Mehr Zukunft
Reingelesen 5 | 2019: Denkanstöße aus verschiedenen aktuellen Titeln zum Thema Zukunft
Menschen denken gerne geradlinig in die Zukunft. Sie schreiben Gegenwärtiges fort und nennen das dann Trend oder Megatrend. Doch wer über Zukunft nachdenkt, muss mit Überraschungen rechnen. Mit Verzögerungen, mit Schleifen und Spiralen, mit Brüchen oder Disruptionen. Und mit Paradigmen oder Narrativen, die den Entwicklungsstrom kanalisieren und in eine nicht gewollte Richtung lenken.
Lars Jaeger:
Mehr Zukunft wagen!.
Wie wir alle vom Fortschritt profitieren.
Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2019, 288 Seiten, 2 Euro (D), ISBN 978-3-579-01480-7
Wir neigen dazu, die Wirkung von Technologien kurzfristig zu überschätzen und sie langfristig zu unterschätzen. Gesagt hat das der amerikanische Forscher und Stanford-Professor Roy Amara. Dies hat Folgen. Die kurzfristige Überschätzung führt zu Hypes und begünstigt die Entstehung von Dystopien, während die längerfristige Entwicklung oft gar nicht ins Blickfeld gerät. Beides will Lars Jaeger nicht hinnehmen. Sein Buch will den Menschen die Zukunftsängste austreiben. Will den Weg ebnen "zurück zu einer positiven Zukunftsbetrachtung und damit zu einer aktiven gestalterischen Rolle". Mit blindem Optimismus freilich hat Jaeger nichts am Hut. Nüchtern beschreibt er die heraufziehenden technologischen Disruptionen, die das Potenzial haben, "den einzelnen Menschen, aber auch die menschliche Zivilisation und das Menschsein an sich komplett umzugestalten". Diese Wirkung aber liegt jenseits des Kurzfristhorizonts. "Die eigentliche Krise wird von uns … nur erahnt: die Umformung des Menschen", schreibt Jaeger. Er nennt dies "die Human-Krise". Sie stellt die Frage nach der Gestaltung von Zukunft - also welche der technologischen Möglichkeiten wir umsetzen sollen. Das aber erfordert für Jaeger eine Neubesinnung: über unser Denken und dessen systematische Limitierungen, über die Wissenschaft und intellektuelle Redlichkeit, über die Neugestaltung unseres ökonomischen Systems, über unsere verschüttete Spiritualität (abseits von Esoterik), über unser Menschsein an sich. Der Autor fordert, diese Vergewisserung mit Mut zum Optimismus anzugehen. Der große Bogen, den dieses Buch schlägt, mündet in den heute unzeitgemäß klingenden Aufruf: "Utopien wagen!" Die Gefahr dabei ist jedoch, dass sich das Eingangsparadox dann umgekehrt stellt. Und der Blick auf die Langfristentwicklung den Handlungsdruck in der Gegenwart negiert. Stichwort Klimakrise.
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Matthias Horx :
15½ Regeln für die Zukunft.
Anleitung zum visionären Leben.
Econ Verlag, Berlin 2019, 352 Seiten, 25 Euro (D), ISBN 978-3430210133
Matthias Horx gilt als der Megatrend-Guru, für viele ist er der Schaumschläger in der Zukunftsbranche. Doch wer so denkt, sollte dieses Buch lesen - und einen anderen Horx kennenlernen. Horx hat Trends und Megatrends kommen und gehen sehen, hat etliche davon gehypt und dabei hin und wieder auch gehörig danebengegriffen. Aber er hat daraus seine Schlüsse gezogen und hat sich gelöst vom Trendhyping. Seine erste Zukunftsregel lautet denn auch: "Hüte dich vor Future Bullshit", was sich durchaus selbstkritisch verstehen lässt. Horx interessiert sich auch nicht mehr für Trends, Megatrends oder Zukunftsszenarien. Sein Interesse gilt der Metaebene hinter den Zukunftstrends. Den dahinterliegenden Mustern: wie Menschen über Zukunft denken. Denn über Zukunft nachzudenken, gehört zur Conditio humana: "Menschen sind Zukunftswesen." Die Mehrzahl von Horx’ Zukunftsregeln rühren dann auch an die inneren Bilder, entlang derer Menschen Zukunft konstruieren. Dem verbreiteten Denken in linearen Entwicklungen setzt der Autor ein dialektisches und ein zyklisches Bild entgegen: "Jeder Trend erzeugt einen Gegentrend" und "Das Alte kommt immer wieder - und erneuert sich dabei selbst" lauten Zukunftsregel zwei und drei. So entsteht das Gegenbild zum Trend als rein gradliniger Zukunftsbetrachtung: "Die Zukunft entsteht nicht in geraden Linien, sondern in Schleifen und Spiralen." Und es gibt Verzögerungen im Zukunftsdenken: "Alle erwarteten Zukünfte kommen später, als man denkt." Und mitunter kehrt sich die Denkrichtung um: "aus der Zukunft heraus denken", nennt das der Autor. Horx hat eine Fülle von Gedanken, Zitaten und Beispielen zum Thema Zukunft zusammengetragen. Man muss nicht alles teilen, kann manches anzweifeln, aber was dieses Buch spannend macht, das ist die Fülle an Perspektiven auf Zukunft, die es bereithält.
