Das Büro neu denken

Hybride Arbeit - ein Interview mit Daniel Florian
Interview: Winfried Kretschmer

Dropbox ist ein Pionier ortsunabhängigen Arbeitens. In der Pandemie hat das Unternehmen begonnen, die Organisation der Zusammenarbeit grundlegend zu überdenken - vor allem: das Büro. Heute hat virtuelle Zusammenarbeit Priorität. Und das Büro ist nicht länger Arbeitsort, sondern Ort für Kollaboration und soziale Interaktion.

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Daniel Florian ist Head of Government Affairs Germany bei Dropbox. Auf den Change Revolution Days 2022 spricht er zum Thema "Working from home oder Living at work? Wie man hybride Arbeit erfolgreich gestaltet". 

Mit der Entwicklung der Dropbox, einem virtuellen Ordner für die Dateiablage im Web im Jahr 2007, hat das gleichnamige Unternehmen eine wesentliche technische Grundlage für eine Zusammenarbeit unabhängig von Zeit und Ort geschaffen. Heute hat das Unternehmen nach eigenen Angaben mehr als 700 Millionen Nutzer in 180 Ländern und hat sich der Entwicklung einer intelligenteren Form der Zusammenarbeit verschrieben. Hauptsitz ist San Francisco, CA, in Europa ist das Unternehmen mit der Dropbox International Unlimited Company mit Sitz in Dublin, Irland, vertreten.
 

Herr Florian, Dropbox ist ein Wegbereiter ortsunabhängigen Arbeitens. Dennoch hat Corona Ihr Unternehmen vermutlich genauso hart getroffen wie andere. Wie sind Sie damit umgegangen? 

Ja, wir hatten gerade eine neue Firmenzentrale in San Francisco bezogen, als der Lockdown kam und wir ins Homeoffice gezwungen wurden. Glücklicherweise hatten wir die Technologie - Laptops, Software und so weiter -, damit dieser Wechsel relativ reibungslos funktionierte. Wir haben uns dann sehr stark damit beschäftigt, wie wir auch als dezentral organisiertes Unternehmen gut zusammenarbeiten können, und unsere Erfahrung vor einem Jahr in unserem "Virtual First Toolkit" auf unserer Webseite veröffentlicht - mit dem Ziel, eine intelligentere Arbeitsweise zu entwickeln.
 

"Virtual first" bedeutet, dass nicht mehr die Präsenz, die persönliche Anwesenheit der Mitarbeiter im Büro, der Standardmodus des Arbeitens ist? 

Genau. Wir haben gemerkt, dass wir viele Arbeiten auch gut erledigen können, wenn wir nicht jeden Tag ins Büro gehen. Umgekehrt bedeutet das nicht, dass wir ein komplett virtuelles Unternehmen geworden sind. Für bestimmte Tätigkeiten wie zum Beispiel Brainstormings oder Teambuilding treffen wir uns nach wie vor im Büro. Und wir haben mehrmals im Jahr mehrtägige Onsites mit unseren Teams.
 

Also war die Pandemie ein Anstoß für eine weitergehende Veränderung? 

Hybride Arbeitsmodelle werden nach der Pandemie nicht einfach verschwinden. Aber wir glauben, dass eine gesunde und produktive hybride Unternehmenskultur sich nicht einfach so entwickelt, sondern designt werden muss, etwa indem man alle Arbeitsprozesse auf den Prüfstand stellt und nach dem Prinzip "remote first" neu gestaltet. Niemand sollte gezwungen sein, nur wegen einer fehlenden Unterschrift ins Büro pendeln zu müssen. Unternehmen müssen also nicht nur in Technologie investieren, sondern auch ihre Prozesse, ihre Arbeitsweisen und die Gestaltung ihrer Büros überdenken.
 

Das heißt, das Büro ist nicht bloß weniger stark frequentiert, sondern seine Funktion ändert sich in einer hybriden Arbeitswelt grundlegend? 

Es ist ein Mythos, dass Kreativität und Innovation nur im Büro gelingen kann. Kreativität ist ein Prozess, kein Ort. Großraumbüros sind schlicht ein historischer Zufall, weil der Treibstoff des Büros um 1900 das Medium Papier war. Inzwischen wurde das Papier aber durch Software ersetzt. Heute sollte das Büro nicht mehr ein Ort für die Maximierung von Produktivität sein, sondern ein Ort für Kollaboration und soziale Interaktion.
 

Wie haben Sie das konkret umgesetzt? 

Der augenscheinlichste Unterschied zwischen unseren alten Büros und den Studios, wie wir unsere neuen Flächen nun nennen, ist, dass es dort keinen einzigen Schreibtisch mehr gibt. Die Studios sollen Orte der Begegnung sein, mit Konferenzräumen, Sitzgelegenheiten und Cafés. Und natürlich sind die Konferenzräume auch "remote first": Die Tische sind in einem Halbkreis um einen Bildschirm arrangiert, sodass auch Kollegen, die sich per Video zuschalten, in das Gespräch integriert sind.
 

