Aufstieg und Niedergang einer Dynastie
Die Thyssens - das neue Buch von Thomas Rother.
Glanz und Elend, so könnte man die Geschichte der Thyssens betiteln. Der Gründer schuftet wie besessen, um aus dem Nichts einen Konzern aufzubauen, der Enkel verprasst das Geld, sammelt Kunst und Ehefrauen. Dazwischen liegen viel Streit ums Geld, Familienkrach und reichlich Kummer.
Thomas Rother kennt sie alle, die mächtigen Familien des Ruhrgebiets. Über Die Krupps hat er bereits geschrieben, nun sind Die Thyssens dran. So manche Parallele entdeckt er zwischen den beiden Dynastien, die später als ThyssenKrupp verbunden sein werden, als schon kein Träger der traditionsreichen Namen mehr in dem Unternehmen mitmischt. Reich waren beide Familien, aber auch unglücklich. Gerade bei den Thyssens herrscht ständig Streit statt Harmonie, man zerrt sich vor Gericht, wo es eben geht. Atemberaubende Industriekarrieren und "bürgerliches Trauerspiel", wie Rother es so treffend nennt. In einer leisen, lakonischen, fast schon literarischen Sprache erzählt er ihr Leben nach. Mit viel Sympathie, auch Mitleid. Aber immer genügend Distanz. Störend wirkt einzig, dass er am Anfang immer wieder ansetzt, die Geschichte an thematischen Fäden entlang zu erzählen, es dann aber doch (endlich) auch chronologisch tut. Viele Überschneidungen entstehen, manches erfährt man doppelt und dreifach.
Geiziger Gründer.
Die Geschichte beginnt Ende des 19.
Jahrhunderts. Wie besessen gründet August Thyssen Werke, kauft
Unternehmen, expandiert unablässig. Der "kantige Einzelgänger",
kleinwüchsig, katholisch, sehnt sich nach Familienglück, arbeitet
aber ohne Unterlass. Ein Widerspruch, der natürlich nicht
aufzulösen ist. Zwar schafft er es, eine Dynastie zu gründen und
einen gigantischen Konzern aufzubauen, doch mit dem Familienglück
wird es nichts. Wie Krupp senior ist auch August Thyssen kein
Mensch, der Geld verschwendet, sein Geiz ist extrem, er steckt
jeden Pfennig zurück ins Werk. Leistet sich aber selbst
schließlich doch so manchen Luxus: Rodin-Statuen beispielsweise,
schon der Gründer beginnt mit dem Kunstsammeln. Auch ein Schloss
als Familienstammsitz gönnt er sich und den seinen.
Den Kindern und Enkeln reicht es nicht, die Rolle der
Stahlbarone zu spielen und über Millionen verfügen zu können. Sie
alle zeigen einen Hang zum Adel, heiraten fast ausnahmslos Grafen
und Barone, sogar Kaiserenkel Karl von Habsburg wird in die
Familie eingebunden. So holt man sich zum Geld auch noch die
passenden Titel hinzu.
Fataler Pakt mit Hitler.
Doch besonders die zweite Generation hat es nicht leicht: Fritz Thyssen, der Sohn, begeistert sich für die Nazis, fördert Hitlers erste Bemühungen, an die Macht zu kommen, mit reichlich Geld. Als er erkennt, dass das ein Fehler war, dass er einem verbrecherischen Regime geholfen hat, und sich gegen Hitler ausspricht, ist es zu spät. Hitler führt bereits Krieg und hat auch wenig Skrupel, seinen einstigen Unterstützer verhaften zu lassen. Thyssen versucht zu fliehen, scheitert, landet in Haft. Als die Alliierten eintreffen, ist das für Fritz Thyssen dennoch kein Grund zur Freude, jetzt rächt sich der Schmusekurs mit den Nationalsozialisten. Er wird vor Gericht gestellt, sein Vermögen und sein Unternehmen werden beschlagnahmt, wieder Gefängnis. Fritz Thyssen ist für Thomas Rother eine tragische Figur, Rother lobt seinen Mut, weist auf die Courage hin, mit der er sich vom einstigen Idol lossagt. Weniger beeindruckend ist hingegen, wie Thyssen seine Autorenschaft eines Buches, das er nach eigenem Eingeständnis diktiert hat, verleugnet.
Der Kunst-Tycoon.
Alles halb so schlimm - Fritz
Thyssen bekommt sein Vermögen zurück. Allerdings kann er sich
nicht mehr lange daran erfreuen. Und die Nachfahren sind dann vor
allem mit Erbschaftsstreit beschäftigt. Aber auch damit, die
Millionen einem guten Zweck zuzuführen: Amélie und Anita Thyssen
gründen eine Stiftung, die Wissenschaft und Forschung fördert.
Sie sind jedoch entsetzt, wie ihre Söhne vom Aufsichtsrat aus der
Stiftung gedrängt werden, und stoßen später auch ihr
Thyssen-Aktienpaket ab. Seither sitzt keiner der
Familienmitglieder mehr im Konzern.
Enkel Hans Heinrich Thyssen-Bornemisza kann endlich den
Lebensstil pflegen, den ihm Vater und Großvater - beide eher
sparsam - verweigert haben. Er baut die zweitgrößte Kunstsammlung
der Welt auf (die größte ist weiterhin der Queen von England
vorbehalten) und lebt in Saus und Braus. Während der Gründer das
Rampenlicht scheute, sucht der Enkel es geradezu - er, der
"Ehe-Baron, Ungarn-Auswanderer und professionelle Kunstsammler",
wie Rother ihn nennt, füttert die Medien mit seinem Leben und
zeigt sich ihnen gegenüber oft selbstzerstörerisch offen.
Mit Verständnis, aber auch einem Quäntchen Mitleid zeichnet
Thomas Rother seine Eskapaden mit dem Jet-Set, diversen Ehefrauen
und Gemälden nach - eine ungewöhnliche Aufgabe für einen
ernsthaften Biografen. Es sind bunte, pralle Geschichten, die ein
gefundenes Fressen für die Boulevardpresse waren. Während Rother
für den ersten Teil seiner Biografie viel in Krupp-Archiven
wühlen musste, brauchte er hier nur die Boulevardpresse zu
konsultieren. Doch nie gibt er der Lust am Skandal nach. Was er
erzählt, ist die viel größere Geschichte vom Niedergang einer
Dynastie, von Schicksal und Dekadenz.
Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.
Thomas Rother:
Die Thyssens. Tragödie der Stahlbarone,
Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York 2003,
230 Seiten, 21,50 Euro,
ISBN 3-593-37190-1
www.campus.de
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Zum Buch
Thomas Rother: Die Thyssens. . Tragödie der Stahlbarone.. Campus Verlag, Frankfurt/New York 1900, 230 Seiten, ISBN 3-593-37190-1
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