Bücher des Jahres 2010
Stapel von Büchern haben wir auch in diesem Jahr wieder gesichtet und kritisch auf ihren Neuigkeitswert hin abgeklopft. Viele davon haben wir rezensiert oder mit den Autoren Interviews geführt. Und hier sind nun - die besten Bücher des Jahres. Die changeX-Jury hat ihre Toptitel 2010 gewählt. Es war eine klare Entscheidung mit zwei klaren Siegern: Fühlen nützt nichts, hilft aber von Dan Ariely und Social Business von Muhammad Yunus.
Jeweils elf Bücher haben unsere Jurymitglieder ausgewählt und in eine Liste sortiert - die persönlichen Jahres-Top-11, wenn man so will. Der Rest war einfache Mathematik: Für jede Platzierung gab es Punkte (elf für Platz eins, einen für Platz elf), aus der Addition der erreichten Punkte ließe sich unschwer der Gewinner ermitteln, so zumindest die Theorie. Vorne waren aber letztlich zwei Bücher mit identischer Punktzahl: Fühlen nützt nichts, hilft aber von Dan Ariely und Social Business von Muhammad Yunus.
Eine Top-11-Liste des Jahres sollte es werden, weil aber auch die Titel auf Platz 13 und 14 dieselbe Punktzahl erreichten, gibt es diesmal eben die "Top 14". Auch nicht schlecht, finden wir. Hauptsache keine langweiligen Top 10!
Die gesamte Liste mit allen platzierten Titeln finden Sie hier
Im Folgenden stellen unsere Jurymitglieder nun ihr "Buch des Jahres" vor.
Jost Burger: Die Zukunft muss anders aussehen
Weihnachtsdeko, Grußkarten, Dinkelkissen und allerlei Küchengeräte: Die wirklich großen Leistungen der Menschheit bestehen vor allem im Produzieren von Zeugs. Zeugs, das kein Mensch braucht und das irgendwann unweigerlich auf dem Müll landet. Selbst wenn es noch funktioniert.
Welche Ressourcen dabei verschwendet werden, zu welchen Arbeitsbedingungen das führt, welches Gift wir in unser tägliches Leben, die Umwelt und in unsere Körper bringen, damit beschäftigt sich Annie Leonard seit 20 Jahren. Ihre Erfahrungen schildert sie in diesem Buch - auf unterhaltsame und erschütternd detaillierte Weise lernen wir, wo eigentlich all der Kram herkommt, den wir im Lauf unseres Lebens konsumieren, und was er mit dem Planeten anrichtet. Zum ersten Mal wurden hier alle Glieder des berühmten Product Life Cycle analysiert. Wer sich der Sache nicht verschließt, der wird in Zukunft hoffentlich auf all die süßen, kleinen Mitbringsel für die Kinder verzichten, die nach zwei Tagen zerbrechen, der wird seine Möbel lieber gebraucht kaufen, den alten Staubsauger doch noch einmal reparieren lassen und vielleicht - wie Leonard selbst - einmal prüfen lassen, welche Giftstoffe sein Körper aktuell gerade so anreichert.
Unrealistisch? Zu schwer? Absolutheiten per sofort werden hier nicht gefordert, aber die Ausrichtung an einer neuen Utopie schon: Wir müssen weniger Krempel produzieren! Leonard glaubt an prozessuale Lösungen, an den Weg des breiten Engagements, und als Zielvorgabe ist ihr Buch unübertroffen. Pflichtlektüre für alle, die meinen, mit ein bisschen grünem Konsum die Welt retten zu können: Irrtum, die Zukunft muss anders aussehen.
Annie Leonard: The Story of Stuff. Wie wir unsere Erde zumüllen, Econ Verlag, Berlin 2010
Anja Dilk: Wer sind wir, wie sind wir, wie ticken wir?
Wer Dan Ariely einmal gelesen hat, wird ihn nicht mehr vergessen. So leicht, so treffsicher, so spielerisch vergnügt liest er sich. Der US-israelische Verhaltensökonom und Psychologe versteht es wie kein Zweiter, aus jeder x-beliebigen Alltagssituation ein Phänomen mit wissenschaftlichem Erkenntniswert zu filetieren. Egal ob er Kids vor die Wahl stellt, edle Pralinen gegen große Schokoriegel zu tauschen, ob er Studenten Bionicals bauen oder Dorfbewohner in Indien für ein Jahresgehalt Kugeln durch ein Labyrinth schnipsen lässt.
Ariely ist dabei weitaus mehr als eine amüsante Lektüre. Er lehrt uns einen anderen, neugierigen, wo immer möglich vorbehaltlosen Blick. Seine Fragen und seine Experimente dringen zum Kern unseres Selbst vor: Wer sind wir, wie sind wir, wie ticken wir? Und wie können wir die Welt da draußen jenseits von Ideologien erkennen und begreifen - zum Beispiel in der Wirtschaft?
Dan Ariely: Fühlen nützt nichts, hilft aber: Warum wir uns immer wieder unvernünftig verhalten, Droemer Knaur, München 2010
Dominik Fehrmann: Idealismus und Pragmatismus konsequent verbunden
Muhammad Yunus ist ausgewiesener Fachmann für das Denken des Undenkbaren. Aber er ist nicht nur Vordenker, sondern auch Vormacher. Das hat der Friedensnobelpreisträger von 2006 mit der von ihm gegründeten Grameen Bank gezeigt: Seit nunmehr einem Vierteljahrhundert vergibt sie erfolgreich Kleinstkredite an Arme, also nach herkömmlichen Maßstäben "kreditunwürdige" Menschen. Und deutet damit zugleich an, dass die herrschenden Mechanismen der Bankenwelt (sowie deren jüngster Kollaps) nicht zwangsläufig, weil quasi naturgesetzlich sind.
