Herbstlese
Buchvorstellungen im Spätherbst 2020
Hier unsere neue Bücherliste mit elf Kurzrezensionen aktueller Titel aus den Wirtschafts- und Sachbuchprogrammen der Verlage - wie gewohnt querbeet durch Themen und Disziplinen. Dieses Mal geht es um die Wiederentdeckung von Zusammenhängen in einer komplexen Welt, um waches Denken jenseits einer verblödeten Vernunft, um die verkannten Grundlagen der Ökonomie, um eine neue Vision von Wirtschaft, um einen Anstoß zum Wandel im Land, vorgetragen von zwei Vertretern der Start-up-Kultur, um eine neue Aufklärung, um exponentielle Entwicklungen und um, naja, Querdenken. Zur Abrundung stellen wir schließlich zwei "leichtere" Titel vor, einmal eine Reflexion über das Schenken als soziale Kunst jenseits einer bloßen Tauschbeziehung sowie ein Buch mit Infografiken und Karten, die den Blick auf die Welt verändern wollen. Und das auch tun.
Wolf Lotter:
Zusammenhänge.
Wie wir lernen, die Welt wieder zu verstehen.
Edition Körber, Hamburg 2020, 296 Seiten, 20 Euro (D), ISBN 978-3-89684-281-7
Wenn viele Menschen meinen, die Welt nicht mehr zu verstehen - liegt das dann an der Welt oder an der Denkweise, mit der sie zu verstehen versuchen? Auf jeden Fall ist etwas verloren gegangen: das Gefühl, in Einklang mit der Welt zu sein. Der Zusammenhang zwischen Ich und Welt. Zusammenhänge heißt das neue Buch von Wolf Lotter, und es will zeigen, wie diese sich in unserer unübersichtlich gewordenen Welt (wieder) herstellen lassen, ohne deren Komplexität zu verleugnen. Denn Komplexität ist die entscheidende Kategorie. Die Tür zum Verständnis der Welt. Bisher wurde Komplexität nur verschieden reduziert, es geht aber darum, sie zu erschließen - das ist der wohl zentrale Gedanke des Buchs. Der Schlüssel dafür ist Kontextkompetenz. Denn Wissen entfaltet sich nur in Kontexten, in Zusammenhängen. "Kontextkompetenz heißt, Komplexität zu erschließen, sie lauffähig zu machen für sich und für andere", schreibt Lotter, der mit seinen Büchern und brand eins-Grundsatzartikeln zum Vordenker der Entwicklung von der alten Industriegesellschaft hin zur neuen Wissensgesellschaft geworden ist. Diese Transformation von der Industrie- zur Wissensgesellschaft bildet auch den großen Rahmen, in dem der Autor sein Thema aufhängt. Diese Transformation führt dazu, dass unser überkommenes Denken nicht mehr zu der sich verändernden Welt passt. Es brauche daher eine "Generalinventur unserer Weltsicht". Und das bedeutet zuallererst, Komplexität anzuerkennen, verlangt aber auch ein Verständnis dafür, warum diese Denkweise an ihre Grenzen stößt. Beides will Lotters Buch vermitteln. Das gelingt. Wahrscheinlich eines der wichtigsten Bücher des Jahres.
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Rebekka Reinhard:
Wach denken.
Für einen zeitgemäßen Vernunftgebrauch.