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Carl Naughton, Andreas Steinle:
30 Minuten Zukunftsmut.
GABAL Verlag, Offenbach 2019, 96 Seiten, 7.99 Euro (D), ISBN 978-3-95623-897-0
Nein, zwischen "Zukunftsmusik" und "zukunftsorientiert" findet sich im Duden kein weiterer Eintrag. In diese Lücke stoßen nun Carl Naughton und Andreas Steinle mit ihrem Buch Zukunftsmut. Ein schönes Wort, zweifellos, und es ist schon erstaunlich (um nicht zu sagen symptomatisch), dass dieser Begriff kaum benutzt wird und keinen Eingang in die deutsche Sprache gefunden hat. Hin und wieder taucht er auf, Julia Klöckner hat ihn verwendet, Annalena Baerbock ebenso. In den Suchergebnissen dominieren aber die beiden Autoren aus dem Umfeld des Zukunftsinstituts. Die Idee des Zukunftsmuts basiert auf dem Konzept des psychologischen Kapitals, das der Organisationspsychologe Fred Luthans entwickelt hat. Zukunftsmut gründet demnach auf vier Elementen: Zuversicht, Selbstwirksamkeit, Widerstandskraft (oder Resilienz) und Optimismus, letzteres nicht im Sinne der rosaroten Brille, sondern in Form eines realistischen Optimismus, wie ihn Martin Seligman, der Vater der positiven Psychologie, versteht. Diese vier Dimensionen bestärken sich gegenseitig, sagen die Autoren, und stimulieren Kreativität und Innovation. Diese Zusammenhänge werden im Buch prägnant umrissen. Die Kernbotschaften lauten: "Zukunftsmut beeinflusst die Performance nachhaltig." Und: "Zukunftsmut lässt sich trainieren." Entsprechende Trainings bieten natürlich die Autoren an. Und behaupten dann ganz forsch und unter Zuhilfenahme einer zweifellos beeindruckenden Formel, schon mit einem Zukunftsmut-Training von zweistündiger Dauer ließe sich ein "Dollar Value" von 1,5 Millionen erzielen. Dreist. Dennoch bietet das Büchlein mehr als 30 Minuten Selbstmarketing.
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Stephan Grabmeier:
Future Business Kompass.
Der Kopföffner für besseres Wirtschaften.
Murmann | Haufe, Freiburg 2019, 221 Seiten, 24.95 Euro (D), ISBN 978-3-648-13569-3
Wie mache ich mein Unternehmen fit für die Zukunft? Das ist die Frage, die sich hinter den zahlreichen Bemühungen zur Veränderung von Geschäfts- und Organisationsmodellen verbirgt. Meist jedoch bleiben diese Ansätze selektiv, sie beziehen sich auf einzelne Aspekte der Organisation: auf das Geschäftsmodell, auf die Beziehung zu den Kunden, zu den Mitarbeitenden, zur Gesellschaft, auf den Aufbau der Organisation oder auf Klima- und Umweltfragen. Selten werden diese unterschiedlichen Segmente zusammengedacht, obwohl sie gleichermaßen - und im Grunde nur zusammengenommen - maßgeblich sind für die Zukunftsfähigkeit einer Organisation. Diese Integrationsleistung erbringt nun Stephan Grabmeier in seinem Buch Future Business Kompass. Der Vater zweier Kinder denkt dabei weit voraus: Wann ist ein Unternehmen, ein Business "enkelfähig"? Das ist für ihn die entscheidende Frage. Der Future Business Kompass will eine Balance herstellen zwischen kollektiven (Gesellschaft, Unternehmen) und individuellen Ansprüchen (Mensch, Lernende) ebenso wie zwischen öffentlichen (Gesellschaft, Bildung) und privaten Interessen (Unternehmen, Führungskraft, Mitarbeiter). "Alles hängt zusammen." Entsprechend dem Kompass mit seinen vier Himmelsrichtungen enthält Grabmeiers "Sustainable Transformation" vier Elemente: Erstens ermöglicht eine neue Finanzmarktrechnung, die soziale, ökologische und ökonomische Faktoren berücksichtigt, ein besseres Wirtschaften. Zweitens löst die Kreislaufwirtschaft die Linearwirtschaft ab. Drittens schaffen ein neues, selbstbestimmtes Lernen und die Freude an Kreativität und Potenzialentfaltung eine bessere Wirtschaft. Viertens entsteht ein neues ökonomisches Betriebssystem, basierend auf einer sozial-kooperativ angereicherten Marktwirtschaft und einem Paradigmenwechsel vom Homo oeconomicus zum Homo cooperativus. Das sind die Herausforderungen auf den Punkt gebracht.
