Stätte der Begegnung
Ein Gespräch mit Reinhard Schwarz über XENIA - ein Leitkonzept für komplexe Innovations- und Veränderungsprozesse.
Fusion gescheitert. Mitarbeiter lehnen IT-System ab. Neues Produkt kommt zu spät auf den Markt. Forschungsergebnisse zeigen: Über 70 Prozent aller betrieblichen Veränderungsprozesse bringen nicht den gewünschten Erfolg. Somit ist die Fähigkeit, Veränderungen in Unternehmen kompetent und ergebnisorientiert zu managen, ein wichtiger Wettbewerbsfaktor. XENIA ist eine Methode, Unternehmen und kommunale Organisationen bei Change-Projekten zu unterstützen.
Reinhard Schwarz ist Leiter des Lern- und Innovationsprojekts XENIA und Mitglied des People Excellence/Culture Change Teams von Siemens Business Services.
Wenn man sich hier in München-Perlach im "Atelier für
Innovatoren" von Siemens Business Services umsieht, hat man
spontan den Eindruck: "Hier komme ich gerne her und arbeite
gerne" - ist das der Hauptansatz Ihrer XENIA-Methode?
Nicht der Hauptansatz natürlich, aber eine von zwei
wichtigen Dimensionen: Das Konzept von XENIA, dieser von uns
entwickelten Moderationsmethode, berücksichtigt, dass die
Arbeitsumgebung, das Ambiente, menschengerecht und nicht nur
funktional zu sein hat, wenn man will, dass Menschen kreativ
sind. Denn Kreativität, Mut zum Wandel und der Wille zur
Zusammenarbeit werden in Zeiten der ständigen Veränderung für
Unternehmen überlebenswichtig.
Das ist wahr, und dem wird wohl niemand widersprechen.
Widersprechen nicht, aber es wird auch nicht sonderlich
ernst genommen. Das kann man leicht an der
Investitionsbereitschaft ablesen: Die Arbeitsumgebung steht nicht
besonders hoch auf der Prioritätenliste. In 90 Prozent aller
Fälle sind Besprechungs- und Workshopräume gerade mal so groß,
dass jede Person einen Sitzplatz mit Tisch für Unterlagen und
Kaffeetasse hat. Schon ein Platzwechsel ist ein Problem, weil man
sich zwischen Wand und den Kollegen durchschlängeln muss. Man hat
den Eindruck, dass diese Räume übrig geblieben sind, als Büro
nicht taugen, aber als Kopiererraum zu schade sind, weil sie
Fenster haben.
Ich habe aber schon sehr großzügige Besprechungsräume
gesehen.
Natürlich gibt es die. In den Managementetagen schaut es
besser aus, da werden schließlich Besprechungen mit Kunden
gehalten. Allerdings sind diese Räume meist so edel, die Tische
so unverrückbar, dass man sie als Workshopraum schlecht verwenden
kann.
Sie workshoppen gerne?
Wie gesagt, es ist für Unternehmen überlebenswichtig, sich
notwendigen Veränderungen zu stellen. Das gelingt ihnen nur, wenn
sie Mitarbeiter rechtzeitig ins Boot holen. Dazu muss man diese
zu Workshops zusammenrufen. Für mich ist es bei Workshops immer
wieder faszinierend zu beobachten, wie viel kreativer die
Menschen werden und wie sehr ihre Bereitschaft steigt, das
gemeinsam Erarbeitete auch umzusetzen.
Und das allein wegen des ansprechenden Ambientes?!
Nicht nur deswegen. Wie erwähnt, macht die Arbeitsumgebung
nur eine der zwei besonderen Dimensionen des XENIA-Konzepts aus.
Die zweite besteht in der Methodik, die natürlich auch mit dem
Ambiente zu tun hat. XENIA nutzt die Eigenschaft von uns
Menschen, dass wir Erinnerungen ganzheitlich abspeichern, also
zum Beispiel eine bestimmte Erfahrung koppeln mit der Umgebung,
in der wir sie gemacht haben, mit den Geräuschen, Gerüchen und so
weiter.
Diese Erkenntnis macht sich die XENIA-Methode bewusst
zunutze. Ihr liegt das Modell einer Stadt zugrunde. In Anlehnung
an das Bild einer Stadt schaffen wir bei Workshops zunächst eine
gemeinschaftliche Arbeitsumgebung, die so genannte XENIA
WerkStadt. Manchmal bauen wir die imaginäre Stadt sogar mit
Kulissen auf. In dieser Stadt, dieser Arbeitsumgebung hat jeder
seinen Platz. Man hat Orientierung und weiß, dass sich die
Kollegen im gleichen Raum bewegen und jederzeit erreichbar sind.