Edition Körber, Hamburg 2020, 200 Seiten, 20 Euro (D), ISBN 978-3-89684-282-4
Null oder eins. Nach diesem Modus arbeiten Computer. Eine dritte Möglichkeit ist nicht vorgesehen. Dieser binäre Modus indes prägte das Denken, schon lange bevor es Computer gab. Dass etwas entweder wahr oder falsch ist, nicht zugleich sein und nicht sein kann und dass es außerhalb dieses zweiwertigen Rahmens nichts Drittes geben kann, sind seit alters her die logischen Grundlagen westlichen Denkens. Ein Denken, das sich auf diese Basissätze beschränkt, nennt die Philosophin Rebekka Reinhard die "verblödete Vernunft". "Ihr zentrales Dogma ist das falsche Dilemma: Entweder - Oder." Schnell, neu, lösungsfixiert und zweifelsfrei sind die Maximen, denen dieses verkürzte Denken folgt. Dem hält Reinhard ein "waches Denken" entgegen, das sich wesentlich auf das stützt, was die effizienzorientierte verblödete Vernunft auf den Wertstoffhof verfrachten möchte: Selbstreflexion, kritisches Hinterfragen, relevante Zweifel, begründete Einsprüche, experimentelles Überprüfen von Hypothesen. Waches Denken bedeutet für die Autorin: Sich einzugestehen, die richtige Antwort nicht zu kennen. Dafür aber die richtigen Fragen zu stellen. Wach denken bedeutet für Reinhard Gegenwärtigkeit, Leichtigkeit und Liebe, Letztere nicht als Gefühl, sondern als Fähigkeit. Dieses Denken verbindet Gefühl und Verstand. Vielleicht, so die Autorin in ihrem provozierenden wie augenöffnenden Buch, bedeute waches Denken "mit dem Herzen denken".
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Riane Eisler:
Die verkannten Grundlagen der Ökonomie.
Wege zu einer Caring Economy.
Büchner-Verlag, Marburg 2020, 234 Seiten, 22 Euro (D), ISBN 978-3-96317-215-1
Ökonomie kommt von oikos. oikos, das war die Haus- und Wirtschaftsgemeinschaft der Menschen im alten Griechenland. Als Modell für heute taugt diese Form des Wirtschaftens nicht. Vor allem, weil der Gedanke der Innovation dieser in sich geschlossenen, selbstgenügsamen Wirtschaftsweise fremd war. Sie war eher auf Erhalt denn auf Verbesserung ausgerichtet. Lehrreich ist aber ein Prinzip, das bis zum Beginn der Industrialisierung Bestand hatte: Zu einer Wirtschaftsgemeinschaft zählen alle Tätigkeiten, die im Rahmen dieser Gemeinschaft verrichtet werden. Das meinten die alten Griechen mit oikos, und das meinte die bis vor der Industrialisierung geläufige Rede vom "ganzen Haus". Mit der industriellen Revolution und zunehmender Arbeitsteilung rückte dann aber die (von Männern geleistete) Erwerbsarbeit ins Zentrum und drängte die häuslichen Tätigkeiten an den Rand. Sie blieben den Frauen als unbezahlte Arbeit. Dies sind "die verkannten Grundlagen der Ökonomie", von denen die Sozial- und Systemwissenschaftlerin Riane Eisler spricht: die ganzen Tätigkeiten, die mit Sorge, mit Care, zu tun haben. Und die entscheidend sind für die Gesellschaft: "Ohne Fürsorge und Care-Arbeit gäbe es keinen von uns. Es gäbe keine Privathaushalte, keine Arbeitskräfte, keine Wirtschaft - nichts davon. Und dennoch wird Fürsorge und Care-Arbeit in kaum einer der aktuellen Wirtschaftsdebatten auch nur erwähnt." In ihrem Buch, das 2007 bereits erschienen ist und nun auf Deutsch vorliegt, wendet sich Eisler gegen "das Ausblenden von Fürsorge und Care-Arbeit in der etablierten Wirtschaftstheorie und -praxis". Ihr Entwurf einer Caring Economy rückt nun diese, heute meist unbezahlte und von Frauen verrichtete Arbeit wieder ins Zentrum. Damit verändern sich die Vorzeichen des Wirtschaftens: Füreinander da sein wird wichtiger als Erwerbsstreben. Fürsorge wichtiger als Konkurrenz. Auf individueller Ebene beinhaltet dieser Entwurf die Chance, die Trennung der Lebenssphären wieder aufzuheben. Ein brennend aktueller Gedanke für die Gestaltung der Post-Corona-Ökonomie.