Nun rührt Yunus an einem noch mächtigeren Dogma. An der Vorstellung, Unternehmen könnten nur erfolgreich sein, wenn sie nach Profit streben. Dem stellt Yunus die Idee des sogenannten Social Business entgegen: die Idee von Unternehmen, deren Ziel die Lösung eines sozialen Problems ist statt der Profit für die Unternehmenseigner. Deren Dividende besteht beim Social Business ausschließlich im Gefühl, Gutes getan zu haben.
Auch die Idee des Social Business hat Yunus bereits ansatzweise in die Tat umgesetzt. Ob sie den Praxistest langfristig besteht, bleibt abzuwarten. Aber es gibt fraglos nur wenige ähnlich spannende ökonomische Feldversuche. Und wer, außer Yunus, wäre noch in der Lage, Idealismus und Pragmatismus derart konsequent zu verbinden?
Muhammad Yunus: Social Business. Von der Vision zur Tat, Carl Hanser Verlag, München 2010
Wolfgang Hanfstein: Mit neuen Ideen neue Märkte schaffen
Unternehmern wird dieses Buch aus dem Herzen sprechen. Denn Michael Faschingbauer beschreibt in Effectuation genau die Situation, mit der Unternehmer in stürmischen Zeiten konfrontiert sind: mit absoluter Ungewissheit. Und Unternehmer wissen: Wenn ich es mit Ungewissheit zu tun habe, helfen Analysen aus der Vergangenheit oder extrapolierte Trends wenig oder gar nichts. Denn es kommt in den entscheidenden Fällen nicht darauf an, Märkte zu erobern, sondern Märkte zu erschaffen.
Effectuation gibt all denen Schützenhilfe, die Businessplänen, Analysen und Marktforschungsdaten kritisch gegenüberstehen, wenn es darum geht, Neuland zu betreten. Vor allem aber bietet das Buch Methoden und Prinzipien, um sich in unwägbarem Gelände zurechtzufinden. Meine Empfehlung für innovative Unternehmer. Für Gründer. Für Business-Angels und Risikokapitalgeber. Und für alle, die mit neuen Ideen neue Märkte schaffen wollen. Für mich das beste Managementbuch des Jahres 2010.
Michael Faschingbauer: Effectuation. Wie erfolgreiche Unternehmer denken, entscheiden und handeln, Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart 2010
Winfried Kretschmer: Unternehmen für die Ära nach dem Homo oeconomicus
Wie Unternehmen aussehen, die ein Homo oeconomicus gründet, wissen wir. Wir brauchen uns nur umzusehen: Sie konkurrieren und bekriegen sich, streiten um Marktanteile, Patente und Ideen, suchen einander das Wasser abzugraben oder - wenn freundlich nicht geht - dann eben feindlich zu übernehmen. Unternehmen eben, wie wir sie kennen. Wie aber sehen Unternehmen in einer Ökonomie aus, in der der Homo oeconomicus nicht mehr das bestimmende Paradigma darstellt? In der Kooperation und Empathie als fundamentale menschliche Wesenszüge auch im geschäftlichen Miteinander zum Tragen kommen?
Ehrlich gesagt haben wir noch keine wirkliche Vorstellung davon, wie eine solche Ökonomie aussehen könnte. Eben hier liegt die Leistung von Muhammad Yunus: Er gewinnt aus der Theorie ein Modell. Ein Modell eines Unternehmens, das professionell agiert, das auch Nutzen zu maximieren sucht, dabei aber nicht mehr auf den rein monetären Nutzen, sprich Profit, fixiert ist. Social Business ist das Modell eines Unternehmens, das ohne Gewinnmitnahme funktioniert: das Modell eines Unternehmens für die Ära nach dem Homo oeconomicus.
Muhammad Yunus: Social Business. Von der Vision zur Tat, Carl Hanser Verlag, München 2010
Heike Littger: die Welt am Ende des fossilen Zeitalters
Zu Festtagen steht er besonders hoch im Kurs. Lachs aus Norwegen. Doch Jeff Rubin zeigt in seinem Buch, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, wie lange er uns noch schmecken wird. Gefangen im Atlantik wird der Fisch per Schiff nach China zum Entgräten und Filetieren gebracht und dann wieder retour nach Europa. Dieser Irrsinn ist nur möglich, solange Transportkosten dank niedriger Erdölpreise niedrig sind. Danach wird der Lachs von unserem Speisezettel mehr und mehr verschwinden und mit ihm viele andere lieb gewonnene Dinge. "Teures Öl bedeutet das Aus für das Leben, wie wir es kennen - doch vielleicht war das ohnehin nicht so großartig", schreibt Rubin. Und freut sich auf eine prosperierende, heimische Wirtschaft. Ein großartiges Buch über die Welt am Ende des fossilen Zeitalters.
Jeff Rubin: Warum die Welt immer kleiner wird. Öl und das Ende der Globalisierung, Carl Hanser Verlag, München 2010
changeX 17.12.2010. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Jost BurgerJost Burger ist freier Journalist in Berlin. Er schreibt als freier Mitarbeiter für changeX.
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Anja DilkAnja Dilk ist Berliner Korrespondentin, Autorin und Redakteurin bei changeX.
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Dominik FehrmannDominik Fehrmann ist freier Journalist in Berlin. Er schreibt als freier Mitarbeiter für changeX.
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Wolfgang HanfsteinWolfgang Hanfstein ist Mitbegründer und Chefredakteur von Managementbuch.de Er wirkt als Gast in der changeX-Jury bei der Auswahl der Bücher des Jahres mit.
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Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX.
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Heike LittgerHeike Littger ist selbständige Journalistin und wohnt in Mountain View, Kalifornien. Sie schreibt als freie Autorin für changeX.