutet: Die Akteure müssen diese Attribute leben.
Was die Corporate Governance betrifft: Die Grundlage des ethischen Handelns des Unternehmens muss geklärt sein! Und nicht bloß "er-klärt", sondern "ge-lebt"! Die Führung - also Vorstand und Aufsichtsrat - agieren als Vorbilder. Das muss den Akteuren klar sein und sie in dieser Weise betroffen machen. Nach wie vor gilt: Der Fisch stinkt immer vom Kopf zuerst. Daher plädiere ich für leistungsstarke Aufsichtsräte, die ein professionelles Management einsetzen, die also meine oben genannten Punkte erfüllen. Das ist eine große Herausforderung für den Aufsichtsrat!
Somit bringe ich es auf die Formel: Eine Corporate Governance, die sich mit Leadership, Kultur und Ethik beschäftigt, wird den Unternehmenswert langfristig steigern. Denn nur souveräne Persönlichkeiten in Strukturen mit klaren Spielregeln lassen die unternehmerische Freiheit entstehen, um wertschöpfend tätig zu sein!
KarstadtQuelle AG
Dr. Alexandra Hildebrandt
KarstadtQuelle AG Kommunikation Gesellschaftspolitik
Theodor-Althoff-Straße 2
D-45133 Essen
Tel.: +49 (0)201/727-96 62
Fax: +49 (0)201/727-69 96 62
E-Mail: alexandra.hildebrandt@karstadtquelle.com
Web: www.karstadtquelle.com
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