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Lars Hochmann (Hg.):
economists4future.
Verantwortung übernehmen für eine bessere Welt.
Murmann Publishers, Hamburg 2020, 296 Seiten, 34 Euro (D), ISBN 978-3-86774-653-3
Eine Idee zieht Kreise. Fridays for Future, Scientists for Future - und nun Economists for Future. Was mit dem freitäglichen Sitzstreik einer schwedischen Schülerin begann, weitet sich aus. Und rührt nun an den Kern des Problems: die herrschende ökonomische Lehre, das wirtschaftswissenschaftliche Paradigma, das auf dem Menschenbild des nutzenmaximierenden Individuums gründet und so ein verzerrtes Bild des Menschen wie des menschlichen Zusammenlebens entwirft. Um die meist gar nicht reflektierten Grundannahmen und Metaphern der Standardökonomie geht es vor allem in dem von Lars Hochmann herausgegebenen Band Economists for Future. Das Buch entwirft in kurzen Beiträgen unterschiedlicher Autoren Gegenbilder zur herrschenden akademischen Lehre, die (so ein zentraler Kritikpunkt) zu dem Wissen der Zeit nur wenig beizutragen habe. Ein konsistentes Bild einer neuen Lehre entsteht so zwar nicht, soll oder kann es vielleicht auch gar nicht. Aber spürbar ist der unbedingte Wille zur Veränderung der Disziplin. Maja Göpel, Lars Hochmann und Uwe Schneidewind schreiben: "Eine neue Vision von Wirtschaft kann nicht im Spektrum des Gewohnten rangieren. Es ist offensichtlich geworden, dass die Bewältigung der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts ein neues Paradigma voraussetzt." Einige zentrale Bausteine dafür finden sich in diesem Buch.
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Verena Pausder:
Das neue Land.
Wie es jetzt weitergeht.
Murmann Publishers, Hamburg 2020, 200 Seiten, 20 Euro (D), ISBN 978-3-86774-655-7
Vollkommen zu Recht wurde dieses Buch beim Deutschen Wirtschaftsbuchpreis 2020 als "Unternehmerbuch des Jahres" ausgezeichnet. Verena Pausder, eines der bekanntesten Gesichter der Gründerszene in Deutschland (so der Verlag), hat ein Manifest für den Wandel geschrieben. Es ist ein Appell, dieses Land zukunftsfähiger zu machen, nun endlich anzufangen damit. Anzufangen, darum geht es. Es ist vor allem eine andere, neue Haltung, an Probleme ranzugehen: mit vielen kleinen Schritten, statt auf die perfekte, mit allen abgestimmte Lösung zu warten. Dieses iterative Vorgehen, dieses versuchsweise Handeln ist es, was dieses Buch auszeichnet. Das verlangt die Bereitschaft, ein Risiko einzugehen und Fehler machen zu dürfen, und ist verbunden mit dem Eingeständnis, Komplexität oftmals nicht beherrschen zu können. Fehler sind dabei keine Fehler, sondern Teil der Vorgehensweise, sind Bedingung des Lernens. Das spiegelt sich auch im Buch. Es ist kein ziselierter, ausgefeilter Sachbuchtext. Sondern eine Rede, eher hingeworfen wirkend und gestaltet wie ein Manuskript, mit Absätzen und Pausen und großer Typo. Mit diesem Gestus erörtert die Autorin die zentralen Themen des Wandels: Innovationen fördern, Bildung neu denken, Digitalisierung voranbringen, Gleichberechtigung leben, die Work-Life-Balance neu austarieren, Start-ups gründen, Klima schützen, Chancengerechtigkeit für alle realisieren - das alles beinhaltet der Entwurf einer neuen Gesellschaft, den Pausder kurzweilig skizziert. Kurz, prägnant, präzise und auf den Punkt. So kann das kürzeste Kapitel des Buches selbst in dieser Kurzrezension komplett zitiert werden. Es behandelt die Klimapolitik. Und die geht so: "Das Leitinstrument der Klimapolitik im Neuen Land ist der CO2-Preis. | Und der Preis für eine Tonne CO2 | beträgt ab morgen 50 Euro | und steigt bis 2030 auf 130 Euro an." Anfangen, schauen, weitermachen.