Angesichts der komplexen Themen, die wir in XENIA
Workshops behandeln, ist ein weiterer Punkt wichtig: dafür zu
sorgen, dass nicht, wie es in Diskussionen häufig passiert, alle
Teilnehmer über alles reden. In der XENIA WerkStadt betrachtet
und bearbeitet jede Person das gemeinsame Thema aus einer ihr
zugewiesenen Perspektive. Das erreichen wir dadurch, dass wir die
Gesamtgruppe in acht Untergruppen einteilen. Angelehnt an die
Stadtmetapher stellen diese Gruppen acht Stadtteile dar. Und wie
in einer realen idealtypischen Stadt unterscheiden sich diese
Stadtteile voneinander. Jeder Stadtteil hat ein eigenes Flair,
erfüllt eine besondere Funktion und Aufgabe - zum Beispiel
Führung, Märkte, Wertschöpfung, Ressourcen, Inszenierung,
Zukunft. Und weil wir alle aus Erfahrung wissen, wie eine Stadt
strukturiert und organisiert ist, fällt es den Teilnehmern
leicht, sich in die spezifische Perspektive "ihres" Stadtteils
hineinzuversetzen. Aus den verschiedenen Blickwinkeln der
Stadtteile beziehungsweise Gruppen heraus wird dann das
gemeinsame Thema des Workshops bearbeitet. Nehmen wir an, das
Thema heißt: "Wir bauen aus den Firmen x und y ein neues
Unternehmen auf." Dann setzt sich die Gruppe im Stadtteil der
Führung mit den Prozessen, Strukturen und dem Führungsverhalten
dieses neuen Unternehmens auseinander. Der Stadtteil Inszenierung
beleuchtet das Thema aus einer ganz anderen Sicht: Analog zu den
Orten der Inszenierung in einer wirklichen Stadt befassen sich
seine Bewohner beziehungsweise die Teilnehmer dieser Gruppe mit
den Aspekten Image, Leitbild und Kommunikation.
Das hört sich an, als sei in einer solchen WerkStadt viel los.
Wie verhindern Sie, dass die Stadtteilgruppen sich inhaltlich
voneinander entfernen? Besteht nicht die Gefahr, dass sie, je
intensiver und länger sie an ihren Aufgaben arbeiten, desto
weiter auseinander driften?
Dem beugen wir von vornherein vor. Zum einen dadurch, dass
jede Stadtteilgruppe von gut vorbereiteten Moderatoren gesteuert
wird. Zum anderen bearbeiten alle Gruppen gleichzeitig Fragen
wie: "Was ist geschehen?", "Was wollen wir überhaupt?", "Was
werden wir tun?" Darüber hinaus wechseln alle Teilnehmer während
des Workshops ein- bis zweimal die Gruppe.
Was geschieht mit den Ergebnissen des Workshops?
Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Aufgrund der guten,
intensiven und offenen Arbeitsatmosphäre identifizieren sich die
Teilnehmer sehr stark mit den Workshop-Ergebnissen. Das ist
jedenfalls unsere durchgängige Erfahrung. Trotz dieser hohen
Identifikation und Motivation besteht die Gefahr, dass die
"Schockwelle" des Alltags die gefassten Vorsätze und angestrebten
Maßnahmen überrollt und ihre Umsetzung behindert. Deshalb
begreifen wir XENIA nicht als Methode für Ein-Tages- oder
Ein-Wochen-Veranstaltungen, sondern als Begleitprogramm für
Veränderungsprozesse.
Für welche Themen eignet sich XENIA besonders?
Für alle komplexen Themen wie zum Beispiel Merger,
Integrationsprogramme, Veränderungsprojekte, Strategieentwicklung
und Innovationsmanagement. Für Vorhaben also, die von wenigstens
einem Power Promoter aus dem Top-Management begleitet und
gestützt werden müssen.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Das Besondere an XENIA ist das
Ambiente und die Methodik, unabhängig vom Thema ...
... und unabhängig von der Zusammensetzung der Gruppe. Wir
haben beispielsweise nicht nur WerkStädte mit Managementteams zur
Strategieentwicklung durchgeführt, sondern auch mit Studenten zur
Zukunft von Berlin.
