Querdenker nicht gerne gesehen
Wie kommt es, dass die Autoindustrie von Entwicklungen überrascht wird, die sich seit Jahrzehnten abzeichnen? Und ohne Plan und Strategie dasteht? Ein Branchenkenner sagt: Es herrscht striktes Ingenieurdenken. Querdenker sind nicht gerne gesehen.
Karl-Heinz Büschemann ist Chefreporter im Wirtschaftsressort der Süddeutschen Zeitung. Soeben ist sein Buch Crashtest. Deutsche Autobauer ohne Plan und Strategie erschienen.
Herr Büschemann, wie kommt es, dass die deutschen Autobauer heute ziemlich unvorbereitet dastehen und keine Strategie haben, wie sie mit Zukunftsfragen wie Öl, Klimawandel und Begrenztheit der Ressourcen umgehen sollen?
Es ist wirklich erstaunlich, dass die Autoindustrie erst dann merkt, dass sie ein Problem hat, wenn ihr die Verkäufe wegbrechen. Sie realisiert jetzt, dass die Kunden massenweise zu kleineren Autos überlaufen, größere Autos aber stehen bleiben. Die Kunden wollen kleinere, sparsamere Autos kaufen, sie fragen sogar schon nach Elektroautos. Aber es gibt viel zu wenig Modelle, um diesen Bedarf zu befriedigen.
Sie sagen, deutsche Autobauer sind ohne Plan und Strategie. Sie haben wirklich keine Ahnung, wie sie damit umgehen sollen?
Die Autohersteller – sei es VW, sei es Daimler, sei es BMW – denken nicht weit genug, um langfristige Entwicklungen vorwegzunehmen. Sie selbst würden sagen: Wir haben doch eine Strategie! Wir haben die besten Motoren, wir haben die Kohlendioxidemissionen gesenkt und die Effizienz unserer Motoren verbessert. Das ist alles richtig – nur haben sie keine Antwort auf die Fragen von morgen: Das sind Herausforderungen, die im Jahr 2030 oder 2040 kommen. Das ist das Entscheidende, aber hier herrscht große Ratlosigkeit.
Diese Ratlosigkeit scheint aber international zu sein. Das betrifft doch auch die ausländischen Konkurrenten und nicht nur die deutschen Hersteller, oder?
Richtig. International beobachten wir dieses Problem in verschiedenen Abstufungen. Toyota zum Beispiel ist zwar im Moment aufgrund von Qualitätsproblemen in großen Schwierigkeiten, aber was die Zukunftsvorbereitung betrifft, ist das Unternehmen am besten vorbereitet. Toyota arbeitet schon lange am Hybrid, das Unternehmen hat Erfahrungen mit Elektroautos gesammelt und mit Wasserstoff gearbeitet. Auch Honda und Nissan haben einige Erfahrungen vorzuweisen. Und es gibt einige chinesische Unternehmen, die gleich in die Elektromobilität einsteigen und die alte Technik der Verbrennungsmotoren den Europäern und Amerikanern überlassen. Das ist eine Bedrohung für diejenigen, die wenig Vorbereitung getroffen haben.
Es gibt Situationen, wo eine Branche komplett kippen kann, wie es zum Beispiel in der Musikindustrie passiert ist, wo ein Branchenfremder – nämlich Apple mit seinem iTunes Store – mit einem Angebot in die Branche vorgestoßen ist, auf das die Platzhirsche keine Antwort hatten. Kann Ähnliches nun auch in der Autobranche passieren: dass Branchenfremde kommen und das Geschäft neu definieren?
Ich halte das sogar für hochwahrscheinlich. Es müssen nicht alle heutigen Autohersteller vom Markt verschwinden, aber wir werden noch überrascht sein, wer sich in diesen Markt einmischen wird. Bei der Elektromobilität sind plötzlich Elektrokonzerne mit dabei – dann stellt sich die Frage: General Motors oder General Electric? Da können dann auch Unternehmen wie Siemens oder Software- und Batteriehersteller mitspielen. Die Autoindustrie kann sich nicht darauf verlassen, dass sie es weiter mit den ihr vertrauten Konkurrenten zu tun hat.
Ähnliches haben wir ja schon erlebt. Sie haben die Musikindustrie genannt. Gleiches gilt für die Schreibmaschinenindustrie, die Büroelektronik oder die Fotoindustrie, wo Deutschland früher mal führend war, bis die ganze Branche nach Asien abgewandert ist. Die heutigen Autohersteller laufen Gefahr, dass sie nicht dabei sein werden, wenn in den nächsten Jahrzehnten die Karten völlig neu gemischt werden.
Was müssten sie tun, um dieses Szenario abzuwenden?