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Waldemar Zeiler:
Unfuck the Economy.
Eine neue Wirtschaft und ein besseres Leben für alle. Mit einem Vorwort von Maja Göpel.
Goldmann Verlag, München 2020, 224 Seiten, 15 Euro (D), ISBN 978-3-442-31595-6
"Etwas zu ‚unfucken‘ bedeutet für uns, ein Problem zu lösen", sagt Waldemar Zeiler, Mitgründer von Einhorn, dem sehr angesagten Berliner Start-up, das vegane und nachhaltige Kondome und Periodenprodukte verkauft. Auf dem Entrepreneurship Summit 2018 in Berlin hielt Zeiler eine Keynote mit dem Titel "Unfuck the Economy" und launchte eine Serie dazu auf Instagram. Nun hat er ein Buch daraus gemacht, das so frisch und frech daherkommt wie sein Titel, aber vom Autor und seiner Co-Autorin Katharina Höftmann Ciobotaru auf ein solides Fundament gestellt worden ist. Maja Göpel (Unsere Welt neu denken), Frederic Laloux (Reinventing Organizations) sowie C. Otto Scharmer mit seiner Theorie U und Kate Raworth mit dem Konzept der Donut-Ökonomie - und natürlich der Ökonomieprofessor und Erfinder des Entrepreneurship Summit Günter Faltin - zählen zu den geistigen Paten. "Unfuck Ungleichheit", "Unfuck Klima- und Biodiversitätskrise", "Unfuck Politik", "Unfuck Arbeit" und, natürlich, "(Un)Fuck Corona" sind die zentralen Themen - vor dem "(Happy) End". Das Buch schließt mit einem Gedankenexperiment des Philosophen John Rawls: Gesetzt ihr hättet die Macht, die Welt zu verändern, aber unter dem "Schleier des Nichtwissens" (Rawls) wüsstet ihr nicht, mit welchem Geschlecht, welcher Hautfarbe, welchem sozialen Status et cetera ihr in diese Welt zurückkehren würdet - "Wie würdet ihr unter dieser Bedingung die Welt gestalten?" Das ist die zentrale Botschaft Zeilers: Du kannst die Welt gestalten! Fang an damit! Aber dalli.
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Marcel Fratzscher:
Die neue Aufklärung.
Wirtschaft und Gesellschaft nach der Corona-Krise.
Berlin Verlag, Berlin/München 2020, 224 Seiten, 22 Euro (D), ISBN 978-3-8270-1432-0
Unter den zahlreichen Büchern zur Coronakrise ist dies mit Sicherheit das anspruchsvollste, weitreichendste. Es begreift die Pandemie als gesellschaftlichen Bruch epochalen Ausmaßes. Als Herausforderung, ein neues Zeitalter in der Entwicklung der Menschheit einzuleiten. Nur so ist der Titel Die neue Aufklärung zu verstehen. Diese neue Aufklärung folgt den drei Idealen Freiheit, Gerechtigkeit, Humanismus. Die zentrale These lautet, dass "diese drei Ideale der Aufklärung heute wichtiger sind denn je und dass sie darüber entscheiden werden, wie die Welt und wir als Gesellschaft aus dieser Pandemie herauskommen", schreibt Marcel Fratzscher, Professor für Makroökonomie und Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Diese neue Aufklärung will sich den vier zentralen Konfliktlinien des 21. Jahrhunderts stellen: Ethik versus Wirtschaft, Staat versus Markt, Multilateralismus versus Nationalismus, Wissenschaft versus Medien und Politik. Das klingt nach einem anspruchsvollen Programm, bewegt sich aber in bekannten Bahnen. Die neue Aufklärung ist eher Vergewisserung denn Aufbruch. Sie folgt dem alten Denken, dem ungebrochenen Rationalismus der ersten Aufklärung. Und der Ökonom Fratzscher schreibt das ökonomisch geprägte unvollständige Bild von Gesellschaft fort: Dieser fehlt der kulturelle Zusammenhang. So sucht man den Begriff Kultur im Buch vergebens. Doch es braucht einen Entwurf einer neuen Aufklärung, die auf einem neuen Denken aufbaut und Kunst und Kultur nicht abspaltet, sondern systematisch mit einbezieht. Nicht als Freizeitvergnügen, sondern als essenzieller Ausdruck des Menschseins.