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Friedrich von Borries, Benjamin Kasten:
Stadt der Zukunft.
Wege in die Globalopolis.
Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2019, 208 Seiten, 13 Euro (D), ISBN 978-3-596-70432-3
In dieser Stadt gibt es keine Autos mehr. "Viele Straßen wurden zu linearen Parks umgebaut. In den Autobahnunterführungen befinden sich unterirdische Farmen. Dort werden Pilze, Algen, Gemüsesprossen und Insekten gezüchtet. Berlin ist eine grüne Stadt." Dieser Traum vom "Berlin 2070" bildet die einleitende Imagination zu einem neuen Buch über die Zukunft der Stadt, geschrieben und gezeichnet von einem Architekten und einem Stadtplaner. Heute bereits lebt weit über die Hälfte der Menschen in Städten, 75 Prozent sind es in Deutschland, und es werden immer mehr. "Es ist deshalb höchste Zeit, dass wir Stadt grundlegend neu denken", schreiben Friedrich von Borries und Benjamin Kasten. Ihnen geht es darum, den überkommenen Quellcode von Stadt zu überwinden. Es geht um eine Stadt, die auf Kooperation, Vernetzung, Koexistenz und Offenheit basiert. "Wir stellen uns die Stadt der Zukunft als Globalopolis vor, als eine weltumspannende, vernetzte und hochverdichtete, in sich aber vielfältige, also pluriversale Siedlungsstruktur." Wobei der Wortbestandteil "polis" besagt, dass diese weltumspannende Siedlungsstruktur zugleich "die politische Organisationseinheit sein soll": die Stadt als zentrale politische Institution, "die demokratisch ihre eigenen Geschicke in die Hand nimmt". "Die Globalopolis, wie wir sie uns vorstellen, ist ein System von urbanen Netzwerken, das die bisherige nationalstaatliche Ordnung abgelöst hat." Das ist kühn gedacht und bietet eine Netzwerkalternative zum Nationalstaat. Das Buch ist frisch aufgemacht, mit einem Comic, zahlreichen Infografiken und Illustrationen und nicht zuletzt einem kompakten 43-seitigen Schlussteil mit zahlreichen Praxisbeispielen am Ende. Dessen Leitfrage: "Was wird schon gemacht?" Die Antwort: Vieles.
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Weert Canzler, Andreas Knie, Lisa Ruhrort:
Autonome Flotten.
Mehr Mobilität mit weniger Fahrzeugen.
oekom Verlag, München 2019, 168 Seiten, 13 Euro (D), ISBN 978-3-962381554
Auf diesem Buch steht zwar nicht Zukunft drauf, aber es ist Zukunft drin: Zukunft der Mobilität. In ihrem letzten Buch haben Weert Canzler und Andreas Knie herausgearbeitet, was das Paradigma individueller Mobilität im Kern ausmacht: die politisch sanktionierte Vorfahrt für das eigene Auto, verbunden mit der keineswegs selbstverständlichen Erlaubnis, dieses im öffentlichen Raum abzustellen. In ihrem neuen Buch zeigen die beiden (zusammen mit Lisa Ruhrort) nun, was dieses Paradigma für die Zukunft der Mobilität bedeutet. Denn es wirkt fort. So setzen die Automobilkonzerne auf ein Weiter-so: auf das individuelle Elektromobil, nun eben mit Elektro- statt Verbrennungsmotor und ausgestattet mit immer fortgeschritteneren Assistenzsystemen bis hin zum künftigen autonomen Fahren. Antriebswende statt Verkehrswende. Die wirklichen Potenziale automatisierten Fahrens liegen für die Autoren hingegen in einem anderen Entwurf von Mobilität, basierend auf einer radikaleren Vorstellung von Autonomie: "Fahrzeuge, die nicht nur automatisch fahren, sondern von einem System gesteuert und disponiert werden und deshalb aus der Sicht der Nutzenden autonom unterwegs sind". Mobilität realisiert sich hier nicht mehr über private Fahrzeugnutzung, sondern über digitale Zugänge zu Fahrzeugflotten, die von Anbietern für die geteilte Nutzung bereitgestellt werden. Das bedeute "eine Neuerfindung des öffentlichen Verkehrs". Das große Versprechen dieses Entwurfs lautet: "Weniger Autos und zugleich eine hohe Mobilität für alle sind möglich." Das aber erfordere schon heute regulatorische Weichenstellungen, die - insbesondere den Kommunen - Experimente mit autonomen Fahrzeug(flott)en ermöglichen.
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