Daimler und BMW werden in der heutigen Konstellation nicht überleben können. Die haben die Größe nicht, weigern sich aber, zusammenzuarbeiten. Doch allein wird das Überleben für sie schwer. Sie werden entweder in einem großen Konzern landen oder sie müssen zusammengehen. Es ist auch denkbar, dass Sie mit anderen großen Konzernen zusammengehen. Alleine aber können die diese gewaltigen Herausforderungen nicht stemmen. Der VW-Konzern ist sehr groß, der hat eine Chance. Aber die Wolfsburger müssen ein ganz anderes Gefühl für die Dringlichkeit, die Amerikaner sprechen von sense of urgency, entwickeln. Sie springen sehr, sehr spät auf diesen Zug auf und müssen ganz schnell lernen, was sich in den fernen Welten der Automobilität abspielen wird. Da stehen sie noch ganz am Anfang. Deshalb wird dieses Rennen sehr spannend. Und die Unternehmen müssen vor allem bei Forschung und Entwicklung stärker zusammenarbeiten. Hier muss auch die Bundesregierung helfen und die Forschung im Bereich der Elektromobilität fördern. Deutschland ist bei der Batterieforschung ins Hintertreffen geraten, die Elektrochemie galt hier lange als unwichtiger Forschungszweig. Hier müssen wir wieder Anschluss finden. Für die Erforschung der Mobilität von morgen müssen die Regierungen in Europa und die EU eine starke moderierende und koordinierende Rolle übernehmen.
Kommen wir doch noch einmal auf die Eingangsfrage zurück: Daimler betreibt Zukunftsforschung, VW hat eine entsprechende Abteilung. Wie kann es sein, dass man, obwohl man Sachverstand im Hause hat, die Entwicklung derart verpennt?
Es gibt zwei Betrachtungsweisen, eine wohlwollende und eine kritische. Die wohlwollende besagt, dass ein Unternehmen ungefähr zehn, 15 Jahre weit blickt. Darüber hinaus sind die Aktionäre nicht bereit, für irgendwelche unsicheren Zukunftspläne Geld auszugeben. Deswegen sind Unternehmen es gewöhnt, in vergleichsweise überschaubaren Zeiträumen zu denken. In dieser Zeitspanne muss sich eine Investition rentiert haben, und dann denkt man neu über die Zukunft nach.
Die kritischere Sicht besagt, dass ein Unternehmen, das sich Gedanken über seine Zukunft macht, weiter denken muss als 15 Jahre – und erst recht, wenn man auf einem Gebiet unterwegs ist wie der Autoindustrie. Diese Industrie hat ihre Zukunft noch vor sich – die meisten Menschen in der Welt warten noch auf ihr erstes Auto. Doch hat sich diese Industrie so in ihrer derzeitigen Technik verstrickt, dass sie auf große Zurückhaltung am Markt stößt und ihre Autos nicht mehr verkaufen kann, weil sie die falschen Produkte anbietet! Gleichzeitig wissen wir aber, dass in der Zukunft eine andere Art von Autos gebraucht und verkauft werden wird. Es ist für mich relativ schwer verständlich, warum in den Unternehmen nicht mehr darüber nachgedacht wird, wie man von den ausgetretenen Pfaden abweichen kann.
Liegt eine Erklärung darin, dass in der Autoindustrie das Ingenieurdenken sehr dominant ist?
Die deutsche Autoindustrie ist erfolgreich gewesen, weil sie von oben bis unten von Ingenieuren dominiert wird. Sie bestimmen, wie ein Auto auszusehen hat, und Autoingenieure bestimmen das Denken in diesen Konzernen auf allen Ebenen. Und sie können sogar sagen, wir sind erfolgreich! VW, Porsche, Mercedes, das sind alles Weltmarken. Plötzlich aber müssen diese Ingenieure zur Kenntnis nehmen, dass ihre tollen Motoren von Elektromotoren bedroht werden – das heißt, die Kernkompetenz von VW, Mercedes, BMW steht infrage, weil es in Zukunft neue Antriebe gibt. Was machen sie also? Sie machen auf ihren vertrauten Wegen weiter. Da können sie noch immer Fortschritte erreichen. Das andere, das Neue aber bedroht ihre Kernkompetenz. Querdenker sind in der Autoindustrie nicht gerne gesehen. Das lässt sich mit Beispielen belegen. Sie gelten als Nervensägen und Störenfriede und werden abgestoßen.
Ist das der Grund, warum die Konzerne so blind für Zukunftsfragen sind?
Mein Eindruck ist: Sie hatten bisher Glück. Wann immer eine Krise kam, ist das Geschäftsmodell danach wieder in die alten Bahnen zurückgekehrt. Nach der ersten Ölkrise, nach der zweiten Ölkrise, nach der Debatte über das Waldsterben – irgendwann waren diese Themen wieder verschwunden. Doch das wird in diesem Falle anders sein. Die Knappheit von Erdöl und die Klimafrage sorgen dafür, dass diese Industrie der Notwendigkeit zu Innovation nicht mehr entkommen wird.
Sind Sie optimistisch, dass die Autoindustrie dennoch die Kurve kriegen wird?
Ich bin optimistisch in dem Sinne, dass es in Zukunft noch Autohersteller geben wird. Aber ich bin nicht sicher, ob alle Autohersteller von heute morgen noch dabei sein werden.
Foto: Asmus Henkel
changeX 18.03.2010. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch
Karl-Heinz Büschemann: Crashtest. Deutsche Autobauer ohne Plan und Strategie. Carl Hanser Verlag, München 2010, 245 Seiten, ISBN 978-3-446-42067-0
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Autor
Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.