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Christian Stöcker:
Das Experiment sind wir.
Unsere Welt verändert sich so atemberaubend schnell, dass wir von Krise zu Krise taumeln. Wir müssen lernen, diese enorme Beschleunigung zu lenken..
Karl Blessing Verlag, München 2020, 384 Seiten, 22 Euro (D), ISBN 978-3-89667-677-1
"Wir Menschen … sind sensationell schlecht darin, exponentielle Entwicklungen kognitiv zu erfassen." Einer der Schlüsselsätze im neuen Buch des Psychologen und Wissenschaftsautors Christian Stöcker. Dieser Befund zeigt sich in der Pandemie gerade eindrucksvoll, betrifft aber eine Vielzahl anderer Entwicklungen auf dieser Erde: technologische, ökologische, wirtschaftliche und gesellschaftliche. Die internationale Wissenschaftlervereinigung Future Earth hat für diese Ballung exponentieller Entwicklungen in unterschiedlichen Bereichen den Begriff "Great Acceleration" geprägt, die große Beschleunigung. Diese exponentiellen Entwicklungen sind das Thema des Buches. Das "größte Experiment der Menschheitsgeschichte" seien wir selbst, schreibt Stöcker: "Können siebeneinhalb Milliarden Menschen, die wenig mit Exponentialfunktionen anfangen können, mit einer sich exponentiell verändernden Welt umgehen oder nicht?" Die Antwort sucht der Autor zwischen den ideologischen Fronten: zwischen den Befürwortern von Markt, Wachstum und Innovation auf der einen und den Verfechtern von Postwachstum und Degrowth auf der anderen Seite. Wie oft biete eine Kombination divergierender Positionen die Lösung, so der Autor. Letztlich, so die überraschende Wendung, werde es eine Exponentialfunktion sein, die die Erde rettet. Genauer gesagt mehrere, deren Kern die Umstellung der Energieversorgung auf regenerative Quellen ist - und zwar exponentiell.
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Anne M. Schüller:
Querdenker verzweifelt gesucht.
Warum die Zukunft der Unternehmen in den Händen unkonventioneller Ideengeber liegt.
GABAL Verlag, Offenbach 2020, 240 Seiten, 29.90 Euro (D), ISBN 978-3-86936-998-3
Es ist schon bitter, was dem neuen Buch von Anne Schüller widerfahren ist. Querdenker verzweifelt gesucht heißt es - und es war im Druck, als die selbst ernannte Querdenker-Bewegung gegen die Coronamaßnahmen an Zulauf gewann. Das ist nun sicher nicht die Art von Querdenken, der Schüllers Weckruf gilt. Ihr geht es um das Hinterfragen des Überkommenen, um den Musterbruch, um "das Denken gegen die Regel". Und Schüller weist darauf hin, dass Querdenker in diesem Sinne in den meisten Firmen gar nicht erwünscht sind. "Weil sie stichhaltige Fragen stellen, Vertrautes in Zweifel ziehen, Untätigkeit schonungslos attackieren, ideenreich um die Ecke denken und scheinbar unumstößliche interne Glaubenssätze ins Wanken bringen". Mit ihrem Buch will sie das ändern. Und zeigen, "wie man eine unternehmensweite Querdenkerkultur erschafft", zum Beispiel mit 15 Workhacks, die konkrete Ansätze für eine andere Form der Zusammenarbeit liefern. Auch wenn Schüller Querdenken somit ganz anders meint als die seltsame Koalition von Verschwörungstheoretikern und Coronaleugnern, wurde der Begriff ziemlich disruptiv (wenn man so will) in einen anderen Kontext gestellt. Über Querdenken muss man heute anders reden. Das ist schlecht für das Buch. Das Malheur zeigt aber: Quer allein reicht nicht. Die Richtung sollte schon klar sein. Das gilt für das Denken ganz allgemein, und das gilt auch in Unternehmen.