Es gibt noch eine weitere Besonderheit: Wegen der Methodik
eignet sich XENIA ausgezeichnet für Großgruppen. Wir haben beste
Erfahrungen mit zweitägigen Veranstaltungen für 230 Teilnehmer
gemacht. Und es können ohne weiteres noch mehr sein.
Was spricht für Workshops mit so vielen Teilnehmern? Ist der
Aufwand nicht viel zu hoch?
Je mehr Mitarbeiter von Anbeginn an einem
Veränderungsprozess beteiligt sind, desto weniger
Überzeugungsarbeit muss geleistet werden. XENIA ist
Entwicklungs-WerkStadt und Kick-off in einem. Das spart enorm
Kosten und vor allem Zeit - beides Faktoren, die immer
gewichtiger werden. Sicherlich: Im Vergleich zu der häufigen
Vorgehensweise, dass ein kleiner Kreis von Strategen Konzepte
entwickelt, ist die Anfangsinvestition höher. Doch das zahlt sich
bereits in der Designphase mehr als aus. Außerdem entstehen
praxisnähere Konzepte.
Die hohe Anfangsinvestition ist für den Einsatz von XENIA wohl
eine ziemlich hohe Hürde.
Da gebe ich Ihnen Recht. Aber tief greifende
Veränderungsprozesse, die Emotionen aufwühlen, kosten nun einmal
Geld und Zeit. Oft genug sind sie gescheitert und haben damit
Zeit-, Geld- und Energieressourcen verschwendet, weil das
Management kurzfristige Billiglösungen suchte.
Sie sagen, dass möglichst viele Mitarbeiter an
Veränderungsprozessen beteiligt werden sollten. Daraus schließe
ich, dass Sie die Fähigkeiten und das Wissen der Mitarbeiter hoch
einschätzen.
Allerdings! Ich bin der Überzeugung, dass 70 bis 80 Prozent
des Wissens und der Fähigkeiten, die man für einen erfolgreichen
Veränderungsprozess braucht, im Mitarbeiterpotenzial vorhanden
sind. Die Mitarbeiter sind die Experten, sie kennen ihren
Arbeitsalltag. Doch vielfach haben sie eine zu geringe
Wertschätzung ihres Wissens, nicht zuletzt, weil sie mit Ideen
und Vorschlägen schon oft gegen die Wand gelaufen sind und ihnen
zu hohe "politische" und hierarchische Hürden im Weg
standen.
Ist der Ansatz, die Mitarbeiter statt teure Berater
hinzuzuziehen, nicht zu simpel?
Manchmal sind die besten Lösungen tatsächlich so einfach!
Berater erübrigen sich damit außerdem nicht. Aber man braucht sie
in geringerem Ausmaß und eher als Prozessbegleiter denn als
Input-Geber.
Und schließlich heißt "einfache" Lösung nicht, dass man mit
XENIA einen Schalter umlegt und das Ziel der Veränderung ist
erreicht. Als "Stadt des Wissens und Stätte der Begegnung" ist
XENIA aber sehr wohl ein Ort und eine Methode, an dem und mit der
sich erforderliche Veränderungsprozesse anstoßen und begleiten
lassen, und zwar mit Elan und auf Basis der Wertschätzung der
Mitarbeiter.
Eine letzte Frage: Was heißt eigentlich XENIA?
Der Begriff kommt aus dem Griechischen. Er bezeichnet einen
Prozess, der sich folgendermaßen auf den Punkt bringen lässt: Ich
komme als Fremder, werde wie ein Gast behandelt und gehe als
Freund. Genau das wollen wir auf rationaler wie emotionaler Ebene
in unserer Stadt des Wissens und Stätte der Begegnung, nämlich
erstens: sich befassen mit einem unbekannten, häufig sogar
angstbesetzten Thema wie zum Beispiel einer angestrebten
Veränderung und der Zukunft des Unternehmens, zweitens: positive
Gefühle gegenüber dem Thema und neue Ideen entwickeln und
drittens: freundschaftlich gestimmt und motiviert an die
Umsetzung gehen.
www.xenia.de
www.siemens.com/learning
schwarzreinhard@siemens.com
© changeX Partnerforum [21.05.2002] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
changeX 21.05.2002. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
Artikeltags
LS training and services GmbH & Co. KG
Weitere Artikel dieses Partners
Beim E-Day von LS training and services und bit media bekamen Besucher einen Überblick über innovative Lernformen. zum Report
Neue Forschungsergebnisse und Instrumente zur Unterstützung virtueller Zusammenarbeit. zum Report
LS training and services verschenkt Eintrittskarten für die größte Fachmesse im Bereich E-Learning. zum Report