Etwas überraschend für ein Technologieunternehmen ist die These, dass das Redesign von Arbeitsprozessen (fast) wichtiger ist als neue Software. Was führt Sie zu dieser Einschätzung? 

Eine Reihe von Studien hat gezeigt, dass die Anzahl und Größe von Meetings in der Pandemie zugenommen hat, weil der Aufwand für das Aufsetzen von Videokonferenzen so gering ist. Aber das führte nicht immer zu einer höheren Qualität der Arbeit, sondern im schlimmsten Fall zu Erschöpfung und Burnout. Das Potenzial neuer Technologien kann nur dann wirklich genutzt werden, wenn wir zugleich auch unsere Arbeitsprozesse verändern. Und das bedeutet zum Beispiel, sich stets zu fragen, ob man das Meeting nicht auch durch ein kollaboratives Dokument ersetzen kann oder wie man durch die Einführung von asynchronem Arbeiten das Ausdehnen der Arbeitszeit in die Morgen- und Abendstunden eindämmen kann.
 

Asynchrones Arbeiten, weniger Meetings, mehr Selbstorganisation - das klingt nach einem Wandel der Arbeitskultur, der in die Tiefe geht. Stimmt der Eindruck? 

Ja, ich glaube, wir sind an einem Scheidepunkt, weil ein immer größerer Teil unserer Wirtschaft auf dem intellektuellen Kapital der Mitarbeitenden beruht. Das erfordert auch einen anderen Managementansatz: Viele Unternehmen sind so organisiert, dass die Steigerung von Effizienz im Vordergrund steht. Und das ist natürlich wichtig. Zugleich ist es ebenso wichtig, auch in den Blick zu nehmen, wie die Kreativität der Mitarbeitenden gefördert werden kann. Das ist es, was ich "organising for creativity" nenne.
 

Mit hybriden Arbeitsformen geht einher, dass die Mitarbeitenden künftig mehr Mitsprache, mehr Autonomie und Selbstverantwortung haben werden. Was bedeutet das für Führung? 

Die Ära des Managers, der einsam seine Entscheidungen im Eckbüro trifft, ist doch schon länger vorbei. Autonomie und Selbstverantwortung erfordern Information - Kommunikation ist daher eine entscheidende Führungsqualität. Nur wenn Mitarbeitende wissen, wohin die Reise geht, können sie in ihrem Umfeld die richtigen Entscheidungen treffen. Eine andere Herausforderung ist, den Mitarbeitenden Raum für produktives Arbeiten zu geben. Wir haben dafür "core collaboration hours" eingefügt: Zeiten, die wir speziell für Meetings, Videokonferenzen und andere Formen der synchronen Kommunikation reserviert haben. Umgekehrt bleibt damit genügend Raum für das konzentrierte Arbeiten an seinen Projekten, ohne dass man ständig unterbrochen wird.
 

Wenn Sie sich etwas aus dem Fernster lehnen und in die Zukunft schauen - wie werden diese Jahre 2020 bis 2022 einmal in der Geschichte der Arbeit eingeordnet werden? 

Ich hoffe, dass wir im Rückblick sehen, wie das Vertrauen auf Selbstorganisation und die Veränderung von Arbeitsprozessen einen Produktivitätsschub ausgelöst haben. Das gilt übrigens nicht nur für klassische Wissensarbeit, sondern auch für viele andere Dienstleistungsbranchen, in denen sich Mitarbeitende auch mehr Flexibilität wünschen - selbst wenn Homeoffice dort nicht immer möglich ist. Noch einmal anders sehen die vergangenen Jahre sicherlich aus dem Blickwinkel von Ärztinnen und Pflegepersonal aus. Auch deren Arbeit sollten wir aber auf keinen Fall vergessen!
 

Das Interview haben wir schriftlich geführt. 


Zitate


"Unternehmen müssen nicht nur in Technologie investieren, sondern auch ihre Prozesse, ihre Arbeitsweisen und die Gestaltung ihrer Büros überdenken." Daniel Florian: Das Büro neu denken

"Heute sollte das Büro nicht mehr ein Ort für die Maximierung von Produktivität sein, sondern ein Ort für Kollaboration und soziale Interaktion." Daniel Florian: Das Büro neu denken

"Das Potenzial neuer Technologien kann nur dann wirklich genutzt werden, wenn wir zugleich auch unsere Arbeitsprozesse verändern." Daniel Florian: Das Büro neu denken

"Wir sind an einem Scheidepunkt, weil ein immer größerer Teil unserer Wirtschaft auf dem intellektuellen Kapital der Mitarbeitenden beruht." Daniel Florian: Das Büro neu denken

"Kommunikation ist eine entscheidende Führungsqualität." Daniel Florian: Das Büro neu denken

 

changeX 18.05.2022. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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