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Susanne Kippenberger:
Die Kunst der Großzügigkeit.
Geschichten einer leidenschaftlichen Schenkerin.
Hanser Berlin, Berlin 2020, 256 Seiten, 24 Euro (D), ISBN 978-3-446-26791-6
Auch für das Schenken hat sich in unserer von ökonomischem Denken durchwobenen Welt eine passende Erklärung gefunden. Schenken sei immer nur Austausch: Gibst du mir, so gebe ich dir. Wenn nicht gleich, dann irgendwann. Schenken als Tauschbeziehung, das ist das Modell, gegen das die Journalistin und Autorin Susanne Kippenberger anschreibt. Für sie ist Schenken eine grundlegende soziale Tätigkeit, eine Kultur, die Zusammenhang und Verbundenheit stiftet. "Dauernd gibt man dem anderen etwas von sich, so entsteht Gemeinschaft. Eine Gesellschaft ohne diesen Akt ist undenkbar." Schreibt Kippenberger, die in ihrem anregenden Buch die diversen Situationen des Gebens durchbuchstabiert: Gastfreundschaft, Geburtstag, Weihnachten, Hochzeit, Beerdigung, Karten, Blumen, Gutscheine, Geld. Sie macht deutlich: Ohne eine grundlegende Bedingungslosigkeit, ohne Vertrauen, ohne eine fundamentale Großzügigkeit geht es nicht. Und nicht ohne Gefühl. Das gilt selbst für das oft verpönte Geldgeschenk. Feinfühligkeit ist gefragt, bei der Summe wie bei der Übergabe: "Auch zum Geld-Schenken gehört Gefühl."
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KATAPULT:
102 grüne Karten zur Rettung der Welt.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020, 203 Seiten, 22 Euro (D), ISBN 978-3-518-47083-1
KATAPULT ist jenes Magazin, das Statistiken und Sozialwissenschaft in Form von vereinfachten Infografiken und Karten darstellt. Das Team rund um Chefredakteur Benjamin Fredrich macht so wissenschaftliche Forschungsergebnisse einfach zugänglich - seit 2016 sehr erfolgreich im Zeitschriftenformat. 2019 erschien dann mit 100 Karten, die deine Sicht auf die Welt verändern das erste Buch, auch sehr erfolgreich, nun liegt mit 102 grüne Karten zur Rettung der Welt das zweite vor. Diesmal geht es um Klima und Umwelt. Und wieder lädt der Band zum Lachen und Nachdenken ein. Amüsante, scheinbar belanglose Grafiken wechseln sich mit erschreckend wachrüttelnden ab: Wir wissen jetzt zum Beispiel, dass es in Kanada eine Insel in einem See auf einer Insel in einem See auf einer Insel gibt. Oder dass Baumringe fast so aussehen wie Fingerabdrücke. Außerdem wird gezeigt, wo weltweit aktive Kohlekraftwerke stehen, wo Aufforstung möglich wäre und dass die größte Müllinsel (Great Pacific Garbage Patch) viereinhalbmal so groß wie Deutschland ist. Wie hier Wissen aufbereitet wird, überzeugt. Weil es eine neue Art der Vermittlung, eine andere Art der Klimakommunikation ist. Und vor allem schafft KATAPULT mittels Überraschung und Humor, Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen. (kk)
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